Marcus Rensch

Depression


5:45 Uhr. Der Wecker von Marc Pfaler fängt an sein stetig ansteigend monotones Geräusch von sich zu geben.
Es ist schon seit Jahren die gleiche Uhrzeit und dasselbe Geräusch des Weckers, das ihn jeden Tag weckt und ihn zwingt seinen Hund Bruno auszuführen. So auch heute, diesem Sonntag, im Oktober.
Marc ist ein junger Mann, um die 25 Jahre alt, er lebt alleine in einer Zweizimmerwohnung und arbeitet als Elektriker bei einer großen Firma. Eigentlich müsste er mit seinem Leben zufrieden sein, doch ihm fehlt etwas, dass er zu beschreiben nicht fähig ist.

 
Bruno erwartet ihn schon im Flur der Wohnung und wedelt freudig mit dem Schwanz. Marc tätschelt ihm liebevoll den Kopf und zieht gemächlich seine Schuhe und seine Jacke an. Es ist ein kühler Herbstmorgen, die Stadt versinkt in dichtem Nebel. Neblig ist auch heute seine Stimmung. Er fühlt in sich wieder die aufsteigende Leere und unbeschreibliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben, für die er den Grund nicht kennt. Er geht seinen üblichen Weg in Richtung Fluss, der von dichtem Wald  und vereinzelten Lichtungen umgeben ist, ein Weg, der ihn nur noch depressiver werden lässt – immer derselbe Weg. Alles ist wie jeden Morgen: ihm begegnet kein Mensch und die ganze Umgebung versinkt in tödlichem Schweigen, das nur durch das Krächzen vereinzelter Raben gestört wird.
Die dichten Nebelmassen faszinieren Marc. Er kann nur etwa zehn Meter weit schauen, der darauf folgende Teil der Welt wird regelrecht verschluckt. Er schlendert gemütlich seinen Weg, während Bruno konzentriert die Gegend erkundet. Marc schießen immer wieder vereinzelte Gedanken durch den Kopf, die hauptsächlich sein derzeitiges Leben hinterfragen. So bemerkt er nicht, dass er vom Weg abgekommen ist und mitten in das dichtbewachsene Naturschutzgebiet läuft. Der Boden unter ihm wird immer weicher und das feuchte Moos umschließt behutsam seine Turnschuhe. Nicht einmal das warnende Bellen seines Hundes, der am Weg stehen geblieben ist, nimmt er wahr. Marc zieht der Nebel an, er will in ihn hinein und wissen was sich dort verbirgt. Ist es die Antwort auf seine Fragen, die ihn um den Verstand bringen, oder befindet sich dort eine andere, bessere Welt? Geleitet von diesem Gedanken geht er, ohne auf das ihn umgebende dichte Gestrüpp zu beachten, immer tiefer in den Wald hinein, bis auf einmal seine Uhr ein piepsendes Geräusch von sich gibt, das ihn auf die Uhrzeit aufmerksam macht. Dadurch aus seinem Trancezustand gerissen, versucht er sich zu orientieren. Dies ist jedoch unmöglich, da der Nebel nun noch dichter geworden ist und er nur noch zirka einen Meter weit sehen kann. Bruno, sein nicht allzu treuer Hund, ist auch nirgends zu sehen. Eins ist ihm jedoch bewusst, er befindet sich nicht mehr auf dem Weg. Seine einzige Möglichkeit besteht also darin, sich einfach umzudrehen und zurückzugehen. Er verspürt einen leichten Anfall von Angst, der aber nicht so schlimm ist, wie wenn er in einen dunklen Keller geht. Dunkle Keller, oder Keller überhaupt konnte er noch nie leiden. Selbst in seinem Alter verspürt er immer wieder die kindliche Angst, die ihn zu übermannen scheint, wenn er nur daran denkt in den Keller zu gehen, diesen dunklen Raum, der ihn zu verschlingen sucht. Zu seiner eigenen Verwunderung verspürt er aber kein bisschen Verzweiflung, er ist ungewöhnlich gelassen. Er hat praktisch den ganzen Tag Zeit und der Nebel wird sich, so meint er, schon bald verziehen. Also begibt er sich auf den vermutlichen Rückweg.
Erst jetzt fällt ihm auf, dass der Nebel ungewöhnlich dicht und geradezu feststofflich ist. Er kann sich zwar mühelos durch ihn hindurch bewegen, doch scheint der Nebel wie eine grau-weiße Masse zu sein, die sich immer mehr auf ihn zu bewegt. Auch der Boden unter seinen Füßen hat sich verändert, seine noch vor kurzem weißen Turnschuhe sind nun von Schlamm verdreckt und treten auf mit quietschendem und schmatzendem Geräusch nachgebenden Untergrund, aus dem stinkend grüne Gasblasen hervorquellen. Langsam fängt Marc wirklich an, an seinem gesunden Menschenverstand zu zweifeln, als er dann auch noch ein kugelförmiges Licht vor sich sieht, dass immer näher kommt, doch nie so nahe, dass es ihn erreichen könnte, steht für ihn fest, das kann nur ein Traum sein.
Doch neugierig geht er weiter. Das kugelförmige Licht, das wie aus einer anderen Welt zu kommen scheint, wirkt unerreichbar, so wie es auch beim normalen Nebel der Fall ist, aber dieser Nebel ist anders. Mit jedem Schritt spürt Marc mehr Widerstand, der ihn verlangsamen lässt und seine Glieder unbeweglich macht, bis er nicht mehr weitergehen kann und sich in einem gelatineartigen grau-weißen Etwas befindet, das ihn gefangen genommen hat. Trotzdem verspürt er fast keine Angst, nur seine angestammte melancholische Stimmung hat sich verstärkt. Sie scheint ihn regelrecht zu erdrücken, und je mehr er über sein unerfülltes Leben nachdenkt, desto mehr wird auch der Druck des Äußeren auf seinen Körper. Sein Inneres scheint sich mit dem Äußeren verbündet zu haben und hat sich als Ziel gesetzt ihn zu vernichten, wenn er nicht schnell etwas unternimmt. Doch was soll er tun? Er weiß nicht einmal warum er sich so depressiv fühlt, geschweige denn was sein Problem ausmacht. Vielleicht muss ich mich einfach mehr auf mich konzentrieren und tiefer in mich eindringen, damit ich den Grund finde, der mein Leben zerstört, schießt es ihm wie eine Offenbarung durch den immer bleicher werdenden Schädel. Marc versucht angespannt nachzudenken, während der Druck auf seinen vor Kälte zitternden Körper immer größer wird. In das Nachdenken mischt sich die Verzweiflung und mit der Einsicht der Ausweglosigkeit nimmt Es ihm die Luft zum Atmen und lässt ihn langsam zu Boden sinken.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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