Cornelia Palzer

Und grüß mir Irland!!

 

Die grüne Landschaft Irlands mit ihren sanften Hügeln und steilen Klippen erweckte den Wunsch in mir, im Spätmittelalter gelebt haben zu wollen. Man fühlte sich um Jahrhunderte zurück versetzt. Szenen aus `Braveheart` tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Man konnte sich vorstellen wie zwei Völker hier gegeneinander gekämpft haben. Doch ich wäre gern unter anderen, besseren Umständen hier gewesen. Zurzeit hatte ich kein Auge für die Schönheit Irlands. Denn es war Krieg. Eiskalter Krieg in dem sich die aufregendste und berührendste Lovestory des Jahres ereignete. Nämlich meine.

 Wir hatten unser Lager im Wald, nahe der Westküste, aufgeschlagen. Ich gehörte zum 21. Jägerbatallion und war als Sanitäter & Bote tätig.
Eines Tages im Januar, trat ich aus dem beheizten Zelt. Dafür, dass es in Irland Winter war, war es relativ warm. Natürlich nicht so warm wie im Sommer, aber für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich. Heute war ich den ganzen Tag zuständig dem Captain die Nachrichten aus dem Lager zu bringen. Eigentlich war die Aufgabe recht einfach, aber der Haken dabei war, dass der Captain am anderen Ende des Lagers (wo man nur hinkam wenn man den Wald, der sich über eine Länge von fast 3 ½ km erstreckte, durchquerte) sein Zelt hatte. Meine Aufgabe als Sanitäter bestand darin, Verwundete zu versorgen. Da ich zurzeit nicht gebraucht wurde, lief ich los um dem Captain die Botschaft zu bringen. Ich lief als gälte es mein Leben. Mein Atem ging stoßweise, meine Lunge brannte als hätte ich Feuer verschluckt und mein Brustkorb hob und senkte sich rasend schnell. Nach 10 Minuten war ich beim Captain angekommen. Ich reichte Captain Jeremiah Luke Dean die Botschaft, welche er schweigend durchlas. Ein anderer Offizier, den ich nicht kannte, meinte Dean habe eine sehr tüchtige Soldatin. Dean lächelte kurz und stieß mich zur Tür hinaus. Draußen meinte er, ich solle nicht mehr kommen und die Burschen hier her laufen lassen. Ich erwiderte dass ich in der Krankenstation nicht gebraucht wurde, aber er meinte nur ich solle so schnell wie möglich zurück sein, denn er habe einen Funkspruch erhalten, dass schwer verletzte Soldaten auf dem Weg ins Lager seien. Ich salutierte und rannte zurück. Der Captain sah mir kopfschüttelnd nach.

 Kaum war ich wieder im Lager, rief man nach mir. Es waren ca. 200 neue, verwundete Soldaten angekommen und die Sanitäterbrigade brauchte Verstärkung. Ein Bursch unter den 200 fiel mir auf, weil er ruhig darauf wartete, dass jemand zu ihm kam und sich seine Wunden ansah. Noch dazu erinnerte er mich an jemanden. Ich wusste im Moment nur nicht an wen...
Ich war zu dieser Zeit gerade zarte 18 Jahre alt und er war kaum älter als ich. Zumindest schätzte ich ihn auf nicht älter als zwanzig. Einundzwanzig höchstens. Ich ging zu ihm hin, fragte nach seinem Namen und sah mir seine Wunden an. Er hatte eine sehr schwere Kopfverletzung trotz Helm erlitten, in seinem Arm steckten Splitter einer Eierhandgranate die sich entzündet hatten, weil er seit Wochen keine medizinische Versorgung erhalten hatte und sein Name war: Andrew (kurz: Andy). Währen ich seinen Kopf verband und die Splitter mit einer Pinzette aus der Hand zog, erzählte er mir Geschichten von der Front. So wurden wir gute Freunde.
Meine Kameraden wurden eifersüchtig auf ihn. Weil ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenkte, mehr als je einer von ihnen bekam. Sie waren eifersüchtig da ich fast den ganzen Tag an Andys Bett verbrachte, ihn fütterte, seine Wunden verband und ihm das gab, was er brauchte. Natürlich hatte ich für jeden der 750 Soldaten ein offenes Ohr. Doch sie sagten nichts. Sie trauten sich nicht.

Eines Tages saß ich an Andys Feldbett und wechselte den Verband, als ein Kurier mit einer Botschaft für mich kam. In der Botschaft stand: 
   Leutnant Kate D. Winters,
Sie werden auf Befehl des Generals in die nächste Krankenstation, 4 ½ km nordwestlich von hier versetzt. Sie haben drei Tage Zeit ihre Sachen zu packen.
Captain J. L. Dean

 

Andy merkte dass in der Botschaft eine schlechte Nachricht stand, denn ich arbeitete nicht weiter sondern starrte in die Ferne.
„Kate was ist los?“  fragte er. Seine Augen forschten in meinem Herzen, als wollten sie einen Anhaltspunkt für meine Sorgen finden. „Ich werde versetzt. In eine Krankenstation 4 ½ km nordwestlich von hier und hab drei Tage Zeit meine Sachen zu packen.“ antwortete ich niedergeschlagen.
„Nein! Du darfst nicht gehen.“ sagte er und nahm meine Hand.
„Noch nie hat sich jemand so um mich gekümmert wie du. Jetzt lass mich nicht auch noch du alleine. Bitte bleib bei mir!“ Er holte einmal tief Luft. „Du bist das Beste, das mir je passiert ist!“ sagte er leise. „ Was soll ich denn machen? Soll ich mich über den Befehl des Generals hinwegsetzen?“ fragte ich. Er schüttelte den Kopf. Sanft strich er mir mit seine Hand über die Wange und meinte: „ Vergiss mich nicht. Ich habe dich sehr gerne und werde dir nie vergessen was du für mich getan hast.“ Ich umarmte ihn wortlos und ging.

 

10 Tage später bekam ich eine neue Botschaft, worin man mir mitteilte, dass ich so schnell wie möglich ins `alte´ Lager zurückkommen soll, da sich Andys Zustand dramatisch verschlechtert hatte. Knappe 3 Stunden später saß ich an Andys Bett, verband seine Wunden neu und redete beruhigend auf ihn ein.
2 Tage später, wurde Tommy, ein sehr gute Kamerad von mir, schwer krank. Umso mehr traf es mich, dass ich tatenlos Mitansehen musste, wie Tommy den Kampf gegen den Tod führte und ihn verlor. Unterernährung, großer Blutverlust und Vitaminmangel waren die Folgen seines Todes. Ich war sehr traurig, denn ich habe viele Nächte an seinem Sterbebett verbracht, ihm Mut zugesprochen, `gefüttert´, Wunden verbunden oder bin einfach nur dagesessen wenn er schlief.

 Ein paar Tage darauf kamen ein fremder Offizier und 4 Männer ins Lager. Sie hatten gehört dass es in dem Lager die beste Wundversorgung gab wie in sonst keinem. Sie hatten einen Jungen von vielleicht 13 Jahren bei sich, den sie auf einer Bahre trugen weil er schwer verletzt war. Captain J. L. Dean versprach ihnen sofort Hilfe zu schicken. Ich wurde `auserwählt´ den fremden Jungen zu helfen. Der fremde Offizier und die Männer staunten als der Captain mit mir, einem Mädchen daherkam. Die Wunden des Jungen waren nicht so schlimm wie es den Anschein hatte. Über dem Auge hatte er eine Platzwunde, sein Arm war mit Blut, Dreck & Staub verschmiert und sein Bein blutete wegen mehreren Schürfwunden. Der Offizier und seine Männer standen um das Bett herum auf dem der Kleine lag und unterhielten sich leise auf Russisch. Sie sahen mir zu wie ich die Wunden reinigte und sie verband. Zwar sehr skeptisch aber dennoch waren sie froh, dass dem kleinen Kerl geholfen wurde. „In 1 Woche bist du wieder fit. Und bis dahin hast du absolute Bettruhe.“ sagte ich zu dem Kleinen. Wahrscheinlich hat er mich nicht verstanden. Aber er hat gelächelt. Wenigstens etwas.

Captain Dean war mit dem fremden Offizier hinausgegangen um mit ihm etwas zu besprechen. Als er wieder herein trat, sagte er scharf: „ Leutnant Winters, Sie werden mit diesen Leuten mitgehen.“ „Aber warum? Bin ich so schlecht dass ich nicht bleiben darf?“ fragte ich. „Nein im Gegenteil. Sie sind unser Bester Sanitäter und deshalb werden sie diesen Soldaten helfen. Ihnen geht es viel schlechter als uns.“ antwortete er auf meine Frage. „In Ordnung ich gehe. Aber nur wenn Leutnant Andrew Ryan mitkommen darf.“ forderte ich. Doch der Captain blieb hart. „Nein das geht nicht. Wie würde es denn ausschauen, wenn Sie mit einem verletzten Soldaten daher kommen! Nein, tut mir leid. Er muss hier bleiben. Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie!“ Ich lief in mein Zelt und stopfte alles was mir gehörte in den Rucksack und lief zum wartenden Jeep.

 2 Wochen nach meinem Auszug war Andys Zustand so schlecht, dass die Ärzte vermuteten, er würde nicht mehr lange durch halten. Doch Andy ließ niemanden an sich rann. Er ließ sich von niemandem berühren, geschweige den Verband wechseln. Nur von mir ließ er sich die Wunden verbinden. Dass ging so weit, dass ich jedes Mal wenn der Verband zum wechseln war, ins Lager gerufen wurde. Das ging so lange bis dem Captain der Geduldsfaden riss. Er schickte Andy zu mir ins Lager, mit der Begründung: `Der Soldat sei nicht willig, sich von anderem Ärzten untersuchen zu lassen. Passen Sie auf ihn auf! `Na toll, jetzt war ich auch noch sein Kindermädchen!´

 Fast 5 Wochen später, die Wochen verliefen friedlich, traf ein Bote des Generals mit meiner Abkommandierung an die Front im Lager ein. Alle Offiziere, Kommandanten und Unteroffiziere meinten ein Mädchen wie ich gehöre nicht an die Front. Mein Major meinte ich sollte mich aus der ganzen Geschichte raushalten. Ich sagte zu ihm: „Major, ich werde es schaffen und zurück kommen!!“ Einer meiner Kameraden sagte mir zum Abschied: „ Kate, du wirst uns fehlen!“ Dann er nahm mich fest in seine Arme und machte ein trauriges Gesicht. „Sergej, sei nicht traurig. Ich komme bald wieder. Bis dahin passt auf euch auf!“ Ich umarmte Andy, der vor Angst und Sorge um mich kein Wort heraus brachte. Natürlich waren alle Soldaten auf den Beinen um mir `Lebe wohl´ zu sagen. Ich fügte noch hinzu: „ Mir wird nichts passieren. Ich komme heil und gesund wieder!!“

 

Doch es sollte anders kommen: Ich wurde an der Westfront von meinem neuen Captain, Captain Williams, und seiner Kompanie erwartet. Der als nächster geplante Angriff sah so aus: In einer Talsenke, knapp 3 km von hier, lag ein feindlicher Luftwaffenstützpunkt. Dort wo Kampfflugzeuge waren, gab es natürlich auch Benzin und Treibstoff. Ein paar Bomben dort hinunter und der Stützpunkt würde in Flammen aufgehen. Wir schlichen uns, einer nach dem anderen, durch den Wald. Die Bomben von oben, mit der Hilfe von einem F-117 Tarnkappenbomber, fielen wie Steine auf die Erde nieder. Eine Bombe traf den Benzintanker, der Benzintanker explodierte und der Stützpunkt war nur noch ein Flammenmeer. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, standen feindliche Soldaten um uns herum. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel dass sie uns nicht umbringen würden. „Waffen weg und aufstehen!“ herrschten sie uns an. „Hey Björn, sieh dir das an! Ein Mädchen!“ Der Mann namens Björn kam zu seinem Kameraden herüber und sah mich an. „Seit wann gibt’s denn das? Ein Mädchen bei der Army?“ Er lachte, so dass ich eine Gänsehaut bekam. „Na meine Kleine? Sie hat ein sehr hübsches Gesicht. Los geh! Geh weiter! Vorwärts!!“

Nun war ich in Kriegsgefangenschaft geraten. Im Gefängnis gab es kaum Ablenkung. 3 Wochen dort kamen mir vor wie 3 Jahre. „Kann ich ein Blatt Papier und einen Stift haben?“ fragte ich die Wache vor der Gefängniszelle. „Warum?“ kam es mürrisch zurück. „Ich möchte etwas Zeichnen. Hier ist alles so grau. Bitte!“ „Na gut, - hier.“ „Danke.“ sage ich höflich. Vermutlich war das hier der falsche Ort um höflich zu sein. 

Die Zelle war 4m x 2m groß, auf der rechten Seite war die Tür und gegenüber ein kleines Fenster. Von dort aus sah man auf schroffe Felsen. Ich begann zu Zeichnen. Doch meine Gedanken schweiften immer mehr ab. Ich saß da, starrte in Leere und hing meinen Gedanken nach. Ich dachte an meine Mum, meinen Dad und meine Schwester. Wie mag es ihnen gehen? War daheim auch Krieg? Wenn ja, hatten sie die Luftangriffe überlebt? Ungewissheit. Sie hing wie ein schwarzer Geist über dem Gefängnis. Dann war da noch eine Frage, die mich schon knappe 4 Jahre beschäftigte: Und was ist mit Gott? Ist er bei mir? Passt er auf mich auf? Führt er mich? Geht mein Leben nach seinem Plan? Wie geht es meinen früheren Freunden? Oder dachte ich da etwa nur an eine bestimmte Person?! Dann war da noch eine Frage: Wie ging es Billy, meinem Golden-Red-River? Mit All meinen Fragen fühlte ich mich alleine gelassen. Ich hatte kein Geld, welches ich der Wache als Bestechung für einen Brief geben konnte. Nicht einmal eine Zigarette. Nichts. Es war hoffnungslos.

Plötzlich ging die Tür auf und die Wache führte einem jungen Mann herein. Er war breitschultrig und muskulös gebaut. Sein Gesicht war fast schwarz von Dreck, Schlamm & Tarnfarbe. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als wollte es jeden Moment zerspringen. Ich sah ihn an, er sah mich an und da war es wieder. Das Gefühl ihm zu kennen. „Hey wo kommst du her?“ fragte ich. „Ich komme aus Texas. Genauer gesagt aus Austin in der Nähe von San Antonio“ antwortete er. „Was? Du kommst auch aus Texas? Ich komm aus San Antonio!“ So redeten wir eine Zeitlang über unsere Arbeit bei der Army. „Wie lange bist du schon hier?“ fragte er und sah mich mit seinen braunen Augen nachdenklich an. „Fast 3 Wochen.“ antwortete ich. „ Ich denke oft an die Zeit zurück als ich noch 15 war. Ich habe zwei Mädchen kennen gelernt, und mich in die eine verknallt. Dann aber hab ich sie aus den Augen verloren. Ich wusste nur dass sie einen Golden-Red-River namens Billy hatte.“ ei dem Namen `Billy´ horchte ich auf. „Sie kümmerte sich um ihn während die andere mit mir, Kevin und einem anderen Jungen Football spielte. Die Besitzerin von Billy hatte rotblonde, lockige Haare und als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, hatte sie einen grauen Pullover an. Leider habe ich sie nie mehr gesehen... Mann, jetzt belaste ich dich mit meinen Problemen... Tut mir leid...“ Sein Blick war richtig traurig. So als würde er die kleine Schnecke sehr vermissen. „Schon gut, Mann. Ich höre zu. Vermisst du sie?“ fragte ich. „Ich kenn doch nicht mal ihren Namen. Aber falls ich sie finden sollte, geb ich dir Bescheid. “ „Danke. Kannst du dich vielleicht an ihren Spitznamen erinnern? Oder wenigstens an den Namen ihrer Freundin?“ fragte ich. Langsam bestätigte sich der Verdacht. „Nein, keine Ahnung. Leider. Aber die andere wurde von allen Sandy gerufen.“ antwortete er. „ Ich weiß wer du bist! Raul Parker!!!“ rief ich. „W- Woher weißt du meinen Namen?“ fragte er. „Bist du vom FBI??“ fragte er mit misstrauischem Gesichtsausdruck. „Kennst du mich nicht? Ich bin das Mädchen von damals! Mein Name ist Kate. Kate Deborah Winters.“ Seine Augen weiteten sich. Dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. „Klar. Das soll ich dir glauben?“ fragte er. „Ja, ich meine, du zweifelst doch nicht, dass ich wirklich Kate Deborah Winters bin?“ fragte ich verunsichert. „Sicher und ich bin der Kaiser von China.“ sagte er höhnisch. „Wie soll ich dir beweisen, dass ich es wirklich bin?“ fragte ich. „Sag mir den Namen meiner Mutter!“ forderte er. Für einen Moment musste ich überlegen. „Olivia Parker. Dein Dad heißt Gordon Parker.“ sagte ich. Sein Gesicht verzog sich wieder. Doch diesmal staunte er. Dann kam er auf mich zu und schwang mich einmal im Kreis. Dann drückte er mich an sich. „Du weißt gar nicht wie unglücklich ich war als mir klar wurde, dass ich dich nie wieder sehen würde. Ich war kurz vorm durchdrehen.“ Ich lächelte und schmiegte mich an ihn. Es kam wie es kommen musste. Sein Gesicht war knapp vor meinem und seine Lippen kamen meine gefährlich nah. Dann spürte ich seine Lippen auf meinen. Sie fühlten sich warm und glatt an. Seine Zunge forderte meine Zunge heraus, „mit ihm zu spielen“. Sein Arm hielt mich fest umfangen. Ich schlang meine Arme um seine Hals und für eine Weile standen wir so da.

Die Nacht kam, es wurde kalt, eiskalt. Aber irgendwie nahm ich das nicht wahr. Raul lag neben mir und hatte seine Arme um mich geschlungen. So wärmten wir uns gegenseitig. Am nächsten Morgen ging die Tür  auf und die Wache brüllte uns zu: „ Los raus mit euch!!“ Wir sahen uns an, nahmen unsere Sachen, d.h. was von unseren Sachen übrig geblieben war und gingen. Ich bin mir bis heute noch immer nicht im Klaren darüber wieso wir frei gelassen wurden.

Raul und ich gingen Hand in Hand durch die dunklen Korridore. Von überall hörte man kleine Kinder schreien. Sie hatten also auch Frauen und Kinder festgenommen. Die Wache führte uns zu Tür hinaus in Freie. Ich war wieder Frei!! Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte seit meiner Verhaftung nie mehr Sonnenlicht gesehen, als das bisschen, was durch die Gitterstäbe drang. Es war herrlich an der frischen Luft zu sein und tief durchatmen zu können. Die Sonnenstrahlen auf meiner Haut taten gut. Es war angenehm den kalten grauen Mauern entflohen zu sein. 
Wir waren schon lange Unterwegs als wir die erste Pause einlegten. Ich lag neben Raul im Gras und hing meinen Gedanken nach. Auf einmal beugte sich Raul über mich und presste seine Lippen auf meine. Sein Mund forderte all das zurück, was bis jetzt verloren gegangen war. Ich erwiderte den leidenschaftlichen Kuss. Schwer atmend und zerzaust tauchte ich aus seinen Armen auf. Nach einer langen Pause machten wir uns wieder auf den Weg.  

Zwei Tage später stiegen wir auf den Berg, an dessen Fuß wir unser Nachtlager aufgeschlagen hatten. Knapp vor dem Ziel überraschte uns eine Steinlawine. Ich sah gerade noch wie er unter Steinen begraben wurde. Ich befreite meinen Arm aus dem Geröll und lief zu ihm. „Raul? Hey wo bist du?“ rief ich. Mit aller Kraft räumte ich die Steinbrocken weg, unter denen ich Raul vermutete. „Hey Raul! Kannst du mich hören?“ Er schlug die Augen auf aber sie fielen gleich wieder zu. Raul hatte Schrammen am ganzen Körper, die linke Kopfhälfte war total blutverschmiert und die rechte Hand war zerquetscht. Ich selbst sah nicht viel besser aus: an der Stirn hatte ich eine Platzwunde, zwei Finger der linken Hand waren blau und blutig und die Schulter tat weh. Ich riss das T-Shirt in streifen für einen Verband. Als am nächsten Tag die Sonne aufging, war ich schon wach. Raul wurde von dem vertrauten Geruch nach Kaffee geweckt. „Guten Morgen! Wie geht’s dir? Wir müssen weiter. Glaubst du, du schaffst es?“ Er blieb mir eine Antwort schuldig, stützte sich auf einen Stein und sah mich an. Mit dem typischen `Ich-will-dich-haben´ Blick. Das Blut stieg mir in den Kopf und ich fühlte, dass meine Wangen sich rot färben. Wir erreichten die Bergspitze gegen Mittag und sahen ein sonnendurchflutetes Tal zu unseren Füßen. Hinter einem Waldstück schien ein Lager zu sein. Man sah ein paar olive-braune Zelte. „Schau, Raul. Dort hinten ist ein Lager. Es ist vielleicht 5 ½ km vom Fuß des Berges entfernt. Wir könnten dort hingehen und-“, ich brach ab und sah mir die Gegend genauer an. „Wir sind kurz vor meinem Heimatlager!!“ Ich zuckte zusammen als ich meine Schulter berührte. „Komm wir gehen dorthin. Schaffst du das?“ Er nickte und nach fast zwei Stunden (mit Pause) kamen wir dort an. Meine Finger umklammerten Rauls Hand. Dann standen wir vor dem Wachposten. Zwei verletzte junge Soldaten die dringend Hilfe benötigten.

 Ich hob die Rechte Hand zum Mund und stieß einen lauten Pfiff aus. Da dieser Pfiff unsere Verständigung war, kannten ihn alle. Ein junger Mann trug Holzpfähle, als er den Pfiff hörte, lies sie fallen und rannte in die Richtung aus der der Pfiff kam. Auch Andy war unter ihnen. Sie stürmten zum Eingang des Lagers wo Raul und ich standen. Andy drängte sich nach vorn, sah mich an und rief: „ Kate? Bist du´s wirklich?“ Er strahlte übers ganze Gesicht. „Ja ich bin´s!“ sagte ich und lächelte.  Er umarmte mich und ich musste mich zusammenreißen um nicht vor Schmerzen loszubrüllen. „Was ist los mit dir? Ist dir etwas passiert?“ fragte er besorgt. „Nein. Alles Okay. Hey Jungs! Bringt eine Bare her und bringt ihn-, “ Ich deutete auf Raul „ bringt ihn ins Lazarett.“ Zu Raul sagte ich: „ Schau mich nicht so an. Sie passen schon auf dich auf. Ich komm dann und schau nach dir.“

Dann kam Offizier und Lagerkommandant Patrick Janowski auf mich zu und begrüßt mich mit den Worten:„ Leutnant Winters! Schön Sie wieder zu sehen!“  „Tja, Commander ich habe es doch versprochen!“ Ich wollte die Hand zum Gruß heben, doch zuckte wieder voll Schmerz zusammen. " Kate, du musst mir endlich sagen was los ist. Hat er dir das getan?“ fragte Andy. „ Wer? Raul? Komm schon, Andrew. Das ist doch lächerlich! Mein Arm ist Okay. Er war nur unter Steinbrocken eingeklemmt, der mir dir Schulter ausrenkte und mir, glaub ich, das Schlüsselbein brach!“  antwortete ich gereizt. `Seit wann nennt sie mich ANDREW? ´ dacht sich Andy `Wir waren doch schon bei Andy. Es muss auf dem Weg hier her etwas vorgefallen sein. Ich werde sie nachher fragen müssen. ´ „Und da soll alles in Ordnung sein? Es wird Zeit dass du in die Krankenstation kommst. Los komm!“

 Mein Unterarm hatte nur eine leichte Quetschung erlitten und bekam nur eine Schiene, meine Schulter wurde verbunden und die Platzwunde bekam ein Pflaster (fast einen Kopfverband). Raul lag schon in einem der Betten als ich durch den Zelteingang schlüpfte. Andy ließ mich kaum eine Minute aus den Augen und betrachtete Raul, dem ich viel mehr Zuwendung schenkte als ihm, als Konkurrenten. Ich trat an sein Bett und setzte mich auf die Bettkante. Er schlief. Ich nahm seine Hand in Meine. Sie fühlte sich warm an. Sein Kopf war verbunden und durch sein Gesicht zogen sich mehrere Linien. Das war der Junge, an den ich so viel dachte als ich  zwischen 13 und 14 Jahre alt war. Da lag er nun. Früher, traute ich mich nie, ihn anzusprechen und nun, knapp 5 Jahre später, saß ich an seinem Bett und hielt seine Hand.

Der leichte Druck, der meine Hand umgab, riss mich aus meinen Tagträumen. „Na, war er wenigstens hübsch?“ fragte er. „Ja, war ganz in Ordnung.“ Verwirrt sah ich auf. Jetzt erst hatte ich begriffen, dass Raul meinen Tagtraum meinte. „Hat der Tagtraum sich gelohnt?“ fragt er weiter. Er grinste. Ich sah ihn an. Mann, seine Nähe machte mich echt begriffsstutzig. Dann nickte ich. „Wie geht’s dir?“ fragte ich und lächelte. „Weißt du, dass du richtig hübsch bist, wenn du lächelst? Könntest ruhig öfter machen...“ sagte er. „Du hast meine Frage nicht beantwortet!“ sagte ich. „Ganz gut. Aber ein Kuss von dir könnte Wunder wirken...“ Er grinste frech. „Solange du so frech zu mir bist, bekommst du überhaupt nichts!“ rief ich. „Oh, komm schon! Lass dich nicht so bitten!“ bettelte er. Ich schüttelte den Kopf. Er strich mit seiner unverletzten Hand über meine Wange. Unter Tränen sagte ich zu ihm: „ Ich bin so froh dass ich dich wieder gefunden habe. Damals gab es so viel was ich dir sagen wollte. Doch ich traute mich nicht. Weil ich nicht wusste, wie du reagieren würdest. Ich habe fast ein halbes Jahr nicht einmal deinen Namen gekannt. Deinen Freund Kevin habe ich um seine Handynummer gefragt. Dich nicht. Ich war zu feige. Es tut mir so leid!“ Wieder lief eine Träne über meine Wange. Er aber wischte sie fort. „Ey, Kleine, sein nicht traurig. Es ist vorbei! Außerdem verdanke ich dir mein leben. Ohne deine Fürsorge wäre ich wahrscheinlich schon tot. Ich danke dir.“ Er setzte sich auf und zog meinen Kopf zu sich hin. Dann küsste er mich sanft. Seine Lippen waren so weich und geschmeidig. Ich wünschte mir, dass dieser Kuss nie aufhören würde. Sein Mund begann über meine Wangen zu meiner Nase und von dort wieder zu meinen Lippen zu wandern. Langsam begriff ich, dass Raul mehr, viel mehr als nur eine guter Freund bleiben würde... „ Ich möchte dass du dich daran erinnerst was ich dir jetzt sage, “ drang seine raue Stimme an mein Ohr. „Tue nichts aus eigener Kraft. Bitte Gott um Hilfe. Mit ihm an deiner Seite wirst du sicher an dein Ziel kommen. Noch etwas: Wenn deine Lage aussichtslos ist, dann denke an Psalm 23.  

Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führe mich zum frischen Wasser. Er erquicke meine Seele. Er führe mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.“

 Ich beugte mich über ihn, um eine Verband zu holen, doch Raul zog mich zu sich hin und küsste mich. In diesem Augenblick trat Andy ins Zelt. „Kate kannst du mir helfen…. Sag das nicht war ist!! Sag mir dass es nur ein böser Traum ist, was ich gerade gesehen hab!! Sag schon!!“ „Andrew, hör zu ich-.“ Er kam auf mich zu, zog mich hoch und versetzte mir einen harten Schlag ins Gesicht. Ich spürte ein brennen auf den Lippen und Sekunden später schmeckte ich Blut. Während er mich schlug, brüllte er: „ Fängst du mit jedem dem du das Leben rettest, etwas an? War das bei mir nicht auch so? Weißt du was du bist? Nein? Dann werd ich es dir sagen: Du bist eine kleine verlogene Hure!!“ Ich hob die Faust, holte aus um zurück zu schlagen. Doch auf einmal machte das ganze für mich keinen Sinn. Ich sah Andy in die Augen und verließ, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, das Zelt. Mein Auge begann zu schmerzen, es war leicht angeschwollen und meine Nase blutete. Meine Lippe fühlte sich seltsam dick und verkrustet an. Ehrlich gesagt, das hätte ich Andy gar nicht zugetraut. Tja, wenn ein Mensch unter Druck oder Stress steht, zeigen sich meist die wahren Gesichter... Er, der so schmächtig und unschuldig aussah, hatte mich geschlagen. Ich will nicht behaupten, dass ich bärenstark war, aber um zur Army zu gehen bedarf es schon etwas an Kraft. Ich schnappte mir mein Maschinengewehr, meinen Helm, meine volle Feldflasche, zwei Scheiben Brot und verließ das Lager.

 

Beim täglichen Zählappell fiel es ihnen erst auf, dass ich weg war. Suchtrupps wurden losgeschickt um mich zu suchen. In keiner der zwanzig Truppen waren Andy oder Raul dabei. Nach dem ich abgehauen war, quälte sich Raul in die Höhe und ging auf Andy los. „Warum hast du sie geschlagen? Sie hat dir doch nichts getan!! Sie ist zu jedem freundlich und nett. Es ist einfach sie, die immer ein Lächeln für jeden hat! Nur du kannst es nicht ertragen, wenn es jemand anderen gibt! Du glaubst, sie gehört dir, nicht wahr? Sie gehört weder mir noch dir noch sonst irgendjemanden. Sie gehört Gott alleine!!“  brüllte er. Raul schlug zu. Er war blind vor Wut. Er spürte keinen der unzähligen Schläge er einsteckte. Dann brach er bewusstlos zusammen. Andy verließ fluchtartig das Zelt und ließ Raul im Staub liegen. Inzwischen war es Abend geworden. Ich fand eine kleine Höhle, legte mich hin und schlief ein.

Am nächsten Morgen zog Raul auf eigene Faust los um mich zu suchen. Trotz seiner Verletzungen. Ich ging solange ich konnte. Fast drei Tage waren seit meinem Ausbruch vergangen. Ich war am Ende meiner Kräfte. Ohne Nahrung. Ohne Wasser. Ohne irgendein Ziel vor Augen. Was die Landschaft anging, gab es keine gröberen Probleme. Außer dass unser LKW einmal hängen geblieben war. So manche schmalen Pfade führen sanft bergan, vorbei an strohbedeckten, alten Bauernhäusern und Steinwällen. Nie würde man vermuten, dass man nur wenige Meter entfernt von Irlands dramatischer Küstenlandschaft spaziert- den so genannten Cliffs of Moher. Gut 200 m fallen die Kliffwände senkrecht ins Meer.

Ich legte mich ins Gras und starrte den Himmel an.  Wolken zogen vorbei. Sie sahen aus wie Watte. Gerne hätte ich mich in die Wattewolken fallen lassen und das von vorher alles vergessen. Doch würde das je möglich sein?? Zum Schutz hielt ich mein Maschinengewehr fest umklammert. Da- ein Rascheln im Unterholz. Ich fuhr hoch, aus meinen Träumen aufgeschreckt, und entriegelte mein Gewehr.  Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Adrenalin zirkulierte durch meine Adern. Ich kroch noch tiefer ins Gras, bemerkte einen Schatten auf meinen Arm. Ich sah auf und da stand er vor mir. Groß und stark wie ein Fels. Er war es. „Raul! Wo…Ich meine wie… was…ich!“ Staunend und beschämt sah ich zu ihm auf. Ich brach ab und sah in seine unendlich tiefen braunen Augen. Ich las in seinen Augen dass er große Schmerzen hatte. Aber auch Traurigkeit und doch Stolz. „Ich bin stolz auf dich.“ sagte er so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Dann redete er schon weiter. „Du weißt was du für mich bedeutest.“ Ich legte ihm den Finger auf den Mund und fragte: „ Wie hast du mich gefunden?“ „Tja, meine kleine Katie (nur Raul nannte mich Katie...), ich wusste dass du das Meer, die Küste Irlands und den Wind liebst. Wäre ich nicht dumm, im Landesinneren zu suchen?“ Ich lächelte über seinen Vergleich. Dann nahm er mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. „Ich möchte nicht wissen, wie ich aussehe...“ sagte ich und fuhr mit den Fingern durchs Haar. „Wunderschön. Wie ein Engel.“ sagte er. „Was?“ Ich musste mich verhört haben. „Hey, du kannst doch kein Mädchen anziehen und hübsch finden, wenn verkrustetes Blut auf ihren Lippen ist. abgesehen von dem Veilchen-“ „Doch, Katie, man(n) kann. Vor allem, wenn man weiß, wie die Kleine ohne Blut im Gesicht aussieht...“ Er lächelte. Wie sehr hatte ich ihn doch vermisst!! Es waren zwar nur zwei Tage gewesen, aber ich fühlte mich leer.

Wir ´wanderten´ zurück ins Lager wo mir ordentlich die Leviten gelesen wurden. Raul schmunzelte, als ich es ihm erzählte. 

3 Wochen später, die ohne Zwischenfälle verliefen (Andy würdigte mich mit keinem Blick!), kam der erlösende Brief des Generals. Der Krieg sei vorbei und wir könnten unsere Zelte in Wahrsten Sinne des Wortes abbrechen. Alle verfügbaren Transportmittel waren voll gestopft mit Soldaten, die in ihre Heimat reisten. Raul und ich bekamen den ersten Flug nach Houston. In Houston angekommen, erreichte mich eine Botschaft: Mein Hund Billy war bei einer Razzia ums Leben gekommen. Ich saß regungslos im Zug nach Austin und dachte: Mein Billy ist tot? Das kann nicht sein! Es darf nicht sein! Er war es, der von meinem Kummer angefangen bis zu meinen Freuden und Ängsten alles wusste. Raul bemerkte dass etwas nicht stimmte und nahm mich liebevoll in seine Arme. „Warum musste er sterben?“ fragte ich und schmiegte mich an ihn. „Katie, ich weiß es nicht. Gott setzt jedem Leben eines jeden Lebewesen ein Ende. Aber du wirst ihn wieder sehen. Spätestens wenn Jesus wieder kommt. Ich weiß dass du traurig bist und ich kann dich vollkommen verstehen. Aber du hast mich doch auch noch!!“ sagte er und lächelte mich aufmunternd an. „Ja! Stimmt. Dich hab ich auch noch!“ sagte ich und freute mich über das Geschenk, dass Gott mir gemacht hatte, als er mir Raul über den Weg geschickt hat.

 

Dann kam die Stunde des Abschieds. Offen gestanden, mir fiel der Abschied von Raul noch schwerer als ich angenommen hatte. „Wirst du mich in San Antonio besuchen?“ fragte ich. Tränen liefen mir über die Wangen. „Ey, nicht weinen Katie! Du bist so ein tapferes Mädchen!“ Er strich mir über die Wange. „Kommst du nach San Antonio?“ fragte ich nochmals.  Er antwortete: „ Wie kannst du so etwas fragen, wo doch mein Herz in San Antonio ist! Katie- “ Ich hatte keine Ahnung, was er sagen wollte, aber ich spürte, dass es etwas Besonderes war. „Katie, Ich liebe dich! So sehr wie ich dich liebe, kann man mit keinen Worten beschreiben.“ Seine unendlich braunen Augen ruhten auf mir. „Raul, ich liebe dich auch!!“ sagte ich leise. Ich schlang meine Arme um seine Hals und er drückte mich fest an sich. Seine Lippen suchten meinen Mund, seine Hände spürte ich unter meinem Shirt. Irgendwie wollte ich mehr. Sein Mund war so verführerisch weich. Der Kuss wurde intensiver und mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte, Raul würde es hören. „Dein Herz klopft wie wild...“ flüsterte er in diesem Moment. Ich nickte. „Daran bist nur du schuld...“ sagte ich eben so leise und lächelte. Raul strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Bei mir ist es nicht viel anders...“ sagte er. Meine Finger kraulten ihn am Hals. Langsam ließ ich meine Hand unter sein Shirt gleiten. Er zog die Luft hörbar ein. Seine Hand machte sich selbständig. Er fuhr über meinen Bauch, Rippen und hielt mich fest. Doch dann ließe er mich plötzlich los. „Was ist?“ fragte ich. „Lass uns damit warten.“ sagte er rau. „Aber warum?“ fragte ich. „Wir haben zu wenig Zeit.“ sagte er. Aber das war nicht der Grund. Wir wussten es beide. „Komm, ich bring dich zum Zug.“ sagte er. Bereitwillig ließ ich mich von ihm zum Zug führen. "Kleine, sei nicht traurig. Es wird kommen. Und dann wird es viel schöner sein!“ versprach er. Ich sah ihm nur wortlos in die Augen. Dann nickte ich. Er küsste mich noch einmal dann drehte er sich um. Auf halber Höhe blieb er stehen und drehte sich nochmals um. „Ich liebe dich!“ sprachen seine Lippen. Aber kein Ton kam aus seinem Mund hervor.
Ich drehte den Kopf kurz zur Seite und als ich wieder zu der Stelle hinsah, wo er gestanden hatte, war er verschwunden. Tränen der Verzweiflung und der Hoffnung traten mir in die Augen. Ich sah den Bahnsteig nur noch durch einen Tränenschleier.

Am Bahnhof von San Antonio erwarteten mich mein Dad und meine Mum. Sie schlossen mich in ihre Arme. Irgendwie tat es gut, wieder Zuhause zu sein. Meine Schwester hat inzwischen einen neuen Hamster, Jimmy, bekommen. Meine Eltern hatten für mich eine Wohnung gekauft und eingerichtet. Sie war eigentlich sehr groß, großer als ich gedachte habe. Die Wohnung war hübsch eingerichtet. Alles in dunklem Holz. Angefangen vom Schlafzimmer bis zum Badezimmer. Im Schlafzimmer hing über dem Bett ein Bild, auf dem die untergehende Sonne, die sich im Meer spiegelte, zu sehen war. Wann immer ich dieses Bild ansah, in diesem Moment gab es nichts Schöneres auf der Welt. Das Bild erinnerte mich an Irland... 
 Meine Eltern wussten, dass ich dunkle, alte Möbelstücke liebte. Genauso wie Irland. Ich hoffte, irgendwann dorthin zurückkehren zu können. Dorthin, wo ich mein Herz verloren habe...

 Ungefähr 5 Wochen später saß ich am Küchentisch und dachte darüber nach, was Raul zu mir am Bahnsteig gesagt hatte. Bis jetzt hatte er sich nicht gemeldet. Wahrscheinlich war für ihn das ganze nur ein Spiel gewesen. Warum hätte es anders sein sollen... Warum saß ich eigentlich hier und zermarterte mir das Hirn nur wegen eines Typen, der vielleicht in mich verliebt gewesen war?? Tja, warum eigentlich? Ich liebte ihn... Ganz einfach.

Ein eiskaltes Klingeln zerriss die Stille.  Ein kurzer Blick auf die Uhr über der Tür verriet, dass es kurz vor 8 war. also war konnte das sein? Meine Nachbarn waren im Urlaub und deren Katze, die ich versorgte, konnte auch nicht zu mir rüber spazieren und noch mehr Futter verlange. Andererseits- Es gab ja auch Hunde, die die Tür öffnen konnten... Ein zweites Klingeln ließ mich zusammen zucken. Wer immer es war, musste es sehr eilig haben... Ich öffnete die Tür und konnte meinen Augen nicht trauen. Nein, keine Angst, es war nicht die Katze. Es war-

„Raul!!!“ rief ich und fiel ihm um den Hals.
„Hey, Katie! Ich habe doch gesagt, das ich wieder-“ Er kam nicht dazu, den Satz zu ende zu sagen. Ich küsste ihn. Oh Mann, wie sehr hatte ich ihn vermisst. Damals, waren mir schon die zwei Tage ohne ihn so lange vorgekommen. Und jetzt nach 5 Wochen stand er mit einer roten Rose in der Tür. Gekleidet in einen weißen Smoking. Ich hatte ihn bisher nur in Uniform gesehen, aber ich musste zugeben er sah noch besser aus als wir uns zum letzten Mal am Bahnhof von Austin gesehen hatten. Plötzlich hob  er mich auf und schwang mich einmal im Kreis. Dann kniete er sich vor mich hin und sagte: „ Kate, willst du mich heiraten?“ Ich war sprachlos. Sprachlos als hätte er mir vorgeschlagen, mit ihm auf dem Mond zu wohnen. Aber ich wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen wenn er mich darum gebeten hätte. "JA!! Ja, Raul ich will dich heiraten!“ Er kam auf mich zu und küsste mich lange. „Jetzt zieh dir dein schönstes Kleid an. Ich habe eine kleine Überraschung für dich!“ sagte er und  strahlte. Er freute sich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Ich schlüpfte so schnell ich konnte in meinem Kleid und 10 Minuten später saßen wir in Rauls Wagen und fuhren zu einem der teuersten Restaurants der Stadt…

 Unsere Hochzeit wurde nur im engsten Kreis der Familie gefeiert. Die Kirche war sich schön dekoriert. Ich hatte ein weißes, langes Kleid mit einer altmodischen Krinoline an. Am Dekolleté steckte eine halbaufgeblühte rote Rose. Auf meinem offenen, braunen Haar saß ein weißer, eleganter Hut. Wenn ich ging, bauschten sich am Saum des Kleides lauter kleine Volants. Der Rock war mit silbernen Blütenranken bestickt. Es war ein Traumkleid. Eines dass ich selbst entworfen habe. Raul war schon in der Kirche als ich am Arm meines Vaters in die Kirche schwebte. Ich fühlte mich so frei und federleicht. Als ich dann vor dem Altar stand und Raul in die Augen schaute, wusste ich, dass nichts umsonst war. Dass ich nicht umsonst mein Leben aufs Spiel gesetzt habe, um mein Vaterland zu beschützen. Wenn ich nicht freiwillig zur Army gegangen wäre, hätte ich Raul nicht getroffen und ich würde jetzt entweder tot sein oder nicht heiraten. Der Pastor meiner Gemeinde fragte mich, ob ich bereit wäre, Rauls Frau zu werden. „Willst du, Kate Deborah Winters den hier anwesenden Raul Parker zu deinem Ehemann nehmen und ihn lieben und ehren bis dass der Tod euch scheidet?“ richtete der Pfarrer seine Worte an mich. Für einen Moment war ich unfähig zu sprechen. Mein Puls raste, das Herz schlug so laut, dass ich mir sicher war, dass alle es hören konnten. „Ja, Ich will!“ antwortete ich. Ein wenig scheu und zurückhaltend aber immerhin... „Und willst du, Raul Parker die hier anwesende Kate Deborah Winters zu deiner Ehefrau nehmen, und sie lieben und ehren bis dass der Tod euch scheidet?“ fragte der Pfarrer Raul. „Ja, Ich will!“ antwortete er. Als ich Rauls JA wahrnahm, rannen mir die Tränen über die Wangen. Er will mich tatsächlich! Er liebt mich! Wir wechselten die Ringe und aus dem Hintergrund nahm ich die Stimme des Pastors war:„ Du darfst die Braut jetzt küssen!“ Raul küsste mich sanft und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Dann erklangen die Glocken und wir waren Mann und Frau. Anstatt mit den anderen mit ins Gasthaus zu gehen, fuhren wir, sehr zu meiner Überraschung, zum Flughafen.  Dort wartete eine Boeing 777 auf uns. Wir nahmen unsere Sitzplätzen ein und warteten, dass die Boeing abheben würde. Als die Stimme des Piloten erklang, wusste ich, dass ich mich anschnallen musste. Ich war schon öfter geflogen und wusste dass als nächstes die Begrüßung und das Reiseziel folgen würden. Die Begrüßung erfolgte wie erwartet, doch ich wurde skeptisch als der Pilot das Reiseziel nicht angab. „Raul, wohin fliegen wir?“ Ich hatte noch immer das Brautkleid an und die anderen Passagiere lächelten mich freundlich und doch erstaunt an. Raul gab mir keine Antwort und als er saß wie mir unbehaglich zumute wurde, legte er seinen Arm um mich. Dann grinste er mich verschwörerisch an und meinte: „ Komm schon, Katie. Entspann dich!“ „Wie soll ich mich entspannen, wenn ich nicht weiß wohin wir fliegen! Sag bloß wir fliegen in den Irak! Dass wäre ja echt mein Traumland!“ rief ich mit gespieltem Entsetzten. „Nein so schlimm wird’s schon nicht werden! Obwohl, ich denke das Teheran um diese Jahreszeit besonders schön ist...“ meinte er und grinst frech, als ich mir an ihn schmiegte. Es wurde dunkel und die Leinwand wurde ausgefahren. Sie spielten einen alten Liebesfilm. Mit Meg Ryan und Tom Hanks. ´E-Mail für dich`. Na ja, so alt war der Film wieder auch nicht. „Mann, können die keinen Actionfilm zeigen?“ fragte sich Raul. „Wir haben Action genug gehabt. Mir reicht es vollkommen.“ sagte ich und legte meine Kopf vorsichtig auf seine Schulter. „Du musst nicht so Acht auf mich geben. Meine Schulter ist heil.“ sagte er und lächelte. „Ja, aber meine wird noch etwas länger brauchen, dass sie wieder ganz ist...“ sagte ich. Meine Blicke sogen sein Bild auf und verschlossen es in meinem Herzen. Wie er dasaß, einen Arm über der Lehne, in seinem schwarzen Anzug. Die braunen Augen schauten mich liebevoll an. Von unserem „Unfall“ war nur noch die Narbe auf seinem rechten Unterarm zu sehen. Aber sein Haar... Alles an ihn faszinierte mich. Ich dankte Gott oft dafür, dass er mir Raul geschenkt hatte. Den Raul mit den unendlich braunen, samtweichen Augen, der rauen Stimme und den wirren, rötlich schimmernden Haaren...

Der Film lief irgendwie an mir vorbei. Ich konnte mich im Nachhinein an keine Szene mehr erinnern. Ich war viel zu beschäftigt gewesen, Raul zu betrachten. Nach einer Weile kam die Stewardess und sagte: „ Bitte schnallen Sie sich an. Wir landen in neun Minuten.“ Die Maschine landete und wir stiegen den Gangway hinunter. Auf der Empfangshalle stand in großen Buchstaben: DUBLIN AIRPORT.

Ich war in Irland!!!! Ich war daheim!!!

written byConnie

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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