Volker Krauleidis

From Aranmore to Derry


In der Spätsaison des Jahres 2005 hatte ich mich wieder einmal nach Donegal begeben, diesmal zog es mich auf Aranmore. Aranmore ist eine Insel vor dem Fischereihafen Burtonport. Nach wenigen Wochen gingen meine finanziellen Vorräte zur Neige. Aufgrund meines Geldmangels wollte ich eigentlich zurück nach Deutschland, doch machte ich dann eine Zufallsbekanntschaft. Nach einer durchzechten Nacht mit den neuen Bekannten machte man mir das Angebot, beim Hausbau mitzuhelfen. In Irland wird nach wie vor sehr viel in Eigenarbeit "gewerkelt". Die Eltern meiner Gastgeber hatten bereits ein Haus auf Aranmore, so daß ich dort schlafen konnte. Ich sagte zu, war dies doch eine Möglichkeit, noch länger bleiben zu können.

Es gab Unterkunft, Essen und natürlich Guiness umsonst. Sogar etwas "Taschengeld". So raffte ich mich nach Jahren der Abstinenz wieder einmal zur körperlichen Arbeit auf. Ungewohnt war der Übergang, die neue Arbeit machte mir Anfang sehr zu schaffen. Indessen wurde ich nicht enttäuscht. Keine Diskotheken, keine Touristen und ansonsten einsame Hügel und Strände. Selbst das Schreiben war möglich, eine alte Reiseschreibmaschine wurde aufgefunden, hinsichtlich Computer leider Fehlanzeige. Eine neue, alte Erfahrung, auf diesen kippeligen Dingern auf die Typen einzuhämmern. Gemeinerweise gibt es keinen Cursor, den man zurücksetzen könnte. Was für eine Quälerei im Vergleich zur Benutzung eines PC es doch war ...

Etwas gewöhnungsbedürftig war die Oma meiner Gastgeber. Sofort nach Eintreten teilte sie mir mit Befehlsstimme mit: " We are non - smokers!". Ich hatte nie Probleme, das Rauchen über Stunden oder Tage sein zu lassen, so stellte die Anforderung der alten Dame kein Hindernis dar. Allerdings "traktierte" sie auch ihre Verwandten mit ihrer Jagd auf Raucher. Als Fionnuala, die Schwester meiner neuen Freunde, nach Hause kam, intonierte sie mit Anklägerstimme: "Fionnuala, you `ve been smoking, I can smell it distinctly". Fionnuala's Ehemann entgegnete: "You arer a bit crotchety an bad - tempered". Sie allerdings kam nun  erst richtig in "Fahrt": "What on earth do you mean by making such insolent remarks about my beeing crotchety and bad - tempered. If there is one thing I pride myself on, it is my control of temper". - Aha -. Also Kabale und Liebe auch in Donegal...

Die alte Dame erwies sich trotz ihres standhaften Hasses auf Raucher als wahrhaftes "Goldstück". Ihr Frühstück (Eier, Speck, Würste, Seetang, Fisch) würde ausreichen, um zehn Schwerathleten zu sättigen. Ihre aufrichtige Freundlichkeit hat mich litauo-pfälzisch- Zeitberliner immer wieder tief beeindruckt.

Auch auf dieser Insel stehen die "Zeitmaschinen". Ich meine die seit Jahrzehnten leerstehenden Häuser. Nahezu unberührt sind sie, die Eingangstür offen. Ich erblicke ein Kaminzimmer, die Zeitungen liegen noch auf dem Tisch, 1994 kann man lesen. Die Wände sind sehr niedrig, alles ist sehr klein gehalten, fast wie eine Puppenstube.

Die Einrichtung ist sehr altertümlich. Im Wohnzimmer Besteck, Tassen, niemand hat auch nur eine Tasse fortgenommen. Wäre nicht die Feuchtigkeit schon eingedrungen, lösten sich nicht schon die Tapeten, man meinte, die Bewohner kämen gleich herein. Ein altes Ehepaar lebte und starb hier. Weiter hinten das Bad ... eine kleine Wanne ... selbst der Rasierapparat des Mannes ist noch in dem winzigen Spiegelschränkchen zu finden ... es kleben noch Haare daran. Ich gehe weiter, die Luft schmeckt nach ihrer jahrzehntelangen Vertrautheit. Ihr Geruch ist noch wahrnehmbar, ich fühle mich als Eindringling...Alles ist ansonsten gut erhalten, ich setze mich an das kleine Tischchen, rauche eine Zigarette. Ein Augenblick Illusion, ungewohntes Gefühl des Daheimseins, woher mag es rühren? Ich sehe die ehemaligen Bewohner auf einem kleinen Bild. Sie schauen mich an, "Young man, an Irishman's heart is nothing but his imagination", raunen sie mir, Shaw zitierend, zu. Sie sind beide kurz hintereinander gestorben, erzählte mir der Wirt im Pub. Die Kippe ist aufgeraucht, die letzten Rauch - und Phantasieschwaden werden vom wuchtigen Schwert der Realität durchtrennt. Etwa 40.000 Euro trennen mich von diesem Puppenstubentraum.Ich habe sie nicht, habe damals alles verjuxt, als ich meine Träume noch unter Halden von Chantré - Flaschen begrub.

Mir bleibt nur eine Miniatur, die ich beim Trödler erstand, Häuschen hinter Glas, erinnert mich an die Superman Comics der Kindheit. Superman hatte eine ganze Stadt in einer Flasche, von seinem Heimatplaneten Krypton. Er konnte sich jederzeit in diese Flasche und damit nach Kandor projezieren. Da aber Superashole dies nicht kann, setzt er sich in seinem Ford und umrundet die Gegend. Wieder und wieder, dann wider und wider ... is the battle lost or won?

Das Häuslebauen fand seinen glücklichen Abschluß, mich zog es weiter. Um mich langsam an die Großstadt zu gewöhnen, beschloss ich, in Richtung Derry zu fahren. Es gibt inzwischen keinerlei Grenzkontrollen mehr, ohne es überhaupt zu realisieren, ist man in Nordirland. Das Gras ist grün und die Kühe blicken auch nicht anders als in der Republik ...

In Derry wird es unangenehm, aufgrund der zahlreichen "roundabouts" , eine Art Verkehrskreisel. Die Richtung wird einem erst angezeigt, wenn man schon die falsche Abzweigung genommen hat. So fuhr ich gar munter den beknackten Kreisel ab und landete dann in einer Arbeitersiedlung. Hier nun "Hardcore- Derry", umgekippte Mülltonnen, Besoffene und an nahezu jeder Wand "IRA". Dort erblicke ich die Aufforderung: "Schlachtet die Engländer!" Andererseits findet man Wandkritzeleien, die nachdenklich machen.

"There is so much good in the worst of uns, and there is so much bad in best of us, that it ill beseems any of us to find any fault with the rest of us". Und daneben: "There was an old girl with a fan, whon belonget to a famous Scots clan. When they said, You are undraped, she replied , I am shaped so as wear as few clothes as I can". Ich habe mir einige Sachen notiert, auf deutschen Wänden finde ich so etwas selten.

Diese Umgebung hat so gar nichts vom ländlichen Irland. Sie erinnert eher an die Schmuddelecken von London. Nur insonah findet sich eine Beziehung zu der aufgezwungenden Bezeichnung "Londonderry". Diese Bezeichnung sollte man indessen hier nicht verwenden ... very dangerous indeed ... beware of the german education ...

Im Pub wird bestätigt, daß hier eine Nähe zu IRA besteht. Ein bärtiger Glatzkopf setzt sich neben mich, auf seinem Arm eine fette "Ireland forever" Tätowierung.

"Are you a tourist?"

"Yes, today I m a tourist"

"What means today?"

"I working in Ireland, but today I want to see Derry and maybe the Giant's Causeway"

"Why maybe?"

"Because of the fucking roundabouts in Derry, I always drove the wrong way"

"Oh yeah, I know this, I hate the roundabouts too" "Where are you come from?"

"Germany"

"Oh, I like the germans, they fucked the british in world war two"

"You don't like the british, I think"

"I hate them, they treat irish people like animals"

So hetzt er über die Engländer, dann bekräftig er seine Bewunderung für die IRA.

Merkwürdig dann im Zusammenhang seine Verbundenheit mit der Religion. Fast im Sinne des Wortes (religio = rückverbinden).

"As for me, I 've done my best to be an honest, straight living man; an I 've no doubt the Lord knows that as well as I do"

Rodney, heißt er, "Roddy" erzählte mir noch sehr viel mehr von seinem Leben, wir tranken unzählige Runden Guiness. Wir verglichen unsere Tätowierungen (habe in der Jugend zahlreiche anbringen lassen), er sagte: "Genauso beschissen wie meine!". Dann ging er über zu den Fachgebieten "Ficken" und "Saufen", er hatte einiges zu erzählen, mit Einzelheiten werde ich mit Rücksicht auf die Leser nicht aufwarten. Natürlich schaffte ich es ob der Sauferei nicht zum Giant's Causeway. Da ich zu besoffen war, bot er mir an, bei ihm zu schlafen. Er arbeitet, wie seine Frau, in einem Krankenhaus. Daher muß er früh raus, armer Kerl, mit der Birne! So war ich nach dem Aufwachen allein, erstaunlich, wie viel Vertrauen man einem Fremden schenkt. Ich sehe mich um, ein Videorekorder, darauf liegt eine Cassette. Unglaublich! Ein Pornofilm, ich meine, ein deutscher Pornofilm! Wie kommt das Ding nach Derry? Auf der Rückseite lese ich den sinnigen Text: "Herrliche Großaufnahmen der Saftvotze". Der is' ja na echte Sau, der Roddy! Da ich weiter fahren will, verzichte ich auf den Genuß des Werkes made in germany ... ein letzter Blick ... Tür zu.

Und die Nichtmoral von der Geschicht: Es ist gar kein Problem, in Derry in einer Arbeitersiedlung in eine Kneipe zu gehen. Manche Leute mögen versoffen sein, aber sie sind keineswegs wahllose Schläger. Roddy war zudem, trotz seiner derben Sprache, eine Höflichkeit eigen, die man bei deutschen "Prolls" nicht findet.

Nun, zum Giant ś Causway hat es dann doch nicht gereicht. Was soll's, sieht eh' aus wie eine gigantische Dildosammlung! Da ich schon mal dort war, kenne ich den Anblick, auf den Bildern der Touristenführer sehen die Steinchen immer so erhaben aus...

Nach diesen Erlebnissen beschloß ich, einen weiteren Teil meiner Ersparnisse "auf den Kopf zu hauen. Ich beschafte mir Geld, dann fuhr ich wieder zurück nach Donegal.

In Letterkenny besuchte ich am Abend ein Pub. Immer wieder erstaunlich ist in Irland der Umgang mit sogenannten Behinderten. Bei den Musikdarbietungen, bei denen jeder etwas vortragen darf, werden auch sie einbezogen.

So erlebte ich ein Kind mit "Down - Syndrom", es griff sich das Mikrophon und legte los: "Urrgh, ga, ähh, uhh", er zappelte und sabberte sich voll. Er war sichtbar glücklich in diesem Moment. Ein Ausgrenzen oder Weggucken gab es nicht. Das arrogante Geschwätz vieler "Normalmenschen", daß so ein Leben "nicht lebenswert" sei, wurde durch die wahrhafte Lebensfreude des kleinen Seamus als verbaler Scheißhaufen entlarvt. Beindruckender Konsens wider die sozialdarwinistischen Thesen des parteimäßig organisierten Somnambulismus (schöne Bezeichnung von Benn) der N - Parteien. Wider eine wahrhafte Spießigkeit, die nur ihren eigenen Lebenszuschnitt gelten lassen will. Darum: " "Urrgh, ga, ähh, uhh", als unsere Hymne, und wer dagegen ist, der spreche jetzt oder aber fresse auf ewig Scheiße ... Möge es so bleiben, wie ich es erlebte, trotz des nun eingetretenen Wohlstandes.

Bald würde ich wieder nach Berlin müsssssen, denn dort ist das Geld für mich schneller und einfacher zu verdienen. So langsam wird es hier unbequem, ein wenig Geld muß ich auf dem Konto belassen. Ich stehe vor dem Supermarktregal: "Beef or not beef", das ist hier die Frage! Da aber Dosenbeef am günstigsten ist, gilt auch bei der X hoch nten Dose: "Beef  is believe!". In meinem Geiste sehe ich meine Mutter, sie thront auf den über den Beefdosen befindlichen Vitamintabletten (wie passend): "Junge, ernähre dich nicht so einseitig", nörgelt sie. Ich erinnere mich dunkel, daß ich erwachsen bin und mein Leben ganz toll im Griff habe. Besonders stolz bin ich auf meine überragende Fähigkeit, mit Geld umzugehen. Darum entgegne ich heldenhaft: "Halt's Maul, Mamma!" Draußen heißt es Dose auf und Helm ab zum Gebet: "Oh Vater unser, du gibst mir mein täglich Beef auch heute ... und außer an Verstand wird 's  mir an nichts mangeln.

Nun, ich bin selbst schuld, völlig richtig! Ich lebe exzessiv, doch sei es drum, jeder Atemzug hier zählt für 1.000 in meinem Berliner Schließfach, bebeef me ... kommt doch, ihr Unseligkeiten, leckt mich am Arsch .. beef für den Sensenmann ...

Am nächsten Tage fuhr ich nach Killybegs, leider trank ich dort zuviel. Ich mußte doch nach Letterkenny. Beim Anlassen des Motors fällt mir auf, daß meine Brille entzwei gegangen ist. Bekotztverflucht! Da ich sie doch für das Auo, äh, Autotfahren benötige, sehr ärgerlich. In zwei Teilen liegt sie nun vor mir, natürlich habe ich keine Ersatzbrille. Na gut, it could be worse, denke ich, binde mir das Gerät mit Bindfaden zusammen und platziere es auf meiner Nase. Während der Fahrt zwickt es höllisch, der Brillenrest kippt und dreht sich. Dieser Umstand und die sieben Guiness erschweren die Fahrt doch ein wenig. Ich muß tanken, fahre die meinem Begehr entsprechende Zapfsäule an, walze sie fast um. Beim Bezahlen starrt der Mann an der Kasse das auf meiner Nase befindliche Kunstwerk an, verliert aber kein Wort. Neben mir biegt ein Wagen der Garda (Polizei) ab, sie bemerken offenbar nichts.

Policeman! Policeman! Don't tuch me! I'm drunken, but I have no wife and no family! Don 't accuse me! Remember: Dancing Dolly had no sense! She bought a fiddle for eighteen pence! But not me .. For I ' m a jolly good fellow ... a jolly good fellow ... alltogether now ...

Ich Jolly - Good - Fellow habe Glück, die Garda - Figuren sind nicht an mir interessiert. So erreiche ich vielleicht doch noch Letterkenny. Ich habe mich verfahren, but wherethefuckisletterkenny. To Hell or to Letterkenny! (in Abwandlung eines Cromwell zugeschriebenen Ausspruchs). Ihr besoffenen autofahrenden Mannen, folgt mir, auf Tod oder Sieg, auf Ehre oder Kollision mit einem Mülleimer ... as you like it ... für Irland ... für die Ehre ... laber ...

Das in Aussicht genommene, schmachvolle Ende blieb mir allerdings erspart, ich erreichte Letterkenny zu meiner Verwunderung doch noch (Ausrufezeichen). Nun möchte ich nur noch in mein Bett. Und morgen?

Mal sehen, wie lang das Geld noch reicht...

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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