Miriam Keller

Nacht

Die Turmuhr schlägt Zwölf hinein in das kleine Zimmer. Die dunkle, schwarze Nacht liegt bedrohlich vor dem Fenster und lauert darauf, hereinzukommen. Der Mond hat sich hinter einer Wolke versteckt, der Garten liegt ruhig und regungslos. Wer sollte da wohl schlafen? Alle, bis auf die Katze. Sie steht still am Gartentor und lauscht hinein in die Stille, immer auf der Lauer nach Mäusen. Sie ist grazil und leise. Man würde nicht bemerken, dass sie da ist, wenn man vom Fenster aus in den Garten sieht, wären da nicht ihre undurchdringlichen Augen, die durch die Finsternis glitzern.
Ich bin aufgestanden und barfuss zum Fenster gegangen. Ich habe sie gesehen, die funkelnden Katzenaugen. Ich konnte schon lange nicht gut schlafen. Dieses Rumoren in meinem Bauch hatte es verhindert. Nun stehe ich hier in der Kälte und kann nicht länger so tun, als wäre nichts gewesen. All das Schöne des Tages ist verblichen. Was bleibt sind Schatten, die von der Dunkelheit verschluckt werden. Das große schwarze Nichts.
Es gibt immer zwei Seiten, den Tag und die Nacht.
Am Tag erscheint alles klar, alles ist definiert und hat Kontur. Die Nacht jedoch verwischt diese Konturen. Sie lässt sie undeutlich werden, bis sie am Ende nicht mehr zu erkennen sind. In der Nacht ist alles möglich. Naturgesetze gelten jetzt nicht mehr, da die Grenze zwischen real und fiktiv nicht mehr zu erkennen ist. Nur die Katzenaugen vermögen diese unwirkliche Welt zu durchbrechen. Sie erscheinen mir klar durch all diesen Dunst. Sie sind etwas, an dem ich mich festhalten kann, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und in die  Schatten zu stürzen. Sie helfen mir, wieder an etwas zu glauben. Noch liegt es in den Schatten, noch ist es verborgen im Nebel. Doch schon bald werde ich es finden. Die Katzenaugen werden mir den Weg leuchten.
Ich weiß nicht, warum ich den Blick abwende. Vielleicht, um einen kurzen Blick auf ihn zu werfen und mich zu versichern, dass er mich begleiten wird, auf die Suche nach den verlorenen Dingen. Als ich wieder in den Garten schaue,  sind die Augen verschwunden. Ich suche sie, doch ich kann sie nicht mehr finden. Sie sind verschwunden, und zurück bleibt nur das Dunkel, die Stille und die Leere.
Ich stehe noch einige Minuten regungslos am Fenster und starre hinaus in die Nacht.  In mir breitet sich eine große Leere aus, sie ist so groß und schwarz wie die Nacht vor meinem Fenster.
Ich werde wiederkommen und sie suchen. Ich gebe sie nicht verloren, die leuchtenden Augen in der Nacht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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