Heiko Achilles

Erwachen

Mit aller ihm möglichen Anstrengung versuchte er herauszufinden, woher dieses metallische, rhythmische Klappern kam. Diese Frage schien ihm von äußerster Wichtigkeit, viel wichtiger als die Frage, worum es sich bei diesem Geräusch eigentlich handelte. Er versuchte, die Aug

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Er zog die Lippen auseinander und betastete mit der Zunge vorsichtig seinen Mund und die schrundigen Lippen. Trocken. Sein Mund fühlte sich entsetzlich trocken an, trocken wie knisterndes Papier, jederzeit in Gefahr zu reißen. Die Lippen taten weh. Er versuchte, sich zu orientieren. Wo war er hier? Er versuchte, die Augen zu öffnen, aber das grelle Licht bereitete ihm solche Schmerzen, daß er unwillkürlich stöhnte und versuchte, den Kopf zu heben. Erst dabei merkte er, wie unglaublich viel Anstrengung das kostete. Er sank kraftlos zurück und

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Er wußte nicht, was Ihn geweckt hatte. Er blinzelte. Wieder das helle Licht. Er konnte im blendenden Licht durch zusammengekniffene Lider die Konturen eines Menschen erkennen, bevor er die Augen vor Schmerz und Anstrengung wieder schloß. Das Dunkel half ihm zu hören. Er hörte, wie Schuhe auf dem Boden klapperten, leicht verhallt, quietschend. Er hörte den Menschen leise und melodisch summen. Das Summen klang weiblich. Es beruhigte ihn.

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Dunkelheit. Nur ein schwacher, bläulicher Schimmer, irgendwo über ihm. Er öffnete die Augen ganz. Keine Schmerzen in den Augen. Aber sein Kopf pulsierte und ihm war übel. Er versuchte, sich zu orientieren, sah sich langsam um, versuchte etwas zu erkennen. Das blaue Licht über ihm. Weiter entfernt von ihm andere Lichter. Zu schwach, um das Dunkel zu erhellen, aber hell genug, um gesehen zu werden. Kleine rote, grüne, weiße Lichtpunkte im Dunkeln, manche blinkend. Er versuchte, die Verschwommenheit zu verdrängen, strengte seine Augen an, um genauer zu sehen. Einige der Lichter wurden zu Zahlen.
  Da ergab es einen Sinn. Er kannte den Ort, an dem er sich befand. Es war ein Krankenhaus. Es passte: Das blaue Licht, die Lichter, Skalen und Bildschirme der Maschinen, die ihn umgaben, sogar der saure Geruch, der ihm im Moment seiner Erkenntnis plötzlich und überraschend intensiv auffiel. Vor allem aber passte eines: Daß er sich so mies fühlte. Doch immerhin fühlte er sich sicherer. Er wusste jetzt, wo er war. Und daß es ein Krankenhaus war, gab ihm in diesem Moment etwas Geborgenheit. Er schlief wieder ein.

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Er erwachte, als die Schwester die Tür öffnete. Sie sah ihn an. Eine recht kleine, etwas untersetzte, dunkelhaarige, weißgekleidete mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Ein wenig musste er noch blinzeln. Aber er hatte die Augen ohne Schmerzen geöffnet. Und auch sein Kopf tat nicht mehr ganz so weh.
"Guten Morgen", sagte sie freundlich. "Willkommen zurück". Er versuchte, ihr ebenfalls einen guten Morgen zu wünschen, aber ohne Erfolg. Nur ein leises Krächzen entrang seiner Kehle.
"Ruhig, ruhig, nicht so anstrengen", sagte die Schwester halb schmunzelnd und vielleicht ein wenig zu mütterlich. "Im Moment ist es für Sie noch zu anstrengend, zu sprechen. Aber das wird sich ganz schnell ändern, Sie werden sehen". Sie trat zu seinem Bett. Er sah, wie sie hier Skalen ablas, dort etwas notierte, und schließlich eine Spritze aufzog. "Schlaf ist im Moment das wichtigste für Sie, ich werde mal dafür sorgen, daß sie weiter schlafen können".
Sie entleerte die Spritze langsam in einen der Schläuche, die in seinem Arm endeten, und er schlief.

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Nachts wurde er wieder wach. Er fühlte sich benommen, aber er hatte keine Schmerzen mehr. Überhaupt fühlte er sich besser, viel besser. Er sah an die blaubeleuchtete Decke. Ein Krankenhaus, ja. Es fiel ihm wieder ein, warum er dort war. Krebs, fortgeschrittenes Stadium. Er lag schon lange im Krankenhaus, daran erinnerte er sich. Und er erinnerte sich an die dauernden Schmerzen, furchtbare Schmerzen, als dieses böse Ding in seinen Eingeweiden ihn langsam, aber beharrlich auffraß. An die zusätzlichen Qualen, als man obendrein vorgab, ihn zu heilen, indem man ihn immer und immer wieder mit der Bestrahlung verbrannte. Aber jetzt hatte er keine Schmerzen, und das war gut.
Ihm fielen mehr Details ein. Das Krankenhaus sah anders aus, als das, welches er kannte. Auch die Krankenschwester, die ihn am Tage umsorgt hatte, kannte er nicht. Hatte man ihn verlegt? War etwas vorgefallen, was diese Verlegung erzwungen hatte? Sein verwirrtes Erwachen sprach dafür.
Aber es ging ihm gut, besser als lange Zeit zuvor. Das war die Hauptsache. Und morgen würde er die Schwester fragen, was geschehen war.

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Tot? Er verstand nicht ganz, wie die Schwester das meinte. "Musste ich wiederbelebt werden?", fragte er sie.
"Nicht so, wie sie wahrscheinlich denken", antwortete sie. "Sie waren tot, wirklich tot." Leise fügte sie hinzu: "Und das für lange, lange Zeit..." Sie sah ihn ernst an. "Erinnern Sie sich an den Vertrag, den sie mit der Firma für Kryonik geschlossen haben?"
Hitze und Kälte stiegen ihm zugleich den Kopf hinauf, und er hörte das Pochen seines Herzens dröhnend in den Ohren. So einen Vertrag hatte es wirklich gegeben, aber mehr aus einer Laune heraus. Nie hätte er ernsthaft geglaubt, daß dieser Vertrag Konsequenzen haben könnte. Er hatte halt einfach Geld übrig gehabt... mitnehmen hätte er ohnehin nicht können. Also, warum nicht einfrieren lassen nach dem Tode? "Wie lange?" flüsterte er.
Seufzend, ihn mit einem leicht ängstlichen, seine Reaktion erwartenden Stirnrunzeln antwortete sie: "Knapp 120 Jahre."
Als ausser Sprachlosigkeit und großen Augen keine Äußerung von ihm kam, fügte sie, jetzt lächelnd und ganz mütterlich hinzu: "Aber wir haben Sie vollständig geheilt. Sie werden keine Schmerzen mehr haben".

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Den Mann, der sich wortlos und ohne sich vorzustellen neben sein Bett gesetzt hatte, kannte er nicht. "Sind sie Arzt?" fragte er und setzte sich auf: "Danke..." hob er an.
Der Mann unterbrach ihn schroff: "Sie brauchen sich nicht zu bedanken, und ich bin auch nicht ihr Arzt.
Ich bin ihr Pflichtverteidiger und werde Sie in ihrem kommenden Prozeß verteidigen. Ohne ihnen allerdings viel Hoffnung machen zu können. Die Anklage lautet auf Massenmord an folgenden Generationen. Hatten sie vielleicht gedacht, wir hätten sie aus lauter Menschenfreundlichkeit wieder ins Leben zurückgeholt?"
Mit einem etwas spöttischen Grinsen fügte er hinzu: "Aber sehen Sie es halt so: Viel zu verlieren haben sie nicht. Sie sind ja schon tot."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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