Katinka Schieke

Meine Wanderung

Ich ging am Samstag los. Ich hatte gedacht, dass mit dem Moment, wo ich loslaufen würde, auf einmal alles anders wäre. War aber nicht so! Irgendwie war eigentlich alles genauso wie vorher. 1. Tag: Ich ging nach Göttingen. Es war eigentlich wie ein Spatziergang, vom Gefühl her. Ich habe Pfefferminze gefunden, das war schon toll. Abends kam ich völlig erschossen in Göttingen an und fand ein schönes Plätzchen bei Marc und Frauke. Marc schenkte mir eine Alarmanlage und Tabletten für mein Knie. Die Tabletten habe ich auf dem Tisch vergessen, aber die Alarmanlage(ein Teil, das einen Mordskrach macht, wenn man so einen Stift rauszieht) trug ich brav mit. Gestern ist sie mir versehentlich angegangen, als ich durch ein Dorf lief. 2.Tag: Mit einem fetten Frühstück begann der Tag. Ich verabschiedete mich von meinen Gastgebern und ging los. Dieser Tag war schon ein kleines bisschen anders als der erste. Irgendwann stieß ich in Göttingen auf den Europawanderweg 6. Da hatte ich das Gefühl, dass die Wanderung erst richtig losgeht. Von da ab hielt ich mich an diesen Weg. Ich lief bis Scheden, bzw. kurz davor. Dort war ein Ort, wo ein Bauer so einen Überstand für seine Geräte gebaut hatte und es gab eine Feuerstelle hinter einen Holzstoß. Das sollte der Platz sein, wo ich das erst mal alleine draußen übernachten würde.
Es wurde eine echt tolle Nacht! Als ich mich schon hingelegt hatte, guckte ein Hund um die Ecke, gefolgt von seinem Herrchen. Das war ok. und ich hatte auch keine Angst vor dem. Als er wieder weg war stellte ich mir vor, wen er alles im Ort treffen und von mir erzählen würde. Ich hatte echt wahnsinnige Angst. Ich scholt mich, stellte mir Statistiken vor, versucht an was schönes zu denken, fing sogar an am Daumen zu nuckeln, aber nichts half. Irgendwann döste ich dann doch so vor mich hin. Da hörte ich ein Auto, das direkt neben mir hielt. es war so gegen Mitternacht. Das gab einen ordentlichen Adrenalinstoß!! Ich griff nach meinem Wanderstock, ließ ihn wieder fallen und zog die Flucht vor. Ich bin also raus aus meinem schlafsack und hinter ein Gebüsch gesprungen. Dort saß ich, wartete, horchte und das Herz raste. Um es kurz zu machen. Der Mensch wollte offensichtlich nur nach den Pferden gucken, die auch da waren. Ich saß aber noch ne weile hinter dem Gebüsch und horchte, noch nachdem er wieder weg war, konnte ja sein, dass er jemanden rausgelassen hatte, der gleich über mich herfallen würde. Meine übergroße Angst kommt vielleicht einfach auch daher, dass ich in der Beziehnung nicht gänzlich unerfahren bin. In dieser Nacht habe ich jedenfalls beschlossen nicht mehr alleine draußen zu übernachten.
3.Tag: Ich war übermüdet. Dieses Gefühl der Angst hatte sich auch ein bißchen festgesetzt. Ich bin schon viel alleine im Wald unterwegs gewesen, aber auf einmal ist alles ein bißchen anders. Ich kam nach Han Münden. Ich überlegte hier zu bleiben in der Jugendherberge, beschloss aber doch noch weiterzugehen. Innerlich kämpfte ich. Kilometer machen gegen einfach nur laufen solange es Spaß macht. Ich wußte was ich wollte, nämlich das Gehen genießen, ohne Zwang. Trotzdem unterlag ich diesem Bedürfnis möglichst weit zu kommen. Die ganzen Tage über regnete es übrigens immer wieder. Ich war völlig fertig, manchmal den Tränen nahe. Ich schleppte mich nur noch vorwärts. Dann kam ich an einem Schild einer Pension vorbei. Da war ein Pfeil, dem ich nachging. Schlußendlich gelangte ich nach einem weiteren Kilometer, bergauf, an die Pension und mir wurde gesagt, dass sie nicht vermieten würden. "Hätten sie mal angerufen!" und "drei Kilometer zurück, da ist das Gasthaus sowieso" na dann vielen Dank. Rückwärts laufen? Das kommt nicht in Frage, dann lieber die vier Kilometer nach Witzenhausen. Dort angelangt war es dann aber vorbei mit meiner Fassung. In einer Kneipe, wo ich mir von der Frau meine Wasserflasche habe auffüllen lassen, wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen und hätte mich dabei in ihre Arme gestürzt. "Mama, holst Du mich ab? Ich bin in Witzenhausen" Ich erlag der Versuchung und nahm die Schmach auf mich.
Eine halbe Stunde später war meine Mutter da und ich glücklich. Nie habe ich mich so gefreut mein Bett zu sehen!!
Ich musste wohl oder übel die ganze Aktion durchdenken. Das Landstreicherdasein, so wie ich es mir vorgestellt hatte war es wohl doch nicht.
Ich will weiterlaufen, das stand mal fest.
Zwei Tage habe ich zuhause verbracht. 5 Kilo habe ich aus meinem Rucksack entfernd und weiter ging es ab Witzenhausen.
Wandern ist eine ganz schön einsame Angelegenheit. Laufend vergeht die Zeit viel langsamer als wenn man irgendetwas anderes macht. Die meiste Zeit nehme ich meine Umwelt kaum wahr. Es hat etwas meditatives. Ich laufe kilometerweit, stundenlang durch den Wald, ohne jemanden zu sehen, keine Menschenseele. Überfiele mich jemand hier, würde die Alarmanlage nicht viel nützen. Das ist eher etwas für die Stadt. 4.Tag: Witzenhausen -Bad Soden Allendorf. Als ich mich auf einer Bank ausruhte, kam ein kleiner Junge und zeigte mir sein Fussballsammelheft.
Begegnungen, das ist der Grund, warum ich unterwegs bin. Diese flüchtigen Begegnungen zwischen Menschen. Spontanes Vertrauen auch von Erwachsenen, das macht Spaß. 5.Tag: Bad Soden Allendorf - Eschwege. Die Frau bei der ich übernachtet habe, sagt, dass ich ihr erster "Wanderergast" sei. Der Europawanderweg geht direkt bei ihr vorbei. Wandern ist wirklich ausgesprochen unpopulär hier. Wieder regnet es zwischendurch immer wieder. Der Wanderweg führt immer die Berge hoch. Ich wäre in die Alpen gegangen, wenn ich Berge gewollt hätte! Ich denke, nanu, ich laufe doch in die falsche Richtung! Der Kompass bestätigt das: Norden. Die Schritte werden schwerer. Der Weg schlängelt sich. Und dann die Aussicht. Ich bin auf 522m Höhe. Hier sind Bänke und eine Schutzhütte, und die Aussicht. Dafür hat es sich dann doch gelohnt. ICh bin versöhnt. Der Weg geht weiter. Sehr eng an einem Abgrund entlang. "Mein Vater könnte hier nicht entlang gehen", denke ich. Ich mache einen Witz und stelle mir vor, wie mein Vater reagiert, wenn ich sage, dass ich wandern gehen will. er sagt ok. Ich sage, alleine...mh nicht gut, aber ok. Ich will draussen übernachten...mh das ist mir nicht lieb. Aber wenn er diesen Weg sehen würde, würde er mir wahrscheinlich dann doch verbieten ihn zu gehen.
Dann kommt noch ein highlight. Zwischen lauter Kalksandsteinen finde ich eine Versteinerung, eine Schnecke, wirklich schön.
In Eschwege gehe ich in die Jugendherberge. Die Sonne ist raugekommen zum Abend hin und so kann ich noch ein bißchen davon genießen. In der Nacht ziehen Gewitter über das haus und ich bin froh, dass ich ein Dach über dem Kopf habe.
6.Tag: Eschwege - Sontra: Ich weiss nicht warum, aber ich habe immer gedacht, dass Sontra in Thüringen liegt. Stimmt aber nicht! Es ist in Hessen. Ich habe den Wanderweg für zwei Tagesetappen verlassen un dgehe auf dem Radfernweg. Wieder treffe ich eine Frau, die mich fragtnach dem wohin und wie lange. Es ist ein nette Unterhaltung und sie erzählt mir von ihrem Sohn, der sein Studium abbrechen will. Sie ist wirklich nett und sie erinnert mich an meine Tante Helga, weil sie auch so einen Dialekt hat. Ich denke daran, dass ich vielleicht bei ihr übernachten könnte, ist aber eh noch zu früh. Wieder einmal höre ich "oh nein, das ist aber mutig!!" Nicht gerade aufbauend. Und: "was da alles passieren kann!" Ich laufe aber nicht freiwillig alleine! Es will halt bloß niemand mitkommen - zumindest nicht im Moment, das ändert sich hoffentlich bald.
Irgendwann merke ich dann, dass ich falsch gelaufen bin. Scheiße! Jetzt liegen lauter Miniorte vor mir, ohne Übernachtungsmöglichkeit und Sontra ist weit. Aber ich fühle mich eigentlich noch fit und es wird schon zu schaffen sein.
Irgendwann kurz vor Sontra beschließe ich morgen wieder einen Tag Pause zu machen. Ich werde von Sontra aus nach Northeim fahren. Ich schäme mich wieder. Wenn ich noch nicht entgültig entschlossen war, die Nacht zu hause zu verbringen, überzeugt mich Sontra davon. Die Stadt ist ungemütlich, die Leute hier komisch. Mit mir zusammen wartet Dominik auf den Zug. Er geht in die 2. Klasse und liebt Züge. Mein Zug geht um acht und er muß auch um acht zu hause sein, das paßt gut. Bonbons willer nicht, weil er gerade Abendbrot gegessen hat. Wenn er nicht mit seinem Fahrrad über den Bahnsteig düst, sitzt er neben mir auf der Bank. Er hat Verwandte in Australien, sein Großonkel hatte eine Firma dort, irgendwas mit Wasserhähnen. Als der Zug kommt, bedanke ich mich bei Dominik, dass er mit mir gewartet hat und er winkt mir hinterher als ich wegfahre. Das war eine schöne halbe Stunde mit ihm.
Jetzt bin ich in Northeim und Morgen geht es weiter von Sontra, dort habe ich auch am Bahnhof meinen Wanderstab versteckt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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