Ines Kartaschewski

Traummann gesucht

„Rate mal, Karla, wo ich heute war! Ach darauf kommst du sowieso nicht. Ich war bei einer Wahrsagerin." Tanja ging mit dem schnurlosen Telefon im Wohnzimmer auf und ab.
„Was sie alles von mir wusste, ist der reine Wahnsinn. Dabei habe ich wirklich aufgepasst und nichts Privates verraten! Karla, du bist doch meine beste Freundin - bitte hilf mir, ich brauche schleunigst eine originelle Kontaktanzeige!"
Tanja lauschte einen Moment auf die Worte am anderen Ende.
„Doch, das ich wichtig! Nur über eine Kontaktanzeige finde ich meinen Traummann. Hat sie wirklich gesagt! Und Jürgen laß aus dem Spiel. Irgendwann haben wir beide vergessen, was uns früher zusammen Spaß gemacht hat. Danke, Karla, du bist ein Schatz! Bis heute abend. Bye!"

„Lies bitte noch mal vor, Karla." Tanja saß auf der Couch, die Beine untergeschlagen und genehmigte sich noch einen Schluck Weißherbst.
Karla grinste, griff dann aber zum Zettel auf dem Clubtisch.
„Traummann gesucht." Dramatisch betonte sie Silbe für Silbe.
„Wenn Du eine humorvolle, ehrliche Frau Mitte Dreißig vermisst, die träumen und barfuss mit Dir durch den Regen laufen kann, dann bist Du der Mann, nach dem ich schon lange suche. Kennwort: ‚Traummann'
Tanja prostete Karla zu. „Perfekt! Gleich morgen gebe ich die Annonce auf. Dann habe ich die ersten Antworten am Wochenende."
„Und wie soll es danach weiter gehen? Ich meine, wie willst du wissen, wer von denen der Vorausgesagte ist?" Karla sah sie fragend an.
„Ach, das werden wir schon sehen. Es wäre zu unlogisch, wenn ich den Mann ignorieren würde, nur weil mir vielleicht der Brief nicht gefällt. Die Wahrsagerin hat nicht gesagt, dass ich meinen Traummann unter all den Einsendungen verpassen werde, sondern, dass ich ihn durch eine Kontaktanzeige noch diesen Monat kennen lerne!"
„Und warum antwortest du dann nicht einfach auf eine Anzeige und ersparst dir selbst das Aufgeben?"
„Weil ich es so besser finde, liebe Karla", gluckste Tanja übermütig.

Einige Tage später stürmte Tanja in Karlas Wohnung und fuchtelte wild mit einer Zeitung in der Luft herum.
„Sie ist drin", rief sie aufgeregt.
„Dann hat sich ja dein Zeitplan bestätigt", lächelte Karla sie an.
„Jetzt brauchst du nur noch die Briefe abzuholen."
„Gleich am Sonnabend werde ich hingehen." Glücklich ließ sich Tanja in den nächstbesten Sessel fallen.

Am Samstag Nachmittag lümmelten Karla und Tanja auf der Couch in Tanjas Wohnzimmer, vor sich auf dem Tisch stand eine geöffnete Flasche Sekt im Kühler. In den Gläsern perlte das Getränk. Beide waren vertieft in die Briefe, die als Resonanz auf die Annonce angekommen waren.
Tanja ließ den letzen Brief sinken. „Ich glaube, er ist nicht dabei", resümierte sie.
„Warum bist du dir so sicher?" Karla blickte von dem Brief auf, in dem sie gerade las. „Der hier klingt doch ganz nett."
„Ja, nett sind einige, aber es ist nichts dabei, was mich innerlich direkt anspricht. Ausserdem versteh' ich nicht, warum die auf meine Anzeige geschrieben haben. Keiner will seine Schuhe ausziehen. Ob die Stinkefüße haben?" Wie auf Kommando brachen beide Frauen in lautes Lachen aus.
„Du bist unmöglich", japste Karla.
„Stimmt!" Entschieden stand Tanja auf und schmiss die herumliegenden Briefe in den Papierkorb.
„Du kannst sie doch nicht einfach so wegwerfen", rief Karla schockiert.
„Natürlich kann ich das, oder soll ich mir damit die Wände tapezieren?" Tanja fing erneut an zu lachen, als sie das entsetzte Gesicht der Freundin sah.
„Den Netten da kannst du dir ja angeln. Nimm den Brief ruhig mit." Sie zwinkerte frech ihrer Freundin zu, die den Brief noch in der Hand hatte.
„Du bist unverbesserlich", grinste jetzt auch Karla, legte ihn sorgfältig auf den Tisch und griff zur Tageszeitung.
Wie gewöhnlich fing sie die Zeitung von hinten an zu lesen, als dabei ein Umschlag aus der Zeitung rutschte und ihr auf den Schoß fiel.
„Hoppla, wo kommt der denn her? Muss wohl zwischen die Zeitungsblätter gerutscht sein." Mit einem aufmunterndem Lächeln präsentierte sie Erna ihren Fund.
Tanja nahm den Brief entgegen, riss schwungvoll den Umschlag auf und entfaltete den Briefbogen. Eifrig las sie die wenigen, mit Maschine geschriebenen Zeilen.
„Karla, das gibt's nicht! Genau das ist er!" Tanja wurde plötzlich zappelig wie ein kleines Kind kurz vor der weihnachtlichen Bescherung. „Die Wahrsagerin hat also doch nicht gelogen!"
Tanja ließ sich in einen Sessel sinken.
„Zeig her!" Karla griff nach dem Brief.
„Liebe junge Frau", las sie halblaut vor. „erwarten Sie mich am Freitag, 20 Uhr, barfuss auf den Stufen des Fantasy-Theaters. Ihr künftiger Gatte
PS: Damit ich einen Anhaltspunkt habe, nach wem ich Ausschau halten muss, setzen Sie bitte einen großen Hut auf!" Karla ließ den Brief sinken. „Wow", sagte sie und sah Tanja einen Moment sprachlos an.
„Hey, du willst doch nicht etwa dahin gehen?" Spielerisch stupste sie Tanja ihren Ellenbogen in die Seite.
„Und ob ich dahin gehen werde! Mein erstes Blind Date!"
„Und wenn der nun pervers ist? Hast du keine Angst?" Karla wurde immer skeptischer.
„Quatsch! Um diese Zeit ist dort genug Betrieb. Was soll mir also passieren? Aber der Hut", grübelte Tanja laut. „Ich hasse die Dinger und hab' gar keinen."
„Das ist kein Problem, Tanja, du kannst einen von mir bekommen."
„Du bist ein Schatz!" Dankbar drückte Tanja ihre Freundin an sich.

Seit einer Viertelstunde stand sie schon hier in der Festbeleuchtung vor dem Fantasy-Theater, eine einsam wartende Frau in lächerlichem Aufzug. Zum Glück war die Tür zum Besuchereingang inzwischen geschlossen worden. Natürlich hatte jeder gegrinst, der vorbeigegangen war: Sie barfuss und mit diesem Riesenmonstrum von Hut! Wenn nur kein Bekannter sie hier so sah!
Nervös und aufgeregt trippelte Tanja auf der Stelle. Das Herz hämmerte wie verrückt in ihrer Brust und ein flaues Gefühl machte sich im Bauch breit.
Noch fünf Minuten gab sie dem Kerl von Traummann. Machte er sich vielleicht lustig über die Sehnsüchte alleinstehender Frauen?
Plötzlich hörte sie eine zärtliche Stimme leise hinter sich sagen: „Hallo Traumfrau!"
Tanja verschluckte sich prompt und musste husten. Langsam drehte sie sich um. Nein, sie hatte sich nicht geirrt – diese Stimme gehörte Jürgen, ihrem Freund, der mit einem Strauß Vergissmeinnicht barfuss vor ihr stand.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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