Rita Bremm-Heffels

Novembertag

Eine TV Reportage war es, die eine der vielen Erinnerungsschubladen bei mir aufspringen ließ.
Ich saß im Schneidersitz auf dem Fußboden, rieb Kartoffeln für Reibekuchen und sah dann plötzlich eine Sendung: Geburten – 3 Frauen von der Vorbereitung bis zur Geburt.
Begleitet von der Kamera. Vorfreude, Angst, Schmerzen das Glück, das Neugeborene im Arm.
Zurückgelehnt in die Arme des Partners, der tapfer, voll Liebe Beistand geleistet hat.
Und da, mit einem Mal kamen die Tränen. Sie liefen mir die Wangen runter, waren nicht zu stoppen und irgendwie wollte ich das auch gar nicht.
Sie waren solange verschlossen in dem großen Tränenbassin in meiner Seele, so voll mit nie geweinten Tränen, daß sie ganz einfach heraus quollen.
Keine „ Heldin“ mehr, kein „ Zusammenreißen „ und kein „ Vergessen“.
Dabei hätten sie schon lange geweint werden müssen, vor 34 Jahren, damals im November 1968.
An dem Tag, als mein kleiner Sohn zur Welt kam.
Der Tag der mich glücklich aber auch traurig machte,
Ich hatte an diesem Morgen einen Termin beim meinen Arzt. Ich war überfällig.
Der 11.11. stand in meinem Mutterpaß und nun war schon der 13. Ausgerechnet.
Die düsteren Prophezeiung meiner Mutter im Ohr“ bloß nicht an einem 13., das bringt Unglück“
Die alberne Aussage des werdenden Vater:“ Ausgerechnet heute. „
Und ich mittendrin, mit kugelrundem Bauch und Angst. Die Angst einer 19jährigen, die ihr erstes Kind bekommen sollte und die noch vor 3 Jahren mit ihrer Puppe gespielt hatte.
Im Auto meines EX war wie immer kein Sprit, eine Tankstelle erst drei Orte weiter.
Also wurde der Traktor aus dem Schuppen geholt.
Und ich krabbelte mit meinem Umfang auf den Sitz über dem Rad. Hart und unbequem.
Eine schweigende Fahrt, zwanzig Kilometer Schweigen, nichts außer dem Tuckern des Traktors.
Keine Vorfreude, keine beruhigen Worte.
Wir schafften den Weg auch ohne Romantik. Ich tröstete mich damit, daß es sicher anders würde wenn das Kleine da wäre.
Die Verabschiedung an der Entbindungsstation war kurz und nüchtern. Ein Klopfen auf die Schulter: „ Du machst das schon, ich melde mich“. Dann war er weg, mein Ex.
Am Fenster rieben sich die Schwestern die Augen wegen des seltsamen Gespanns was da gerade mit einer Hochschwangere vor getuckert war..

Und nun stand ich verloren auf düsteren Gang des alten Krankenhauses.
Eine Schwester brachte mich in ein Zimmer, daß ich heute noch als eine Folterkammer in Erinnerung habe: Dunkel, klein, voll gestellt, nirgendwo ein Fenster.
In der Mitte eine Liege und jede Menge Metall.
„ Da müssen wir wohl einleiten, wenn’s so nicht kommen will“, brummte eine Schwester .

Sie kam mit einer Spritze wieder. Die Injektion schmerzte, noch schlimmer war die Angst und das Alleine sein.
„ Laufen Sie auf dem Gang hin und her, bis sie was merken,“ Dann war auch sie weg.
Ich zählte immer 50 Schritte, 50 in eine Richtung dann wieder 50 zurück.
Immer im Rhythmus, gleichmäßig, es ging beschwerlich . Gedanken kamen , die Erinnerungen, die Sehnsucht. Mein Traum von einer kleinen Familie, endlich, drei Menschen die fest zusammengehören.
Während andere ihre Jugend auslebten oder studierten, träumte ich meinen Traum. Dabei hatte er doch schon lange aufgehört. Eigentlich schon ehe er begonnen hatte. Doch ich hoffte weiter, trotz aller unerfüllter Sehnsüchte.
Und lief alleine, voller Angst auf dem kalten Linoleum des Flures hin und her.
Tapfer sein, bloß nicht heulen, bringt ja nichts.
„ Reiß‘ dich zusammen“, hörte ich meine Mutter sagen.“ Da muß jeder durch. Laß dich nicht hängen“.
„ Ist doch keine Krankheit, meine Mutter hat 4 Kinder gekriegt. So ein Theater, „ tönte meine Ex-Mann.
Also, immer weiter, gehen, zusammenreißen, gehen., Schritte zählen, denken, Tränen schlucken.......
Als die Schmerzen kamen rief ich nach der Schwester.
Sie brachten mich in die „ Folterkammer „ und ich legte mich auf die Pritsche.
Starrte auf die große Wanduhr, die wie eine Bahnhofsuhr aussah: Tick,Tick,Tick...
Die Zeiger standen auf 12 und 4 , 16 Uhr. Zwischen dem Auf und Ab der Schmerzen
Immer wieder der Blick zur Uhr.
Nach einer Weile guckte die Hebamme herein, fuhr mir mit der Hand grob zwischen die Beine und horchte mit einem riesigen Rohr auf meinem Bauch herum.
„ Alles in Ordnung, aber es dauert noch etwas“, sagte sie und ging wieder.
Die Schmerzen wurden stärker.
Links und rechts, kahle Wände, alles voller Instrumente und Utensilien.
Silber und weiß waren hier die Farben, schwarz weiß die Uhr. Tick, Tick, Tick...
Eine Stunde vorbei. Wenn doch nur jemand da wäre, irgend jemand, mit warmen Händen und ruhiger Stimme..
Endlich hörte ich Schritte auf dem Flur. Der Arzt kam.
„ Na, wie geht’s uns denn?“ Ich konnte nicht antworten. Was auch?
Er steckte mir seinen ganzen Arm in den Unterleib und drückte und drehte hin und her. Ich schrie wie irre: „ Hören sie auf, bitte, ich kann nicht mehr. Nur eine Minute.“
„ Der Muttermund muß geweitet werden. Anders geht das nicht.“
Er wühlte weiter, ich schrie.
„ Atmen, Atmen, „ rief nun die Hebamme dazwischen, „ nicht pressen, nicht pressen.“
Aber es ging nicht mehr, ich konnte einfach nicht mehr aufhören, so wie wenn man Durchfall hat und sich der Bauch automatisch zusammen krampft.
Es drückte nach unten, es schmerzte so daß ich dachte ich reiße auseinander
Um mich Stimmengewirr.
„ Pressen, Halten, Atmen, langsam und wieder....“
„ jetzt langsam“ in all dem hörte ich ein klapperndes Metallgeräusch und ein Knirschen, so als würde Pappe geschnitten.
Ein irrsinniger Schmerz – und dann preßte mir jemand eine Maske auf’s Gesicht.
Das erste was ich hörte war ein Quaken, laut und durchdringend.
„ Ihr Sohn, ein Blonder“ sagte mein Arzt.
Halb benommen dachte ich“ Wieso blond, wir sind doch beide dunkel?“ dann dämmerte ich noch einmal weg.
Es können nur Sekunden gewesen sein.
Und dann sah ich ihn: Er lag rechts an der Wand in einen kleinen Gitter Bettchen, dick verpackt und zugedeckt, und brüllte wie am Spieß. Ich hätte ihn so gerne in den Arm genommen, aber die Schwestern schoben ihn aus dem Zimmer auf die Säuglingsstation.
„ Sie kriegen ihn morgen früh“, dann schloß sich die Tür.
Wieder alleine, diesmal ganz alleine, auch mein Bauch war jetzt nur noch eine große, leere Hülle.
Mir wurde eiskalt. Ich klapperte dermaßen mit den Zähnen, daß eine junge Schwester die hereinkam, erschrak. Sie deckte mich fest zu und schob mich in mein Zimmer.
Ich war erschöpft .
Am Bett meiner Zimmernachbarin saß deren Mann. Er hielt ihre Hand, redete leise mit ihr, streichelte ihr verschwitztes Haar aus der Stirn.
Zu mir kam niemand an diesem Abend, in dieser Nacht.
Meinen Kleinen brachten sie mir am nächsten Morgen für 10 Minuten.
Ich weiß noch er hatte so lange Fingernägel.
Ich hielt ihn ganz ruhig im Arm und sah ihn an. Mein Kind. So nah und doch noch irgend wie fremd und unbekannt.
Kurz darauf holte ihn die Schwester wieder ab. „ Bis heute Mittag, dann kriegen sie ihn wieder für 10 Minuten, sagte sie.
Ich war immer noch alleine.
Am 15. November morgens kam mein Ex-Mann, der Vater meines Sohnes.
„ Na siehste, ging doch,“ war sein erster Kommentar.
„ früher konnte ich nicht kommen“ .
Ich glaube, an diesem Tag habe ich, meinen Traum einer glücklichen Familie
begraben. Endgültig. Ganz begriffen und die Konsequenz habe ich erst viele Jahre später gezogen.

Immer noch sitze ich hier mit tränen nassen Augen, sehe das Ende des Films.
Das Neugeborene liegt friedlich im Arm seiner Mutter. Sie lächelt, ihr Mann streichelt abwechselnd die kleinen Hände seiner Tochter und die seiner Frau, seiner Liebsten.
Geborgenheit, Glück, eine kleine Familie –
kein Traum

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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