Felix Baur

Neuschnee


Vier
in Felle gehüllte Männer steigen von den schneebedeckten Gipfeln und ihr Atem
kondensiert über den endlosen frosterstarrten Ebenen. Sie haben sich dicke
Pelzmäntel, die noch die erdigbraune Zeichnung ihres Ursprungs tragen, um die
Schultern geworfen. Was einst den großen Hochlandbären, hoch oben durch die
frostige Luft des Gebirges stapfend, struppigen Schutz bot, hält jetzt wenigstens
noch den letzten Rest Wärme an den Körpern der einsamen Gestalten. Zu ihren
Seiten hängen lange Klingen aus Stahl, die im Morgenlicht funkelnd, von lang
vergangenen Schlachten erzählen. Ihre Gesichter sind verborgen hinter massiven
Helmen, die nur die wachsamen Augen aussparen. Große Schilde, geschmiedet in
den lodernden Hochöfen ihrer Heimat, verziert mit seltsamen, sich windenden Wesen
aus Beschlägen aus Bronze und Eisen, haben sie mit Lederriemen auf ihre Rücken
gebunden. Stumm stapfen sie bergab, den Hang hinunter in das weite Tal.
Gefrorene Eisseen und kalt glitzernde Wälder liegen zu ihren pelzbedeckten
Füssen. Den letzten verschneiten Pass haben sie schon Tage zuvor hinter sich
gelassen, auch die schroffen Klippen des Hochgebirges sind längst außer
Sichtweite. Die kühl blitzende Sonne des nördlichen Himmels taucht das Land in
eine funkelnde, bis zum Horizont reichende Szenerie aus Eiskristallen. Dunkle
Baumriesen ragen weit über ihre Köpfe hinweg. Ein vereinzeltes, schwarzes Blatt
löst sich von einem knorrigen Ast in Schwindel erregender Höhe und tänzelt durch
die Luft. Es wird von einem Windhauch erfasst, verändert seine Bahn und setzt dann
unbeirrt seinen Flug fort. Der geschäftige Zufallskurs, den das kleine Blatt
einschlägt, trägt es nach links und nach rechts, mal weht es weiter fort, nur
um wieder zu seinem Stamm zurückzukehren und pendelt fortwährend und heiter am
Himmel über den am Boden wandernden Männern. Und doch, eine Kraft setzt dem
Blatt zu, zieht unaufhörlich an ihm und führt es geradewegs in die Tiefe. Und
sosehr es sich auch anstrengt und trotzt, sich nach oben kämpft und zittert, ist
es letzten Endes machtlos diesem Einfluss, diesem Schicksal, zu entkommen und
strauchelt und trudelt und fällt und – das kleine, schwarze Blatt landet sanft
auf dem Wurzelwerk des Baumes, wo es regungslos verharrt. Es wird von Schnee bedeckt,
der von vorbeimarschierenden Stiefeln aufgeworfen wird. Die Männer haben die
Ebenen erreicht. Jeder Windzug schneidet tiefer in ihre Glieder, doch das
spüren sie nicht mehr. Während der Geist mit jedem Schritt durch den
verkrusteten, gestern gefallenen Schnee klarer wird, konzentrieren sich die
Gedanken immer mehr auf das eine Ziel, ihre Bestimmung, den einen Grund ihrer
beschwerlichen Reise. Sie wandern schweigend durch die ewigweiße Landschaft. Es
gibt nichts mehr auszutauschen. Nichts ist geblieben von den rauschenden
Festen, den Gesängen, der alten Unbeschwertheit. Der golden schimmernde Kelch
der Jugend ist zu lange schon geleert, und ausgetrunken ist das lebendige Blut,
das ihn füllte und den einen nährt, der am Ende schweigend wartet. Zurück
bleiben müde Streiter, verloren in einer Welt, die keinen Platz mehr für sie
bietet, in der sie sich nicht mehr behaupten können. Keine ablenkenden
Plaudereien brechen die Stille, kein Laut kommt von ihnen. Sie lauschen den
Schreien der schwarzen Vögel, die manchmal hoch über ihnen kreisen. Einsam
ziehen sie ihre Bahnen am klarblauen Himmel. Wie lange sind sie schon
unterwegs? Keiner von ihnen hat die Tage und Wochen gezählt. Es ist unwichtig,
wie lange sie noch suchen müssen, sie werden nicht ruhen, solange ihre Beine
sie noch tragen. Dann
geschieht es ganz plötzlich, nur ein Moment nach so langer Zeit der Wanderung.
Ein, zwei Dutzend Gestalten zeichnen sich auf der Hügelkuppe unmittelbar vor
ihnen ab. Ihre gewaltigen Leiber, die jeden der Männer weit überragen, sind
behängt mit Fellen der wilden Tiere und Hörnern und grob geschmiedetem
Kriegsschmuck und weisen beängstigend groteske Proportionen auf. Dicke
Lederrüstungen schützen ihre massigen Körper. Ein Horn schallt lang gezogen
über die Ebene. Die
vier Männer richten sich auf, ungläubig zuerst, doch dann heben sich ihre alten
Lider. In ihrem Innersten schwelt eine längst vergessene Glut und zündet ein
flackerndes Feuer, eine altbekannte Flamme beginnt wieder in der Brust zu
lodern. Die Müdigkeit ist verflogen. Muskeln spannen sich, die Hand tastet nach
dem kalten Schwert. Das
Ziel ist in Reichweite gerückt, es beginnt. Während sie vorstürmen, dringen
Rufe aus ihren Kehlen, alte, archaische Schlachtrufe, jeder von ihnen fühlt die
Schübe, die sie tief in ihrer Seele mit aller Wucht durchfahren, heißes Blut
schießt durch ihre Adern. In ihren geweiteten Augen keine Furcht, sie blitzen
vor kriegerischem Verlangen, sie lechzen nach Blut, ein letztes Mal. In ihrem
Blick liegt für einen kurzen Augenblick Hoffnung. Bald ist es soweit. Der
Moment, auf den jeder von ihnen so lange vergeblich wartete, ist nun greifbar.
Schwere Pelzstiefel werfen Harsch auf, stampfen über eisigen Boden, Krallen
schlittern über Eis und jäh prallen die Fronten aufeinander. Stahl trifft mit
ungezügelter Gewalt auf Stahl. Scharfe Klingen durchschneiden Fleisch,
durchtrennen Sehnen und zermalmen menschliche Knochen. Entsetzen und vom Feuer
nach vorne gepeitschte Erregung durchzuckt zerrissene Seelen. Schreie
durchdringen die Stille der Ebenen. Beißender Schmerz durchlodert die Streiter,
nur überdeckt von unbändiger Kampfeslust. Sie sind am Ziel. Die Bereitschaft zu
sterben ruht in jedem der alten Krieger. Bereit den finalen Schlag zu
empfangen, berauscht vom gerechten Kampf. Es dauert nicht lange, dann ist es
vorbei. Es ist der letzte der vier gefallen und sein rotes Blut durchtränkt den
jungfräulich weißen Schnee. Langsam kehrt Ruhe zurück in die Ebenen. Leichter
Neuschnee fällt. Schwarze Vögel kreisen am Himmel.
In
den Gesichtern der vier Toten - ein erstarrtes Lächeln. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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