Wilhelm Vischer

Kuba – ein Land zwischen Stolz und Tragik

Gegen Ende der neunziger Jahre traf ich einen Bekannten, der mir strahlend und braungebrannt entgegentrat und auf meine Frage, wo er den wohl in Urlaub gewesen sei, antwortete: Auf Kuba !

 

 

In der mir manchmal eigenen und selbstverwirrenden Naivität glaubte ich an eine Scherz, denn wie sollte man denn in Kuba Ferien machen, wie überhaupt durch den Stacheldrahtzaun einreisen bzw. die Mauern überwinden ? Und wie und wo wohnen ? Wird man da nicht ständig überwacht und welche Risiken sind zu berücksichtigen ?

 

 

 

Da kommt nun einer daher und erzählt von einem wunderbaren Inselland, von sehr freundlichen Menschen, von tollen Hotels und Stränden, von inländischen Entdeckungsflügen, von fast Null-Kriminalität und vielem Schönen mehr.

 

 

 

Ich spürte instinktiv, dass er von einem Land sprach, von dem ich nicht wirklich etwas wusste und dass das, was ich im Laufe der Jahre oder besser Jahrzehnte gelesen bzw. gehört hatte, möglicherweise mir ein falsches Bild vermittelt hat.

 

 

 

Dieses Gespräch war keine Verabredung, sondern fand „en passent“ auf der Straße statt, was mich – nach eigenem Empfinden – irgendwie rettete. Galt ich doch als einer, der die Welt bereist hat bzw. zumindest keine wesentlichen weißen Flecken ausweist, was die Weltkarte in ihrer Einschätzung  betrifft.

 

 

 

Ich vermied also jedwede Verblüffung, enthielt mich besonderer Kommentare, sagte Tschüss ... und ging noch am gleichen Tag in die Buchhandlung, um mir einen Reiseführer zu besorgen.

 

Kuba:

 

 

 

Wahlspruch:               Patria y Libertad, also Heimatland und Freiheit

 

 

 

Amtssprache:              Spanisch

 

 

 

Staatsform:                  Sozialistische Republik

 

 

 

Präsident

 

(von fast allem)            Fidel Castro

 

 

 

Fläche:                          ca. 110.000 km2

 

 

 

Einwohnerzahl:            ca. 10 Mio.

 

 

 

Unabhängigkeit:           von Spanien am 10. Okt. 1898 erklärt, am 20. Mai

 

                                        1902 anerkannt.

 

 

 

 

 

Und schon kalt erwischt. Wieso 1902 ?  War es nicht Castro, der mit seiner Revolution 1959 die Unabhängigkeit erreichte? Aber unabhängig von wem eigentlich? Jetzt tat sich ein Berg von Fragen auf.

 

 

 

Im Polyglott-Reiseführer las ich unter der Rubrik „Geschichte im Überblick“ u.a.

 

 

 

1895 – 98 scheitert Jose Marti im zweiten Unabhängigkeitskrieg und ebenfalls im Jahre 1898 greifen die USA in den Kolonialkrieg um Kuba ein. Und immer noch im selben Jahr: Spanien tritt die Insel an die USA ab!

 

 

 

Grenzenlose Verblüffung überfiel mich. Haben die USA also Krieg gegen die Spanier geführt, um Kuba für sich weiter zu kolonialisieren? Aber warum und für was kämpften dann die Kubaner seit 1895 allein, offensichtlich ohne amerikanische Unterstützung?

 

 

 

In meinem Inneren war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon entschieden, schnellstmöglich eine Reise nach Kuba zu unternehmen. Ich nahm mir vor, Antwort auf diese Fragen über verschiedene Quellen zu finden.

 

 

Ich buchte also eine 14-tägige Reise in der Erwartung, einen sonnigen Urlaub zu verbringen, aber durchaus mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis, was mich erwarten würde.

 

 

Ich wusste einiges und wiederum nichts über Kuba. Zu sehr in Abhängigkeit von dem, was offizielle oder gelegentlich hintergründige Berichterstattung – größtenteils tendenziös bzw. im politisch korrektem Konsens – bereit waren, zu vermitteln.

 

 

Es galt, mir einiges wesentliche über die Geschichte Kubas anzulesen.

 

 

Zum Beispiel:

 

 

Als Kolumbus 1492 auf dieser größten der Antilleninseln landete und glaubte, er wäre auf dem Westweg nach Indien in Japan gelandet, fand er eine indianische Bevölkerung vor, die eine Gesamtzahl von ca. 200 000 Menschen umfasste. Diese Menschen stammten ursprünglich aus dem Orinoko-Gebiet in Südamerika und waren zur Zeit des europäischen Mittelalters über die Inseln des Antillenbogens dorthin gelangt.

 

 

Nach ihrer Entdeckung wurde die Insel von den Spaniern zunächst nicht wirklich besetzt, sondern waren das heutige Haiti sowie die Dominikanische Republik die ersten sesshaften Stützpunkte in der Region – mit dem Namen La Hispaniola versehen. Nach der Einsicht, dass La Hispaniola als Handelstützpunkt längerfristig ungeeignet sei, unternahm Diego Colon, der Sohn von Kolumbus und mittlerweile im Amt eines Vizekönigs, im Jahre 1510 einen neuen Anlauf, die Geheimnisse Kubas zu ergründen. König Ferdinand von Aragon verstand darunter vor allem Gold.

 

 

Diese wie andere Unternehmungen bezeichneten die Spanier als Pacificacion, also Befriedung. In der Realität war es eine Eroberung durch Gewalt und Terror, bis hin zur gänzlichen Ausrottung der Urbewohner.

 

 

Im Prinzip nichts Neues oder Einmaliges, wenn man die Absicht und Durchführung von Kolonisierungen grundsätzlich betrachtet.

 

 

Anfänglich kam das Geschehen noch recht friedlich daher, da die einheimischen Stämme zur Gegenwehr nicht in der Lage waren und zunächst abwarteten bzw. sich in das Hinterland zurückzogen. Als sie jedoch auf der Suche nach Goldminen zu Arbeitsdiensten verpflichtet wurden, die zu leisten sie aufgrund ihrer körperlichen Konstitution nicht in der Lage waren, als zudem ihre Frauen als vogelfrei erachtet wurden, kam es zu Widerständen, die mit brutaler Härte unterjocht wurden

 

 

Ab ca. 1512 unter Velazquez beginnt die Ausrottung  der Indianer bzw. laufen um 1522 die ersten Sklavenschiffe ein mit Menschen, von denen man sich aufgrund robusterer Statur und Konstitution eine höhere pro Kopf Arbeitsleistung verspricht, die dann auch eintritt.

Im Laufe der Jahre oder besser der Jahrhunderte wird der Sklavenhandel im großen Stil entwickelt. Die eingeschleppten „schwarzen Männer“ eignen sich mit ihrer körperlichen Physis bestens zur harten Arbeit auf den über die Jahre entwickelten Zuckerrohrfelder. Immerhin ist Kuba bereits um 1800 weltgrößter Zuckerrohrexporteur.

 

 

Die Bevölkerung ist um diese Zeit sicherlich biologisch stark vermischt zwischen Weißen und ursprünglich schwarzer Dienerschaft bzw. Unterschicht, aber rechtlos gegenüber der alles beherrschenden spanischen Aristokratie und Oligarchien.

 

 

Nun sind solche Geschehnisse, wie hier geschildert, fast schon übliche Erscheinungen oder Schicksale von Ländern bzw. Landmengen, deren Gebiete, bevölkert von arglosen und wenig wehrhaften Urbewohnern, okkupiert, kolonisiert, entrechtet und ausgebeutet werden.

 

 

Die besondere Geschichte Kubas allerdings muß vor allem im Zusammenhang mit ihrer geostrategischen Lage gesehen werden.

 

 

Drei wichtige Meeresstraßen dominieren die Insel, die für die Verbindung zwischen Europa und Amerika von erstrangiger Bedeutung sind.

 

 

Die Floridaenge, die den Golf von Mexiko mit dem Atlantischen Ozean verbindet, war zu Zeiten des Segels die offizielle Eingangstür von Europa nach Amerika. Zwischen Ostkuba und der Westküste des heutigen Haiti verbindet die sogenannte Windwardpassage  den Atlantik mit dem westlichen Zentralteil der Karibik und Jamaika. Über die Yukatan-Straße schließlich, zwischen dem heutigen  Mexiko und Kuba, gelangten die Schiffe aus den karibischen Küstenzonen Süd –und Mittelamerikas in den Golf von Mexiko und damit nach Havanna.

 

 

Damit wurde die Insel und im engeren Sinne Havanna zur wichtigsten Verteidigungsgrenze des spanischen Amerika.

 

 

Folgerichtig stand und steht Kuba immer im Blickpunkt Nordamerikas, ein Landobjekt der Begierde direkt vor der eigenen Haustür. Man wartete geradezu auf eine Gelegenheit, zugunsten eines anderen Kuba nach nordamerikanischer Vorstellung Einfluß zu nehmen.

 

 

Diese Gelegenheit sollte schon Ende des 19. Jh. kommen, allerdings anders, als die Kubaner sich das vorgestellt hatten.

 

 

Ich komme zur schicksalhaften Wende im kubanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier unter Jose Marti während der Jahre 1895-98.

 

 

Schon früh war die Annexion oder der Kauf Kubas wiederholt von amerikanischen Präsidenten erwogen worden; ob Jefferson, Madison oder explizit John Adams 1823, der die Vereinnahmung Kubas als eine unverzichtbare Aufgabe einschätzte.

 

 

Insbesondere nachdem die USA 1890 die Arrondierung ihres kontinentalen Staatsgebietes abgeschlossen hatten, griff die auf Erschließung neuer Märkte ausgerichtete Politik des amerikanischen Establishments auf die verbliebenen Überseebesitze der klassischen Kolonialmacht Spanien über.

 

 

Außer Kuba galt das Interesse den Philippinen, Hawai, Samoa und anderen.

 

 

Zurück zu Kuba. Um 1898 war zwar der Unabhängigkeitskrieg noch nicht entschieden, aber der kubanischen Geschichtsschreibung nach war ein Sieg der kubanischen Seite bereits absehbar. Da lief im Febr. 1898 das seit längerem in den Gewässern kreuzende US-Schlachtschiff „Maine“ gegen den Protest der Spanier zu einem sogenannten Freundschaftsbesuch in den Hafen von Havanna ein.

 

 

Mit anderen Worten: nicht eingeladen, nicht angemeldet und nicht willkommen.

 

 

Am 15. Febr. gab es eine Explosion auf der „Maine“, die mit zerstörtem Vorschiff sank und weit über 200 Mann an Besatzung in den Tod riss.

 

 

Die USA beschuldigten nun Spanien, einen Angriff auf das Schiff verübt zu haben. Die amerikanische Öffentlichkeit war empört und angeheizt durch

 

 

Die Presse, vornehmlich der beiden Verlegerfürsten Pulitzer und Hearst, welche die Stimmung in Richtung Krieg gegen Spanien lenkten – sicher in Abstimmung mit der Politik, die diese Kriegserklärung auch bald aussprach und Spanien nicht nur auf Kuba sondern ebenfalls auf dem philippinischen Archipel angriff.

 

 

An beiden Schauplätzen obsiegten die USA dank ihrer kräftemäßigen Überlegenheit bzw. gewannen Kriege, die nicht wirklich begründet werden konnten, mal abgesehen davon, dass eigene Interessenlagen im Vordergrund standen.

 

 

Heute ist nachgewiesen, dass die Explosion auf der „Main“ im Inneren des Schiffes stattfand und keinerlei Einschüsse von außerhalb vorangegangen waren. Eine Tatsache, die damals offensichtlich bewusst verschwiegen wurde.

 

 

Kubanischen Quellen zufolge waren am Vorabend der Explosion, die während der Nacht erfolgte, alle weißen Besatzungsmitglieder an Land gegangen bzw. sich ausschließlich schwarze Seeleute an Bord befanden und mit untergingen.

 

 

Aus kubanischer Sicht wurde ihnen der Sieg über die Spanier gestohlen, wenngleich es sicherlich auch Gruppen gab, die den folgenden Einfluss der USA begrüßten. Aber ebenso sicher nicht die Mehrheit der Widerstandskämpfer, die für ein freies Kuba gekämpft hatten.

 

 

Das nenne ich Tragik.

 

 

Denn was war die Folge? Im sogenannten „Frieden von Paris“ zwischen Spanien und den USA, unterzeichnet im Dezember 98, mußte Spanien Puerto Rico, Guam und die Philippinen an die USA abtreten und erhielt dafür 20 Mio. Dollar.

 

 

Kuba wurde zwar formal unabhängig, blieb aber zunächst unter US-Besatzung. Durch das sog, Platt-Amendment in der kubanischen Verfassung von 1901 (wer mag diese wohl verfasst haben?) war jedoch dessen politische und militärische Abhängigkeit von den USA besiegelt.

 

 

Kuba wurde 1902 zur Republik erklärt, war de facto aber ein Klientelstaat der USA. Es folgte eine Epoche US-amerikanischer Hegemonie, die erst im Zuge der Kubanischen Revolution 1959 beendet wurde.

 

 

Mit Daten und Fakten der Machtübernahme durch Castro und seine Gruppierung will ich jetzt nicht im Detail aufwarten. Aber soviel dennoch: Kuba war unter dem Einfluß der USA wohl so wenig frei wie unter den Spaniern. Ausgebeutet wurde es von beiden, wenn auch Diktatoren kubanischer Nationalität wie Machado oder nach ihm Battista die Geschäfte der USA führten.

 

 

Castro erster Putschversuch 1953 scheiterte noch und nach 2 Jahren Haft wurde er nach Mexiko in`s Exil geschickt. Dort lernte er den Argentinier Che Guevara kennen, mit dem und anderen er 1956 unentdeckt nach Kzba zurückkehrte und in die Sierra Maestra entschwand, von wo aus er einen Guerillakrieg initiierte. Diese Bergwelt liegt geographisch nördlich der alten Hauptstadt Santiago de Cuba, selbst im Südosten der Insel angesiedelt und Schauplatz der Siegesverkündigung durch Castro am 1. Jan. 1960.

 

 

Im Polyglott Reiseführer heißt es zu Castro nicht Unabhängigkeitskrieg sondern Revolution, wohl der „Political Correctness“, man kann auch sagen: vereinbarter Sprachregelung geschuldet.

 

 

Nun zu Fidel Castro: ein stolzer Mann, eine tragische Figur, ein Kämpfer, ein Idealist oder vereinigt er in sich genug von all dem und noch etwas mehr, dass nicht zu definieren ist, so dass eine eigene, neue Persönlichkeitsbeschreibung für ihn gefunden werden müsste?

 

 

Ich denke, dass schon sein erstes Regierungsjahr die Keimzelle aller späteren Entwicklungen und Verwicklungen war. Einerseits verstaatlicht er sofort oder zu schnell verschiedene US-Unternehmen, andererseits lässt er hunderttausende reicher Kubaner mit ihrem ganzen Geld außer Landes –vornehmlich nach Florida – ziehen, frei nach dem Motto: Geht doch, wir brauchen Euch nicht!

 

 

Diplomatie bzw. abwägende Situationseinschätzung auf nicht militärischem Feld schien seine Sache nicht zu sein.

 

 

Die USA reagierten mit Handelsbeschränkungen und 1961 mit der versuchten Invasion in der Schweinebucht, wenn auch nicht unter dem Sternenbanner, sondern in einer von der CIA gelenkten Aktion.

 

 

Castro warf diesen Angriff zurück und antwortete prompt und vielleicht auch trotzig mit der Ausrufung Kubas zur sozialistischen Republik auf der

 

 

Grundlage des Marxismus/Leninismus, obwohl er sich in seiner Vita bislang niemals als Kommunist bezeichnet hatte.

 

 

Halb zwang man ihn, halb ging er von alleine: in die Arme der damals überaus großzügigen Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten, die DDR ganz vorne mit dabei.

 

 

Welchen Wirrungen und Irrungen die Politik und ihre handelnden Personen unterliegen können, zeigt der Versuch, tatsächlich russische bestückte Raketenbasen auf Kuba und gegen die USA gerichtet installieren zu können. Eine für die USA und sicher für die ganze nicht kommunistische Welt eine niemals hinnehmbare Konstellation, die auch hätte zu einem neuerlichen Weltkrieg führen können. Wir schreiben das Jahr 1962.

 

 

Damals wie heute und wohl schon immer gilt, dass einzelne Menschen oder Machtzirkel in ihrem Wahn Initialzünder für größtes Unheil auf dieser Welt waren, sein können und auch wieder werden.

 

 

Die Folge war ein totales Wirtschaftsembargo der USA gegen Kuba.

 

 

Dieses konnte jedoch bis weit in die achtziger Jahre kompensiert werden durch die Unterstützung der UDSSR  und ihrer sogenannten Bruderstaaten. Kuba konnte zu akzeptablen Preisen exportieren, was es an Interessantem zu bieten hatte, in erster Linie Zucker.

 

 

Der Castroismus setzte sich durch. Unbestreitbare Ergebnisse der Transformation, die seit Mitte der siebziger Jahre deutlich wurden, waren ein exzellentes Gesundheits- und Bildungssystem, eine neue Rolle der Frauen, der Familie und der Jugend sowie eine anhaltende kulturelle Kreativität. Demographische Grunddaten wie Analphabetismusrate, durchschnittliche Kinderzahl, Säuglingssterblichkeit oder Lebenserwartung glichen denen eines Landes der ersten Welt.

 

 

Größte Veränderungen ergaben sich auf dem Lande. Wasser –und Stromversorgung erreichten 1980 nahezu 75% der Wohnungen, Söhne und Töchter von armen Bauern oder Kleinbürgern wurden zu Ärzten, Ingenieuren oder Wissenschaftlern. Kuba konnte bereits Anfang der siebziger Jahre deren Ausbildung selbst gewährleisten und das breit angelegte Studienprogramm von Kubanern in den sozialistischen Ländern beenden.

 

 

Abgelöst wurde dieses durch ein Programm zur Ausbildung von Industriearbeitern, vor allem in Ungarn, der DDR und der CSSR. Austausche zwischen Hochschulen, Massenorganisationen und politischer Klassen kamen hinzu.

 

 

Die Besonderheit des kubanischen Weges bestand darin, dass all dies nicht unter der Führung einer Partei geschah, sondern durch eine Führungsgruppe geschaffen wurde, die ihren dauernden Austausch mit dem Volk und damit eine erhebliche Massenbasis wirkungsvoll in Szene zu setzen vermochte.

 

 

Durch ständiges Reisen und Reden von epischer Breite bzw. Dauer auf Massenveranstaltungen gab Castro den Kubanern das Gefühl, sie selbst seien die Schöpfer des Neuen.

 

 

Die Masse der Kubaner hing zeitweilig der Illusion an, die Welt über die eigenen Grenzen hinaus verändern zu können – ich möchte fast sagen, die Rolle des Rächers der zurückgelassenen dritten Welt einzunehmen, sei es in Lateinamerika oder Afrika – zu jeweils passenden Gelegenheiten.

 

 

Hieraus entwickelte sich eine ganz eigene Art von Stolz, die sich in eben diesem Gefühl wiederspiegelte, für einen Großteil der Welt einen ganz neuen Weg ge –bzw. erfunden zu haben, der richtungsweisend sein könnte.

 

 

Che Guevara, der sich allerdings im Streit über die Richtung 1965 von Castro und Kuba trennte, ging nach Bolivien, um seine revolutionären Ideen fortzusetzen, wurde dort jedoch 1967 verraten und erschossen.

 

 

Für die Kubaner ist er bis heute unbeschadet ein Volksheld, zumal auch durch Castro nie öffentlich kritisiert, sondern wurde damals wie ein Freund verabschiedet, der auszieht, um die kubanische Idee in fernere Länder zu tragen.

 

 

Klar ist aber auch, dass Castro und insbesondere sein 5 Jahre jüngerer Bruder Raul bzw. die Staatsgewalt überhaupt nicht zimperlich umging mit denen, die tatsächlich oder vermeintlich in Gegnerschaft zu ihnen gerieten.

 

 

Die Gegner im Inneren sind jedoch keinesfalls zu vergleichen oder zu verwechseln mit der über die Generationen gewachsenen und hauptsächlich in Florida lebendenden kubanischen Volksgruppe der „ersten Stunde“, die das Land –wie erwähnt- nach der Machtübernahme durch Castro legal verlassen konnte, nachdem sie ihr Geld auf US-Konten transferiert hatte.  Ich schätze, dass es sich mittlerweile um eine Zahl von ca. 2Mio. Menschen handelt, die durch ihr wahlpolitisches Gewicht im Schlüsselstaat Florida noch jeden Präsidentschaftskandidaten vor etwaigen Embargolockerungen zurückschrecken ließ.

 

 

Solange Castro lebt, wird sich daran auch rein gar nichts ändern.

 

 

Ein Faszinosum ist jedoch, welche Rolle als Staatsmann sich Castro aneignen konnte bzw. ihm im Laufe der Jahre zugebilligt wurde. Respekt ist das Mindeste, was ihm da, wo er außerhalb Kubas auftritt, entgegengebracht wird.

 

 

Der Zusammenbruch im Ostblock konnte dann für Kuba nicht dramatischer sein. Die Abnehmer kubanischer Waren brachen weg, die GUS-Staaten konnten ihre Unterstützungsmaßnahmen kaum noch leisten – sie hatten selbst fast nichts mehr. Erdölimporte fielen auf ein Drittel, Rohstoffe, Konsumgüter, Grundnahrungsmittel fielen aus. Die Vorzugsbehandlung war zu Ende.

 

 

Die Zuckerernte halbierte sich, die Preise verfielen. Benzinmangel reduzierte die Produktionskapazität um drei Viertel. Es fehlten Ersatzteile, man hatte keine Devisen für den Weltmarkt. Der Autoverkehr kam zu Erliegen, Fahrräder und Kutschen bestimmten das Straßenbild. Die Infrastruktur brach zusammen.

 

 

Brot, Reis und Zucker waren vorhanden, aber keine Proteine und Fette.

 

 

Der Revolution war die Zukunft abhanden gekommen, sie hatte plötzlich nur noch Vergangenheit. Die Florida-Kubaner sangen im Triumpfgefühl den Hit: Ya viene llegando – sehr frei übersetzt: jetzt geht es los.

 

 

Vielleicht sind durch diese Häme Widerstandsgeister geweckt worden, die in anderen sozialistischen Gesellschaften nicht existierten oder nicht wirksam werden konnten.

 

 

Stolz und die Obsession, die Fahne nicht zu senken, haben in Krisensituationen der kubanischen Geschichte schon oft eine wichtigere Rolle gespielt als andere Tugenden. Der in Miami und anderswo erwartete Fall Havannas fand nicht statt.

 

 

Aber es war klar, dass etwas geschehen mußte, um dieses Land am Leben zu halten.

 

 

Mit dem Ziel, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, die wichtigsten Errungenschaften der Revolution zu erhalten und dringend benötigte Devisen in`s Land zu holen, wurden ausländischen Firmen bzw. Investoren größtmögliche Anreize geboten.

 

 

Der Tourismus wird massiv gefördert, Handelsbeziehungen, vor allem mit Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten, mit Kanada und der Karibik werden neu geordnet. Zudem entstehen Freihandelszonen; Bauern wird erlaubt, einen Teil ihrer Ernte frei zu verkaufen und anderes mehr geschieht. 1993 wird sogar der US-Dollar als Zahlungsmittel zugelassen.

 

 

Was mag in Castro vorgegangen sein, diesen Schritt zu billigen?

Natürlich ist der Mythos Fidel Castro gealtert, aber – im positiven wie im negativen – ungebrochen, wie die internationale Medienaufmerksamkeit beweist. Eine ähnlich charismatische Person ist weltweit kaum auszumachen – mit der Ausnahme Nelson Mandela!

 

 

Aber mit Castro ist eben auch die Generation gealtert, von der Cuba über die Jahrzehnte getragen wurde, und die mit Stolz auf sich und die Geschichte zurückblickt.

 

 

Der Tourismus, die Parallelwelt der Dollarwirtschaft, die mittlerweile gestattete Entgegennahme von Zuwendungen verwandter Familienzweige im Ausland bzw. sogenannter Exile machen es den Bevölkerungsschichten schwer, die von dieser Warenwelt ausgeschlossen sind.

 

 

Beklagt wird eine Erosion der Grundwerte Solidarität, Familiensinn, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und Würde. Diese für das sozialistische Kuba neuen Phänomene lassen die Unterschiede zwischen Idealen und Realität sowie die existierenden Spannungen und die Differenzierung der Gesellschaft um so deutlicher werden.

 

 

Das ist Anlass für die Antireformer, nach verschärften Gesetzen und dem Ausbau des Polizeiapparates zu rufen.

 

 

In jedem Fall steht Kuba meiner Meinung nach vor einem Umbruch, der sich mit Wucht in eine heute noch nicht absehbare Richtung entwickeln wird, wenn Fidel Castro dereinst die Macht aus den Händen legen wird oder muß.

 

 

Das Kuba des dritten Jahrtausends ist kein leuchtendes Vorbild mehr. Aber es ist auch kein Dominostein. Spezifisch kubanische Besonderheiten wirken stärker als allgemein postulierte Gesetze politischer Entwicklung.

 

 

Gäbe es die, hätte das Land mit seinen Unzulänglichkeiten, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, schon unzählige Male zusammenbrechen müssen – das ist aber nicht geschehen.

 

 

Aber, die Kubaner fühlen sich, trotz steigender Zahlen im Tourismus, seit 1990 irgendwie allein auf ihrer Insel zwischen Karibik, Golf und Atlantik. Wirklich enge, freundschaftliche Beziehungen unterhält Kuba heute nur zu China, Vietnam, Nordkorea, Lybien, Bolivien, Venezuela und Haiti. Wichtige Handelspartner sind auch Russland, Kanada, Spanien und Mexiko.

 

 

In Westeuropa wurde sicherlich eine Entpolitisierung des Kuba-Bildes vollzogen. Dieses unter anderem aufgrund der Entmythologisierung des Kommunismus und der Aufgabe (sprich: Unterlassung) fast blinder Übernahme US-amerikanischer Doktrine – vielleicht mit der Ausnahme Großbritanniens. Die sonst so reisefreudigen Briten konnte ich auf Kuba nicht entdecken.

 

 

Und doch kann sich Kuba und speziell Fidel Castro großer internationaler Erfolge freuen. Der Papstbesuch, die Teilnahme an der Versammlung von 48 Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik 1998 in Rio de Janeiro, der Besuch des spanischen Königs 1999 und auch das Votum von 167 Staaten der UNO gegen das US-Embargo im Jahre 2001 sind Meilensteine.

 

 

Was die Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba angeht, so sind diese bereits auf mehreren Ebenen aufgebaut. Die Aktivitäten der SPD nahen Friedrich Ebert Stiftung, der von Ärzten organisierten Humanitären Kubahilfe, der Deutsch Kubanischen Gesellschaft, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, bis hin zu den Besuchen der damaligen Entwicklungsministerin Wiczorek-Zeul in den Jahren 2000 und 2002 spiegeln dieses wieder. Der ehemalige Kölner Regierungspräsident Antwerpes ist ein ständiger Reisender in Sachen Kuba.

 

 

Wer erinnert sich übrigens nicht gerne an die Renaissance traditioneller kubanischer Musik, wie sie in dem Wim Wenders Film „Buena Vista Social Club“ so vorzüglich zum Ausdruck kam? Eine Musik, an der ich mich während meines Aufenthaltes auf Kuba nicht satt hören konnte, sei es in den Hotelanlagen, den Marktplätzen von Havanna oder Santiago de Cuba oder in anderen Inselgegenden, die ich organisiert besuchen konnte. Teilweise wurde man geflogen in noch seilgesteuerten Maschinen amerikanischer oder russischer Herstellung, deren Flugalter bewiesene 50 Jahre nicht unterschritt.

 

 

Ich traf auf Menschen, die den Besuchern ausgesprochen freundlich entgegentraten. Die Privilegierten unter ihnen, nämlich solche, die am Tourismusgeschäft teilhaben, sei es im Hotelwesen oder in peripheren Räumen, wissen durchaus, wie man auf charmante Art an Zuwendungen wie Trinkgelder oder Anerkennung für verschiedenste Dienstleistungen herankommt. Aber – nie verbunden mit schnöder Bettelei oder devoter Anbiederung.

 

 

Das jedenfalls ist meine Erfahrung.

 

 

Es ist fast schon müßig, zu betonen, dass Kuba seine Bezeichnung „Perle der Karibik“ wirklich verdient. Weiße Strände, kristallines Meer, Palmen .. dazu eine Atmosphäre , die sich bewegt zwischen Melancholie und Lebenslust.

 

 

Und in Havanna wie an sich überall außerhalb der neuen Hotelzeilen, wie z.B. auf der Halbinsel Varadero, eine Begegnung der besonderen Art: nämlich mit den morbiden Fassaden großartiger Architektur, die fast schon betört. Kuba ist eine Versuchung. Und Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.

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