Eva Haller

Spiel des Lebens

Ich fühlte mich, als triebe ich durch einen dunklen See, der hell schimmernden Oberfläche entgegen. Meine Sinne waren erschlafft, ich konnte nichts schmecken oder riechen, fühlte mich wie in Trance. Laute, hektische Rufe und Wortfetzen drangen an mein Ohr

"...mehr 0-negativ..." - "... Elektroschocker ber...".

Die bleierne Schwere des Wassers schien mich zu erdrücken - war es wirklich Wasser? Wie war ich überhaupt hierher gekommen, und viel wichtiger - wo war ich?

"... er ver..."

Panische Angst zu ersticken bekroch mich, denn ich tauchte immer noch, zumindest glaubte ich das, und ich hatte keinen Anhaltspunkt, wann ich endlich wieder an die Oberfläche kommen würde, denn das helle Schimmern, das ich für die Wasseroberfläche gehalten hatte, entfernte sich immer mehr.

"...erzstillstand, wiederbel..."

Aber am beängstigsten war jedoch, dass ich keine Atemnot hatte. Sind mir plötzlich Kiemen gewachsen, oder hatte ich schon immer welche? - Nein, das war es nicht, mein Körper verlangte einfach nicht nach Sauerstoff. Plötzlich erlosch das schwache Licht und auch das Wasser (wenn es denn Wasser war) verschwand und machte einem Gefühl von Schwerelosigkeit Platz. Eine nun klar verständliche Stimme verkündete nüchtern:

"Todeszeitpunkt 11.55 Uhr!"

Ich war geschockt, mich beschlich eine grauenhafte Erkenntnis! War ich etwa Zeuge eines Todesfalles geworden? Und wer war der oder die Verstorbene, jemand den ich kenne? Für eine Weile vergaß ich meine Sorgen und Ängste und gedachte dem Verstorbenen.

"Der Patient starb an inneren Verletzungen - verständigt jemand bitte die Angehörigen?! Moment - der Name im Ausweis lautet ... Jonas Winter, Adresse..."

Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht! Jonas Winter! Ich war TOD! Aber seltsamer Weise bekümmerte mich dies nur für einen kurzen Augenblick, vielmehr fragte ich mich, wie es denn nun weitergehen würde. Bliebe ich nun für immer in diesem NICHTS? Anders konnte ich diesen Zustand, in dem ich mich befand nicht beschreiben.
Ich hatte mich schon viel mit dem Tod bzw. mit dem was wohl danach kommen würde beschäftigt, aber mit diesem NICHTS hatte ich nicht gerechnet!

In meiner Phantasie kam jeder Verstorbenen in sein persönliches perfektes Universum, indem alles nach seinen Wünschen war und wo er alles hatte was er wollte und brauchte. Ein andere Variante war, dass die Toten als Schutzengel durch die Welt streiften um die Lebenden zu beschützen.
Aber dieses NICHTS - wie LANGWEILIG!

Völlig in Gedanken versunken hatte ich nicht gemerkt, dass ich mich nicht mehr in einem NICHTS befand, sondern dass ich mich nun in einem großen, schweinchenrosa Raum oder vielmehr Saal befand.
"Ist dies der Himmel?", fragte ich mich laut. Durch ein tiefes Lachen erschreckt zuckte ich zusammen.

"Der Himmel... hahaha... der Himmel ist doch nur eine aberwitzige Erfindung der Erdenbürger!"
Verdutzt schaute ich mich nach dem Sprecher um, "Gott?" dachte ich. "Hahaha... du denkst ich wäre dein Gott! Der wohnt hier schon lange nicht mehr, diesen Narren hat der Weise Rat schon zu Zeiten der Dinosaurier ins Exil geschickt! Nein, nein, ich bin Archostriba Niux Zentunias Vlokir de Cherbjk - kurz: Zen. Ich bin dein Vollstrecker."

Mit diesen Worten trat ein kleiner koboldartiger Kerl hervor, zudem die kraftvolle Stimme und der große Name nicht so recht zu passen schienen. Er trug eine Art Uniform, die in allen nur erdenklichen Farben schimmerte. Freundlich glitzernde Augen taxierten mich verschmitzt.
"Nur keine Angst, Vollstrecker bedeutet nicht, dass ich über dich richten werde, sondern dass ich dein Schicksal vollstrecken werde."
Fassungslos starrte ich ihn an, unfähig auch nur ein Wort heraus zu bringen. Noch während ich grübelte, ob ich vielleicht doch nicht Tod war und dies nur ein sehr skurriler Traum sei, fügte er hinzu: "Ach, mein junger Freund, du träumst nicht, so leid es mir auch tut. Du bist hier in der sogenannten Vorstufe, in der über deine weitere Existenz entschieden wird. Aber ich habe keine Zeit für lange Erklärungen! Komm' lass uns gehen, du hast noch viel zu tun, bevor du wieder alles vergisst!"

Er führte mich durch einen langen Flur, an dessen Wände Bilder und die dazugehörigen Erklärungen von allen nur erdenklichen Lebewesen hingen. Von allen Säugetieren und den Menschen, über zahllose Insektenarten bis hin zu den Reptilien war alles vertreten, was auf der Erde existierte. Ein paar Lebewesen fielen mir besonders auf, weil sie mir bisher völlig unbekannt waren, wie zum Beispiel flink aussehende Waldelben und ein paar schleimige, purpurfarbene Wesen mit langen Tentakeln, die, wie mir Zen erklärte, tief im Magma der Erde hausen.

Von all diesen Eindrücken wie betäubt, taumelte ich in eine große Halle, in der nur ein einziges tischähnliches Gebilde stand. Jedoch beim näherkommen erkannte ich, dass es ein großes Rouletterad war.

"Nun, mein junger Freund," begann der Vollstrecker, "bei diesem Roulette kann man nicht verlieren, denn hier wird deine Zukunft bestimmt. Du musst das Rad 13 mal drehen und die Zahlen, die du dabei erhältst werden in eine komplizierte Rechnung eingesetzt - aber um dir diese Rechnung zu erklären würde es mehrere Menschenleben dauern! Das Ergebnis bestimmt, in welcher Form du zur Erde zurückkehren wirst, oder ob du als Vollstrecker hier bleibst."

Ich war mir nun sicher, dass dies nur ein sehr seltsamer Traum sein konnte, trotzdem drehte ich das Rad. Zen gab alle Zahlen in ein Gerät ein und nach wenigen Augenblicken verkündete er vergnügt:br> " Du wirst eine 159³ sein!"
"Juhu, ich werde eine 159³ sein! Was zum Kuckuck bedeutet das?!"
Ohne auf meine vielen Fragen einzugehen führte er mich zu einer plumsklo-artigen Kabine und forderte mich auf, darin Platz zu nehmen. Die Innenseite der Kabine war aus blankem Edelstahl und an einer Seite befand sich ein kleiner Monitor mit einer Tastatur.

"So, nun werde ich dich verlassen! Mein nächster Kunde wartet schon. Du musst nur deine Zahl in das Display eingeben und warten was passierte. Wir sehen uns wieder, wenn du das nächste mal stirbst. Doch dann wirst du alles vergessen haben!" mit diesen Worten verschwand er.

Unsicher ob ich träumte oder tot war, gab ich die Zahlen ein. Der Raum wurde in rotes Licht getaucht und auf dem Monitor erschien eine blinkende Warnung: ERGEBNIS FALSCH. Verzweifelt versuchte ich aus der Kabine zu entkommen, aber die Tür war fest verriegelt. Sekunden später erlosch das rote Licht wieder und auf dem Monitor stand nun: TRANSFORMATION WIRD DURCHGEFÜHRT - FEHLER SIND NICHT AUSGESCHLOSSEN! Ich entdeckte einen großen gelben Knopf, auf dem STOPP stand, doch noch bevor ich ihn erreichen konnte, fiel ich in eine Art tiefes Koma.

Und das Ende der Geschichte? Es war wirklich kein Traum und als ich wieder zu mir kam war ich eine kleine Kaulquappe. Und obwohl mir der Vollstrecker prophezeit hatte, dass ich alles vergessen würde, wusste ich noch alles. Dies lag wohl an dem Rechenfehler.

Das ist jetzt schon ein Jahr her. Ich sitze nun am Rand der neuen Autobahn und muss sie überqueren, um an meinen Leichplatz zu gelangen. Was wird mir das Roulette diesmal bringen?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.07.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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