Benjamin Fuchs

Wüstenparabel

 
 
Seit Tagen schon waren meine Freundin und ich unterwegs. Die Sonne brannte so sehr... Unvorstellbar!
Sand war das Letzte, was ich jetzt noch sehen wollte, aber es war das einzige was wir hier hatten. Sand...
Sand zwischen den Zehen, Sand in den Augen, in den Haaren, unter den Fingernägeln.
Vom tagelangen Marsch schmerzte jeder einzelne Knochen unserer ausgetrockneten Körper.
Der Durst aber war das Schlimmste. Immer öfter nun sahen wir Wasserstellen, die sich beim Versuch, aus ihnen zu schöpfen, allerdings als unbrauchbare Luftspiegelungen herausstellten.
Ich wusste nicht mehr, wie lange wir schon so dahingingen - ohne Hoffnung und ohne Ziel. Doch irgendwann passierte das Unvorstellbare: Ganz in der Ferne, am anderen Ende des Horizonts, konnten wir die Umrisse einer Stadt erkennen. Deutlich ein paar orientalisch anmutende Türme, eine lange Mauer, einige Häuser. Mir war sogar als vernahm ich ganze Unterhaltungen der Stadtbewohner, als roch ich süßlich gewürzte Speisen.
Spielte uns unsere Fantasie abermals einen üblen Streich? Nein, wir waren uns sicher! Was blieb uns auch anderes übrig als die wiedergekehrte Hoffnung willkommen zu heißen? Wir redeten uns stark, ja, bis zu dieser Stadt würden wir es noch schaffen.

Schon nach wenigen Schritten allerdings gaben die Füße meiner Freundin auf - sie brach zusammen. Zuerst stammelte sie noch etwas von Entschuldigung und, der Wille sei ja da, einzig ihr Körper könnte sie nicht mehr tragen. Dann kamen nur noch staubige Bitten, Flehen nach Wasser. Immer wieder... Wasser... Wasser... Wasser...
Ich versprach ihr durchzuhalten. Ja, ich würde es schaffen. Würde die Stadt erreichen. Würde uns Hilfe beschaffen. Würde sie zum Wasser bringen.

Nach stunden- oder vielleicht tagelanger Qual, nach einem nicht-enden-wollenden Marsch, kam ich tatsächlich, auf Knien kriechend, in der Stadt an. Sie war real. Keine blosen Bilder, gemalt von einem uns unbekannten Künstler, nein, real.
Ich kroch auf die erste kleinere Gruppe von Menschen zu, die mir ins Auge fiel. Sofort rannten einige Männer und Frauen auf mich zu und gaben mir zu trinken. Sie fragten mich, wo ich herkam und weshalb. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte. Erstaunt blickten sie sich an. Wie konnte ich das überlebt haben? Sie wollten mich gleich mit in ein Haus nehmen, wollten mir ein Zimmer anbieten, dass ich meine müden Knochen stärken sollte. Dann erzählte ich ihnen von meiner Freundin, der wir Wasser bringen, die wir retten mussten. Mit leeren Blicken sahen sie auf die Erde hinab und schüttelten ihre Köpfe. Das war hoffnungslos. Sie musste doch längst verdurstet sein und außerdem würden wir sie ganz bestimmt nicht wieder finden. Wären meine Augen nicht ebenso trocken wie der Wüstensand gewesen, wäre ich in Tränen ausgebrochen. Sie wollten oder konnten mir nicht helfen. Ich ließ mir von einem von ihnen auf die Beine helfen, bat um einen großen Krug voll Wasser und verkündete, mich alleine auf die Suche zu machen. Erschrocken wollten sie mich davon abhalten, doch mussten sie erkennen - es war sinnlos. Ich war entschlossen für meine einzige wahre Liebe noch einmal die selben Schmerzen auf mich zu nehmen. Ich brauchte sie und sie brauchte mich. Man gab mir das Wasser und ich ging los.

Ich hatte keine Vorstellung in welche Richtung ich gehen sollte, sah es doch alles gleich aus: Weiß und heiß. Nach Stunden schon wieder der Verzweiflung nahe, schloss ich meine Augen und Ohren. So, blind und taub, setzte ich meinen Weg fort. Ich hoffte nur, nicht im Kreis zu laufen, denn wahrlich, ich wusste es nicht. Und doch hatte ich ein gutes, geborgenes Gefühl dabei. Ich lief wie von einer unsichtbaren Leine geführt. Es musste die Kraft der Liebe sein, die mich geradewegs zu meiner Freundin führte. Liebe ist stärker als alles andere auf der Welt. Wer braucht Gold, wer braucht einen Gott? Mit Liebe lässt sich jeder Wunsch erfüllen, jede Grenze überwinden und jedes Ziel erreichen.
Und so gelang es mir nach unzähligen Schritten wirklich, sie zu finden. Da lag sie im Sand. Ungesehen und unberührt, bedeckt mit einem körnigen Tuch. War sie noch am Leben? Hatte sie durchgehalten? Zweifel kamen in mir auf.
Sie lag nun direkt vor mir. Kurz betrachtete ich ihren leblos-scheinenden Körper; wie schön er doch selbst in dieser Lage noch war. Dann strich ich ihr vorsichtig übers rauhe Gesicht. Sie öffnete die Augen. Ich küsste sie zärtlich und lange. Sie erwiderte die Küsse mit einem Lächeln, dem wundervollsten Lächeln, das ich je gesehen hatte.
Wir hatten es geschafft. Jetzt würde alles gut werden. All die Mühen hatten sich am Ende doch gelohnt.
Ich nahm den Deckel vom Krug, legte ihren Kopf langsam nach hinten und ließ sie trinken. Sie füllte ihren Mund. Ich sah schon das Leben in ihre Augen zurückkehren, hörte sie schon lauter Atmen und spürte schon ihren erstarkten Herzschlag.
Plötzlich sah sie mich an, schloss die Augen und spuckte mir das ganze Wasser ins Gesicht.

Diese Parabel beschreibt die aktuelle Gefühlslage in mir.
Meine Freundin hat eine Krankheit, gegen die ich mit allen Mitteln zu kämpfen versuche. Sie aber nimmt mir immer wieder die Hoffnung und gibt mir das Gefühl, ich bin der Einzige, der für ihre Gesundheit kämpft! Die Krankheit würde sich alleine durch ihren Willen besiegen lassen, aber bisher ist nur mein Wille vorhanden!

Das ist jedesmal wieder ein Schlag in die Magengegend!
Benjamin Fuchs, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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