Renate Nottorf

Charlotte und der Ballonroller

 

Der Ballonroller



Meine Tante Hildegard hatte, nachdem Mama ihr den Verlobten ausspannte, heiratete und Doofmann und mich in die Welt setzte, nichts mehr von sich hören lassen.

Nun stand sie plötzlich in der Tür.

Nein, sie kam im Beiwagen eines Motorrads vorgefahren, neben, unter und über sich befand sich eine komplette Wohnungseinrichtung. Vorn am Lenker des Motorrads saß ein riesigengroßer, dicker Chimpanse bekleidet mit einem Skianzug und Sandalen an den Füßen.


Tante Hilde nahm einen Kochlöffel aus dem Mund, wies auf den Chimpansen und stellte ihn als ` dassis Ferdi ` vor.

Ferdi hatte hatte riesige Ohren die völlig behaart waren und seine spitzen Fingernägel hinterließen Kratzer im Boden, wenn er sich fortbewegte.

Ferdi konnte sprechen und murmelte: Tachchen allemann.

Allemann? Tatsächlich hatten sich zwischenzeitlich zum Empfang des Paares sämtlich Bewohner der Gaststätte, deren 1. Etage wir bewohnten, eingefunden und standen Spalier um die alte BMW in deren Beiwagen Tante Hilde stöhnte: `, nehmt die Kisten von mir und laßt mich raus, sonst pinkel ich in die Karre.´


Flugs schnappte sich jeder der inzwischen 78 Personen zählenden Menge einen Teil der Ladung und schwirrte damit ab. Schwirrte damit ab, aber nicht in die Gaststätte, sondern ins Nirwana. Tante Hilde blieb nur der Kasten mit dem Silberbesteck übrig, den sie mit ins Klo genommen hatte. Daraufhin zog sie mit dem Chimpansen Ferdi bei uns ein, weil sie nun ja mittellos waren. Die BMW wurde jeden Abend in die 1. Etage getragen und von Ferdi ans Bett gekettet. Den Beiwagen durfte nachts Hasso unser Hofhund als Nachtunterkunft benutzen, was den Vorsatz eines Diebstahls erst garnicht aufkommen ließ.


In der 1. Etage der Gaststätte zum Südertor wohnte ich mit Mama , Papa und Doofmann, Tante Hilde mit Ferdi, Tante Heidi mit Hanna und Michel, sowie Oma und Opa. Wir nutzten 8 kleine Gästezimmern, die in einer Reihe hintereinander lagen, jedes so groß wie eine Umkleidekabine im öffentlichen Schwimmbad. Der lange Flur war mit Holzbohlen belegt und wir 4 Kinder benutzen ihn mit unseren Tretrollern als Rennbahn, wenn Opa nicht da war.

 

Opa stand auf meiner Liste bis ich selber Kinder hatte. Dann strich ich ihn, weil ich Verständnis für ihn aufbringen konnte und ihm auch verzieh, daß er mich einmal einer durchziehenden russischen Zirkustruppe schenkte, in der Hoffnung , daß diese mich mit in die Walachei nehme und er endlich in Ruhe seine Zeitung lesen und dabei seinen ekelhaften Priem kauen kann.

Ein Priem ist Kautabak. Er wird wie ein Stück Lakritz in den Mund gesteckt und dann stundenlang darin hin und hergeschoben. Priemkauer haben schwarze Zähne. Opa hatte keine schwarzen Zähne. Mein Opa verwahrte seine furchtbar langen gelben ausgefallenen Zähne einzeln im Portemonai zwischen den Groschen. Was für ihn den Vorteil hatte, daß ich ihn nie um Geld bat, weil ich mir den Anblick dieser Groschenzähne ersparen wollte.


Die Groschenzähne wurden dann auch anderweitig gebraucht.

Tante Hilde kündigte ihre Eheschließung mit Ferdi zum 15. Mai des Jahres an, genau 2 Tage nach Doofmanns 6. Geburtstag. Es wurde bestimmt, daß Hanna und ich die Blumen bei der Hochzeit streuen sollten. Meine Freude darüber wurde jäh getrübt, als Doofmann am Geburtstagsmorgen ein Geschenk vorfand, welches ihn in helles Entzücken und mich in tiefste Verzweiflung gemischt mit eimerweise Neid stürzte.


Im Flur stand ein niegelnagelneuer Ballonroller.

Es gab bisher in unserer Familie nur Tretroller. Wie konnte man es wagen, die Tretrollergang auseinanderzureißen, indem grade Doofmann einen Ballonroller bekam?

Warum Doofmann und nicht ich? Und dann kam es ganz Dicke. Doofmann strahlte und sagte zu Mama: Danke, aber Ziege darf da nie im Leben mit fahren. Mir wurde speiübel. Ich zog sämtliche Register und bot Doofmann sogar an, ihm seine Ostereier zurückzugeben, die ich geklaut hatte und schon seit Wochen vor ihm versteckt hielt.

Nichts half. Er fuhr den Flur rauf und runter mit rausgestreckter Zunge und höhnte:

Nie im Leben darf Ziege damit fahren.

Am abend holte er sich von Ferdi Rat, wie man einen Ballonroller ans Bett kettet und stand damit 10 fach auf meiner Liste.

 

Am nächsten Tag, dem Tage vor der Hochzeit setzte ich alles daran, den Roller von der Kette zu bekommen. Alle Versuche scheiterten. Mama meckerte mit mir und sagte:

Charlotte du blaue Karotte, laß den Ballonroller und mach dich hübsch, du sollst morgen Blumenmädchen sein.

Mama bügelte mein blaues Organdykleid und den Butterlecker in Pinkfarbe besetzt mit lauter kleinen Rosenblüten. Sie putzte meine schwarzen Lackschuhe und legte die weißen Kniestrümpfe dazu.

Ich wollte aber ohne den Ballonroller nicht hübsch sein.

Außerdem wollte ich an Mama Rache nehmen, daß sie Doofmann nicht befahl, daß der mir seinen Ballonroller überläßt.

Ich nahm eine Schere vom Tisch der Vorbereitungen und versteckte sie in meinem Bett.

Während der Nacht, als ich Opa schnarchen hörte nahm ich die Schere hervor und schnitt meine langen roten Locken einzeln ab und warf sie unter das Bett.


Mit einem tierischen Schrei weckte meine Mutter dann am morgen die ganze Hochzeitsgesellschaft auf. C H A R L O T T E du bringst mich noch ins Grab.

Diesen Satz hörte ich bis zu meinem Auszug aus dem elterlichen Nest dreimillionenfünfhunderttausendmal. Meine Mutter ist 77 und erfreut sich bester Gesundheit.


Ich war der erste Punk der Nachkriegszeit. So einen Haarschnitt bekommt man kein zweites mal hin. Die Krönung auf dieser Frisur war dann der rosenbesetzte Butterlecker in Pink.

Dem Fotografen wurde eine Haftstrafe angedroht, falls er mich mit auf das Hochzeitsfoto bekommt und anschließend nicht wegretuschiert.

Ich fand mich sooo schön und es war mir egal, ob ich auf das Foto komme oder nicht.

Der Ballonroller stand nämlich ganz einsam im langen Flur und niemand hatte bisher bemerkt, daß jemand mit einer Schere die Luft aus den Reifen gelassen hatte.



     


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Bücher unserer Autoren:

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Heike und die Elfe von Ingrid Hanßen



Da ich der Meinung bin, dass die Kinder heute viel zu wenig lesen ( sehe ich bei meinen 11 und 13 ), habe ich mir Gedanken gemacht, was man machen könnte um dieses zu ändern.

Es ist nämlich nicht so, dass die Kinder lesen grundsätzlich "doof" finden, sondern, dass die bisherigen Bücher ihnen zu langweilig sind. Es ist ihnen in der Regel zu wenig Abwechslung und Aktion drin und ihnen fehlt heute leider die Ausdauer für einen reinen "trockenen" Lesestoff.

Daher habe ich mir überlegt, wie ein Buch aussehen könnte, das gleichzeitig unterhält, spannend ist, Wissen vermittelt und mit dem die Kinder sich beschäftigen können.

Herausgekommen ist dabei ein kombiniertes Vorlese-, Lese-, Mal- und Sachbuch für Kinder ab 5 Jahren bis ca. 12 Jahren.

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