Angela Heise

Verantwortung und Selbstbestimmung


Irgendwann veränderte er sich. Was genau der Auslöser war konnte er selbst nicht mehr klar sagen. Irgendwo zwischen Stress in der Arbeit und Streitereien daheim, Sorgen ums Geld und einigen Alltagskümmernissen wurde aus dem allabendlichen Bierchen das berühmte Glas über den Durst. So gut, wie in dieser Nacht hatte er lange nicht geschlafen! Als er am nächsten Morgen aufwachte hatte er ein merkwürdig pelziges Gefühl im Mund. Widerwillig stieg er aus dem Bett und schlich ins Wohnzimmer, um einen Schluck Wasser zu trinken. Mist, die letzte Flasche war wieder einmal leer. Aber immerhin stand noch ein Bierchen im Kühlschrank. Naja, es war Sonntag und er musste nicht arbeiten. Was sollte es also schaden, wenn er statt Wasser ein Bier trinken würde? Mit gierigen Schlucken leerte er die Flasche. Der schale Geschmack im Mundwar weg und sigar die leichten Kopfschmerzen verflogen förmlich. Er erinnerte sich gehört zu haben, dass man am Morgen nach einer durchzechten Nacht am Beten das trinken sollte, mit dem man am Abend aufgehört hatte. Klappte ja offenbar prima.
Ab diesem Moment trank er regelmässig. Anfangs nur abends, solange, bis er merkte, dass er jetzt wunderbar schlafen würde. Das er dabei immer mehr Alkohol brauchte merkte er nicht. Irgendwann war es soweit, dass er schon früh bei der Arbeit Ärger und Stress prima im Griff hatte: ein kräftiger Schluck und die Welt war wieder in Ordnung.
Kollegen bemerkten, dass er immer häufiger nach Alkohol roch. Sie sprachen ihn darauf an, aber erlachte nur und erzählte ihnen, er nähme schon lange Lutschpastillen, weil er durhcc überhöhte Magensäure ständige Probleme habe. Später schob er den Geruch auf sein neues After shave.
Seine Frau merkte am Deutlichsten die Veränderung. Es gab immer wieder heftigen Steit wegen seines Trinkens. Den Ärger darüber spülte er weg. Die Kinder litten unter den Spannungen zwischen den Eltern. Sie wurden stiller und die schulischen Leistungen sanken drastisch ab.
Endlich reagierte der Arbeitgeber und drohte ihm mit Maßnahmen bis hin zur Entlassung. Bereitwillig begab er sich ins Krankenhaus zur Entgiftung und anschliessend in eine stationäre Therapie. Alle, Frau, Kinder, Vorgesetzte und Kollegen und alle in der Familie schöpften zaghaft Hoffnung. Umso mehr, als er nach fast 4 Monaten trocken und sichtlich geläutert wieder daheim war.
Nie wieder würde er trinken, schwor er hoch und heilig.
Anfangs ging er auch regelmässig in eine Gruppe, um sich zu stabilisieren, wie er sagte. Die Besuche in der Gruppenstunde wurden seltener und hörten bald ganz auf.
Er hatte längst wieder angefangen zu trinken. Die Ehe war endgültig gescheitert. Seine Frau hatte einfach keine Kraft mehr und reichte die Scheidung ein. Er wohnte seit der Therapie möbliert. Eine nette, kleine Wohnung. Die Kinder sah er regelmässig. Er ging arbeiten und seine Sammlung an Ausreden, auf die Fahne angesprochen wuchs immer mehr an.
Eine weitere Entgiftung wurde angeregt. Er ging hin, kam trocken wieder und trank wenige Tage später wieder munter weiter.
Seine Freunde zogen sich immer mehr zurück. Er log jeden an, prahlte mit nicht vorhandenen Highlights und sein ganzes Denke drehte sich nur noch um das nächste Glas. Kollegen, die ihn ansprachen mied er fortan.
Dann hatte er Urlaub und alle hofften, das er diese Zeit nutzen würde und etwas veränderrn würde. Er kam einfach nicht wieder arbeiten, sondern zog sich in seine Wohnung zurück. Seine neuen Freunde fanden ihn toll und er gefiel sich in der Rolle des jovialen, spendablen Freundes, der immer zu einem Späßchen aufgelegt war und auch genug Geld hatte um die eine oder andere Runde zu schmeissen. Seine neuen Freunde? Aus den nette Leuten, auf deren Freundschaft er zu recht stolz gewesen war war ihm niemand geblieben. Die neuen Freunde waren Trinker wie er. Sie lebten von Stütze und trafen sich jeden Morgen am Bahnhof. Dort standen sie beim Bier bis zum späten Abend. Er ging ja nicht mehr arbeiten, hatte also alle Zeit der Welt.
Endlich reagierte der Arbeitgeber richtig. Man sprach ihm die Abmahnung aus, stellte den Lohn ein. Etliche Wochen war er nicht zur Arbeit erschiene, legte kein Attest vor.
Das Ordnungsamt versuchte ihn zwangseinzuweisen. Sie trafen ihn nicht an. Eine liebe Freundin fuhr ihn dann ins Krankenhaus. Er wurde entgiftet, fuhr in Therapie……..

Aus der endlosen Spirale wird er nicht heraus kommen. Ich weiss, dass er, kaum wieder daheim weiter trinken wird.  Natürlich ist in mir die Hoffnung, dass er diesmal schafft, aber auch die untrügliche Gewissheit, dass er wieder rückfällig wird.
Er ist nicht einmal in Eigenverantwortung ins Krankenhaus gegangen, immer nur unter Druck.
Die Verantwortung für sich selbst, seine Frau und die Kinder, aber auch der alten Mutter gegenüber hat er abgelegt. Genauso, wie die Selbstbestimmung eines erwachsenen Menschens. Die hat er an den Alkohol übergeben. Ein Teufelskreis hält ihn gefangen, aus dem er nie, oder nur mit sehr viel Kraft wieder heraus kommen kann.
Mitleid? Nein, ich kann kein Mitleid empfinden. Wut ist in mir. Wut für das, was er der Familie antut. Ekel, wenn ich ihn vor mir sehe, wie er trinkt. Wie er schon morgens früh eine Fahne hat.
Und trotz allem auch Mitleid. Irgendwo in mir ist Mitleid, weil ich ihn lieb habe. Und da ist noch etwas anderes, was mich berührt: Trauer, weil ich mit Sicherheit weiss, dass ich ihn bald ganz verlieren werde, wenn er den Absprung aus diesem Teufelskreis nicht schafft.
Ich stehe hilflos daneben und sehe ohnmächtig zu, wie er immer weiter weg geht.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Angela Heise).
Der Beitrag wurde von Angela Heise auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Angela Heise als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Licht in mir: Die Geschichte meines Überlebens von Eva Maria Thevessen



Nach zwölfjähriger Erkrankung der linken Brust, welche seit der Schwangerschaft ein blutiges Sekret absonderte, durfte das Geschenk der Heilung an Körper, Geist und Seele durch die Verbindung mit der Urkraft gelingen.
Das Bewusstsein über diesen steinigen Weg führte zu Licht und Liebe in ihr.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Angela Heise

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

So lang´ Du eine Mutter hast... von Angela Heise (Zwischenmenschliches)
Sie nannte ihn Schnucki von Christiane Mielck-Retzdorff (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Geschichten mit Pphiphph - Phür Phishing-Phreunde von Siegfried Fischer (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen