Nick Köhler

Im Strandbad

 

So, geschafft. Ich habe unsere schwere Strandtasche durch die glühende Mittagshitze eines wundervollen, aber viel zu heißen Hamburger Sommertages geschleppt. Einmal quer durch den Stadtpark, weil es ja nur am äußersten Ende noch einen freien Parkplatz gab. Vorbei an Bäumen, Sträuchern und nackten Sonnenanbetern, haben wir es geschafft. Wir sind im Freibad angekommen.

 

Sogar einen schönen großen sonnigen Platz erwischen wir noch. Sofort breiten wir unsere fünf Mal fünf Meter große Decke aus. Mein Freund stöhnt: „Tu die Seite mit Blumen nach unten, muss ja nich jeder sehn das hier zwei Schwule hocken!“ Ja Schatz, gern Schatz, sofort Schatz. Also, Blumen nach unten uni gelb nach oben. „Cremst Du mir mal bitte bitte den Rücken ein?“ Ich frage zuckersüß um Hilfe und ernte einen schiefen Blick unter der Sonnenbrillen hindurch. Klatsch. Fünfundzwanzig Tonnen Sonnencreme landen auf einem nur nullkommasiebenundvierzig mikromillimeter kleinen Hautfleck und werden durch dreimaliges hin-und her wischen verteilt. „Gut so?“ Ja Schatz, Danke Schatz, Wunderbar!

 

Ich schaue mich um. Okay. Schwule rechts und links. Sehr lecker. Mmmh? Ob die beiden da vor uns auch? Ja! Bingo, soeben berühren sich ganz zärtlich und zaghaft Ihre Füße. Ein kleines Streicheln, mehr nicht. Aber das reicht zum Beweis! Es war nur einen Augenblick, schließlich ist das ja hier Öffentlichkeit und einer von Beiden sieht aus, als wenn er in der Freizeit nur im Fitnessstudio hockt und der andere ist ein kleiner orientalischer junger Mann, der schon auf Grund seiner religiösen Herkunft nicht das sein darf, was er doch ist. Aber süß sind sie. Beide.

 

Ich lehne mich entspannt zurück, schließe die Augen und schrecke sofort wieder hoch. Was habe ich mir denn dabei gedacht. Nein, wie dumm von mir. Sofort springe ich auf, renne die fünf Meter bis zum Ende unserer Decke, hinterlasse einen Eindruck als wäre ich im Marathonendspurt und stürze mich auf die Badetasche. Verdutzt schaut Schatz mir zu. „Alles klar?“ Es folgt ein noch verdutzterer Blick. Na klar ist alles klar, aber schließlich haben wir zwei Flaschen Wasser in der Tasche und wenn ich die jetzt da, also so quasi mitten in der prallen Sonne und ungeschützt und wegen der Kohlensäure und der Hitze. Also die muss in den Schatten. Gesagt getan. Ich stolpere die fünf Meter ans andere Ende. Laufe noch gut drei Kilometer quer durchs Stadtbad und finde schließlich, kurz hinter Dortmund einen geeigneten Platz, an dem der Sprudel sicher schön kalt bleibt. Kaum bin ich wieder da, steht mein Freund auf und erklärt mir, er ginge jetzt aufs Klo. Als er wieder kommt frage ich mehr als irritiert: „Was hast Du denn da?“ Die Antwort schockiert mich. Habe ich nicht eben meine ganze Energie verschwendet unsere mitgebrachten Softdrinks kühl und Endverbraucherfreundlich zu lagern? „Nen Spezi. Gab’s für einsfünfzig. Hatte Durst… Willst’e auch nen Schluck?“ Selbst wenn er mich das in der Wüste Gobi gefragt hätte. Nein und Danke!

 

Verärgert gehe ich zum Beckenrand. Hops. Ein kühner, wenn auch sehr tuffiger Sprung ins kühle Nass. Zwei drei Schwimmstöße und ich kann nicht mehr! Gott, ich werde ertrinken! Panik steigt in mir hoch. Ich wollte doch nur braun werden und ein paar knackige Männer ansehen und nun werde ich sterben. Nur der Gedanke an den muskulösen Bademeister, der mich gleich rettender Weise ans Ufer zieht und mich Mund zu Mund beatmen wird, hält mich noch eine Weile bei Sinnen. „Hier kannst Du stehen…komm wir schwimmen mal da rüber!“ Schatz steht neben mir. Jetzt ohne Sonnebrille. Ach der Gute. Hier kann ich also stehen. Na klar. Weiß ich doch. Als wenn ich hier nicht stehen könnte. Schließlich bin ich fast zwei Meter groß. Ich kann also faktisch auch im atlantischen Ozean stehen. Aber Danke für dir Hilfe. Schön dass er nicht gesagt hat, Hier kannst Du treiben, Fett schwimmt ja bekanntlich oben, und mir somit eine kleine Spitze auf mein noch kleineres, aber stets für Depressiönchen sorgendes Bäuchlein liefert!

 

 

Wir schwimmen ein Stück. Scherzen herum und toben wie die jungen Fischlein im Wasser. Ich sterbe nicht und kurze Zeit später laufen wir pitschenass, aber vereint zu unserem Liegeplatz zurück. Ich gebe meinem Liebsten eine schöne kalte Flasche Wasser und wir hauen uns wieder in die Sonne. Liegen tue ich allerdings nicht, denn in unserer Badezeit haben neben uns zwei junge Burschen, augenscheinlich Basketballliebhaber, denn sie haben einen solchen Ball dabei, niedergelassen und wollen nun ausgiebig gemustert werden. Viel Zeit zum mustern bleibt mir jedoch nicht.

 

 

Ich zucke zusammen. Was ist das? Ha Ha Ha und prust, kreisch, gigger: „Jaaaaaaaa…..LACH…da habe ich….PRUST…und Sie, Nein das war uhhhhhhhhnglaublich…GIGGER..“ Langsam drehe ich meinen Kopf nach hinten. In Blickrichtung, sehr sehr nahe hinter mir sitzt eine lesbische Mitbürgerin, auf einem sehr ausgeblichenen Rainbow-Strandhandtuch und erzählt Ihrer Nicht-Lesbischen-Freundin irgendeine Geschichte, die auf alle Fälle uhhhhhhhhnglaublich war. Unglaublich ist auch Ihre Lautstärke. Eigentlich erzählt sie ihre Story gerade dem ganzen Strandbad. Nur scheint das außer mir ja keiner zu merken. Einen Augenblick lang denke ich, da ich gerne Ausreden oder besser Entschuldigungen für das Verhalten meiner Mitmenschen finden möchte, vielleicht ist die Nicht-Lesbische-Freundin ja schwerhörig oder gar taub. Das würde einiges erklären und verständlich, ja sogar sympathisch machen. Aber Sie ist es nicht. Die Rainbow-Strandhandtuchbesitzerin ist einfach nur laut! Doch was soll ich tun?

 

„Entspann Dich doch mal! Kein Wunder das Du immer so schnell gereizt bist!“ Wer solche Freunde hat, braucht definitiv keine Feinde mehr. Danke Schatz, Du hast Recht Schatz, ich werde mich jetzt s o f o r t  entspannen und jegliche Störenfriede per Willenskraft und musikalischer Überbeschallung ausblenden.

 

Also stecke ich mir die Kopfhörer vom mp3 Player in die Ohren, schließe die Augen und lausche meiner Musik. Schön, wun-der-bar.Ja! Ich denke so werde ich entspannen, ja so kann es klappen, ich spüre es schon, ich merke direkt…wie mir jemand unsanft am Arm reist, mich schüttelt und „Schnuffi Schnuffi jetzt kuck doch mal!“ zischt.

 

Ich schrecke hoch und sehe gerade noch wie der gut gebaute und muskulöse Mukkibudenschwule ohne Badehose vor mir steht, leider mit dem Rücken zu mir und in eine rote, sehr sexy Unterhose schlüpft. Klar so jemand kann es sich leisten, sich in aller Öffentlichkeit schnell mal umzuziehen und muss nicht die paar Meter zur Umkleide trotten. „Hat aber nicht wirklich nen großen!“ Was nen großen Hausschlüssel oder nen großen Wagen. Überhaupt, wie hat Schatz das denn gesehen. Ich frage ihn, genauso leise wie er mir eben die Info über den nicht wirklich großen, was auch immer, gegeben hat. „Na er hat sich doch erst umgedreht als Du hoch gekommen bist. Also ehrlich, Du verpasst auch immer das Beste. Was bist’e denn auch immer so langsam. Ich kann ja schließlich nicht schreien, eh kuck mal schnell der Typ, der wo da lag (erwähnte ich das mein Freund aus dem schwäbischen stammt, also nur mal so am Rande?)also der WO da lag macht sich nackig? Nee, das kann ich ja nun wirklich nicht!“

 

Nein Schatz, kannst Du nicht Schatz, Du hast Recht!

 

Als ich mir gerade überlegt habe, mich nun doch im flachen Wasser zu ertränken und die laut schreiende Geschichtenerzählerin gleich mal mit zu nehmen, vernehme ich folgende Worte: „Entschuldigen SIE bitte…Hallo SIE…Verzeihung bitte!“

 

Wir beide auf unserer 25 Quadratmeter großen Decken schauen erst uns und dann die beiden Basketballspieler an. „Verzeihen SIE die Störung, aber wären SIE so nett und würden einen Blick auf unsere Klamotten werfen. Wir wollen mal zum Kiosk vor. Das wäre voll nett von IHNEN!“ 

 

Mein Freund brummt ein freundliches: “Mmmkladochkeinthema!“ Ich sage gar nichts und die beiden Burschen tollen von Dannen. Ich vernehme noch wie der eine, der bisher den Mund gehalten hatte mit einer etwas piepsigen Stimme und norddeutschem Dialekt sagt: „Krass Dicker, is ja voll nett Dicker, da lassen wir uns jetzt man büschen Zeit Dicker. Hey Dicker, haste die Braut am Imbiss gesehen Dicker? Dicker die machen wir jetzt mal an…Dicker!“ Und so weiter und so fort. Wäre ich im Normalzustand, hätte ich mich gerne gefragt, warum eine Person von einer anderen Person „Dicker“ genannt wird, wo doch Person Eins augenscheinlich rank und schlank ist. Ich bin aber nicht in Normalzustand. Der Basketballer hat tatsächlich SIE gesagt. Die ganze Zeit. Andauernd. Meine Güte wie alt sehen wir denn aus. Ich bin doch gerade mal 30 geworden. Mein Freund ist sogar noch jünger. Tränen steigen in mir hoch und werden sofort unterdrückt. Erstens weinen richtige Männer nicht und zweitens, denk an die Tränensäcke. SIE hat er gesagt. Zweifellos…er wollte nett sein. Er wollte den Beweis antreten, dass die Jugend von heute doch noch Höflichkeit und Anstand kennt. Er hätte mich wahrscheinlich im Bus gefragt: „Verzeihung, darf ich Ihnen meinen Platz anbieten, SIE sehen so alt aus. Ich bin noch jung und kann die vierhundert Stationen auch stehen!“ Dabei hätte er gelächelt und ich hätte den Platz auch genommen, weil mir in dem Augeblick das Herz stehen geblieben wäre. SIE hat er gesagt. S I E. Wo ist denn dieses ominöse Loch, in welchem man gerne versinken möchte in solchen Situationen. Doch Suizid im Flachwasser? Bevor ich das tue sagt Schatz: „Sehe ich so alt aus? Die haben tatsächlich SIE gesagt!“

 

Ach wie süß er doch ist. Genau dafür liebe ich ihn. Ich verneine seine Frage und sage ihm wie blendend und jung er aussieht. Wobei ich in meiner Poetik wahrscheinlich ein klein wenig über das Ziel heraus schieße, denn er schaut ganz schief, ist aber doch beruhigt und als die Zwei wiederkommen und sich höflich bei IHNEN bedanken, können wir beide sogar wieder grinsen und beschließen zu gehen. Beschwingt packe ich unsere Tasche, nachdem ich kurz hinter Dortmund auch unsere nun doch warmen Wasserflaschen eingesammelt habe und wir treten den Heimweg an. Natürlich lasse ich meine Sonnebrille liegen und werde von der Rainbow-Strandhandtuchbesitzerin angelächelt und angebrüllt: „Jeder Gang macht schlank...Ha ha ha Gigger, prust und lach!“ Ich überlege kurz ob das der Zeitpunkt ist Ihr eine rein zu hauen und lenke mich nur dadurch ab, das ich überlege es müsste doch eigentlich schlang, als mit „g“ am Ende heißen, es heißt ja auch Gang und nicht Gank! Jedoch haue ich weder die Nervensäge noch werde ich einen Brief an die Dudenredaktion schreiben, ich muss einfach nur anch Hause, denn ich habe einen gewaltigen Sonnenbrand und den muss ich jetzt kühlen.

 

„Kommst Du oder was...?“

 

Ja Schatz, bin schon da Schatz, kein Problem Schatz…wir können!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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