Rabenschwarz war die Nacht, kein Stern und auch nicht der Mond war zu sehen. Langsam zog eine graue Wolkendecke die von einem schwachen Wind getrieben wurde, übers Land hinweg. Während die Menschen die in wohlig warmen Häuser lebten, tief und fest in ihren Betten schliefen und die schönsten Träume träumten. Und so bemerkte auch niemand dass plötzlich etwas aus einer Wolke hervortrat, das winzig klein und mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Es handelte sich um ein kleines Schneeflöckchen dass schwerelos, ohne Hast und weiß wie eine Ballerina gekleidet, Richtung Erde hinabschwebte.
*
Ganze alleine, nur vom sanften Wind umspielt, flog das Flöckchen durch die Nacht und fing freudig an zu tänzeln. Übermütig drehte es sich um die eigene Achse, überschlug sich über Kopf, hüpfte Hoch und Runter, von Links nach Rechts und das immer und immer wieder. Solange, bis es ihm keinen Spaß mehr machte und ein Gefühl von Einsamkeit aufkam. Es wollte nicht mehr länger alleine Tanzen, sondern es sehnte sich nach seinen Brüdern und Schwestern, die hoch oben in den Wolken warteten und sich noch nicht hinaus getrauten.
Und so blickte es zu der Wolkendecke hinauf, suchte nach einem Zeichen dass endlich auch die anderen zum Tanzen kommen würden. Doch es regte sich nichts, kein Brüderchen und kein Schwesterchen schwebte herab und es schien, als ob das kleine Flöckchen alleine bleiben würde. So senkte es traurig seinen Blick, schwebte ohne jegliche Freude weiter zur Erde hinab und bemerkte nicht, dass sich sehr wohl was in den Wolken regte.
*
Zuerst waren es nur wenige. Nicht mehr als zwanzig Flöckchen, die sich zögernd aus den Wolken hervorgetrauten. Jedoch vermehrte sich diese Zahl rasendschnell, wagten sich immer wie mehr Schneeflocken in die Nacht hinaus und bald waren es so viele, dass man sie gar nicht mehr zählen konnte. Dabei glich kein Flöckchen dem anderen, konnte man große und kleine entdecken, wie auch welche die eher dicklich oder gar hauchdünn geraten. Und jedes trug ein anderes wunderschönes weißes Kleid, das mit einem feinen und einmaligen Muster verziert war. Doch von all dem was sich über ihm abspielte, bekam das kleine Schneeflöckchen nichts mit, da es immer noch traurig seinen Blick gesenkt hatte. Erst als ein paar seiner Brüder und Schwestern neben ihm herabschwebten, bemerkte es dass es nicht mehr länger alleine war. Vollkommen überrascht schaute es zu den Wolken hoch, sah wie immer wie mehr seiner Artgenossen zu ihm herabschwebten, und es konnte sein Glück gar nicht fassen. Endlich war sein sehnlichster Wunsch wahr geworden, musste es nun nicht mehr länger alleine tanzen. Auf einen Schlag war die ganze Traurigkeit und das Gefühl der Einsamkeit hinweggefegt, machte Platz für eine pure Freude die sich nicht in Worte fassen lässt. Quietschfidel schwebte das Flöckchen auf und ab, von hier nach dort und wieder zurück, um sich schlussendlich seinen tanzenden Geschwistern anzuschließen. Es bildete sich ein wildes Treiben, so schön und voller Lebensfreude, dass sogar die Neugierde des Mondes geweckt wurde.
*
Ohne Mühe, schob der Mond die Wolken beiseite um einen freien Blick auf jenes ungestüme Spektakel zu erhalten. Und noch während seine strahlende Erscheinung hinter der Wolkendecke hervortrat, tauchten auch schon die ersten Sterne auf. Denn auch sie waren neugierig, wollten wissen was da draußen vor sich ging und wer da so wild und lebensfroh umhertanzte. So erschien ein Stern nach dem anderen, bis der ganze Himmel von ihnen erfüllt war und egal wo man hinschaute, überall entdecke man einen noch schöneren Stern. Da gab es welche die hell und durchdringend leuchteten, oder solche die schwach flimmerten, während andere sich einen Spaß daraus machten und sich hinter vorbeiziehenden Wolken versteckten, nur um verschmitz dahinter hervorzuschauen. Jedem einzelnen Stern, egal ob nun groß oder klein, alt oder jung, war der Schalk überdeutlich anzumerken. Doch wussten sie alle, dass der Mond sie jederzeit im Auge behalten würde und liebevoll, aber auch streng über sie wachte. Wie ein Schaffshirte der auf die Herde aufpasste, blickte der Mond auf seine Sterne herab und sorgte dafür, dass sie es nicht zu wild trieben. Zugleich, fingen alle Schneeflocken im aufkommenden Licht des Mondes und der Sterne zu glitzern an. Und so kam es, dass alle Flocken plötzlich schönsten Diamanten glichen, die schwerelos zur Erde herabschwebten.
*
Ohne Pause schwebten immer wie mehr Schneeflocken vom Himmel herab, bis das ganze Land mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war. Jeder Baum, von der alten großen Tanne bis hin zu der im Winter blätterlosen Eiche, wurde weiß eingefärbt. Aber auch alle Häuserdächer, egal ob krumm oder gerade, alt oder neu, wie auch die unzähligen Strassen die durch Stadt und Land führten, wurden vom Schnee zugedeckt. Auch jene große Weide, die zwischen dem dunklen Wald und einem nahe gelegenen Dorf lag, war in weißestes Weiß getaucht. Und genau unter dieser Weide lag eine kleine Höhle, die angefüllt mit Grünzeug und Blättern war und in deren Ecke, ein kleiner Hase schlief. Sein braunes Fell war buschig und aufgeplustert, wobei ein wolliges weißes Stummelschwänzchen sich leicht daraus abhob.
Den Kopf, mitsamt seiner langen Ohren, hatte der kleine Hase in seinem Fell vergraben und sich so zusammengerollt, dass er sich selber dadurch wärmte. Tief und Fest schlief er, wobei man ab und zu sogar ein leichtes Schnarchen hören konnte. Doch plötzlich erklang von außen ein Rumsen und die Erde erbebte kurz, wodurch der kleine Hase aufgeweckt wurde. Zuerst richteten sich das Linke und dann das Rechte Ohr auf, während er langsam seinen Kopf aus dem Fell hervorzog. Noch vollkommen verschlafen, die Äuglein noch halb zu, blickte er sich um und konnte sich dabei ein lang gezogenes Gähnen nicht verkneifen. Er lauschte angespannt in die Dunkelheit hinein, um herauszufinden woher dieser Knall und jene Erschütterung gekommen waren. Doch es blieb Still um ihn herum. und auch nach mehreren Minuten war noch immer nichts zu hören. So kam der kleine Hase zu dem Entschluss, dass er sich das ganze wohl nur eingebildet oder gar nur geträumt hatte. Und gerade als er sich wieder zusammenrollen wollte um weiterzuschlafen, da hörte er erneut etwas.
*
„Hilfe“ ertönte ein leises, sanftes und ängstlich klingendes Stimmchen. Der kleine Hase schreckt sofort auf, blickte nervös von links nach rechts, rauf und runter und auch hinter und vor sich. Doch er entdeckte niemanden, nirgends war jemand zu sehen von dem dieses „Hilfe“ stammen könnte. Er verstand die Welt nicht mehr, denn wie konnte er eine Stimme hören, wenn da ja gar niemand war? Nachdem er lange hin und her überlegt hatte, kam er abermals zu dem Entschluss dass er sich das ganze eingebildet hatte, wie auch schon den Knall und das erbeben der Erde vorhin. So beschloss er sich so schnell wie möglich wieder hinzulegen und weiterzuschlafen, wobei er sich zuerst noch einen kleinen Happen gönnen wollte. Noch immer schläfrig, hoppelte er zu dem Grünzeug und den Blättern hinüber, die er allesamt im Sommer gesammelt hatte und die ihm nun als Winternahrung dienten. Kaum war er dort angekommen, biss er beherzt in ein nicht mehr ganz grünes Blatt hinein und knabberte genüsslich dran rum. Und gerade als er die vorangegangenen Erlebnisse fast schon vergessen hatte, ertönte abermals jenes „Hilfe“ und diesmal klang es noch ängstlicher als zuvor.
*
Nun war sich der kleine Hase sicher. Er hatte sich das ganze nicht eingebildet und ein Traum war es auch nicht gewesen, denn für das hatte er dieses „Hilfe“ nun zu klar und deutlich gehört. Doch konnte er sich immer noch nicht erklären von wem dieser Hilferuf stammte, wobei er sofort angestrengt und konzentriert darüber nachzudenken begann. Er brauchte eine Weile, bis ihm endlich die Antwort in den Sinn kam dass jener Hilferuf wohl von außerhalb kommen müsste. Denn wenn ja niemand anders in seiner Höhle war, er aber dennoch eine Stimme hörte, dann kann ja jene nur von draußen kommen. Über diese Leistung, dass er die Antwort auf dieses Rätsel gefunden hatte, war der kleine Hase so Stolz dass er sich als Belohnung nochmals einen ordentlichen Bissen von seinem Grünzeug genehmigte. Gleichzeitig fragte er sich, ob es wohl klug sei hinauszuhüpfen und nachzusehen wer da um Hilfe rief. Wobei ihm bei diesem Gedanken nicht ganz wohl war, denn noch nie hatte er sich im Winter hinausgetraut. Auf der anderen Seite, brauchte da jemand seine Hilfe und er könnte doch einen Hilferuf nicht einfach Ignorieren, da er selber auch dankbar um Hilfe in der Not wäre. So schwankten die Gedanken des kleinen Hasen hin und her, bis er sich selber davon überzeugt hatte, dass er mal raushoppeln würde um nachzuschauen. Und kaum hatte er diesen Entschluss gefasst, da hoppelte er auch schon geschwind los und verließ seine kleine Höhle.
*
Nachdem er durch einen langen, schmalen und dunklen Gang gehoppelt war, kam der kleine Hase zu einer Öffnung, die ihn nach draußen führte. Und kaum war er draußen auf der großen Weide angekommen, blieb er verdutzt stehen und blickte sich erstaunt um. Egal wo sein Blick auch hinfiel, überall sah er nur eine weiße Schneepracht und diese war so schön, dass er es einfach nicht fassen konnte. Nie hätte er sich gedacht dass der Winter solch ein schöner Anblick sei, dass der Schnee so schön im Mondenlicht glänzen würde und dass Abermillionen von Schneeflocken, so leicht wie eine Feder vom Himmel schweben könnten. Er war von diesem Anblick so überwältig, dass er sogar jedes Gefühl des Kalthabens vergaß, und dies obwohl es in dieser Nacht doch sehr Kalt war. Erst als er etwas bemerkte dass er so
nicht kannte, schreckte der kleine Hase auf und wandte seinen Blick von der Winterlichen Pracht ab. Denn zu seinem großen entsetzen, musste er feststellen dass Rauch aus seiner Schnauze, also seinem Mund und auch aus seiner Nase emporstieg. Das beunruhigte ihn so sehr, dass er nervös im Kreis zu hüpfen begann und schielend auf seine Schnauze herabblickte. Er musste unbedingt herausfinden wieso Rauch daraus hervorkam, wobei ihm plötzlich der schreckliche Gedanke kam dass er wohl brennen würde! Sofort wurde es dem kleinen Hasen Angst und Bange, hüpfte er noch wilder und voller Panik im Kreis herum und suchte verzweifelt nach einer Lösung für dieses Problem. Da kam ihm die Idee, dass er seine Schnauze in den Schnee stecken könnte, um somit das vermutete Feuer zu löschen. Und da ihm nichts Besseres einfiel, setzte er diese Idee auch sofort in die Tat um und steckte seine Schnauze kerzengerade in den Schnee hinein. Im selben Augenblick, zog er sie jedoch erschrocken wieder heraus und fing mit seinen Pfötchen wild daran zu reiben an. Vor lauter Panik hatte er nämlich vergessen, wie kalt der Schnee doch war und dass seine Schnauze darin sofort gefrieren würde. So stand er also da, am ganzen Körper zitternd, seine vollkommen gefrorene Schnauze mit den Pfoten warm reibend, und immer noch stieg jener merkwürdige Rauch aus seinem Mund und seiner Nase empor.
*
Es verging eine ganze Weile, bis der kleine Hase nicht mehr so stark zitterte und sich seine gefrorene Schnauze von der Kälte des Schnees erholt hatte. Diese Zeit nutzte er um über den Rauch, der immer noch ungehindert aus seinem Mund und seiner Nase emporstieg, nachzudenken. Er kam zu der Feststellung dass seine Schnauze wohl nicht brennen würde, da er ansonsten Schmerzen haben müsste und dass hatte er ja schließlich nicht. Also müsste es wohl eine andere Erklärung für diesen Rauch geben, der an diesem Abend so zum ersten Mal aus seiner Schnauze herauskam. Nach längerem Nachdenken, fand er endlich die Antwort dass es sich dabei wohl um seinen Atem handelte, der in der kalten Winterluft als Rauch oder besser gesagt als Dampf, sichtbar wurde. Und da er noch nie im Winter draußen gewesen war und so was im Sommer nicht vorkam, war es nun klar wieso er so was noch nie erlebt hatte. Kaum hatte er sich diese Frage selber beantwortet, da machte sich in ihm eine unglaubliche Erleichterung breit und er war froh darüber, dass seine Schnauze nun doch nicht in Flammen stand. Doch da kam ihm plötzlich wieder dieser Hilferuf in den Sinn, wegen dem er ja nach draußen gehoppelt war und den er vor lauter Aufregung, vollkommen vergessen hatte. Fragend und Suchend blickte sich der kleine Hase um, schnüffelte mit seiner leicht rosaroten Nase am Boden herum und fand dennoch keine Spur. Er wusste nicht, ob der Hilferuf aus dem dunklen Wald oder dem nahe gelegenen Dorf gekommen war. So stand er ratlos da, bis wieder dieses ängstlich klingende „Hilfe“ erklang und ihm ganz klar den Weg wies. Denn dank seines guten Gehörs, war der kleine Hase nun überzeugt davon dass jener Hilferuf aus dem dunklen Wald gekommen war.
*
Mit lang gezogenen Hüpfern, hoppelte der kleine Hase Richtung des Waldes, wobei er sich weder vom Schnee noch von der Kälte aufhalten lies. Er war fest dazu entschlossen, endlich zu erfahren von wem oder was diese ängstlichen Hilferufe stammten. So war er dann auch schon bald an der Grenze angekommen, bei der die große Weide endete und der dunkle Wald begann. Ohne zu zögern oder sich von den großen und hoch in den Himmel hinaufragenden Bäumen zu fürchten, hüpfte er einfach so geradeaus weiter. Immer wie tiefer kam er in den Wald hinein, hoppelte an unzähligen blätterlosen Bäumen vorüber, die im dunklen der Nacht bedrohliche Schatten warfen. Doch diese machten dem kleinen Hasen keine Angst, denn er wusste dass jene Bäume, die im Winter keine Blätter im Geäst hatten, im Frühling und im Sommer dafür umso schöner anzuschauen waren. Auch wusste er, dass kein Baum einem was tun könne, auch wenn er noch so bedrohlich und unheimlich ausschaute. Von daher hüpfte er
unbeirrt weiter, bis er auf eine Lichtung kam an deren anderen Ende, sich neben einem Baum ein großes Loch befand. Daraus war ganz deutlich ein rascheln und stöhnen zu hören, so als ob sich etwas oder jemand darin befinden würde. Da der kleine Hase die Vermutung hatte, dass wohl jenes etwas für diesen nächtlichen Hilferuf verantwortlich war, beschloss er sich vorsichtig heranzuschleichen und nachzuschauen. Ganz leise, ohne einen Mucks von sich zu geben, setze er eine Pfote nach der anderen und schlich mit eingezogenen Ohren und in gebückter Haltung über die Lichtung. Kaum war er beim Loch angelangt, hob er langsam seinen Kopf und linste behutsam hinein. Und was er da erblickte, was sich da unten im Loch befand, dass überraschte den kleinen Hasen über alle Massen.