Julia Russau

Beate und Tom

 
 
Beate
 
Ich stehe in der Küche und fülle Pfirsichcreme in kleine Schälchen. Tom sitzt im Wohnzimmer
am Tisch und trinkt Cognac. Seine Mutter steht neben ihm und stapelt die dreckigen Teller aufeinander. Nebenbei tätschelt sie seinen Arm.
Tom hätte Koch werden sollen, hat sie vorhin beim Essen gesagt. So wie sein Vater. Der war Koch und hatte eine eigene Gaststätte, in der sie Samstags sogar Karten spielten und manchmal auch Klavier. Und weil Tom kein Koch werden wollte, sondern lieber studierte, musste sie die Gaststätte verkaufen und jetzt befindet sich dort ein Bordell, in dem die Frauen hohe Schuhe tragen und manchmal auch eine Peitsche in der Hand.
Ich lege den Löffel beiseite, stelle die Schälchen auf ein Tablett und gehe zurück ins Wohnzimmer. Tom sieht kurz zu mir auf und nippt dann weiter an seinem Glas. Seine Mutter lässt sich erschöpft auf einen Stuhl sinken. Ich verteile die Schälchen und setze mich zu ihnen.
Tom erzählt von seiner Arbeit in der Kanzlei. Seine Mutter lächelt und sagt, die Pfirsichcreme sei ausgezeichnet. Sie drückt seine Hand. Tom erwidert ihr Lächeln und macht ihr ein Kompliment. Sie reden ein Weile über Pfirsichcreme und seine Mutter meint, als Kind hätte sie sehr gerne Pfirsiche gegessen. Überhaupt sei Obst für Kinder sehr wichtig. Und wenn sie Enkel hätte, dann würde sie mit denen zum Markt fahren und Sonntags auf den Bauernhof. So wie ihre Nachbarin. Die hat drei Enkelkinder und geht mit denen am Wochenende zum Reiten. Tom legt die Stirn in Falten und schaut zu mir herüber. Ich schaue zurück.
Ich sammle die leeren Schälchen ein und bringe sie zurück in die Küche. Tom schenkt sich Cognac nach. Seine Mutter nimmt von dem Wein und prostet ihm zu. Das haben sie früher auch immer gemacht, seufzt sie. Da haben sie in der Gaststätte gesessen und Geburtstag gefeiert. Oder Hochzeitstag. Und die Leute sind vorbeigekommen und haben sich gefreut. Weil Heiraten etwas Schönes ist. Und manchmal haben sie auch etwas geschenkt. Weil auch Schenken etwas Schönes ist. Und wenn Tom nicht so weit weg wohnen würde, dann würde sie ihm öfters etwas schenken. Aber sie fährt nicht gerne alleine mit dem Bus. Schon gar nicht in die Stadt hinein. Die Stadt ist viel zu gefährlich.
Ich gieße mir Wein in mein Glas und nehme einen großen Schluck. Tom steht auf und schaltet Musik ein. Dann stellt er sich ans Fenster und schaut nach draußen. Manchmal würde er auch lieber auf dem Land wohnen, meint er. Seine Mutter strahlt. Ich trinke mein Glas in einem Zug leer, nehme die Flasche und schenke nach.
Tom dreht sich vom Fenster weg und setzt sich auf die Couch. Seine Mutter setzt sich neben ihn. Am Wochenende war sie mit einer Freundin am See spazieren. Ihre Freundin hat einen lahmen Arm, weil sich ein Nerv verklemmt hat. Das ist im Alter so, sagt sie. Wenn man nicht aufpasst, dann geht das ganz schnell und schon läuft man am Stock oder sitzt im Rollstuhl und plötzlich ist niemand mehr da, der einem den Einkauf trägt oder gar von hinten schieben will. Seufzend faltet sie ihre Hände im Schoß.
Tom stellt sein Glas auf den kleinen Tisch zu seiner Rechten und legt seinen Arm um ihre Schulter. Seine Mutter seufzt noch einmal, drückt seine Hand, steht schließlich auf und bringt die aufgestapelten Teller zurück in die Küche. Ich höre wie sie den Geschirrspüler füllt.
Tom sieht schweigend zu mir herüber. Ich trinke Wein.
Ich frage mich, wann Tom das letzte Mal seinen Arm um meine Schulter gelegt hat. Nicht nur einfach so, sondern weil er mich gerne im Arm hält und Angst davor hat, ich könnte ihm ansonsten verloren gehen. Ich glaube, das muss schon sehr lange her sein. Zumindest kann ich mich nicht mehr daran erinnern.
Ich trinke den Wein aus, stehe auf, gehe ins Bad und schließe die Tür hinter mir zu. Eine Weile betrachte ich mein Gesicht im Spiegel. Ich weiß nicht, ob ich gut aussehe. Oder ob Männer mich attraktiv finden. Ich war schon lange nicht mehr aus. Tom arbeitet sehr viel und meine Freundinnen bleiben inzwischen nach der Arbeit lieber zu hause, um mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Tom will keine Kinder. Und eigentlich wollte ich auch nie welche. Zumindest habe ich das immer gedacht. Inzwischen bin ich fünfunddreißig.
Ich wende mein Gesicht vom Spiegel ab und wasche meine Hände mit Seife. Von draußen klopft es an die Tür. Ich drehe den Schlüssel um und Tom steht im Flur und meint, seine Mutter würde gleich gehen. Um die Jahreszeit wird es früh dunkel und die Busse auf dem Land fahren nur selten. Außerdem hat er noch einen Stapel Arbeit im Büro, der heute erledigt werden muss.
Ich nicke kurz und schiebe mich an ihm vorbei in den Flur. Seine Mutter bindet sich bereits die Schuhe. Tom hilft ihr in den Mantel und umarmt sie. Sie streicht mit den Fingern über seine Wange, rückt ihren Hut zurecht, zieht sich Handschuhe über und gibt mir flüchtig die Hand. Tom bringt sie zur Tür und winkt ihr noch eine Weile nach. Ich lehne mich gegen die Wand und beobachte ihn. Er schließt die Tür und dreht sich um. Einen Moment lang schaut er mich an und für einen kurzen Augenblick habe ich dieses warme Gefühl in meinem Bauch. Ich will zu ihm rüber und ihn an mich drücken. Aber ich bewege mich nicht. Irgendwie bin ich viel zu müde.
 
Tom
 
Ich sitze im Wohnzimmer und trinke Cognac. Meine Mutter steht neben mir und stapelt die dreckigen Teller aufeinander. Nebenbei tätschelt sie meinen Arm. In der Küche höre ich Beate mit Schälchen klappern.
Meine Mutter meint, ich hätte Koch werden sollen. Das sagt sie ständig. Mein Vater war Koch und hatte früher eine eigene Gaststätte. Draußen auf dem Land. Heute befindet sich in dem Gebäude ein Bordell.
Mein Vater ist vor drei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben und die Ärzte sagen, das wäre kein Wunder, schließlich hätte er sich ungesund ernährt und wäre außerdem viel zu fett gewesen. Meine Mutter meint, die Ärzte hätten keine Ahnung, weil Fett früher etwas ganz Besonderes war und ihre Eltern froh gewesen wären, so fett sein zu können wie mein Vater es war. Fett bringt einen doch nicht um, hat sie gesagt und deshalb geht sie auch nur noch selten zum Arzt, weil sie glaubt, die würden ihr Unsinn erzählen.
Beate kommt aus der Küche zurück ins Wohnzimmer. In ihren Händen hält sie ein Tablett auf dem Schalen mit Pfirsichcreme stehen. Ich nippe erneut an meinem Glas und beobachte sie. Ihre Haare sind hochgesteckt. Früher hat sie die Haare meistens offen getragen.
Meine Mutter lässt sich erschöpft auf einen Stuhl sinken. Beate verteilt die Schälchen und setzt sich ebenfalls.
Ich erzähle ein wenig von meiner Arbeit und meine Mutter lächelt und meint, die Pfirsichcreme sei ausgezeichnet. Sie drückt meine Hand. Ich lächle zurück und sage, dass mir ihr Essen immer noch am besten schmecken würde. Eigentlich esse ich am liebsten unten beim Italiener, aber das könnte ich ihr nie sagen, sonst würde sie anfangen zu jammern und das wäre unerträglich.
Wir reden eine Weile über Pfirsichcreme und meine Mutter meint, als Kind hätte sie sehr gerne Pfirsiche gegessen. Überhaupt sei Obst für Kinder sehr wichtig. Und wenn sie Enkel hätte, dann würde sie mit denen zum Markt fahren und Sonntags auf den Bauernhof. So wie ihre Nachbarin. Die hat drei Enkelkinder und geht mit denen am Wochenende zum Reiten. Beate legt ihre Stirn in Falten und schaut zu mir herüber. Ich schaue zurück.
Beate sammelt die leeren Schälchen ein und bringt sie zurück in die Küche. Ich schenke mir Cognac nach. Meine Mutter nimmt von dem Wein und prostet mir zu.
Sie erzählt von der Gaststätte und dass wir dort früher Geburtstag gefeiert hätten. Oder Hochzeitstag. Und die Leute aus dem Ort wären vorbeigekommen und hätten sich gefreut. Weil Heiraten etwas sehr Schönes sei. Außerdem bekäme man viele Geschenke.
Beate setzt sich wieder dazu und öffnet eine neue Flasche Wein. Ich mag ihre schlanken Hände. Und manchmal habe ich darüber nachgedacht ihr einen Ring zu schenken, weil der an ihrer Hand sehr schön aussehen würde. Aber Beate ist eigentlich viel zu unabhängig, als dass man ihr einen Ring schenken sollte. Und eigentlich geht es uns doch auch so ganz gut.
Ich stehe auf, schalte Musik ein und stelle mich ans Fenster. Draußen regnet es. Ich schaue die Straße entlang und beobachte die Autos, wie sie sich langsam über die Kreuzung schieben. Ich muss nachher noch einmal ins Büro. Hoffentlich hat sich der Stau bis dahin aufgelöst. Manchmal würde ich auch lieber auf dem Land wohnen, sage ich laut.
Ich drehe mich vom Fenster weg und setze mich auf die Couch. Meine Mutter setzt sich neben mich. Sie erzählt ein wenig von ihrer Freundin. Die hat jetzt einen lahmen Arm. Ich denke an die Aktenberge auf meinem Schreibtisch. Meine Mutter fängt an zu seufzen und faltet ihre Hände im Schoß.
Ich stelle mein Glas auf den kleinen Tisch neben der Couch und lege meinen Arm um ihre Schulter. Meine Mutter seufzt noch einmal, drückt meine Hand, steht schließlich auf und bringt die aufgestapelten Teller zurück in die Küche. Ich höre wie sie den Geschirrspüler füllt.
Beate trinkt Wein und sieht schweigend zu mir herüber. Sie hat bisher kaum ein Wort gesprochen und ich frage mich, ob sie verärgert ist. Beate sieht heute sehr hübsch aus. Sie hat ein neues Kleid an und am liebsten würde ich sie küssen. Aber ich glaube nicht, dass sie das mag. Wir haben uns schon sehr lange nicht mehr richtig geküsst. Manchmal habe ich Angst, ich könnte sie an einen anderen verlieren.
Beate trinkt ihren Wein aus, steht auf und geht ins Bad. Ich trete wieder ans Fenster und beobachte, wie der Regen draußen aufs Fensterbrett prasselt. In der Scheibe spiegelt sich mein Gesicht. Ich sehe ziemlich kaputt aus und die Haare auf meiner Stirn werden langsam dünn. In der Kanzlei arbeitet einer, der ist genauso alt wie ich und hat bereits eine Glatze. Aber er sagt, das wäre eigentlich ganz praktisch, weil er drei Kinder hat und keine Zeit sich auch noch um seine Frisur zu kümmern. Ich weiß nicht, ob Beate Kinder will. Ich glaube nicht, dass sie das möchte, aber ehrlich gesagt, habe ich sie auch noch nie danach gefragt.
Meine Mutter steht plötzlich hinter mir und meint, sie würde jetzt gehen. Um diese Jahreszeit wird es früh dunkel und der Bus auf dem Land fährt nur einmal pro Stunde. Und überhaupt sei das Leben doch viel zu gefährlich, um im Dunkeln die Straße entlang zu gehen. Gerade wenn man alt ist und dazu noch alleine.
Ich nehme ihre Tasche und packe ihre Sachen zusammen. Die Tasche stelle ich in den Flur und sage anschließend Beate Bescheid. Meine Mutter schnürt ihre Schuhe. Ich helfe ihr in den Mantel, umarme sie kurz, sie streicht mit den Fingern über meine Wange und rückt ihren Hut zurecht. Dann streift sie sich ihre Handschuhe über und reicht Beate flüchtig die Hand. Ich bringe sie zu Tür und winke ihr nach. Innerlich freue ich mich, dass sie endlich geht.
Beate steht hinter mir. Sie lehnt an der Wand und beobachtet mich. Ich schließe die Tür, drehe mich zu ihr um und betrachte sie. Beate sieht umwerfend aus und am liebsten will ich ihr sagen, wie umwerfend sie aussieht und dass ich heute hier bleiben möchte, um den Abend mit ihr im Bett zu verbringen. Aber ich kriege keinen Ton über die Lippen. Irgendwie bin ich viel zu müde.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.

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