Elfie Böttger-Bohlen

Trivial wie das Leben

Trivial wie das Leben

 

Gedankenfetzen, Szenen, das Leben ist endlich und du ziehst Bilanz. Zwischenbilanz, denn du hast ja nicht vor zu sterben.

Du bist um die vierzig. Deine persönliche Lebensmitte. Noch einmal soviel ist normal. Was darüber hinaus geht ist ein Geschenk.

Du denkst: - ein Geschenk von wem ? Von dem, der Leben macht? Wer oder was macht Leben? Was hält dich am leben, lässt dich weitermachen, auch wenn du längst müde geworden bist? Die Liebe? Der Hass? Die Pflicht?

Fragen. Tausend Fragen. Du bist ehrlich und sagst, nicht alles war gut. Räumst ein, auch Fehler gemacht zu haben. Aber du hast nicht anders gekonnt. Nicht in der Situation. Später erst. Da war es schon passiert. Dann kannst du nur noch versuchen, den Schaden in Grenzen zu halten. Die Flüsse kehren niemals zurück. Aber du hast noch so viel Zeit, die gleichen Fehler immer wieder zu machen.

Das Leben ist spannend. Du wachst morgens auf und die Neugierde auf den Tag macht dir Kribbeln im Bauch. Manchmal hast du statt dessen Angst. Du musst weinen und weißt nicht warum.

Das Leben ist endlich, doch du lebst, als seiest du für immer hier. Das Ende als Tabu. Die Anderen, ja. Ich? Nein, nicht ich!

Ich habe sieben Leben. Wie eine Katze.

Und doch hast du gelernt, dass der Kreis sich schließt. Irgendwann. Und du fragst warum gerade so ? Und wie wird es sein, wenn ich dran bin?

Du hast Kreise sich schließen sehen. Ich meine, wirklich gesehen. Das Heben und Senken einer toten Brust. Die leise Bewegung blutleerer Lippen beim Ein- und Ausatmen. Das Flackern wachsweißer Augenlider. Du siehst es, weil du dir nicht vorstellen kannst, dass es all das nicht mehr gibt. Und doch ist da plötzlich Stillstand. Der Mensch reduziert auf chemische Masse. Sonst nichts.

Ein kalter Raum als Zwischenlager. Nicht endgültig entsorgt, darum kümmern sich die Angehörigen und der Bestatter. Aber erst mal weg damit. Und Vorsicht beim Transport. Niemand darf sehen, was du da unter weißem Laken in den Keller bringst.

Deine Angst wird belächelt. Deine Weigerung ignoriert.

Du wirst dich daran gewöhnen. Du wirst dich noch an ganz andere Dinge gewöhnen. Das bringt dein Beruf so mit sich.

 

Du hast ihn gewählt, weil es sich so ergab. Eher ein Zufall. Nicht aus Berufung. Und weil zu der Zeit, als du dran warst, Frauen selten in Männerberufen geduldet wurden. Auf jeden Fall nicht dort.

Goldschmiedin - aber es ging nicht.

"Die lernen und gehen dann in den Verkauf! Sind halt nur Frauen. Die Investition einer Ausbildung lohnt sich nur bei Männern."

In jeder Schmiede der gleiche Satz. Dein Vater stand daneben und hob hilflos die Schultern.

Seine zuverlässige, schwielige Hand legt sich um deine Schultern. "Komm, wir gehen nach Hause."

Was du brauchst  ist ein Frauenberuf. Aber welcher?

Du sitzt mit deiner Mutter auf dem Arbeitsamt. An der Tür das Schild 'Berufsberatung'. Du blätterst in einem der ausliegenden Prospekte.

`>Die kleine Sabine möchte gerne einmal einen Arzt heiraten, deshalb wird sie Krankenschwester.<

Die Werbung befremdet dich. Sie ist dir peinlich.

Eine halbe Stunde später kommst du aus dem Büro heraus und hast dich entschieden, Krankenschwester zu werden.

Entschieden?

Mann hielt dich für geeignet.

Auch der alte, im Dienste der Menschheit ergraute Hausarzt bestätigt dir diese Wahl. Sogar schriftlich.

> Eva ist ein großes kräftiges Mädchen und für den Beruf der Krankenschwester gut geeignet.<

Ein Formblatt. Vergilbt. Alte deutsche Schrift. Tintenbuchstaben.

Sein Stempel: Dr.Scheibe.

Er schenkte uns früher immer Bonbons, oder ein Spielzeug, wenn wir brav waren. Das letzte Bonbon bekam ich von ihm mit vierzehn. Da hielt ich sein Attest in der Hand und meine Mutter war stolz auf mich. Das machte mir Spaß.

Ich habe es immer noch. Nicht das Bonbon, um Himmelswillen nein. Ich meine das Attest. Manchmal nehme ich es in die Hände. Dann träume ich. So wie heute. Darum erzähle ich diese Geschichte. Süß und bitter, köstlich und warm. Langsam gegart auf kleiner Flamme. Durchzogen mit Hoffnung und Sehnsucht,   Erkenntnis und Schmerz. Wie alle Geschichten, die im nachhinein erzählt werden. Lass sie nur lang genug köcheln, dann wird aus einer dünnen Brühe, eine dicke schmackhafte Soße.

Eine Geschichte als Opfergabe an die Götter des Schicksals. Eher trivial. Auch wenn das Leben hier und da seltsame Wege geht. Es ist dir nicht immer nur wohlgesonnen. Leben ist Chaos. Aber spannend. Und vielschichtig. Ein Schmetterling schlägt mit den Flügeln und irgendwo entsteht ein Sturm. Es sind die kleinen Dinge, die großes bewirken. Du ahnst es noch nicht, aber die Weichen sind schon gestellt.

Also Krankenschwester.

Was macht eine Krankenschwester? Ich kannte keine. In der Gemeinde gab es zwei Diakonissen. Schwester Adelgunde und Schwester Auguste. Ich erinnere mich an dunkelblaue, knöchellange Kleider mit winzigkleinen hellblauen Punkten. Wollene Strümpfe in schwarzen Schürstiefelchen. Weiße, gestärkte Hauben. Eine steife Schleife unter dem Kinn. Ob sie kratzte? Scheuerte sie der Auguste am bleichen Doppelkinn?

Wenn sie ausgingen, die beiden, trugen sie eine Pelerine um die Schultern. Sie flatterte im Wind. Das gab ihnen den Anschein von Wichtigkeit. Was taten sie, wenn sie in den Häusern mancher Leute verschwanden? Hindurchhuschten durch Haustüren, mit frommer Mine, nicht selten die Bibel in der Hand? Ich wusste es nicht. Kindliche Vorstellungskraft reicht nicht aus für die Welt der Erwachsenen.  Du hast deine eigene. Feste, geordnete Bahnen. Und,- nicht alle Fragen sind willkommen.

 

Die beiden Schwestern  wohnten im Gemeindehaus. Männer hatten sie keine. Waren sie mit Jesus verlobt?

Krankenschwester werden, hieß das, einmal eine Adelgunde oder eine Auguste zu sein? Auch das wusste ich nicht.

Ratlos sitze ich spät in der Nacht auf der Bettkante meiner Mutter. Ich kann nicht schlafen. Meine Gedanken peinigen mich.

Mutter gib mir Rat und Trost! Du bist auch eine Frau. Wie warst du, als du warst wie ich? Du wurdest Verkäuferin? Du hattest keine andere Wahl? Ach ja, es war Krieg! Dann Hausfrau und Mutter. Fünf Kinder. Das erste mit achtzehn? Dann der Hunger, die schlechte Zeit!

Bist du glücklich Mutter? Welchen Namen gibst du deinem Leben? War es das, was du wolltest? Haben sich deine Wünsche und Träume erfüllt? Du hast einen guten Mann, ja das hast du!

Du sagst, du liebst ihn, und deine Kinder. Du wolltest sie alle. Und du sagst: "Ach Kind, was machen wir nur mit dir?"

"Ich möchte doch so gerne Goldschmiedin.....!"

Mein Bruder kommt und hält mir seine groben, zerschundenen Hände hin. Ehrlicher Schmutz unter den Fingernägeln. "Willst du solche Hände haben," fragt er mich, "du, als Frau?"

"Nein", sage ich und weine.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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