Michael Mews

Hokus und Pokus

Die Landschaften flogen an uns vorbei, als wir aus dem Fenster des Zuges blickten. Wir saßen schon seit Stunden im Zug, ein guter Freund und ich. Und wir werden noch einige Stunden hier sitzen müssen, bis wir unser Ziel erreicht haben. Inzwischen sind uns nicht nur die mitgebrachte Getränke, sondern auch die Gesprächsthemen ausgegangen. Plötzlich sagte jedoch mein Freund zu mir:

 

 

„Mir ist aufgefallen, dass ich Schwierigkeiten habe, mich an Ereignisse zu erinnern, die passierten, als ich fünf Jahre alt, oder noch jünger war. Geht es dir auch so?“.

 

 

Kurz musste ich überlegen, dann antwortete ich: „Wenn Du möchtest, erzähle ich Dir gerne etwas darüber, was ich erlebte, als ich fünf Jahre alt war“.

 

 

„Ja, aber sehr gerne. Ich bin schon schrecklich neugierig. Fang doch endlich mit Deiner Erzählung an“.

 

 

„Also gut, ich werde damit beginnen. Ich sehe noch alles so vor mir, als wäre es erst gestern passiert. Meine Eltern flogen mit mir zu einer kleinen Insel, mitten im Atlantik. Am nächsten Tag, gleich nach unserer Ankunft und dem Frühstück, ging ich in den Garten, hinter unserem Bungalow und setzte mich in den Schatten. Als Lehne benutzte ich eine kleine Hecke, die den Garten zum Nachbargarten trennte.

 

 

Plötzlich hörte ich Schritte hinter der Hecke und das Geräusch, das entsteht, wenn Stühle und Tische verschoben werden. Dann rief eine Frauenstimme: „Hokus, wo ist finde ich die Sonnencreme?“.

 

 

„Natürlich im Tresor“, antwortete eine Männerstimme.

 

 

„Und wo ist der Tresorschlüssel?“

 

 

„Im Gefrierfach, Pokus“.

 

 

Irgendwie kamen mir diese Stimmen bekannt vor, ja, jetzt erinnere ich mich. Diese Leute saßen im Flugzeug hinter mir. Sehen konnte ich sie nicht, aber hören, was sie sagten. Sie sprachen im Flugzeug über das Wetter und über Wolken, einige Wolken nannten sie auch beim Namen: Wolke Böserfang, Wolke Tunichgut und Wolke Scharfzahn. Ich hatte den Eindruck, als wenn sie sich vor diesen Wolken fürchteten. Danach musste ich wohl eingeschlafen sein, da ich mich an den Rest dieser Unterhaltung nicht mehr erinnern kann.

 

 

Noch immer saß ich an der Hecke und wunderte mich über die komischen Namen der Nachbarn. Der Mann heißt Hokus und die Frau Pokus. Herr Hokus und Frau Pokus. „Hokus Pokus“, sagte ich leise. „Sind unsere Nachbarn vielleicht Zauberer?“

 

 

Nun hörte ich das Klimpern vom Geschirr. „Aha, es wird gefrühstückt, besser gesagt, gespätstückt“.

 

Als das Geschirr abgeräumt wurde, packte mich eine, nicht ungewohnte Neugier. Vorsichtig schob ich einige Zweige der Hecke zur Seite, um die neuen Nachbarn auch sehen zu können. Und was sah ich: nichts, keine Nachbarn, nur den Holztisch, zwei Stühle, weiter weg einen großen Ledersessel und die offene Schiebetür vom Bungalow.

 

 

Ich staunte über den wirklich sehr großen Ledersessel. Das Leder war dunkelbraun und der Sessel so Groß, dass bequem drei, oder vier Personen darauf Platz gehabt hätten. Erst jetzt bemerkte ich die sehr großen, seitlichen Taschen am Sessel. Der obere Abschluss dieser Taschen wurde von Klappen, auch aus Leder, überdeckt.

 

 

„Was mag nur in diesen riesigen, geheimnisvollen Taschen sein?“

 

 

Nun wurden die Zweige der Hecke von mir so weit auseinander gedrückt, dass ich durch die Hecke auf die Terrasse kriechen konnte. Leise, sehr leise schlich ich mich, an der offenen Schiebetür vorbei, zu dem Sessel. „Ein Glück, dass ich nicht alleine bin, meine Neugier ist ja auch bei mir“.

 

 

Auf einmal hörte ich das, was ich nicht hören wollte: Schritte hinter der offenen Tür. Ich erstarrte, blickt mich schnell suchend nach einem Versteck um, sah aber keines. Die Schritte kamen immer näher und näher, gleich mussten sie an der offenen Tür sein. Ohne zu überlegen hob ich die Lederklappe einer Tasche hoch, kletterte in die riesige Tasche und ließ die Klappe los.

 

 

Durch einen Spalt konnte ich sehen, was draußen passierte. Herr Hokus und Frau Pokus standen an der offenen Schiebetür, mit einem Sektglas in der Hand, je mit einem hellblauen Bademantel bekleidet, auf dem viele, in der Sonne glitzernde kleine Sterne sich befanden. Beide waren schlank, im Gesicht leicht gebräunt und beide hatten auch eine Sonnenbrille auf. Sie sahen einfach bezaubernd aus.

 

 

 

 

Werden sie mich entdecken?

 

Was hat es mit dem geheimnisvollen Sessel auf sich?

 

Wird hier gezaubert?

 

Sind das freundliche Hexen?

 

Gibt es auch einen Besuch von den Wolken: Böserfang, Wolke Tunichgut und Wolke Scharfzahn?

 

Werden Fetzen fliegen, oder etwas anderes?

 

Werde ich in meinem Versteck überleben? Und warum?

 

Wird es noch mehr Fragen geben?

 

Wird es eine Fortsetzung geben?

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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