Gabriele Kröner

Der Regentropfen

Fast unmerklich schlich sich ein leiser Wind über das Land. Der Himmel wurde undurchsichtig und milchig. Eine feucht schwere Wand wuchs hinter dem Horizont.....machte sich breit und hoch. Die ersten Boten eilten über die Sonne und kündeten vom nahen Gewitter.
Ein grosser Fluss schob sich durchs Land. Voller tanzender Wassertropfen, jeden seiner eigenen Bestimmung zuführend.
In den Wolken wurde die Geburt vorbereitet.
Mit Pauken und Lichtfontänen formten sich neue kleine Regentropfen. Bereit, ihrer Bestimmung zu folgen....voller Ungestüm entliessen die Wolken ihre kostbare Fracht. Im freien Fall fröhlich jubelnd und sich im Wind wiegend, traten viele feuchte Regentropfen ihren Weg zur Erde an. Auch ein kleiner, besonders hübsch geformter Tropfen, liess sich von den stürmischen Windböen zur Erde geleiten. Übermütig versuchte er, von einer Windböe zur anderen zu gelangen und weiter und weiter diesen unaufhaltsamen rasenden Fall zu verlängern. Fast wäre er mit einem Baum zusammen gestossen, doch zwischen den dichten Blättern dieses grossen Baumes hindurch, vom schon regennassen Stamm abgeworfen, landete er auf einem kleinen Stein am Fusse dieses Baumes.
Der Baum stand am Ufer vom grossen Fluss und seine breite Krone warf sich schützend über das lebendige Wasser. Da lag nun unser kleiner Regentropfen, auf diesem Stein und erholte sich, noch erschöpft vom langen Flug. Er beobachtete den Fall der anderen kleinen Regentropfen und dachte so im Stillen 'Ob noch ein Regentropfen zu mir fällt ?'. Er sah, wie viele seiner Geschwister in den Fluss fielen und sich mit den vielen anderen Tropfen verbanden, um ein breites, fruchtbares Band des Lebens zu werden. Was für ein Anblick! Staunend blickte er dem Treiben zu. Dann wurde es langsam still. Der Tanz der Tropfen ging zu Ende und nur noch vereinzelte Tröpfchen fielen in den Fluss oder in das Gras neben dem Stein, auf dem unser kleiner Regentropfen thronte. Er winkte ihnen zu und wollte mit ihnen reden oder spielen, doch er konnte von seinem Platz auf diesem Stein nicht fort. So sehr er sich auch bemühte, er blieb wo er war. Wütend und ungehalten musste er mit ansehen, wie die anderen Regentropfen im Gras von den Gräsern oder der Erde aufgesogen wurden. Oder sich vereinigten und als kleines Rinnsal dem Fluss zu strebten. 'Ich will auch meine Bestimmung erfüllen!'...immer wieder hämmerte dieser Wunsch in ihm. Doch der Stein, auf dem er lag, war hart und liess ihm keine Chance. 'Was soll ich nur hier ?'
So in Gedanken versunken bemerkte er nicht, wie es wieder hell wurde und die Sonne ihre Strahlen zur Erde schickte. Dann weckte ihn ein Blitzen und Funkeln aus seinen Grübeleien. Staunend beobachtete er, wie noch vereinzelte Tropfen auf den Gräsern in der Sonne wie Diamanten strahlten, die Erde feucht und fruchtbar sich im hellen Licht von ihrer schönsten Seite zeigte, wie kleine Insekten sich aus ihren Verstecken hervorwagten und sich an seinen Geschwistern labten - und wie glücklich diese dabei waren.
Traurig drückte er sich flach auf den Stein und wollte das ganze Glück nicht mehr sehen. Er war ja verdammt, für immer hier zu liegen. Sinn und nutzlos den dummen Stein unter ihm zu befeuchten. Was sollte er nur machen ? Er hatte schon so viele nutzvolle Aufgaben anderer Regentropfen gesehen, wenigstens eine musste es doch auch für ihn geben. Einsam und gelangweilt, wagte er wieder einen schüchternen Blick. Jetzt war die Erde wieder trocken, hatte alle seine Geschwisterchen schon aufgesaugt. Die Gräser vor dem Fluss waren kräftig und trocken. Die Insekten, die er sah, labten sich am grossen Fluss. Niemand nahm von ihm Notiz. Niemand wollte ihn haben. Leise stöhnend hing er seinen traurigen Gedanken nach.
So bemerkte er nicht, wie ein leichter Windstoss seine feuchte Haut berührte. Erst, als dieses riesige Insekt vor ihm auf dem Stein sitzen blieb und seine grossen bunten Flügel zusammenfaltete, bemerkte er es. Atemlos schaute er zu dem Falter auf. Er konnte erkennen, dass er müde und durstig war. Ein leiser Hoffnungsstrahl erhellte seine dunklen Gedanken...und wirklich, der Falter streckte vorsichtig seine langen Rüssel heraus und genüsslich streichelnd und saugte er, fast wie liebkosend, den kleinen einsamen Regentropfen auf. 'Das war es also gewesen !' Das ist meine Bestimmung !' waren seine letzten Gedanken und er war überglücklich. Der Falter rollte seinen Rüssel wieder ein. Gestärkt und wundervoll froh erhob er sich vom Stein und seine Flügel funkelten in den Farben des Regenbogens.....

Von © GK

Ein Regentropfen, so vergänglich und klein und doch so unendlich und so wichtig.
Diese Geschichte ist den Menschen gewidmet, die glauben ihre schlimmen oder schlechten Erfahrungen, ihr zum Beispiel "nicht können", wäre ein Versagen.
die Geschichte ist ein Aufruf, aus jeder Situation das beste zu machen und nie zu verzweifeln.
Gabriele Kröner, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.08.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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