Anna Buderer

Die Fahrt

Um kurz nach 3 Uhr, es ist stockfinster, steigen wir in das Auto. Es liegt ein anstrengender Tag vor uns. 18 Stunden Fahrt sind es von Gatab, im einsamen Norden Kenias, bis Nairobi, der 3 Millionenstadt. Auf dem ersten Stück ist die Straße sehr schlecht. Bei dem Versuch zu schlafen stoße ich immer wieder mit dem Kopf ans Fenster. Rechts von mir sitzt der 14-jährige Afrikaner David, zu seinen Füßen liegt Tamu, der Hund.  Willi fährt und Hanna, seine Frau, sitzt auf dem Beifahrersitz. In der Halbwüste ist die Fahrbahn eben und sandig. Ich schlafe, bis die Sonne gerade am Aufgehen ist. Nur noch eine Wolke verdeckt die ersten Strahlen. Wir halten an, kurzer Stopp, Pinkelpause. Ich steige aus, die Geräusche des Motors verstummen. Ich höre die Vögel. Die Luft ist gut, sie ist noch angenehm kühl. Außer den Lauten der Natur hört man nichts. Keine menschlichen Geräusche. Keine Autos, keine Flugzeuge. Nichts. Ringsum nur Sand, einige Akazien, Büsche, Kakteen. Wüstenlandschaft. Die Stimmung verschlägt mir den Atem. Hier könnte ich bleiben. Für immer. Eine Hütte bauen und bleiben. Der Boden ist weich. Die Regenzeit hat begonnen, aber das Grün ist noch ganz schwach und verletzlich. Wir haben mit dem Auto kurz vor einem ausgetrockneten Flussbett gehalten. Wenn es regnet, kann hier im Nu ein unpassierbarer Strom entstehen. Ich genieße es, muss aber wieder einsteigen. Die Motorengeräusche übertönen die Laute der Natur. Ich sehe nur noch die Bilder hinter meinem Fenster vorbeiziehen, wie ein Film ohne Ton. Ich stelle mir vor zurückzukommen. Mit dem Motorrad. Ich habe alles dabei, was ich brauche. Bleibe, wo es mir gefällt und wie lange es mir gefällt. Wir hören eine Kassette. Die Musik beflügelt. In Gedanken stehe ich auf einem Hügel, der Wind pfeift mir um die Ohren, ich kann weit über die Landschaft blicken, die mein Reiseführer als zum Heulen schön bezeichnet. Fühle mich leicht, fühle mich frei. Doch die Wirklichkeit holt mich ein. Die endlose Ebene hat ein Ende und die schaukelnde Fahrt über Stock und Stein geht weiter. Kopfweh bahnt sich an, bei uns allen, außer Willi. Die Maralal-Berge kommen in Sicht. In Maralal werden wir das erste mal Empfang mit unseren Handys haben. Es ist aber noch ein Stück bis dahin. Wir kommen nur sehr langsam voran. Viel Zeit zum Nachdenken oder Spiele spielen. Ich spiele mit David Kings and Queens, dann wieder Dame, wieder Kings and Queens und wieder Dame. Inzwischen steht die Sonne hoch am Himmel. Es ist entweder kalt durch die Klimaanlage oder drückend schwül. Nach 9 Stunden und 220km erreichen wir Maralal, hier tanken wir das erste mal und trinken Soda. Überhaupt ist  hier die erste Tankstelle nach unserem Aufbruch. Es ist heiß. Ich bekomme von Noomi aus Deutschland eine Sms, sie haben den ersten Schnee. Verrückt. In Maralal begegnen uns auch die ersten Autos. Es regnet. Aber die Straße ist bis auf ein paar kleinere Ausnahmen noch gut zu befahren. Wir sehen Zebras und eine Giraffe. Eigentlich hoffe ich auf Löwen oder Leoparden, aber bis jetzt hatten wir noch kein Glück. Noch ein paar Stunden und die Teerstraße beginnt. Die Autos vermehren sich und wir passieren Polizeistopps in regelmäßigen Abständen. Einmal werden wir angehalten. Der Polizist fragt, wohin wir wollen. Er wundert sich, noch heute nach Nairobi? Aber dann  müssen wir ja noch fahren, wenn es dunkel ist, meint er. Nachts fährt man hier nicht gerne. Hanna fragt ihn, ob er Bedenken habe, weil es in Nairobi Unruhen gegeben hatte wegen den Wahlen. Er meint nein, im Moment ist es ruhig. Noch einmal tanken wir. Gegessen wird während der Fahrt. Inzwischen haben wir den Äquator überquert und die Sonne bescheint golden die Bergkette der Aberdeers. Es wird langsam dunkel, es wird Zeit für unser letztes Dame-Spiel. Bald sind wir zu Hause. 600km in 18 Stunden. Schwarz oder Weiß, fragt mich David. Ich bin weiß, antworte ich. Er ist schwarz.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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