Peter Dürbaum

Zwei Groschen

Die Zeiten waren schlecht. Damals war ich ungefähr acht
Jahre alt.

Mein Vater war als Gymnasiast
von der Schulbank weg eingezogen worden und kam, noch jung, gealtert aus dem
Krieg heim. Eine Bombe hatte seine Mutter
zerrissen, sein Vater war Hilfsarbeiter bei der Eisenbahn.
Der Vater meiner Mutter war
Bergmann, ein Beruf, den der Diktator sehr schätzte, und Opa schätzte den
Diktator.
Auch von ihrer Mutter weiß ich
nur, daß sie im Krieg umgekommen ist.
Meine Mutter hatte dieser Krieg
nach Osten verschlagen, mitten hinein in die anrückenden Truppen der Russen.
Die Startbedingungen nach dem
großen Krieg waren für viele, auch für meine Eltern, denkbar schlecht und beide
arbeiteten sie hart.

Mein Vater studierte Medizin
und meine Mutter, Krankenschwester von Beruf, war in einer in einer Spinnerei
beschäftigt und nach Feierabend ging sie putzen.
Eine Nenntante väterlicherseits
kümmerte sich um mich.
Ein paar Jahre später wurde
mein Bruder geboren, meine Mutter konnte nun nicht mehr arbeiten gehen.
Zu dieser Zeit wurde das
Einkommen noch bescheidener. 

Sehr ehrgeizig war mein Vater
und nutzte jede Gelegenheit, beruflich voranzukommen.
Er machte sein Pflichtjahr in
einem Krankenhaus und wir mußten umziehen.

Meine Mutter dreht jeden
Pfennig zweimal um, manchmal auch dreimal.
Einmal, vollkommen
überraschend, schenkte sie mir Kirmesgeld.
Sie drückte mir zwanzig Pfennig
in die Hand, zwei Groschen, wie die alten Tanten sagten.
Ich ahnte, daß das Geld einen
Wert hatte, den halben Tag lief ich über den Kirmesplatz und schaute überall
zu, ohne es Geld anzurühren. 

Was gab es da nicht alles zu
sehen:
die riesige Dampforgel, deren
Druckkessel die Kraft lieferte, damit der mächtige Treibriemen die mannshohen
bunt bemalten Holzfiguren drehte und dabei noch die Melodien über den Platz
schmetterte.
Alle diese bunten Buden, die
Raupe mit dem Klappdach, deren süßes Geheimnis ich erst sehr viel später
erfahren sollte, als ich meine erste Freundin hatte. Die Luftballons, die in
allen Farben leuchteten, der Eisbärmann, der mich immer so erschreckte, bis ich
sein kleines Gesicht zwischen den riesigen Fangzähnen entdeckte. Danach
fürchtete ich mich weniger.
Das Kettenkarussell hatte es
mir angetan.
An viel zu dünnen Ketten, wie
ich mit Sorge feststellte, hingen Sitze mit Lehnen, in die sich die Menschen
zwängten und es dann wagten, mit einer Sicherheitskette vor dem Bauch, sich mit
Hilfe der Fliehkraft über die Köpfe der Besuchermengen schleudern zu lassen.
Von dort oben hatten sie
sicherlich eine schöne Aussicht auf die Schiffschaukel nebenan und das
Riesenrad am Rande des Platzes.
Ich stand und schaute, freute
mich mit den Menschen, wenn sie vor Vergnügen jauchzten und litt mit ihnen,
wenn sie bei rasender Fahrt vor Angst schrieen.

Das Gewimmel der Menschen, die
bunten Luftballons, die Gerüche von Anis, Lakritzen und kandierten Erdnüssen,
die Musik aus den Lautsprechern, die dumpf verzerrten Stimmen aus den
Mikrofonen der Budenbesitzer, alles stürzte auf mich ein.

Ab und zu tastete ich nach den
zwei Groschen, den zwanzig Pfennig, das klang nach mehr Geld.
Ich vergewisserte mich, daß sie
noch da waren, mittlerweile in der Hosentasche angewärmt und ein wenig klebrig.
Dieses absichtlose Gucken ging,
ganz leise aber stetig, in ein zartes Verlangen über und wurde nach und nach
zum Wunsch, auch auf eines dieser Kirmesgeräte zu steigen.
Schnell unterdrückte ich den
Gedanken daran, kam an einem Pferdekarussell vorbei, die Tiere hatten wehende,
weiß lackierte, wilde Mähnen, wippten immer auf und ab in einem furiosen
Galopp.
Mit ihren viel zu weit
aufgerissenen Augen und Nüstern luden sie mich ein, auf der Stelle tretend,
über die Steppe zu fliegen.
Das sie nicht wirklich
galoppierten, stellte ich bei näherem Hinsehen mit Bedauern fest, und der ganze
Zauber war dahin.

Dann war doch das Karussell mit
den Autos besser, da drehten sich wenigsten die Räder.
Sogar einen Motorroller gab es
dort und ein leuchtend rotgestrichenes Feuerwehrauto mit einer echten
Messingglocke.
Das stille Verlangen wuchs auf
dem Weg zum Boxring, zwischen den Losbuden.

Mehr noch, ich wollte das Geld
ausgeben! 

Ein innerer Kampf entbrannte in
mir: das Feuerwehrauto oder doch lieber der Motorroller oder doch besser eins
von diesen wilden Pferden, Lakritze wäre auch nicht schlecht oder türkischer
Honig, Zuckerwatte, gebrannte Mandeln, alles weckte in mir Verlangen.
Immer mehr geriet ich in einen
Zwiespalt - sollte ich nach Hause gehen und das Sparschwein füttern oder
vielleicht doch ein Los kaufen, mit der Aussicht, einen riesigen, rosafarbenen
Bären zu gewinnen.
Aber gab es denn überhaupt rosa
Bären?
Ich war mir nicht sicher. 

So entschied ich mich für die
drei Ringe an der Wurfbude, hatte das Geld schon in der einen Hand, die Ringe
in der anderen, da streckte der alte Mann seine Hand aus und wollte das Geld
haben, mein Geld.

Wild entschlossen legte ich die
Ringe zurück und schlug den Weg nach Hause ein.
 


Dann aber geschah es:
mit steinerner Mine ging ich
zur Schießbude, nahm ein Gewehr, bekam sechs Kügelchen für die zwei Groschen,
öffnete die Kammer, ließ die Kugeln hineinträuflen und schoß auf die weißen
Tonröhrchen, verbissen und wütend.
Der Mann im grauen Kittel
suchte grinsend meinen Blick: >>Vier daneben, zwei getroffen. Da musst du
aber  noch üben<<.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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