Germaine Adelt

Schlussakt

 
Der schwere Rotwein und die Klänge von Pink Floyd hielten ihn letztlich davon ab zu springen. Wenn er schon sein armseliges Leben beendete, dann mit klarem Verstand. Und nicht umnebelt und alkoholgeschwängert.
Und ehe sie das alles überhaupt begriffen hatte, war es schon wieder vorbei. Er stieg vom Dachsims herunter und sah sie herausfordernd an. Sie widerstand seinem Blick und ließ ihn wortlos stehen. Sie hatte diese Spielchen satt. Vielleicht war sie auch in meiner Weiblichkeit gekränkt. Denn für ihn existierte sie nur dann, wenn es galt seinen Weltschmerz zu lindern. Er nannte sie „ungewöhnlich mitfühlend“, eine Eigenschaft die er besonders an ihr schätzte. Vermutlich die Einzige. Dennoch hatte er ihr in einer schwachen Stunde einmal gestanden, dass es ihn regelrecht wütend machte, wenn sie dieses Mitgefühl auch anderen entgegenbrachte und nicht nur ihm allein.
Als sie die Dachbodentür öffnete schlug ihr der Partylärm entgegen und kopfschüttelnd wurde ihr klar, dass man bisher weder ihn noch sie vermisst hatte. Für einen Moment blieb sie stehen, um dann tatsächlich aus Mitgefühl und Sorge wieder umzukehren. Er hatte auf sie gewartet und stand grinsend direkt hinter der Tür. „Na, du kannst auch nicht anders, oder?“
Sie sah ihn fragend an, aber er meinte es tatsächlich so zynisch wie es geklungen hatte und bevor er ihre Tränen entdecken konnte, gab sie ihm eine Ohrfeige.
Noch nie hatte sie so etwas getan und noch nie war sie so wütend auf ihn.
 
„Geht es dir jetzt besser?“ fragte er trocken.
Sie schwieg. Denn noch immer kämpfte sie mit den Tränen und sie wusste, dass sie ein Wortgefecht mit ihm nicht durchstehen würde. Allein dafür, dass ihre Stimme nun beben würde, würde er sie verspotten.
„Was ist?“ hakte er nach. „Hat es dir die Sprache verschlagen?“
Sie nahm allen Mut zusammen und sah ihm fest in die Augen. Dann ließ sie ihn wortlos stehen und kehrte zur Party zurück. Immerhin war es der Geburtstag von Melanie und nicht seiner.
Sie war es leid sich seinen Weltschmerz anzuhören, immer wieder in seine schweren Gedanken einzutauchen, um am Ende dafür verhöhnt zu werden. Sein größter Irrtum bestand darin zu glauben, dass ihr Mitgefühl nur ihm galt und niemand anderen sonst. Aber je öfter sie versuchte, diesen Irrtum aufzuklären, umso überzeugter war er davon und unterstellte ihr neuerdings auch amouröse Absichten.
Reflexartig sah sie zur Uhr. Er war seit zehn Minuten da draußen. Und es war davon auszugehen, dass er nichts Gutes vorhatte. Lars war einfach nicht einer von denen, die sich leise zurückzogen um mit ihren Schicksal haderten. Seine Eskapaden waren legendär und laut. Womöglich beides um auch alle Aufmerksamkeit zu haben. Dann fiel ihr plötzlich ein, wie oft er davon erzählt hatte, dass der ultimative Selbstmord wäre, sich mit dem Auto an der Schleuse herunterzustürzen. Effektiv und spektakulär. Genau nach seinem Geschmack.
 
Hastig lief sie die Treppe herunter und ihr wurde plötzlich klar, dass er längst losgefahren sein musste, sofern er es tatsächlich vorhatte. Dennoch hoffte sie, dass irgendetwas ihn aufgehalten haben könnte.
Als sie endlich im Hof angekommen war, lief der Motor schon und die Scheinwerfer blendeten sie für einen Moment. Doch er war noch da und es war, als habe er auf sie gewartet. Wut stieg ihn ihr hoch. Wut auf ihn und darauf, dass er immer wieder seine Spielchen mit ihr spielte.
Sie zögerte einen Moment. Doch dann wurde ihr klar, dass sie nicht anders konnte, als ihn davon abzubringen alkoholisiert durch die nächtlichen Strassen zu fahren. Und wie als Herausforderung, fuhr er auch los. In dem Moment, als sie langsam auf ihn zuging.
 
Es war der pure Wahnsinn und zudem noch lebensmüde sich vor das Auto zu stellen. Dennoch war sie fest davon überzeugt, dass er anhielt. Er ließ den Motor noch einmal aufheulen, was sie jedoch nicht beeindruckte. Sie stand so, dass sie mit einer leichten Drehung ausweichen konnte. Die vielen Jahre des Ballettunterrichts waren also nicht umsonst. Er konnte es nicht sehen und so wurde es zu einer Glaubensfrage, was seinen Charakter betraf. Er rollte immer näher an sie heran um dann doch abzubremsen. Und zum ersten Mal fragte sie sich, ob das alles wirklich wert war, ihr Leben zu riskieren.
Ihren Blick heftete sie an seine Augen und dann ging sie dicht an der Motorhaube vorbei um an der Beifahrerseite einzusteigen. Wenn er jetzt weiterfuhr, würde er sie erfassen und sie hatte keine Chance mehr unverletzt davon zu kommen. Ihr Blick noch immer auf ihn gerichtet, glaubte sie zu wissen, dass er es nicht tun würde. Woher sie diese Gewissheit nahm, wusste sie aber auch nicht.
Er schaltete den Motor aus und senkte seinen Kopf und es sah fast so aus, als schäme er sich für sein Verhalten. Nachdem sie eingestiegen war, ließ sie die Autotür weit offen um im Notfall schnell herauszukommen. Sollte er tatsächlich losfahren, wollte sie nicht dabei sein, wenn er sich und anderen Schaden zufügte.
Sie wusste was jetzt kam. Erst würde er sich für sein Verhalten entschuldigen, es dann begründen und alles würde damit enden, dass die Welt da draußen Schuld habe und überhaupt. Er würde ich nie ändern.
„Es tut mit leid. Aber ich ...“
„Lass es.“ sagte sie leise. „Ich kann es nicht mehr hören.“
Dann zog sie den Schlüssel ab und stieg aus. Ohne sich umzusehen, ließ sie den Autoschlüssel in den Gully fallen und ging zurück zur Geburtstagsfeier. Sie hörte, wie er kurz nach ihr das Treppenhaus betrat. Dass er wieder auf den Dachboden ging, interessierte sie nicht mehr. Sie hatte diese Spielchen endgültig satt.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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