Dennis Matthias

Das rote Licht

Rote Lichter. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich nichts als rote Lichter. Wenn ich meine Augen öffne, fürchte ich, sie zu sehen. Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon hocke. Stunden, Tage - wer kann das schon sagen? Ich werfe einen flüchtigen Blick auf meine Uhr. Ohne es recht zu realisieren öffne ich den Verschluss und werfe sie in die Ecke des Ganges neben ein altes Metallrohr. Die irdische Zeit bedeutet hier nichts mehr. Minuten sind Stunden, Stunden sind Tage und Tage sind Wochen.
Nur an der Menge meiner Fäkalien kann ich erahnen, dass ich hier schon geraume Zeit sitze. Den Gestank nehme ich schon gar nicht mehr wahr. Meine Hand schmerzt von dem krampfhaften Griff, mit dem ich meinen Ionenpartikelstrahler im Anschlag halte. Ich wüsste zu gerne, ob ich noch genug Gefühl in den Fingern hätte, um überhaupt abzudrücken. Aber ich kann es mir nicht erlauben, es zu probieren. Die digitale Munitionsanzeige der Waffe zeigt eine grüne "01". Lange habe ich mir über die Bedeutung dieser Zahl Gedanken gemacht. 01 - was heißt das schon? Einen Schuss länger leben. Eine kleine Hoffnung, die mir noch bleibt. Oder die Möglichkeit, dem ganzen Schrecken ein Ende zu bereiten.
Das ist also von mir übrig geblieben. Vom großen, heldenhaften IR Howard P. Craft. Ein zusammengekauerter Feigling, der in einer Ecke neben seiner Scheiße auf den Tod wartet. Ein schöner Held.
Wie eine Fliege im Netz, die auf die Spinne wartet, hocke ich in dieser Sackgasse, den Rücken an die Wand gepresst. Meine Augen schmerzen bereits von der Anstrengung und dem flackernden, gedämpften Licht. Wie lange haben sie schon keine Ruhe mehr gehabt? Aber eine Pause kann ich ihnen nicht gönnen. Nicht hier. Nicht jetzt. Mir bleibt nichts anderes übrig als meine Augen offen zuhalten, den Blick in diesen kalten, finsteren Gang zu richten. Immer bereit, die roten Lichter auftauchen zu sehen. Immer hoffend, dass sie nicht kommen.
Wieso bin ich eigentlich in diese missliche Lage geraten? Wieso?
Vielleicht begann das Unvermeidliche ja bereits im Jahre 2545 - als der große Neurobiologe Dr. Frank N. Stone eine neue Form der Künstlichen Intelligenz entwickelte und mit Cybertrans eine gewaltige Firma gründete - die Newrotrans. Sie war der Grundstein für eine damals unvorstellbare Katastrophe. Dr. Stone ahnte nichts von den schrecklichen Folgen seiner Forschung. Doch das haben die Entwickler der Wasserstoffbombe vielleicht auch nicht getan.
Die von Dr. Stone entwickelte Intelligenz basierte nicht länger auf digital arbeitenden Chips, sondern auf analog arbeitenden. Sie funktionierten also ähnlich wie die menschlichen Nervenzellen. Es dauerte nicht lange, bis das Militär auf Newrotrans aufmerksam wurde. Es machte Dr. Stone ein finanzielles Angebot, das er unmöglich ausschlagen konnte. Mit dieser Summe war es ihm möglich, seine Forschung auf ungeahnte Größe auszudehnen. So schloss sich Newrotrans alsbald mit dem Militär zusammen. Doch auch danach waren Dr. Stones Absichten moralisch nicht anzweifelbar. Mit der neuentwickelten Intelligenz wollte er Kampfdroiden herstellen, die menschliche Soldaten zu Kriegszeiten ersetzen sollten. Die Droiden dieses Forschungsprojekts nannte er treffend Taktische Angriffs-Droiden (kurz TAD). Trotz seiner bisherigen Fortschritte sollte es Dr. Stone jedoch nicht vergönnt sein, mit seinem Projekt erfolgreich zu sein. Hunderte von Fehlschlägen ließen das Programm nie zur Serienreife heranwachsen. Dem Militär wurden die ständigen Enttäuschungen zu viel. In einer Vertragsverlängerung fügte es eine kurze Klausel hinzu, die Dr. Stone schlichtweg übersah. Durch dieses Versehen wurde dem Militär möglich, was sich Dr. Stone nie zu träumen gewagt hätte: Man warf das gesamte Entwicklerteam raus und ging mit den Forschungsunterlagen zu Cyborgs Industries, einem vielversprechenden KI-Unternehmen, von dem man sich mehr Erfolge erhoffte.
Nach dem Rauswurf fasste Dr. Stone einen Entschluss. Er wendete sich an die Medien und veröffentlichte seine bisherige Forschung in namhaften Wissenschaftsmagazinen. Die Geheimhaltung des Projekts war damit natürlich undenkbar. Die Enttäuschung des neuen Teams als auch der weltweiten Bevölkerung war groß, als die Neuversuche noch niederschmetterndere Fehlschläge hervorbrachten als früher. Deshalb legte man das TAD-Projekt vorerst auf Eis.
Im Jahre 2552 begannen dann die Kampfhandlungen des Imperiums mit den Plasmoden. Die Verluste waren verheerend. Die eingesetzten Droiden konnten durch neueste Technik zwar sehr robust und langlebig hergestellt werden, doch wiesen sie eine taktische Schwäche auf, die von den Plasmoden leicht auszunutzen war. Die Kosten stiegen ins Astronomische. Das Imperium sah nur einen Ausweg. Es holte das alte TAD-Forschungsprojekt wieder aus den Schubladen und schickte nach Dr. Stone und dem Rest des Entwicklerteams. Es bedurfte einigen rhetorischen Geschicks und einer immensen Summe überzeugenden Geldes, um Dr. Stone zur erneuten Zusammenarbeit mit dem Militär zu bewegen. Durch Dr. Stones neue Erkenntnisse, die er bei seinen Arbeiten während des laufenden Krieges gewonnen hatte, machte das wieder aufgenommene Projekt unglaubliche Fortschritte. Das taktische Geschick der TAD ließ selbst ranghohe Militärs vor Neid erblassen. Newrotrans erstrahlte in neuem Licht. Dennoch neigten die TAD zu gelegentlichen Ausfällen, die sich auf dem Schlachtfeld als fatal hätten herausstellen können. Fehlschaltungen schienen der Grund für gelegentliche Desorientierung und Zielerfassungsprobleme zu sein.
Derweil führten die Plasmoden einen vernichtenden Schlag gegen die menschliche Bevölkerung auf Artemis IV, der beinahe die gesamte Planetenoberfläche vernichtete; ein Großteil der Siedlungen wurde ausgelöscht. Im gesamten Universum hielt die Menschheit vor Schreck den Atem an.
Noch am selben Tag soll Dr. Stone seine Forschung auf einen weiteren Bereich ausgedehnt haben. Er setzte ein Forscherteam auf die Großrechner der Standard-Droiden-Fabrikschiffe an. Sein Ziel war es, die TAD so bald wie möglich einsatzfähig zu bekommen und die Rechner der Fabrikschiffe auf die neue Technologie umzuprogrammieren. Der nötige Umbau der Rechner sollte mit C5 durchgeführt werden. Das Forscherteam arbeitete schnell und erfolgreich, die Software für die geplante Umrüstung der Großrechner funktionierte einwandfrei. Die Fehlschläge der TAD ließen sich entgegen aller Erwartungen nicht beheben.
Aufgrund der steigenden Verluste im Krieg entschloss sich das Militär, den Großrechner eines Frachtschiffes mit C5 umzurüsten und mit der TAD-Software zu speisen - ohne Rücksprache mit Dr. Stone. Als Versuchsobjekt wählte man die Delfin aus, ein interplanetarisches Fracht- und Fabrikschiff der Größe M, das in der Vergangenheit bereits seine Tauglichkeit bewiesen hatte. Mit einer Fracht von zwei Bataillonen Rangern in Stasis, einer Kompanie Guardians, knapp 30 Reparaturdroiden und einigen CY-102-Einheiten schickte man die Delfin zur Unterstützung nach Artemis IV, wo heftige Bodenkämpfe die letzten menschlichen Siedlungen auszulöschen drohten.
Die Frachträume der Delfin belud man mit Ersatzteilen für die Droiden, die die Delfin zur Reparatur oder zur Herstellung neuer Droiden nutzen konnte. Allerdings waren die Teile rar, wenn man sie mit den zu erwartenden Verlusten verglich. Deshalb ergänzte man das TAD-Programm um einen weiteren Befehl, der bei Gefahrensituationen umgehend aufgerufen werden sollte: „Beschaffe die erforderlichen Rohstoffe und aktiviere das Bauprogramm. Improvisiere, falls nötig."
Damals wusste ich nicht wirklich, worauf ich mich eingelassen hatte, als man mich für dieses Unternehmen einteilte. Außer unserem Elitetrupp wusste niemand von dem Einsatz und dessen Hintergründe; alles war top-secret. Als ich mich mit meiner Kompanie in den Tiefschlaf versetzen ließ, rechnete ich damit, vor Artemis IV geweckt zu werden und auf der Planetenoberfläche ein Ende durch die Hand eines Plasmoden zu finden. Doch dazu sollte es nicht kommen.
Ich erinnere mich, dass ich aus der Stasis aufgeschreckt und mit dem Kopf gegen die mich umgebende Glaskuppel gestoßen war. Das Schiff bebte von starken Erschütterungen. Als ich meinen Cryobehälter geöffnet und mich mit noch steifen Gliedern aufgerichtet hatte, bemerkte ich, dass die anderen meiner Einheit noch schliefen. Ich musste durch einen Zufall erweckt worden sein. Wie, kann ich nicht sagen. Es musste etwas mit den Erschütterungen zu tun gehabt haben.
Ich wollte mich gerade abwenden, als sich ein weiterer Cryobehälter unmittelbar neben meinem öffnete. Captain White war auch erwacht. Selbst in seiner Unterhose wirkte er respekteinflößend. Auch die kleine Tränen-Tätowierung unterm rechten Auge ließ ihn keineswegs weichlich erscheinen. Dennoch, ähnlich wie ich war er recht verstört über den Zwischenfall. Nach kurzer Debatte entschied sich Captain White, Flipper, wie wir den Großrechner der Delfin scherzhaft nannten, aufzusuchen. Wir verließen die Cryokammer und gingen durch den Hauptkorridor, der uns direkt zur Brücke führen würde. Wir verharrten, als sich plötzlich die beiden Türen zu den Frachträumen am Ende des Ganges öffneten. Heraus traten die Guardians, und ehe wir wussten, wie uns geschah, eröffneten sie das Feuer. Ich konnte mich noch rechtzeitig in einen Seitengang werfen. Als ich auf dem Boden aufschlug, warf ich einen Blick zurück und sah noch, wie Captain White von einer Laser-Salve durchlöchert wurde. Ich dachte nicht länger nach. Ich stand auf und rannte um mein Leben.
Die nächsten Tage verbrachte ich damit, mich vor den Droiden zu verstecken, die im ganzen Schiff patrouillierten. Nur langsam begriff ich, dass sich die gesamten Droiden gegen uns gestellt hatten. Lange habe ich darüber nachgedacht, was wohl geschehen war. Am plausibelsten fand ich die Erklärung, dass die Delfin in einen Meteoritenhagel geraten war und Flipper dabei beschädigt wurde. Aus welchem Grund sollten die Droiden ansonsten Amok laufen? Erst als ich den Durst nicht mehr ertragen konnte, verließ ich mein Versteck.
Ich schlich mich zu den Vorratskammern und deckte mich mit Proviant ein, bevor ich mich zur Waffenkammer begab. Zu meinem Schrecken musste ich feststellen, dass sie bis auf die Uniformen komplett geräumt war. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich wusste mit Sicherheit, dass sie bei unserer Abreise gefüllt war. Konnte es sein...? Ich wollte nicht darüber nachdenken und kleidete mich in meine Uniform.
Als nächstes arbeitete ich mich zur Cryokammer vor. Ich musste wissen, was mit meinen Waffenbrüdern geschehen war. Der Weg stellte sich allerdings als überaus gefährlich heraus. Überall waren die CY 102 anzutreffen. Es hatte bald den Anschein, als würden sie einen Eindringling suchen. Und ich ahnte düster, wer dieser Eindringling war.
Nur mit größter Vorsicht konnte ich den Gefahren aus dem Weg gehen und die Cryokammer erreichen. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich hatte gefürchtet, all meine Kameraden erschossen in ihren Cryobehältern vorzufinden. Doch was ich vorfand, verwirrte mich zutiefst. Alle Behälter standen offen und waren leer. Keine Toten, keine Blutspuren. Nichts. Die Kammer war einfach leer.
Ich erinnere mich, wie ich nach einer Lösung suchte: „Vielleicht sind meine Kameraden doch irgendwie aus dem Tiefschlaf erwacht, haben die Gefahr erkannt, sind zur Waffenkammer und haben sich gegen die Droiden gerüstet? Aber wieso ist niemand, nicht ein Mann auf die Idee gekommen, seine Uniform vom Haken zu nehmen? Weshalb sind keine Schüsse zu hören? So viele Ranger können die Droiden doch unmöglich übersehen!"
Ich wurde von einem schrillen Geräusch hinter mir aus meinen Gedanken gerissen. Ich schnellte herum und sah einen CY 102 auf dem Gang, der seinen Arm hob. Der Ionenpartikelstrahler zuckte auf und zerfetzte mir das Fleisch am Oberschenkel. Ich warf mich aus der Schussbahn an die Wand neben dem Eingang und blickte auf die Wunde. Nur ein Streifschuss. Schon hörte ich, wie sich der Droide näherte. Mein Blick fiel auf den Schließmechanismus der Tür. Ohne zu zögern hämmerte ich dagegen. Der CY 102 trat gerade über die Schwelle, als die schwere Eisentüre nach unten raste und den Roboter zu Boden schmetterte. Der Partikelstrahler entglitt seinem Griff und fiel in den Raum. Ich stürzte vor, griff die Waffe und drehte mich wieder zur Tür. Der CY 102 lag eingequetscht am Boden, seine Finger krallten über den Stahl der schweren Türe, versuchten den Körper aus der Klemme zu befreien. Ich drückte ab. Der Partikelstrahl brannte ein großes, klaffendes Loch in den metallischen Schädel. Es dauert noch einen Augenblick und die Maschine stand still. Ich öffnete die Türe wieder und rannte den Gang zurück. Sicherlich hatten die anderen Droiden den Schuss vernommen. Ohne Zwischenfälle erreichte ich mein altes Versteck hinter einigen Versorgungsrohren.
Ich warf einen Blick auf die digitale Munitionsanzeige der erbeuteten Waffe. Noch 23 Schuss. Ob es reichen würde? Ich wartete einige Stunden, während denen ich in einiger Entfernung CY 102s bei ihren Patrouillengängen erblicken konnte. Ich schwitzte und mir war heiß. Glücklicherweise saß ich im Luftzug eines Belüftungsschachtes. Belüftungsschacht? Ich richtete meinen Blick auf das viereckige Gitter unter der Decke. Ich wusste nicht viel über die Luftversorgung der Delfin, aber vielleicht konnte ich mich durch die Schächte unbemerkt durch das Schiff bewegen. Ich hoffte nur, dass die Droiden nicht schon auf denselben Einfall gekommen waren. Über die Versorgungsrohre konnte ich das Gitter problemlos erreichen. Ich montierte es ab und warf einen Blick in den Schacht. Er war breit genug, um sich darin liegend voran zu ziehen. Auch wenn es sicherlich eine halbe Ewigkeit dauern würde. Ich kroch mehrere Stunden durch die Schächte. Ohne rechte Orientierung. Ich musste mich voran tasten; Licht gab es kaum. Mittels einiger Kerben, die ich in die Schachtwände kratzte, markierte ich mir den Rückweg.
Ich erreichte ein weiteres Gitter, das zur Vorratskammer führte. Vorsichtig schaute ich hinein. Zwei Guardians standen mitten im Raum und bewachten die geschlossene Tür - ihre Waffe im Anschlag. Glücklicherweise hatte ich vor meiner kleinen Kriechaktion nicht noch einen Abstecher zur Vorratskammer gemacht. Es wäre mein sicherer Tod gewesen. Die Droiden mussten auf mich aufmerksam geworden sein. Weshalb sollten sie sonst einen Hinterhalt legen? Ich zog mich, langsam und vorsichtig, weiter voran.
Durch das nächste Gitter konnte ich einen Blick auf die Brücke werfen. Da war er, der Kern allen Übels: der Großrechner. Ich konnte fast spüren, wie er nach mir suchte, wie er die Droiden gegen mich aufhetzte. Auf der ganzen Brücke standen Guardians verteilt. Still, bewegungslos. Wie steinerne Gargoyles an einer gotischen Kirche. Bereit, jede Bedrohung auszuschalten. Ich hielt es für besser, weiter zu kriechen.
Es dauerte einige Zeit bis ich das nächste Gitter erreichte. Ich wünschte mir, ich hätte es nie gefunden. Und ich wünsche mir fast, ich wäre nie aus der Stasis erwacht. Vielleicht wäre mir das hier dann alles erspart geblieben.
Das Gitter, das ich erreicht hatte, führte zum großen Fabrikraum des Schiffes, in dem die neuen Droiden hergestellt werden sollten. Was sich mir bot, war ein Bild des Grauens. Ich hoffe, dass kein Mensch jemals wieder solch einen Anblick ertragen muss. Im Raum waren fein säuberlich die Ersatzteile der Droiden sortiert. In einer Ecke des Raumes lagen meine Kammeraden. Ob tot oder bewusstlos konnte ich nicht sagen. Die Fließbänder waren im vollen Gange. Die fleißigen Metallarme setzten, schraubten und schweißten. Und wo Ersatzteile fehlten transportierten Fließbänder einen meiner Kumpanen herbei. Und ich musste mit ansehen, wie die blutigen Metallarme ihn zerfetzten, fein säuberlich Gliedmaßen abtrennten und mit den metallischen Ersatzteilen verarbeiteten. Die nicht benötigten - „Rohstoffe" meines Kumpanen wurden getrennt und auf abscheuliche, blutige Ersatzteilhaufen gelegt. Zu guter Letzt, als das Monster aus Stahl und Knochen fast fertig war, gelangte es direkt unter das Gitter des Lüftungsschachtes, sodass ich die Arbeit in all seiner Schrecklichkeit verfolgen konnte. Von einem der Haufen trugen die Metallärmchen ein menschliches Hirn herbei, entfernten einige der Hirnareale und setzten es in den metallischen Schädel des Monsters. Über Schnittstellen verbanden sie es mit der CPU des Droiden. Der Schädel wurde geschlossen und zugeschweißt. Und zu meinem Schrecken erhob sich das Monster zu unnatürlichem Leben.
Meine Nerven lagen brach, die Wände des Lüftungsschachtes schienen mich zu erdrücken, die Luft schien stickig und mir die Lunge zuzuschnüren. Ich schrie, stemmte mich gegen den Schacht und machte mich daran, wegzukommen. Wohin war mir egal. Ich wollte nur weg. Schüsse wurden laut und schon bald wurde der Schacht durchlöchert. Es glich einem Wunder, dass ich verfehlt wurde. Ohne zu denken, ohne inne zu halten, zog ich mich den ganzen Weg zurück. Wie lange es gedauert hat, kann ich nicht sagen. Ich bewegte mich wie in Trance fort. Ich erinnere mich nur noch daran, wie ich wieder hinter den Rohren hockte. Den Luftschacht hatte ich wieder verschlossen. Apathisch hockte ich in der Ecke, kaute mir die Finger blutig.
Ich muss wohl fernab der Realität gewesen sein, denn ich hörte den CY 102 gar nicht kommen. Er schaute plötzlich an den Rohren vorbei hoch zum Gitter des Lüftungsschachtes. Als er mich bemerkte, hatte ich den Strahler bereits reflexartig erhoben und ihm in den Schädel geschossen. Wahrscheinlich hatten die Droiden die Lüftungsschächte kontrolliert. Ich sprang hinter den Rohren hervor und eilte den Gang hinab. Ich musste mir ein neues Versteck suchen. Auf dem Weg begegneten mir mehrere TAD. Die früheren Fehlfunktionen der TAD schienen behoben. Sie agierten besser denn je. Es ist mir schleierhaft, wie ich die Auseinandersetzungen unversehrt überleben konnte. Alles war wie in einem schrecklichen Traum. Nichts schien real.
Letztendlich landete ich in diesem Gang. Seither hocke ich hier. Warte ab, was auch geschehen mag. Es ist wohl, wie ich es befürchtet hatte. Der Großrechner ist beschädigt worden und betrachtet uns Menschen nun als seine ärgste Bedrohung. Ansonsten tut er nur das, was wir ihm befohlen haben. Auch wenn es lächerlich klingt: Flipper ist nun mein größter Feind.
Meine Lippen sind immer noch rissig. Ich mache mich wieder daran, etwas Kondenswasser von einem der Rohre zu lecken. Nach mehreren Minuten mühevoller - nennen wir es mal Wasseraufnahme - richte ich meinen Blick wieder den Gang hinunter. Wie lange werde ich wohl noch hier hocken?
Was war das?! Mir war, als hätte ich, ganz leise, ein kurzes Zischen gehört. Gefolgt von einem - Kratzen. Ja, da ist es wieder, kein Zweifel! Meine Hände beginnen zu zittern. Vielleicht ist es ja nichts weiter. Irgendeine harmlose Maschine, die ihrer Aufgabe nachgeht.
Am Ende des Ganges erscheint plötzlich dieser Metallschädel, die Muster des Lichtes reflektierend. Die Hydraulik bringt die Gelenke zum Zischen und schiebt dieses Etwas noch ein Stück vorwärts. Da steht es, am Ende des Ganges. In seiner vollen Schrecklichkeit. Aus seinem Nacken ragen dicke Schläuche, die sich in der metallenen Wirbelsäule verlieren - wie die Fangarme einer Unterwasserbestie. Zwei dünne Ärmchen aus Titan halten zwei Vibro-Klingen, die zur Standardausrüstung meiner Einheit gezählt haben. Aus der Hüfte ragen zwei - nein, drei gekrümmte, spinnenartige Beine. Hier und da ist das Metall von einer dünnen Schicht menschlichen Gewebes überzogen. Keine Worte, keine Fantasie kann das Grauen, das dieses Scheusal hervorruft, wiedergeben. Ein Alptraum aus Fleisch und Stahl.
Das Biest verharrt. Ich starre. Starre.
Noch scheint es mich nicht bemerkt zu haben. Ist jede Hoffnung verloren? Oder geht es vielleicht weiter... ?
Mit einem Zischen dreht sich der Schädel. Und kräftig und grell leuchtet das Licht seiner roten Augen in den Gang. Ich spüre, wie die Maschine meinen Körper abtastet, wie es meinen noch bebenden Leib scannt. Stählerne Züge befinden sich auf der einen Hälfte seines Gesichtes. Die andere ist von einer dunklen, menschlichen Haut mit einer kleinen Tränen-Tätowierung überzogen...
Wieder ertönt die Hydraulik und dreht den Körper des Metallmonsters in meine Richtung. Langsam, fast gemächlich kommt es auf mich zu - um mir den Tod zu bringen. Das Zischen der Gelenke, das Scharren der Metallfüße auf dem Boden. Immer näher.
Zitternd hebt sich meine Hand. Irgendein schwerer Gegenstand ruht darin, dessen Aufgabe ich vergessen habe. Ich starre nur in dieses rote Licht. Dann, wie aus weiter Ferne, dringt von meiner Hand aus ein anderes Licht in meine Sinne. Grün und schwach.
Im Ohr habe ich nur dieses Zischen und Scharren. Zischen, Scharren, Zischen, Scharren...
Der Lauf meiner Waffe ist kalt. Mein Kiefer zittert so sehr, dass ich mit meinen Zähnen immer wieder darauf beiße. Zischen, Scharren, Zischen, Scharren...
Noch einmal blicke ich in dieses rote Licht. Dieses grausame rote Licht.

Diese Kurzgeschichte wurde angeregt von dem Tabletop-Spiel "Fearless" von Excalibur-Miniaturen.Dennis Matthias, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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