Jutta Herchenhan

Reise ins Grauen

Noch immer gehen mir die Zeilen aus Mutters Tagebuch nicht aus dem Kopf.

Immer wieder lege ich das Buch zur Seite und fange an zu grübeln. Was mag sie mit ihren seltsamen Andeutungen gemeint haben, aber vielleicht ergibt das alles einen Sinn, wenn ich das Tagebuch bis zu Ende gelesen habe.

 

 

Alles was mir Mutter noch sagen konnte , bevor sie ihre lieben Augen für immer schloss, war:.  Miriam, ich hätte Dir noch so viel erzählen müssen , mein Kind, aber dazu ist es nun zu spät.

 

 

Ich wollte es nicht für wahr haben, dieses –zu spät- Nein Mutter, du darfst nicht von mir gehen, du kannst mich doch nicht ganz allein lassen. Doch an den Augen meiner Mutter konnte ich erkennen dass es wirklich zu spät war. Zu spät für mich zu erfahren, wo meine Wurzeln liegen. Ich wusste doch nur, dass Mutter gar nicht meine Mutter war, und meinen Vater hatte ich nie gekannt. Aber auch wenn ich ihn gekannt hätte, er wäre auch nicht mein richtiger Vater gewesen. Meine Vergangenheit lag so dunkel vor mir, ohne Licht.

Zwar hatte ich eine wunderschöne Kindheit, Mutter tat alles für mich, und über mangelnde Liebe brauchte ich nie zu klagen.

Dann gab mir Mutter auf ihrem Sterbebett dieses Tagebuch, und sagte leise, bitte Miriam lies es wenn ich nicht mehr bei Dir bin. Ich nahm das Buch und legte es zur Seite, ich umarmte Mutter und sagte zu ihr, ! Ach Mama Du wirst wieder ganz gesund werden, und dann kannst Du mir alles erzählen. Aber als ich am nächsten  Morgen mein Lager , neben dem Bett meiner Mutter verlies , erfasste mich ein kalter Schauer, wie ein Luftzug der an mir vorbeiglitt, da wusste ich , Mutter ist nicht mehr, oh Gott nun ist sie tot, und hat ihr Geheimnis mitgenommen.

Wie im Traum erledigte ich alles was für die Bestattung meiner Mutter nötig war. Wie eine Puppe starr lief ich hinter dem Sarg meiner Mutter, ohne zu sehn ob ich allein bin, oder ob noch Menschen dem kleinen Trauerzug folgten.

Der Pastor der kleinen Gemeinde legte seine Hand auf meine Schulter und sagte , mein Kind wenn Du Hilfe brauchst dann komm ins Pfarrhaus, es werden sich Wege finden, dass du ohne Sorgen  weiter hier in unserer Gemeinde leben kannst.

Ich dankte ihm und sagte, dass Mutter mir einiges Bargeld hinterlassen hat, und ich sehen wolle, eine Stelle in der Stadt zu finden.

Zu hause angekommen schauderte mir wegen der leeren Zimmer, und in Gedanken sah ich noch immer meine geliebte Mutter in ihrem Bett liegen. Oh Gott wie soll das weitergehen. In diesem Moment erinnerte ich mich wieder an das Tagebuch, was mir Mutter kurz vor ihrem Tod gab. Ja es lag noch immer auf dem kleinen Tisch, wohin ich es gelegt hatte, in der Hoffnung , es nicht lesen zu müssen. In der vagen Hoffnung dass meine Mutter wieder gesund würde.

Nun saß ich hier  und blätterte in Gedanken versunken, in Mutters Tagebuch.

Da standen allerhand Dinge darin die für meine Fragen unwichtig zu sein schienen. Da stand dass Mutter vor 20 Jahren die obere Etage an ein junges Ehepaar vermietet hatte, daran konnte ich mich ja nicht erinnern, denn ich war gerade 19 , und damals wohl noch gar nicht auf der Welt.

Ellenor  so hieß die Frau die damals mit ihrem Mann Jack hier wohnte, sei schwanger geworden, und habe einem kleinen Mädchen das Leben geschenkt .

Aber das alles hatte doch nichts mit mir zu tun. Ich suchte nach Eintragungen die für mich interessant sein könnten , und konnte nichts derartiges finden. Also legte ich das Buch erst einmal zur Seite, und wandte mich anderen Dingen zu. So wollte ich zuerst einmal Bewerbungen schreiben.

In einer nicht zu weit gelegenen Stadt suchte man eine Sekretärin für eine bekannte Baufirma. Diese Arbeit würde ich gern annehmen, somit musste ich mich mit meiner Bewerbung sputen. Denn wie schon so oft sind die guten Stellen immer schnell besetzt, und ich habe mal wieder das Nachsehen.

Gesagt getan, und ich brachte auch gleich den Brief zur naheliegenden Post.

Zu hause, überkam mich sofort wieder die Neugierde, und ich las weiter im Tagebuch meiner Mutter.

Da stand, als das Kind von Jack und Ellenor 2 Jahre alt war, machten sich die Eheleute auf eine weite Reise. Da diese Reise beschwerlich werden konnte sollte das Kind im Haus meiner Mutter bleiben. Meine Mutter, damals schon Witwe, wollte sich gern um das Kind kümmern.

Einige Seiten weiter schrieb meine Mutter! dass die Eheleute Jack und Ellenor nie wieder von ihrer Reise zurückkamen. Mutter wartete und wartete stand da, aber vergebens. Jack und Ellenor kamen nicht wieder.

Da meine Mutter das Ziel der Beiden nicht kannte, konnte sie auch keine Erkundigungen einziehen.

 

 

Mehrere Seiten weiter stand , Ich habe so lange gewartet, es sind nun schon Jahre vergangen, und Miriam ist noch immer hier bei mir. Sie nennt mich nun Mama ! welch ein wunderschönes Gefühl. Ich durfte nie eigene Kinder haben, und nun nennt mich die süße kleine Miriam , Mama, wie bin ich glücklich darüber.

 

 

Ich hielt inne beim Lesen, und dachte , welch ein Zufall, dass dieses Kind auch Miriam hieß.

Grübelnd las ich weiter, und entdeckte immer mehr interessante Zusammenhänge.

Wieder legte ich das Buch zur Seite, denn ich wollte in meinem Briefkasten nachschauen, ob ich Antwort auf meine Bewerbung hatte, aber leider war der Kasten leer, und ich vermutete dass mir mal wieder jemand zuvorgekommen war.

Enttäuscht ging ich die Treppe zu meiner Wohnung hinauf, doch wie magisch angezogen nahm ich wieder Mutters Tagebuch zur Hand, schlug es auf, und begann fieberhaft weiter zu lesen.

Das erste was ich las, war folgendes.

Ich sorge mich um Ellenor und Jack. Wo sind sie nur geblieben, warum haben sie ihr Kind in Stich gelassen. So etwas hätte ich von Ellenor nie gedacht. Sie war so eine sorgsame und liebende Mutter. Sie und Jack vergötterten ihr Kind. Vielleicht ist ja irgendetwas Schlimmes geschehen, dass Jack und Ellenor abgehalten hat, wieder zurück in die Heimat zu kommen. Aber es war doch nichts bekannt, kein Schiffsunglück, oder Bahnunglück zu jener Zeit. Wo also sind Ellenor und Jack geblieben.

Dann auf der letzten Seite stand geschrieben! Ich habe Miriam groß gezogen, sie ist mir eine Tochter geworden. Nun ist es ja ohnehin zu spät noch auf eine Rückkehr von Ellenor und Jack zu hoffen. Ich weis nicht , ob sie noch am Leben sind. Ich weis nur dass ich glückliche Jahre mit Miriam verleben durfte.

Miriam, auf dem Dachboden wirst Du eine Kiste finden, mit der Aufschrift, J+E. Wenn ich einmal nicht mehr bin, liebste Miriam, dann öffne diese Kiste. Mein Kind, verzeih mir  wenn ich dir nicht die Wahrheit über deine Herkunft sagte.

Nun war das Tagebuch zu Ende, und ich ganz erschüttert, über das was ich erfahren hatte.

Ich wusste ja nicht wer meine Mutter war, aber ich wusste auch nicht, warum mich meine Eltern einfach hier zurück ließen , und sich nie mehr um mich gekümmert hatten. Darüber war ich sehr unglücklich, und ich entschloss mich , sofort auf dem Dachboden nachzuschauen, nun wollte ich wissen, was Mutter für eine Kiste meinte.

Zaghaft stieg ich die Bodentreppe empor, die ich als Kind stets gefürchtet hatte. Auch später hatte ich keinen Grund gesehen dort hinauf zu steigen. Aber nun trieb mich die Neugierde.

Ich schloss die Tür auf und mit knarrenden Geräuschen öffnete ich langsam.

Oh was es hier oben alles gab, viele Kartons, und alte Möbel standen hier herum, mit Staub bedeckt, und Spinnweben zogen sich über  Kisten und alte Stühle.

Ich brauchte nicht lange suchen, bis ich die Kiste mit besagter Aufschrift fand, die aber leider verschlossen war.

Mit einem alten verrosteten Schraubenzieher versuchte ich die Kiste zu öffnen, was leider vergebens war, denn das Schloss war verrostet, und es ging einfach nicht zu öffnen.

Ich ging also hinunter in die Wohnung um einen Hammer zu holen, womit ich dann doch das verrostete Schloss überlisten konnte.

Zuerst fand ich eine Mappe, mit Unterlagen, Auch eine Geburtsurkunde von mir war dabei.

Als Eltern waren Jack  Reyder  sowie Ellenor Reyder geborene Lady of Cornval  eingetragen.

Irritiert schaute ich mir die Unterlagen an. Alles sprach dafür, dass meine Mutter eine schottische Lady war.

Aber warum waren meine Eltern niemals zurückgekommen?

Wenn es wirklich meine Eltern waren, warum haben sie mich nicht mitgenommen, sondern hier bei einer, für sie fremden Frau gelassen.

Fragen über Fragen, und bis jetzt keine Antwort.

Draußen fing es längst an zu dämmern und das fahle Licht auf dem Dachboden warf , lange Schatten. Ich hatte wohl die Zeit vergessen, vor grübeln nach dem warum.

Ich nahm die Mappe , und wollte schon die Sachen in der Kiste wieder zusammenpacken, und die Kiste wieder verschließen, da fiel mir ein Wäschestück in die Hände mit einer wunderschönen alten Stickerei , die ich zwar noch nie gesehen hatte , aber die mir sofort gut gefiel. Vor allem die Exaktheit mit der diese Stickerei gearbeitet war fiel mir auf. Ich legte auch das zurück , und beeilte mich die dusteren Treppen wieder hinunter in die Wohnung zu eilen.

Ich legte die Mappe mit den Unterlagen auf den Tisch, und hing weiter meinen traurigen Gedanken nach. Ich sah in Gedanken meine Kindheit vor mir. Ich war wohlbehütet aufgewachsen, und nannte eine Frau Mutter, die nicht meine Mutter war. Was war damals geschehen ? Wohin waren meine Eltern gereist, und warum waren sie niemals zurückgekommen, das war alles woran ich im Moment denken konnte.

Als ich endlich zu Bett gegangen war, konnte ich noch nicht einschlafen, ich stand wieder  auf und nahm die Mappe zur Hand , um nach weiteren Anhaltspunkten zu suchen.

Das Wappen auf der Geburtsurkunde meiner Mutter kam mir fremdartig und geheimnisvoll vor, ich hatte es nie gesehen.

Noch immer nicht schlauer geworden legte ich mich wieder in mein Bett , wo ich nun doch gleich einschlief.

Am anderen Tag erwachte ich sehr früh. Ich hatte wenig Ruhe gefunden und demzufolge war ich unausgeschlafen und in meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Ich war mir im klaren dass ich irgendetwas unternehmen musste, doch was ? Was konnte ich tun das Geheimnis das Mutter mit in ihr Grab genommen hatte, zu lüften. Ich ahnte dass es für mich nicht einfach wurde.

Nach einem kleinen Frühstück, ging ich zuerst einmal auf den nicht all zu weit liegenden Friedhof, dahin wo Mutter ihre letzte Ruhe fand. Ich stand am Grab und fragte Mutter, warum sie mir nicht die ganze Wahrheit über meine Eltern erzählt hatte. Aber Mutter konnte mir ja keine Antwort mehr geben.

Wie von Geisterhand getrieben führte mich mein Weg in die Dorfbibliothek. Dort schaute ich mich um , und nun wusste ich auch was ich hier suchte. Ich suchte nach einem Buch , Schottische Wappenkunde. Dort würde ich nachschauen , und sicher das Wappen finden das auf  der Geburtsurkunde meiner Mutter zu sehen war.

Zu hause angekommen , nahm ich wieder die Unterlagen zur Hand , die ich vom Dachboden mit herunter gebracht hatte.

Da erst sah ich, wie groß der Adel Schottlands war, diese vielen verschiedenen und verschnörkelten Wappen raubten mir fast die Sinne.

Cornval, diesen Namen gab es im Schottischen Adel nicht nur einmal. Der Name schien sehr verzweigt zu sein.

Doch nach langem Suchen fand ich das Wappen der Cornvals , dessen Nachkommen auf Ellenor und Christen hinwiesen. Ellenor war wie ich nun wusste meine Mutter. Christen konnte somit die Schwester meiner Mutter Ellenor sein.

Ich schrieb mir die Anschrift derer von Cornval auf, und gedachte mich damit auf ein Abenteuer einzulassen, und den Sitz meiner Vorfahren aufzusuchen. Gottseidank  verfügte ich dank meiner Mutter  über einiges Bargeld, was mir nun eine große Hilfe schien.

Vielleicht konnte ich ja dort erfahren wo meine Eltern abgeblieben waren.

Eine Woche später, nachdem noch immer keine Antwort auf meine Bewerbung gekommen war, entschloss ich mich dazu, die Reise nach Schottland in Angriff zu nehmen.

Ich packte meinen Koffer, und besorgte mir ein Ticket nach Glasgow. 

Doch dann fiel mir ein, dass ich niemanden hatte den ich über mein Vorhaben informieren konnte. Aber dann dachte ich an Holger, den Sohn unseres Pastors. Ich war mit ihm zur Schule gegangen, und wir hatten uns immer sehr gut verstanden. Unsere Freundschaft hatte etwas an Intensität verloren als Mutter so krank wurde und ich fast rund um die Uhr mit ihr zu tun hatte.

Doch nun dachte ich, es wäre gut wenn wenigstens Holger wüsste wo ich hin will. Außerdem wollte ich ihn bitten sich ab und zu um die Wohnung zu kümmern. Post aus dem Briefkasten nehmen und Blumen gießen.

Holger war von meiner Idee gar nicht begeistert. Er riet mir sogar davon ab, diese Reise zu unternehmen.

Es war mir klar dass er mich nicht verstehen konnte. Mein Entschluss war aber gefasst, so dass ich über Holgers Bedenken nur lächeln konnte.

So kam es dann, dass ich eines Morgens meinen Koffer nahm, die Reisetasche, und eine Umhängetasche, und den Weg zum Bahnhof antrat. Mit dem Zug fuhr ich nach Frankfurt zum Flugplatz.

Nun konnte es losgehen. Ich flog zum ersten Mal, und ich war ziemlich aufgeregt. Der Flugplatz wimmelte von Menschen. Manche wollten auf große Reise gehen, andere kamen aus Lissabon oder Kairo, und woher auch immer. Gleich würde ich in einem dieser Riesenvögel sitzen, und in Richtung Schottland fliegen.

Glasgow war mein Ziel. Wie es danach weitergehen sollte war mir noch unbewusst. Das Schloß meiner Vorfahren lag in den Highlands, weitab vom Großstadttrubel.

Der Flug verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Als wir in Glasgow landeten, und ich das Flughafengebäude betrat, fühlte ich eine seltsame Verbundenheit mit diesem Land.

Es fiel mir auch gar nicht schwer, mich mit dem Flughallen-Personal zu verständigen. Mein Schulenglisch war fließend und gut verständlich.

So fand ich bald einen dieser Busse die es in England noch heute gibt, doppelstöckig und rot, wie in den Reiseführern abgebildet.

Ich wuchtete Koffer und Reisetasche in den Bus der nach Nincoln fuhr. Ab Nincoln musste ich mir dann wohl ein Taxi nehmen um die restliche Strecke zu bewältigen. Das Schloss stand weit in der wilden Natur der Highlands.

Ich hoffte innigst dass meine Erkundigungen auch stimmten, und ich nicht vergebens hier her gekommen bin.

Nach zwei Stunden Fahrt in diesem Bus tat mir alles weh. Die Strassen hier waren wohl auch nicht die besten.

Auf meine freundliche Frage an den Busfahrer, wie lange die Fahrt wohl noch andauert, sah er mich belustigt an, uns meinte : Na junge Lady, schon müde ? worauf ich antwortete, na ja nicht direkt müde, aber mir tut alles weh, von dieser holprigen Strasse.

In Nincoln angekommen, stieg ich erlöst aus dem Bus aus, und suchte mir zuerst einen Pup , denn ich hatte Hunger und Durst, und dazu war ich natürlich total erschöpft.

Nincoln war nur eine sehr kleine Stadt, wie ich sehen konnte. Der nächste Pup war auch gar nicht weit entfernt, und somit steuerte ich hoffnungsvoll darauf zu.

Ich betrat eine kleine Gaststube, die mit einigen kleinen Tischen nicht sehr viel Platz bot. Außer mir saßen noch einige Männer an einem runden Tisch, sicher ein Stammtisch, und spielten Karten.

Der Wirt der mich kommen sah, kam sofort an meinen Tisch, und fragte nach meinen Wünschen.

Ich bestellte einen Saft und fragte was es zu essen gibt.

Der nette Wirt empfahl mir gebratenen Speck mit Eiern. Hungrig wie ich war , hätte ich wohl alles gegessen und stimmte seinem Vorschlag freundlich zu.

Das Essen war lecker, und reichlich. Ich dachte mir, dass es ja nicht schlecht sei, hier schon einmal nachzufragen , wie weit es zum Castle derer von Cornval sei. Gedacht getan. Aber als ich den Namen meiner Vorfahren erwähnte, verfinsterte sich die Mine des netten Wirtes zusehends.

Er sagte dass es ein solches Schloss hier in der Nähe nicht gäbe, und er nie davon gehört habe.

Das erstaunte mich dann aber doch, war ich doch der festen Meinung , auf der richtigen Spur zu sein.

Nachdem ich gezahlt hatte und den Pup verlassen hatte, überlegte ich, wen ich noch fragen könnte. Da fiel mir ein, dass es hier sicher eine Kirche und ein Pfarramt geben müsste. Also suchte ich zuerst die Kirche, und klopfte in dem nebenan stehenden Haus an. Nach einigen Sekunden wurde mir auch die Tür geöffnet, und eine etwas ältere Dame schaute mich fragend an. Ich nahm allen Mut zusammen und fragte nach dem Herrn Pastor, der aber schon unterwegs zur Tür war , um nachzuschauen wer da ist.

Nachdem ich ihm meine Frage gestellt hatte , schaute auch er mich an, als wäre ich gerade vom Himmel gefallen. Er murmelte etwas unverständliches in seinen Bart, aber nach einigem Zögern bat er mich herein.

Er bat mich in ein kleines Büro, und setzte sich mir gegenüber, er schaute mich lange an, ohne ein Wort zu sagen. Irgendwie kam mir das alles doch schon etwas seltsam vor.

Er sprach mich plötzlich an, und meinte, es wäre gut für mich, den nächsten Bus abzuwarten und zurück zu fahren. Ich lachte gequält und meinte, dafür habe ich nicht die weite Reise auf mich genommen, um nun unverrichteter Dinge wieder nach hause zu fahren. Er fragte mich, was ich da wolle. Ich begann ihm meine Geschichte zu erzählen. Plötzlich merkte ich doch dass er begann, mich freundlicher zu behandeln.

Doch noch immer war er der Meinung ich sollte zurück nach hause fahren. Nach einigem Zögern aber meinte er, dass sein Vorschlag ja gut gemeint sei, aber er einsehe, dass ich nicht auf ihn hören würde.

Dann fragte mich der Pastor, ob jemand wisse wo ich bin, ein Bekannter oder Freund. Ich erzählte ihm kurz von Holger, und dass ich ihm gesagt habe wo ich hin wollte.

Das ist gut meinte er lächelnd. Ob ich ihm die Adresse von Holger dalassen würde, für den Fall dass mir etwas zustösse . Etwas verwundert wegen dieser Vorsichtsmaßname  gab ich ihm Adresse und Telefonnummer von Holger.

Nach einigem hin und her , erklärte er mir dann doch die genaue Richtung zum Schloss. Dann meinte er, dass ich doch lieber den nächsten Tag abwarten solle, damit ich nicht noch in der Dunkelheit dort ankommen würde. Da ich ziemlich müde und erschöpft war, nahm ich sein Angebot, im Pfarrhaus zu übernachten gerne an.

Der nette Pastor holte noch eine Flasche Wein, und nach einer Stunde netter Unterhaltung führte mich die Haushälterin in ein kleines, hübsch eingerichtetes Gästezimmer.

Ich nahm noch ein kurzes Bad und todmüde legte ich mich in das frisch bezogene Bett, um gleich darauf einzuschlafen.

Erst als es schon hell war, wachte ich am Morgen darauf auf. Blinzelte kurz in die Sonne, die schon zum Fenster hereinschien und schwang mich ausgeschlafen aus den Federn.

Als ich die kleine Küche betrat, war der Tisch schon gedeckt, und ein reichliches Frühstück, wartete nur darauf von mir verzehrt zu werden, was ich sogleich auch reichlich und gut gelaunt tat.

Ein Taxi war schon bestellt, und das letzte Stück der Reise konnte nun angetreten werden. Der Abschied fiel etwas traurig von Seiten des Herrn Pastors aus. Er gab mir noch gute Ratschläge und Wünsche mit auf den Weg.

Der Taxifahrer fragte mich nach dem Ziel, als ich ihm den Namen meiner Vorfahren sagte, drehte er sich aprupt um, und meinte dass er dieses Schloss nicht kennt.

Da ich aber letztendlich vom Pastor erfahren hatte wo sich dieses schloss befindet, glaubte ich dem Taxifahrer nicht, und sagte ihm dieses auch. Darauf meinte er, dass er mich ja bis kurz vor das Schloss fahren könne, ich aber die restliche Strecke schon allein gehen müsse. Das alles verwunderte mich schon sehr. Da ich aber auf anraten des netten Herrn Pastors, meinen Koffer im Pfarrhaus gelassen hatte, war es wohl auch nicht so schlimm, ein Stück des Weges zu Fuss zu gehen. Also nickte ich nur gedankenvoll.

Irgendwann hielt das Auto dann an, und ich beglich die Rechnung, nahm meine Sachen und ging , wenn auch verwundert zu Fuss weiter.

Es dauerte knapp fünfzehn Minuten und ich stand plötzlich vor einem riesigen Eisentor, dass geschlossen war. Hinter diesem Tor befand sich ein großer Park, und im Hintergrund dessen stand ein Prunkbau, wie ich ihn nie gesehen habe. Ein Schloss , ein Castle, wie es im Buche stand.

Doch fand ich weder eine Klingel  noch irgendein Hinweis , wie man das Schloss betreten konnte.

Noch als ich mir überlegte wie ich mich bemerkbar machen sollte, sah ich eine ältere Frau, rasch durch den Park laufen. Ich rief ihr zu, in meinem besten englisch. Sie drehte sich nach mir um, und lief  ziemlich gehetzt weiter, ohne auf mein Rufen zu reagieren. Ich dachte schon dass sie mich nicht gehört hätte, aber sie  hatte sich ja nach mir umgeschaut und musste mich gesehen haben.

Ich rief noch mal, aber dieses mal lauter. Von ihr kam keine Reaktion. Nach einigen Minuten kam ein älterer Mann an das Tor, und fragte nach meinem Begehr.

Ich fragte, ob hier eine Christen  Lady of Cornval lebt. Allen Anschein nach war der ältere Herr ein Butler des Hauses, denn er trug eine schwarze Uniform, und schaute sehr dienstbeflissen aus.

Auf meine Frage hin ,wollte er wissen wer ich denn sei. Ich nannte ihm meinen Namen, mit dem er wohl nichts anfangen konnte, denn ich benutzte ja noch immer den Namen meiner Mutter die mich groß gezogen hatte.

Somit hatte ich Glück und wurde, wenn auch zögernd, eingelassen. Man lies mich im Salon warten bis Lady of Cornval  geruhte mich zu empfangen. Alles zeugte hier von Prunk und Reichtum.

Trotz allem konnte ich mich hier nicht wohlfühlen, und ein ungewöhnlicher Schauer ging durch meinen Körper.

Es war trotz allem Prunk eine kalte Atmosphäre die mich umfing.

Nach einiger Zeit kam der Butler zurück, und bat mich , ihm zu folgen. Ich nahm also meine Handtasche, die alle Unterlagen enthielt die ich auf unserem Dachboden gefunden hatte, und folgte ihm schweigend und voller Unbehagen.

Wir betraten einen großen Raum, der an Prunk den Salon beiweiten übertraf. Die Einrichtung dieses Raumes nahm mir fast den Atem. Wunderschöne geschnitzte Eichenmöbel standen hier. Die Farben des Raumes waren auf die Einrichtung abgestimmt und alles strahlte Reichtum und Eleganz aus.

An einem Teetischchen saß eine ältere Dame  , ganz in weiser Seide gekleidet. Sie schaute mir mit unfreundlichen Blicken entgegen, so dass es mich wieder erschauern lies.

Als ich ihr die Hand zum Gruß reichte , wurde diese übersehen, und mit hoheitsvoller Stimme fuhr sie mich an, dass es Dienstpersonal nicht erlaubt sei einer Lady of Cornval die Hand zu reichen.

Ich wollte schon sagen, dass ich keinesfalls in ihrem Dienst stehe, aber blitzartig überkam mich ein verwegener Gedanke, ich fügte mich also in die Vorstellung, hier als Dienstmädchen aufzutreten wenn man mir das schon nahe legte.

Lady of Cornval fuhr auch sofort an zu fragen, warum die Agentur für Arbeit solange brauchte eine passende Hausdame zu schicken. Aha dachte ich, Hausdame also. Ich wollte

Mein Bestes tun . Schon sprach Lady Cornval schon weiter und meinte , nun sind sie nicht etwas jung für diesen verantwortungsvollen Posten ?. Ich verneinte, und sagte wahrheitsgetreu, dass dies zwar die erste Anstellung auf diesem Gebiet sei, aber dass ich Deutschland verlassen habe wegen einer unglücklichen Liebe, und ich somit hier Abstand und Vergessen suchte.

Ich war von mir selber überrascht wie leicht mir diese Lügen von den Lippen ging.

Nun wenn sie nach meinen Referenzen fragen würde , wäre es sowieso vorbei, denn diesbezüglich hatte ich ja nichts aufzuweisen. Seltsamerweise kam die Lady darauf nicht zu sprechen.

Vom Butler wurde mir ein kleiner Raum im Westflügel zugewiesen, und bevor ich richtig denken konnte war ich hier eingestellt. Auf die Frage nach meinem Gepäck, antwortete ich dass es noch in der Stadt im Pfarrhaus befindet, wo ich nach dem Weg hierher fragte.

Ich wurde kurz von dem Butler in die Hausgewohnheiten eingewiesen, mir wurde gesagt wann und wo die Mahlzeiten eingenommen wurden, sowie , wann mein Dienst in der Frühe begann. Aber ich hatte ja keine Ahnung was eine Hausdame zu tun hatte, doch das konnte ich wohl schlecht zugeben. Somit ging ich mit gemischten Gefühlen einer ungewissen Zukunft entgegen. Was für ein Teufel muss mich da geritten haben, spontan in die Dienste der Lady zu treten. Aber insgeheim wusste ich ja warum ich es tat, versprach ich mir doch davon , Dinge zu erfahren die mir wohl freiwillig nie gesagt  würden. So jedenfalls schätzte ich die Lady auf den ersten Blick ein. Irgendein Geheimnis musste es hier geben das wurde mir sofort klar.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir den Park und das Schloss anzusehen.

Wie schon bei meiner Ankunft bemerkt, handelte es sich um ein riesiges Prunkschloss, mit Türmen und weitläufigen Anbauten und Nebengebäuden. Was mich sofort faszinierte war ein Turm im Südflügel. Er machte auf mich einen imposanten und trutzigen Eindruck. Jedoch baulich befand er sich wohl in einem etwas lädierten Zustand, was ihn aber noch interessanter und geheimnisvoller erscheinen lies.

Als es Zeit für das Abendbrot war, beendete ich meinen Rundgang und begab mich in das Speisezimmer für das Personal.

Hier traf ich auf eine ältere rundliche Küchenfrau und den Butler.

Ob es hier nicht mehr Personal gab ? Auf meine diesbezügliche Frage wurde mir von der Küchenfrau ziemlich unfreundlich geantwortet. Es gäbe noch einige Zimmermädchen, die aber nicht im Schloss wohnen, sondern unten im angrenzenden Ort.

Also war ich mit der Lady , dem Butler und der Küchenfrau ganz allein hier. Keine grandiose Vorstellung musste ich mir eingestehen.

Nach dem Essen begab ich mich auf mein Zimmer. Ich hatte mir vorgenommen bald in den Federn zu verschwinden. Der nächste Tag sollte mein erster Arbeitstag sein, und natürlich wollte ich ihn ausgeschlafen beginnen.

In dieser Nacht träumte ich . Ich wurde wach, und konnte nicht wieder einschlafen. Ich stand auf, um ans Fenster zu gehen und hinaus in den Park zu schauen

Wieder fiel mein Blick auf den alten Turm, der mir schon auf meinem Spaziergang aufgefallen war. Doch irgendetwas war anders, ich konnte es zuerst nicht erfassen was es war. Doch dann fiel mir der schwache Lichtschein um den Turm herum auf.

Nun vielleicht war es ja auch der Schein des Mondes der sich im Turm verfing.

Beruhigt ging ich wieder in mein Bett, und schlief bald wieder ein.

Am frühen Morgen, als ich erwachte war ich frisch und ausgeruht. Gut gelaunt eilte ich hinunter zum Frühstück in die Küche. Dort fand ich nur die Küchenfrau vor, die schon den Frühstückstisch gedeckt hatte, selber aber mürrisch an einer Toastscheibe knabberte. Zu meinem Guten Morgengruß murmelte sie  nur etwas unverständliches in sich hinein was ich nicht verstehen konnte. Na gute Laune schien sie eben nie zu haben.

Trotzdem lies ich mir mein Frühstück schmecken. Als ich es beendet hatte, kam Luc der Butler zur Tür herein und beorderte mich zur Lady Christen.

Somit betrat ich erst einmal mit gemischten Gefühlen den Salon der Lady of Cornval.

Lady Christen saß in einem tiefen Sessel, und fixierte mich etwas argwöhnisch .

Ich wünschte ihr einen wunderschönen guten morgen, worauf sie fragte wie meine erste Nacht im Schloss war. Ich sagte dass ich gut geschlafen habe, und mich frisch fühle.

Daraufhin musste  ich Lady Christen beim ankleiden helfen, denn sie wollte mit mir einen Spaziergang durch den weiträumigen Park machen.

Wieder schaute ich wie gebannt auf den Turm im Südflügel. Lady Christen musste wohl meinen Blick verfolgt haben, sie schaute mich verstimmt an, und sagte in einem rauen herrischen Ton, dass dieser Turm baufällig sei, und nicht betreten werden dürfte. Da einige Fenster des Turmes mit Brettern verschlagen waren, und auch einige Steine im Mauerwerk fehlten, glaubte ich ihr das.

So verging die Zeit, und ich war nun schon eine Woche hier auf dem Schloss. Ich hatte mir nicht getraut in dieser Zeit Lady Christen daraufhin anzusprechen dass Sie ja wohl eigentlich meine Tante sei, und warum ich doch als Hausdame hier eingestellt war.

Ich hatte einfach nicht den Mut, meine etwaige Tante auf dieses Thema anzusprechen, das wohl an der Unnahbarkeit Lady Christens lag. Sie war mir noch immer fremd geblieben.

Nach zwei Wochen sagte dann die Lady, dass ich mir nun einen freien Tag verdient habe. Darauf freute ich mich sehr, wusste ich auch nicht was ich unternehmen sollte da ich ja hier niemanden kenne. Doch ich erinnerte mich an den netten Pastor und dessen Hausgehilfin. Ich würde sie besuchen gehen. Also lief ich am nächsten Tag in den nahen Ort, und fuhr mit dem Bus nach Nincoln.

Pastor Russel freute sich sehr über meinen Besuch. Wir sprachen lange zusammen, auch über das Schloss in dem ich nun schon einige Zeit verbrachte ohne einen Schritt vorwärts gekommen zu sein.

Wir sprachen auch von meinem Jugendfreund Holger. Pastor Russel, bat mich, ihm Holgers Adresse zu geben, für den Fall, dass mir irgendetwas passieren sollte. Nachdenklich geworden über diesen Vorschlag, schrieb ich Adresse und Telefonnummer Holgers auf ein Stück Papier und gab es dem Pastor.

Wir verabschiedeten uns am späten Nachmittag. Ich fuhr mit dem Bus zurück, und ging langsam und nachdenklich wieder zum Schloss hinauf.

Es dämmerte schon als ich auf den Schlosshof kam. Auch diesmal ging mein Blick zu dem Turm im Südflügel. Und wieder sah es aus als brenne in einem der Turmzimmer ein Licht. Der Mond war noch nicht aufgegangen, so dass er es nicht sein konnte der den Turm in diesen seltsamen Schein hüllte.

Ich machte mir wieder Gedanken, wie das sein konnte, da der Turm ja baufällig war, und sich darum dort niemand aufhalten konnte.

Ich ging nicht erst in die Küche zum Abendbrot, da ich keinen Hunger hatte, und sich meine Gedanken nicht von diesem Turm lösen konnten. Irgendein Geheimnis witterte ich dort oben.

Ich ging wieder sehr früh schlafen, was sonst sollte ich auch tun. Lady Christen-in meinen Gedanken war sie noch immer Lady Christen geblieben, ich konnte mich nicht mit dem Gedanken befreunden dass sie schließlich meine Tante war- hatte mir zwar angeboten, mich in ihrer Bibliothek zu bedienen, aber ich hatte vergessen mir ein neues Buch zu besorgen. So ging ich zu Bett, und schlief auch bald ein. So wie in der ersten Nacht , wachte ich auf und stand auf, um noch etwas frische Luft am Fenster zu bekommen.

Ich schaute wie magnetisch zu meinem Turm. In Gedanken nannte ich den Turm im Südflügel schon , meinen Turm.

Wie fast erwartet sah ich wieder diesen Lichtschein. Ich ging nach einigen Minuten wieder in mein Bett, und grübelte nach, was es mit dem Turm nur auf sich haben könnte. Ich nahm mir vor, demnächst wenn ich wieder etwas Freizeit hatte mich etwas näher mit dem Turm zu beschäftigen.

Am nächsten Morgen war alles so wie immer. Ich tat meine Arbeit, kümmerte mich um die Lady, ging mit ihr den gewohnten Gang durch den Park, danach las ich ihr aus einem Buch vor.

Dann war Mittagszeit, und nach der Mittagsmahlzeit legte sich die Lady zur Mittagsruhe hin. Zeit für mich , mich in den Park zu begeben, und mir den Turm näher anzuschauen.

Doch wie enttäuscht war ich die starke Eisentür verschlossen vorzufinden.

Ich ging zurück, und versuchte von innen den Turm zu betreten, aber Pech, auch diese Tür war verschlossen.

Also musste ich mein Vorhaben erst einmal aufgeben, denn ich wollte ja nicht nach dem Schlüssel fragen, da ich wusste wieder eine abschlägige Antwort zu bekommen.

Als ich danach den Salon der Lady betrat saß diese wie so oft an ihrer Stickerei. Sie beauftragte mich, zum Tee den Tisch zu decken, aber mit zwei Gedecken, denn sie bekomme Besuch, vom Pastor des nahen Ortes.

Kaum war ich damit fertig meldete Russel der Butler den Besuch an.

Die Lady begrüßte ihren Besuch erfreut, und zeigte ihm ihre Stickarbeit und meinte dazu, schauen sie das ist das neue Altartuch, ich bin bald fertig damit, es wird sich wunderschön auf dem Altartisch ihrer Kirche machen. Der Pastor sagte erfreut, wie schön dass sie uns wieder eine solch wunderschöne Decke arbeiten, und stiften. Ja sagte die Lady, für die Kirche ist das beste gerade gut genug.

Als nach einiger Zeit der Pastor gegangen war, erzählte mir die Lady dass sie schon mehrere dieser wundervollen Decken der Kirche gestiftet hat, und dass der Pastor ihre Arbeiten sehr schätzt.

So verging der Tag wieder wie jeder andere.

Am Abend als ich schon in meinem Zimmer war, fiel mir ein, dass ich noch immer kein Buch zum lesen hatte. Da ich diesen Abend nicht schon wieder so früh schlafen gehen wollte ging ich noch einmal hinunter um mir in der Bibliothek etwas zum lesen zu holen. Als ich die Treppe hinunterstieg sah ich gerade noch die Küchenfrau mit einem Tablett um die Ecke huschen, mir war als beeile sie sich, um nicht von mir gesehen zu werden.

Nun ich dachte mir nichts dabei, sicher brachte sie der Lady noch etwas zur Nacht in ihr Zimmer.

Doch dann hörte ich dass sie am Schlafzimmer der Lady vorbeieilte. Wohin dieser Weg führte wusste ich, nämlich zu meinem Turm. Seltsam dachte ich, was tut sie dort. Dort sind keine Räume mehr. Der letzte Raum ist das Schlafzimmer der Lady, und dahinter kommt ein langer Gang , und dann die geschlossene Eisentür zum Turm.

Was ging hier vor ?

Nun waren meine Gedanken wieder im Turm.

Am anderen Tag nahm ich mir vor, endlich die Tatsache aufzudecken dass Lady Christen meine Tante ist, und auch endlich nach meiner Mutter zu fragen.

Also schlief ich in dieser Nacht mal wieder nicht ein. Wie schon oft in der letzten Zeit stand ich nachts am Fenster und beobachtete den Turm. Ich war mir sicher dass oben im Turmzimmer wieder ein Licht brannte. Ich schwor mir, hinter dieses Geheimnis zu kommen.

Am nächsten Morgen stand ich wie immer früh auf , ging zum essen, um danach mit der Lady durch den Park zu gehen, eine gute Gelegenheit um mit ihr zu reden was es zu reden gab. Die Lady hörte sich meine Geschichte an, und sagte, dass sie es vermutet hat, dass ich ihre Nichte bin. Sie sagte es in ruhigem und gelassenen Ton, so als wisse sie von Anfang an wer ich bin.

Sie meinte ich sehe meiner Mutter sehr ähnlich. Nur auf die Frage, ob sie nicht wisse wo meine Eltern geblieben sind , meinte sie dass sie davon nichts weis. Sie hätte nie mit meiner Mutter in Verbindung gestanden, da sie sich damals im Streit getrennt hätten. Meine Mutter hätte ihr den Mann abspenstig gemacht den sie geliebt hätte.

Doch dieser Mann habe sich von ihr Christen , getrennt und sei mit Ellenor über Nacht aus dem Schloss und ihrem Leben verschwunden.

Eine tragische Geschichte, und fast tat mir Tante Christen schon leid. Nun stand ich wieder am Anfang meiner Geschichte, und war keinen Schritt weiter gekommen.

Tante Christen sah mich mit verschleiertem Blick an, und wir beendeten erst einmal dieses Thema.

Tante Christin, die ich nun so nennen durfte, setzte sich in ihren Lehnstuhl und arbeitete an ihrer Stickerei.

Nun hatte ich eine freie Stunde und beschloss , endlich einmal einen Brief an Holger zu schreiben. Wir hatten eigentlich nur eine lockere Freundschaft, aber nun, da ich ihn so lange nicht gesehen hatte, fehlte er mir doch irgendwie. Seine muntere Art, und sein Humor fehlten mir ganz einfach.

Ich schrieb ihm auch von meinem Turm, und dass ich nicht wusste was dort vorgeht.

Am Nachmittag war ich allein im Haus, Tante Christen hatte ihre Stickerei auf dem Teetisch liegen lassen , und somit schaute ich mir die begehrte Altardecke einmal genauer an. Es war eine seltene Stickereiart die ich nicht kannte. Mir kamen die Stiche ziemlich grob und ungenau vor, und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen dass der Pastor so dafür geschwärmt hatte. Aber nun ich konnte es ihm nachsehen, da ein Mann wohl wenig Ahnung von Handarbeiten hatte.

Ich legte die Arbeit wieder auf ihren Platz, und ging meiner Arbeit nach. Ich musste noch einige Näharbeiten an der Kleidung meiner Tante durchführen. Als Hausdame musste ich diese Arbeit nicht tun, aber ich hatte es meiner Tante angeboten, und sie nahm meine Hilfe gern an.

Gegen Abend lief ich noch mal in den Park hinaus. Es wurde nun schon sehr früh dunkel, und ich beschloss heute Abend nur einen kleinen Rundgang zu machen. Doch wie immer ging mein Blick zum Turm, und auch heute Abend sah ich den bekannten Lichtschein am Turmfenster.

Ich fragte mich, warum ich meine Tante noch nicht auf dieses Thema angesprochen hatte. Eine innere Stimme sagte mir wohl dass dies nicht von Vorteil wäre, denn ich hatte schon einmal eine abschlägige unfreundliche Antwort wegen des Turmes bekommen. Ich nahm mir vor achtsam zu sein, und gegebenenfalls das Geheimnis allein zu ergründen.

Es musste einen Grund geben warum da oben abends immer Licht brannte, und was wollte die Küchenfrau dort am Abend mit einem Tablett mit Lebensmitteln. Ich würde es schon herausfinden.

Am nächsten Tag erschien wieder der Pastor. Er sollte die endlich fertig gewordene Altardecke holen, denn am Sonntag wurde ein großes Kirchenfest gefeiert. Zu diesem Anlass sollte die neue Altardecke eingeweiht werden.. Tante Christen strahlte über das ganze Gesicht, als sie die Decke präsentierte. Der Pastor lobte das gute Stück, und fragte mich , ob ich die Altardecke gesehen hätte. Ich verneinte, meine Tante sollte ja nicht denken dass ich in ihren Sachen schnüffelte. Somit gab ich  einen interessierten Anschein und schaute mir die Decke an. Doch was ich da sah, machte mich sehr nachdenklich, als ich mir die Arbeit gestern ansah, war ich der Meinung, dass die Stiche grob und unsauber gearbeitet waren . Was ich jedoch heute sah, war perfekte Arbeit, und ein Stich genau so sauber und  exakt wie der andere. Nein das war keinesfalls die Decke an der meine Tante gestern noch gearbeitet  hatte. Ich überlegte, plötzlich kam mir diese Stickerei bekannt vor. Irgendwo hatte ich sie gesehen, aber wo. Ich überlegte, wo war das nur gewesen.

Ich lobte vor meiner Tante die Arbeit und lies mir nichts anmerken.

Doch mit meinen Gedanken war ich woanders, mir fiel noch immer nicht ein woher ich diese Stiche und ornamentartigen Muster kannte.

Die Sache mit der Altardecke hatte ich schon fast wieder vergessen. Ich überlegte mir, wie ich am besten und ohne aufzufallen in den Turm gelangen konnte. War er wirklich so baufällig wie mir meine Tante sagte.

Wieder hatte ich die Küchenfrau gesehen die mit raschen Schritten und einem Tablett mit Lebensmitteln hinter der Treppe verschwand. Sie hatte mich nicht bemerkt als ich langsam die Treppe herunter kam. Leise schlich ich hinter ihr her, und sah was ich längst vermutete. Sie schloss  mit  einem großen Schlüssel die Tür zum Turm auf und verschwand ganz flink hinter dieser Tür.

Leise schlich ich mich zur Tür und sah wie sie eilig die Treppen hinauf in den Turm huschte. Das gab mir aber nun doch zu denken. Sollte die Küchenfrau dort oben jemanden versteckt halten . Wenn ja , wen.

Ich musste herausfinden wer sich in dem Turm aufhielt.

Da ich mit der Tante nicht über meine Mutter reden konnte, und ich noch immer nicht wusste wo sie sich aufhielt und ob sie noch lebte, musste ich herausfinden wer im Turmzimmer steckte.

Als ich wieder intensiv an meine Mutter denken musste , fiel mir auf einmal ein, woher ich diese seltene Stickerei an der Altardecke kannte. Ich hatte einige Wäschestücke in der Truhe zu hause auf dem Dachboden gefunden, die mit dieser Stickerei verziert waren. Ja nun fiel es mir wieder ein, genau daher kannte ich diese Stickerei. Das war doch kein Zufall. Irgendwie verband ich nun diese Stickerei mit dem Verschwinden meiner Mutter.

Nun schaute ich mich in der Küche um, ob ich dort einen Schlüsselbund mit dem großen Schlüssel fand. Leider hatte ich kein Glück.

Also musste die Küchenfrau den Schlüssel in ihrem Zimmer aufbewahren. Aber wie sollte ich da ran kommen .

Doch am nächsten Abend hatte ich Glück. Die Küchenfrau hatte ihre Schürze in der Küche an die Speisekammertür gehängt, und ist zu Bett gegangen.

Schnell schaute ich in den Taschen nach, und wirklich, die Schlüssel klapperten in der Tasche. Das war meine Chance. Schnell nahm ich die Schlüssel aus der Schürzentasche und beeilte mich, zum Turm zu kommen. Schnell schloss ich die Tür auf und begab mich die steile Treppe hinauf.

Auch die Tür zum Turmzimmer war verschlossen. Auch den dazu passenden Schlüssel hatte ich schnell gefunden, und schloss aufgeregt die Tür zum Turmzimmer auf. Was ich da sah, nahm mir den Atem. Eine alte vergrämte und zerlumpte  Frau saß auf einer alten muffigen Matratze. Die langen grauen Haare hingen ihr zerzaust bis auf die Schultern. Ich war entsetzt und wütend. Wütend auf meine Tante, denn trotz allem sah ich wer hier saß, es war niemand anders als Ellenor meine Mutter. Ich nahm diese verhärmte Frau in meine Arme, und weinte. Ich fragte sie, sind sie Ellenor . Mit einem schwachen Kopfnicken antwortete sie mir ja, wer sind sie. Ich bin Miriam  deine Tochter. Sie schluchzte auf und sagte, wenn Christen uns hier findet, dann sind wir beide des Todes. Doch ich verspürte keine Angst vor der grausamen Christen. Noch immer hielten wir uns im Arm, als ich draußen Schritte hörte. Dann betrat Christen den Raum. Sie sah uns beide an, und ich erwartete dass sie nun zu toben anfing, und uns etwas antun würde. Aber sie sagte nur zu Ellenor, du hast großes Glück gehabt, dass dich deine Tochter gesucht hat. Nun hat sie dich gefunden, und dein Elend soll ein Ende haben.

Ich will dich nicht länger gefangen halten. Ich tu es nur deiner Tochter zu liebe.

Du hast eine solche Tochter nicht verdient. Aber nun kommt, wir wollen den Turm verlassen.

Wir gingen die Treppe hinunter, aber Christen meinte , ich habe etwas vergessen, und ging zurück zum Turmzimmer. Mutter und ich waren unten angekommen, und hörten hinter uns einen ohrenbetäubenden Lärm . Die Treppe im Turm stürzte ein. Ein Schrei der mir durch Mark und Bein ging war zu hören. Christen, war mein erster Gedanke. Ich drehte mich um, konnte aber nur Staub und Steine sehen. Die baufällige Treppe hatte Christen mit in den Tod gerissen. Ich konnte kein Bedauern empfinden, denn das was sie meiner Mutter all die Jahre angetan hatte, hätte sie nie wieder ungeschehen machen können.

Das Rettungsteam der Feuerwehr konnte Christen nur noch tot bergen.

Als alles vorbei war, und Christen beigesetzt war, kam der Anwalt der Familie ins Haus, und verlas das Testament, das meine Tante erst eine Woche vorher geändert hatte. Da meine Tante nie geheiratet hatte, war ich ihre einzige Angehörige, außer meiner Mutter, die ja ihre Schwester war.

Sicher hatte diese brutale Person geglaubt und gehofft, dass meine Mutter im Turm eines Tages den Tod findet.

Das Testament war jedenfalls zu meinen Gunsten geändert worden. Wollte sie an mir gut machen, was sie meiner Mutter angetan hatte ? Anders kann ich es mir nicht vorstellen.

Der Butler und die Küchenfrau, wurden großzügig bedacht.

Nun war ich die Besitzerin dieses prachtvollen Schlosses. Doch im Moment konnte ich mich noch nicht so recht freuen. Ich sorgte mich um meine Mutter, es ging ihr nicht gut. Noch immer schreckte sie bei jedem Geräusch ängstlich zusammen.

Meine Mutter hätte niemals gedacht dass sie mich noch einmal sehen würde. Sie hatte fast mit dem Leben abgeschlossen. Ich musste ihr nun neuen Mut machen.

Auserdem musste mir meine Mutter noch so vieles erzählen. Zum Beispiel wusste ich noch immer nicht was mit meinem Vater geschehen war.

Meine Mutter erzählte mir auf meine Frage hin, dass mein Vater schon viele Jahre tot war.

Er habe nie erfahren dass meine Mutter im Turm eingesperrt war. Meine Schwester wollte somit erreichen, dass sich mein Vater ihr zuwandte, aber das geschah nie. Aus Kummer und Schmerz sei mein Vater eines Tages gestorben, da er einen Herzfehler hatte, und somit jede Aufregung Gift für ihn war.

Hämisch sei Christen zu ihr ins Turmzimmer gekommen, und habe ihr kalt und herzlos vom Tod ihres Mannes erzählt.

Als man Christen aus den Trümmern holte fand man fest verkrampft in ihren Händen eine Decke. Eine Decke wie ich sie als Altardecke gesehen hatte. Auch diese Decke war fehlerfrei und sauber gestickt. Trotz des Schmutzes war sie gut zu erkennen. Meine Mutter erzählte mir daraufhin dass sie es war, die diese Decken gearbeitet hatte. Das Material brachte Christen ihr in den Turm, und Mutter musste sticken, da Mutter es konnte, aber Christen nicht. Da fiel mir ein dass es diese Stickerei war die ich auf dem Dachboden zu hause in der Truhe auf dem Dachboden gefunden hatte. Es waren genau die selben Muster. Chrysanthemen auf weiser Seide.

Da mir das Erbe meiner Tante nun gehörte, beschlossen wir , hier in diesem traumhaften Fleckchen Erde zu bleiben. Der Südturm der nun doch sehr baufällig war, wurde abgerissen. Somit wurde Mutter nicht immer wieder an ihr Schicksal erinnert.

Ja und oft nehme ich noch immer das Tagebuch meiner Mutter die mich groß zog zur Hand. Ich war dankbar, dass sie mir die Wahrheit in Form ihres Tagebuches hinterlassen hat.

Langsam erholte sich meine Mutter.

Und wenn es ihr sehr gut geht, werden wir nach Deutschland reisen. Nicht für immer, aber es gibt da sicher noch einiges zu regeln. Auch wenn ich dabei an Holger denke.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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