... um im Diesseits wieder zu erwachen. Man hatte sich
bei ihm bedankt, doch verflogen diese Gedanken wie Rauch. Irgendwann
war nichts mehr davon zu riechen oder sehen. Übrig blieb nur
eine innere Eiseskälte, die sich über das feine Gespinst
seiner Seele legte und ihn zu einem Eisblock in seiner eigenen
Umgebung machte. Freunde und Bekannte, für die er der Schuldige
am Unfall war, hatten sich von ihm abgewendet ... der Panzer aus Eis
in seinem Inneren hatte bereits an Substanz gewonnen. Engste
Vertraute, Arbeitskollegen mieden ihn, sie fühlten sich in
seiner Nähe unbehaglich und reduzierten den Umgang mit ihm auf
ein absolutes Minimum. Der Eismantel wurde noch dicker.
Letztendlich war es Caleb selbst, der fortan die
menschliche Umgebung mied. Er führte das Leben eines
Einzelgängers. Ein moderner Eremit und ein Stachel im
hochtechnisierten Fleisch der heutigen Gesellschaft. Ein Widersacher?
Nun, vielleicht. Doch war jener Wiederstand es Wert unterstützt
zu werden. Diese Einsicht kam schlagartig und traf ihn völlig
unvorbereitet.
„Du
bist ein Söldner im Auftrag des Herren. Nicht einer von Vielen,
sondern einer der Besten! Deinem Aufstieg in den Reihen der
himmlischen Heerscharen steht nichts mehr im Weg. Du solltest dir
dies immer vor Augen halten, egal ob diesseits ... oder jenseits!“
Er blickte nun doch nach oben, dem Engel in sein
marmorhaftes Gesicht, das nicht minder kalt und emotionslos war, wie
die winterliche Luft in der sie beide standen. Vor Stellas Grab.
Irrte er, oder regte sich doch in diesem Moment im Gesicht des
anderen etwas? Ein angedeutetes Lächeln, untermalt von einem
silbernen Glitzern in den ansonsten nachtschwarzen Augen?
„Du
hast uns geholfen und ein wertvolles Artefakt auf unsere Seite
geholt.“
Mit jedem Atemstoß, der Calebs Lungen verließ,
entstanden feine Dunstwolken vor seinen Lippen. Vor denen des Engels
war nichts. Nicht der Hauch von kaltem Nebel, der zu so früher
Stunde und bei derart kalten Temperaturen normal gewesen wäre.
Die Hand des Engels ruckte nach oben und war zur Faust geballt. Er
sah ihm die ganze Zeit in die Augen und Caleb hielt ihm die ganze
Zeit, wie unter Hypnose stand.
„Hier
ist ein ... Artefakt ... das
ebenfalls die Seiten gewechselt hat. Doch ist sein Zweck für
dich von größerem Wert, als er es auf der anderen Seite
jemals sein würde.“
Damit griff er nach der Hand des jungen Mannes, drehte
sie mit der offenen Handfläche nach oben, so daß das
schwache Glosen der Runen und Pentagramme zu erkennen war. Der
Gegenstand fühlte sich warm und wohltuend an. Er kitzelte ihn im
ersten Moment sogar ein wenig. Sein Blick löste sich von dem des
Engels, tastete den Inhalt seiner Handfläche ab und erstarrte
auf diesem.
„Sie
liebt dich immer noch sehr, Caleb. Und sie wird auf dich warten, so
lange es auch dauert. Verpatze es nicht und lebe dein Leben so lange
es dir vergönnt ist.“
„Aber ... das ...“
Er war alleine, stieß grauen Dunst aus und drehte
sich dabei einmal um die eigene Achse. Er war alleine und hielt den
silbernen Kreuzanhänger Stellas in Händen. Die feine
Silberkette lag zusammengerollt, wie eine glänzende Spirale,
darunter. Mehrere kleine rote Steinchen waren darin eingelassen. Er
hatte ihr diesen Anhänger am Tag der Beerdigung in die Hand
gelegt, damit er ihr auf der anderen Seite Glück bringen und sie
trösten würde, sollte sie einmal traurig sein. Ja, in die
Hand hatte er ihr diesen Umhänger und die Kette gelegt, da man
davon abgeraten hatte, sie um den Hals zu legen. Selbst die Künste
eines Bestatters kannten Grenzen, die man ihn ganz gewiß nicht
überschreiten lassen wollte. Seine Gedanken überschlugen
sich.
„Sie ist nicht traurig. Ihre Liebe gibt ihr Kraft
und Stärke, damit du deinen
begonnenen Weg zu Ende gehen kannst. Wir sehen uns
wieder,
Caleb! Wir sehen uns wieder. Schon bald!“
Einem Flüstern gleich verschwand die Stimme in
seinem Kopf so rasch, wie sie erschienen war. Es war alles gesagt.
Für den Moment ...