Heidemarie Rottermanner

Das Abenteuer LEBEN!

Das Abenteuer LEBEN

Anne stand am Fenster und starrte auf die verkehrsbelebte Straße. Doch sie sah nicht den Strom der vorbeifahrenden Autos, vielmehr schweifte ihr Blick immer wieder zum Gehsteig. Dort hatte sie ihn zum allerletzten Mal gesehen. Ingomar drehte sich nicht einmal um,  er würdigte ihr nicht einen Blick als er endgültig vom Menschenstrom fortgezogen wurde.

Und zum wiederholten Male stellte sie sich die Frage: " Weshalb  war er gegangen und warum war seine Liebe gestorben?"  Er konnte 10 Jahre Gemeinsamkeit nicht so einfach auslöschen mit den  Worten: "Ich liebe dich nicht mehr. " Was war eigentlich Liebe? Im Geiste sah Anne die Stationen ihres Glücks:  "Sie im bezaubernd rotem Kleid, die langen dunklen Locken, die leuchtenden Augen, er groß und schlank, den Schalk in den braunen Augen."  Lachen, tanzen, gemeinsam arbeiten und feiern. Was hatten sie Spaß miteinander und nun aus und vorbei, gestorben jede Hoffnung.

Weinend sank sie wieder auf die Couch und ließ sich treiben. Das
Leben war sinn- und ziellos, es lohnte sich nicht –  alleine. 

Die Eltern waren entsetzt als sie vom Urlaub an der Nordsee, Sonntag Abend ankamen und ihre Tochter fanden:  Verweint und verzweifelt. Sie versuchten zu helfen, doch  Anne fehlte die Lebensfreude, sie war mit Ingomar fortgegangen und blieb verschollen.

Die Eltern  verfrachteten  ihre teilnahmslose Tochter in das Auto und fuhren mit ihr in die "Pampa". So nannten sie liebevoll diese herrliche Landschaft mit unendlichen Weiten, Wäldern, Wiesen und Hügel. Grün so weit das Auge reicht.

Dort lebte eine bekannte Familie, diese bewirtschafteten einen Bauernhof, mit Pferden, Kühen, allerlei Federvieh und 14 Huskys.  Sven, Thomas und Bernd die halbwüchsigen Söhne der Familie, stets zu Streichen aufgelegt und doch fröhliche Jungs die auch ordentlich bei der Arbeit halfen. Das riesige Areal zu bewirtschaften kostete natürlich viel Schweiß, keine Spur von Langeweile und Trübsinn.


Anne wurde  herzlich aufgenommen und willkommen geheißen. Oft verwöhnte sie die Bauersfrau Klara mit Kuchen und Kaffee und dann zogen sich die Frauen in die Küche zurück  scherzten und lachten.  Nur abends, wenn Anne alleine in ihrem Bett lag, kehrte die Traurigkeit und das Leid mit voller Wucht zurück und der Schmerz der Verlassenheit ließ sie oft lange nicht einschlafen.

Thomas (15 Jahre alt) versuchte Anne mit dem Hundeschlittensport vertraut zu machen. Gemeinsam spannten sie die Hunde vor den Schlitten und jagten in die Wälder.

Anne hatte einen anstrengenden Vormittag hinter ihr, nun wollte sie sich im Schatten der alten, mächtigen Linde ausruhen. Doch da lag schon jemand. Leise schlich sie näher um den Fremden zu betrachten. Dieser erwachte  und  sah sie an. Anne erschrak, der Blick aus den starren, leeren Augen jagte ihr Angstschauer über den Rücken. „Da bist du endlich, ich habe dich schon längst erwartet,“ seine dunkle, melodische Stimme, erweckte die Sehnsucht nach Meerrauschen und das Heulen des Sturmes.

„Ich bin Mike,“ sagte er  und das klang so vertraut als kannten sie einander schon ewig.

Von diesem Tag an begegnete sie dem Fremden immer öfter. Gemeinsam saßen sie Spätnachmittags im Schatten der Linde.

Einmal schlief Anne ein und träumte von der wilden Fahrt mit den Schlittenhunden: Ein scharfer Ruck und schon standen die Hunde still und das Mädchen erblickte die Brücke die zur Schlucht führte. Eine laute Stimme rief: „Dort hinüber musst du, dann gelangst du zur Schlangenschlucht, da musst du hindurch um zur  Lebensquelle zu gelangen, dort erwarte ich dich.“

Anne richtete sich auf, wischte die Haare aus dem Gesicht und war vollkommen verwirrt: „Was war das?“ Dakota und Gemba die beiden Huskys saßen ruhig neben ihr und sahen sie an: „Habe ich heute den Zwinger nicht ordentlich geschlossen,“  das Mädchen schüttelte den Kopf, „ und die Schlangenschlucht,  wo ist die?“

Mike antwortete ruhig: „Ich werde sie dir zeigen, aber hinein geht da niemand, es ist zu gefährlich und unheimlich.“

Anne stand auf und ihr Entschluss stand fest: Sie musste es wagen und diese Schlucht bezwingen, die Stimme hatte es ihr befohlen.

„Alleine schaffst du es nicht,“ Mike ging unruhig auf und ab, „ich komme mit!“

Doch Anne wusste, dass dies nicht möglich war, wie konnte er ihr helfen, er war hilflos mit Blindheit geschlagen.

Dakota war klug und zuverlässig, auf ihn konnte sie sich verlassen und er würde sie begleiten. Gemba musste bei Mike bleiben. Sie sattelten die Pferde und Mike brachte sie zum Eingang der Schlucht. Er sprang vom Pferd und nahm Anne in den Arm, er küsste sie auf die Wange und flüsterte: „ Komme mir heil  zurück, ich warte auf dich.“ Er ritt  weiter um  zur Quelle zu gelangen, Gemba begleitete ihn, Hund und Pferd war der Weg bekannt und vertraut.

Dakota wich nicht von ihrer Seite, sie spürte seine feuchte Schnauze und dann legte sie die Hand in sein dichtes, warmes Fell. Langsam betraten sie die Brücke. Vom Felsen tropfte stetig das Wasser, kalter Wind erfasste sie und ließ beide erzittern. Wolken schoben sich vor die Sonne. Zischende Laute und glitschige, kalte Wesen schlängelten sich zu ihren Füßen. Anne war dankbar für ihre schweren, hohen Schuhe. Nur weiter drängte die Stimme. Doch die Angst schnürte ihr den Hals zu, das Blut rauschte tosend in den Adern und das Herz raste und erzitterte. Ausgeliefert sein und Panik erfüllte das Mädchen: "wie den Weg finden? Würde sie jemals das Ziel erreichen?"  Der Wind peitschte die Bäume und das Heulen schwoll an, wirbelte den Sand auf und nahm ihr den Atem und die Sicht. Hatte sie sich nicht schon vor Wochen den Tod gewünscht,  war dies das Ende?

Der Husky drängte  dicht an ihre Seite, seine kalte Hundeschnauze stupste sie an: Sie war nicht alleine, ER  wusste den Weg  und führte sie sicher.  Anne spürte seine Kraft und wollte nur noch das Eine: LEBEN.

Die Schlucht der Schlangen lag hinter ihr, die Sonne war längst untergegangen, der Mond kam hinter den Wolken hervor und sein silbernes Licht fing sich im glitzernden Sprühregen des Wasserfalls.

Erschöpft sank Anne vor das Wasserbecken und tauchte ihre Hände in das kühle Nass. Da war sie wieder die Stimme die forderte:  "Trink und fülle dein Gefäß.“

Gestärkt erhob sich Anne und da sah sie IHN. Zusammengekrümmt lag Mike unweit der knorrigen Eiche und schlief. Plötzlich erzitterte sein Körper und bäumte sich auf und schrie: „Warum hast du mich verlassen, das brennende Auto, ich eingeklemmt und hilflos, wie lange hast du mich schon betrogen.“

Anne legte beruhigend die Arme um den weinenden Mann, mit sanfter Stimme versuchte sie ihn zu trösten, die Qual des Herzens zu milden. Da befahl die Stimme: „Gib ihm zu trinken.“

Das Mädchen tat wie geheißen und Mike kam langsam zu sich. Jetzt lag er mit geschlossenen Augen da. „Tauche deine Finger in das Wasser und bestreiche seine Augen,“ da war sie schon wieder diese Stimme.

Mit zitternden Händen tat sie wie es ihr befohlen wurde. Still ward es, nur noch das Schnauben der Pferde. Gemba und Dakota kamen näher, hielten Wacht. Da öffnete Mike die Augen, langsam wich die Trauer und der Schmerz und das Leuchten erschien und erfasste sein Gesicht: „Du bist schön Anne, dein lockiges  Haar, dein süßes Lächeln, endlich bist du da!“

Anne legte ihre Hände in seine und sprach mit fester Stimme: „ Du bist wieder gesund und ich bin den tödlichen Gedanken der Vergangenheit entflohen, komm lass es uns meistern, bestaunen und erleben, ob gemeinsam oder alleine, das Abenteuer LEBEN!“

 

 

Für dich Mike (indianischer Poet mit österreichischen Wurzeln, gestorben im Jänner 2006)Danke Mike für deine liebe, herzliche und mitfühlende Art, ich weiß du wirst mich immer begleiten, besonders in traurigen, schmerzlichen Stunden spüre ich deine Nähe.
Für dich Susanne ( e-Mail Freundin gefunden auf e-stories) danke für deine Liebe, deine herzlichen Zeilen. Du hast mir die Augen für die wahren Dinge des Lebens geöffnet. Ich wünsche dir von Herzen, dass sich das Grau deiner Trauer, in das helle, bunte und frohmachende Glück verwandeln möge. Ich wünsche dir alles Glück dieser Erde.
In Liebe
Heidemarie
Heidemarie Rottermanner, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Das große mystische Märchenbuch von Heidemarie Rottermanner



In einem Land, fern und unbekannt,
leben Wichtel und Elfen,
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In einem Land, fern und unbekannt,
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In einem Land, fern und unbekannt,
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