Peter Davin

Mein wundervolles, kurzes Leben

Meine Kindheit verlief nicht anders als die von Clara, Ernst, Heiko, oder wie sie sonst noch alle heißen. Ich kroch mit diesen Eisenautos von Matchbox auf der Erde rum, spielte mit kleinen Figuren im Gemüsebeet meiner Eltern Cowboy und Indianer oder identifizierte mich mit meiner ganz speziellen Ritterfigur als Robin Hood und stürmte eine Plastikburg.
Damals in dem Alter hätte ich nie vermutet, was da noch alles auf mich zukommt.
Mit dreizehn verlor ich nach und nach das Interesse an Erdschlachten und Gemüsebeetdschungel. Ich spürte, dass jetzt eine Phase in meinem Leben anbrach, die so für viele nicht in Ordnung sein sollte.
 
Mein erster und letzter mutiger Versuch, mir eine Freundin anzuschaffen, scheiterte nach nur sieben hässlichen und langen Wochen, wobei –Freundin anschaffen- den Nagel auf den Kopf traf. Anschaffen tut man sich irgendwelche Dinge, weil sie gebraucht werden oder im Moment Mode sind, dafür aber umso überflüssiger. Ich brauchte sie in dieser und auch anderer Form oder Nutzung nicht.
Ich sah ein, dass mein Bezug zum weiblichen Geschlecht rein platonisch sein sollte.
 
Mein erster fester Freund, ich war mittlerweile fünfzehn, er etwas älter, etwas sehr viel mehr älter, zeigte mir die Welt der Homosexualität, also die der Tunten, Schwuchteln, Lespen, Tucken. Ich fühlte mich mehr als wohl, ich gehörte mit Haut und Haaren, wobei das letztere noch meine Pubertät zeichnete, wohl.
Irgendwann in dieser Zeit vertraute ich mich meinem Schwager an, denn meine Eltern, meine Geschwister und meine sonstigen Verwandten ahnten zwar meine Neigung, aber ich konnte bisher noch alles geschickt verbergen. Mit seiner Hilfe weihten wir nach und nach und sehr vorsichtig alle ein.
Für einige blieb ich der kleine Bruder, für andere Geschwister, es waren sechs, wurde ich zu irgendeinem Schimpfwortsymbol. Meine Eltern traf die Nachricht wie der Hammer von Donnergott Thor. Aber sie akzeptierten meine Neigung. Selbst Vater, der eher eine Feldwebelfigur vertrat.
Ich nahm Rücksicht auf sie, soweit mir das in meiner Rolle möglich war und versuchte das Leben dieser – hach du Sau du – Gesellschaft von ihnen fern zu halten.
Bis zu jenem Tag!
Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag.
Ich übernachtete bei meinem damaligen Freund, den ich erst wenige Tage kannte und in den ich so verknallt war, so verliebt.
Ich wurde von diesem muskeltrotzenden Typ vergewaltigt und als krönenden Abschluß, als Beweis seiner nie vorhandenen Zuneigung schenkte er mir das HIV Virus Aids!
 
Die Vergewaltigung hielt vor Gericht nicht stand.
Ich habe von seiner Krankheit gewusst und mir hätte klar sein müssen, in welche Gefahr ich mich schon brachte, als ich dieses Milieu betrat, bingo!
Die Erziehung meiner Eltern schien fehlgeschlagen zu sein und so wanderte ich für einige Monate in ein Heim schwererziehbarer Kids.
Er, der Muskelprotz behielt seine Freiheit und ich war gefangen. Gefangen im virenverseuchten, kleinen Bruder, Sohn und Schwager, der so gekämpft hatte für die Anerkennung seiner homosexuellen, kindlichen Neigung. Kaum einer nahm mich ernst und der Staat schon gar nicht.
Wenigstens fand sich Monate später der Vergewaltiger im Krankenhaus wieder. Mein Vater, mein Schwager und mein ältester Bruder hatten ihm bei einer Nacht und Nebelaktion einen Besuch abgestattet, ganze dreißig Minuten lang. Wahrscheinlich die schlimmsten und längsten dreißig Minuten seines Lebens.
Für mich nur eine kleine Genugtuung, …besser als nichts!
 
Ich wurde älter und mein Leben intensiver.
Das Virus lies mich in Ruhe. Trotzdem, Sex war für mich tabu. Zuviel Angst hatte ich bei der Vorstellung andere anzustecken.
Ich trat bei Transvestitenshows auf, arbeitete als Service in Clubs, hatte mittlerweile meine eigene Wohnung und kam mit meinem Leben gut zurecht. Mein Feind, das Virus wurde zu meinem Freund. Wir liebten uns zwar nicht, aber arrangierten uns und das nicht schlecht.
Teilweise vergaß ich ihn, den immer gegenwärtigen Kumpel sogar.
 
Je älter ich wurde, desto öfter musste ich mich damit abfinden, erst tagelang, dann wochenlang ins Krankenhaus zu kommen, Untersuchungen, Tests. Was aber meinem inzwischen blühenden Leben keinen Abbruch tat. Im Gegenteil, ich genoss meine Zeit. Mein Freund wurde am Ausbruch gehindert, immer wieder gestoppt, immer wieder. Diese mittlere Stufe des Siegerpodestes gehörte mir, mir ganz allein und ich war mir sicher, er kann mir nichts anhaben.
 
Der Schein trügte.
Das HIV Virus schien sich allein zu langweilen und heiratete Gevatter Hautkrebs.
Und jetzt ging alles rasendschnell. Die Ehe HIV und Hautkrebs scheiterte. Der Krebs wurde zum Stillstand gebracht, aber dafür brach das Virus aus, mit seiner ganzen, hässlichen Macht. Es zeigte sich offen und ohne Scham an meinem ganzen Körper. Selbst millimeterdicke Rouschschichten konnten die vielen Hautverfärbungen und Vrusteln nicht verdecken.
Mit zweiundzwanzig Jahren, innerhalb sechs Monaten war ich abgemagert bis auf die Knochen. Was sah ich scheiße aus, …Intensivstation.
Auf eigenen Wunsch und Verantwortung lies ich mich nach Hause verlegen, noch konnte ich klar denken und feierte meinen dreiundzwanzigsten Geburtstag, trank Sekt und rauchte Zigaretten, die Superlangen. Mir war klar, dass dieser Geburtstag mein letzter sein wird.
Danach verließen so viele meiner inzwischen gewonnenen Freunde meine Nähe.
Nein, böse oder enttäuscht war ich und bin ich nicht.
Zwei Monate später, halb betäubt von medizinischen Drogen, als meine Wach und Komaphasen immer kürzer wurden starb ich, es war ein Sonntag, ein Ruhetag, wie makaber, …ich starb ruhig und schmerzfrei, begleitet von meinem besten Freund und meinem Schwager.
 
Ich danke euch für diese wundervollen Jahre!
Ich danke euch, euch allen!
Wir sehen uns wieder!
 
- Dank auch dir, du lieber, Tapferer!
 
In Gedenken an Thorge!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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