Franz Ludin

Das Blatt

Das bunte Blatt wirbelte durch die Luft.

"...was machst Du mit mir....?" fragte es den Wind.

Der Wind sagte: "Ich wirbele Dich herum. Ich liebe es, Blätter wie Du herum zu wirbeln".

Das Blatt sagte nichts mehr, liess sich von den Windstössen davon tragen. Es wirbelte über das Trottoire - wirbelte auf die Strasse und sank auf den Boden. Es hörte die Geräusche der heranfahrenden Autos - den Lärm des Strassenverkehrs. Es bekam Angst - es wollte nicht überfahren werden - wollte nicht auf einer solchen dreckigen Strasse das Leben beenden.

"...bitte nicht hier...", flüsterte es dem Wind zu.

Der Wind hörte die Bitte des Blattes und gab einen kräftigen Windstoss. Der Windstoss wirbelte das Blatt weg von der dreckigen Strasse - weit empor - und liess es sanft auf die Wiese sinken. Das Blatt sah die Wiese. Das Blatt liebte die Wiese - ja - hier wollte es verwelken - die Farbe wechseln - noch bunter werden und sterben. Die Zeit war gekommen. Der Herbst war da. Das Blatt begriff, seine Zeit war gekommen - der Herbst mit den bunten Laubbäumen - mit den roten und gelben reifen Aepfel am Boden. Alles war reif geworden. Das Blatt dachte mit Wehmut an den schönen Frühling, das es erleben durfte, an die spielenden Kindern unter dem Baum - dort, wo seine Heimat war - dachte an die Liebenden, die sich dem Verlangen der Liebe hingaben unter dem Baum - dort, wo seine Heimat war. Da hörte es die Versprechen der Liebenden, das Geschrei der Kinder und das Schluchzen der Enttäuschten, der Traurigen. Dann dachte es an den Sommer mit seiner Hitze - seiner Armut an Wasser - an die heissen Tagen, wo es Durst hatte und es nichts gab, weil der Regen nicht kommen wollte. Das Blatt liess sich auf das nasse Gras der Wiese nieder. Hier würde es bleiben - die restlichen Tagen, die es ihr vergönnt waren. Das Blatt dachte wie schön es gewesen war, ein Blatt zu sein - als Blatt zu leben. Dann sah das Blatt - nicht weit von sich - ein anderes welkes Blatt - in bunten roten Farben. Es spürte ein wenig Glück, weil es wusste, es war nicht allein - nicht allein in den letzten Stunden des Lebens eines Blattes.

"..danke ..danke mein Wind, dass ich nicht allein verwelken muss", flüsterte das Blatt und sah das andere Blatt an.

Der Wind hatte aufgehört zu blasen.

"...wer bist Du?" fragte das Blatt das andere Blatt - nicht weit von sich.

"..ein Blatt - wie Du..", erwiderte das andere Blatt, " ich bin froh, dass Du neben mir liegst..".

Das Blatt spürte Glück in sich aufsteigen.

"..ich auch....jetzt bin ich nicht allein beim Verwelken. Jetzt verwelken wir gemeinsam...jetzt werden wir beide neu beginnen...ein neues Leben ...Du und ich", flüsterte das Blatt.

Das andere Blatt sagte: "ich freue mich auf Dich...mit Dir den Weg zu machen...lass uns verwelken...".

Der Wind hörte das Gespräch der verwelkenden Blätter - lächelte still vor sich hin und wusste, beide Blätter würden glücklich werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.07.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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