Nicolai Rosemann

Illusion

    Das kostbare Artefakt der Erlösung war nach dem großen Krieg in die Hauptstadt der Sieger gebracht worden. Nachdem die Bedrohung aus dem Norden aber zur Geschichte geworden war und nach Jahrtausenden nur mehr als eine wage Legende existierte, wurde das Artefakt vergessen. Niemand mehr erinnerte sich an die Macht, die im Kellergewölbe des Archivs versteckt lag. Eingemauert in meterdicken Fels um jeden, der nach dieser Macht trachtet, aufzuhalten.
Allerdings hat man nie damit gerechnet, dass die wahren Herren des Artefakts kommen würden um es suchen. Denn sie haben sich nie von Mauern aufhalten lassen.

Da nur mehr wage Geschichten an das Grauen aus dem Norden erinnerten, war die Grenze nur unzureichend gesichert. Aber niemand hätte erwartet, dass auch nur ein Wesen die nicht enden wollende Eiswüste durchqueren würde um in das nun seit langem friedliche Königreich einzudringen.
Ein einzelner Wachmann, der schon zu viele Winter erlebt hatte um diesen Schneesturm als besonderen Sturm zu erkennen, war die einzige Hürde, die die Armee zu beseitigen hatte.
Der Wachmann, unwissend, dass er bereits seit Tagen beobachtet wurde, denn so lange tobte der Sturm bereits, nahm gerade den letzten Schluck aus dem sechsten Bier an diesem Abend als er eine schemenhafte Gestalt zu erblicken glaubte.
In Erwartung von Gefahr zog er sein Schwert und rief aus, der Unbekannte solle sich zeigen. Aber der Schemen war wieder verschwunden und so sank der Soldat, der schon bessere Zeiten erlebt hatte, wieder auf seinen Schemel und legte das schartige Schwert neben sich auf den Tisch. Dann köpfte er die nächste Flasche Bier und nahm einen tiefen Schluck.

Draußen im Schneesturm fror sich Leutnant Knick wirklich das letzte Leben in seinem Körper ab. Der kurze Blick in die Wachstube hatte den Verdacht seines Feldherrn bestätigt, dass man sie vergessen hatte und ihr Marsch somit unentdeckt von Statten gehen würde. Zufrieden polierte der Offizier sein Glasauge und setzte es ein.
Für einen Beobachter wäre das ein besonderes Schauspiel gewesen. Aus dem Nichts war ein Glasauge erschienen und schwebte nun frei über dem Boden. Ansonsten war nichts zu sehen. Nur der kalte Wind pfiff um die wacklige Hütte und trieb etwas Schnee vor sich her.
Leutnant Knick schüttelte sich vor Kälte und hüllte sich dann noch enger in seinen dünnen Marschumhang. Die Armee lagerte nicht weit und so ging er schnellen Schrittes zurück.
Im Lager der Armee saß General Mäx in seinem Zelt am Lagerfeuer und briet über den Flammen sein Mahl. Als der durchgefrorene Leutnant Knick das Zelt betrat entlockte ihn das nur ein mattes Lächeln. Wortlos wies er seinem Vertrauten einen Platz zu. Eine Zeit lang schwiegen beide, wobei Leutnant Knick sich am Feuer wärmte. Dann brach Mäx die Stille: „Nun? Was hast du zu berichten?“
„Mein Glasauge ist eingefroren“, antwortete Knick murrend.
„Und weiter?“
„Die Grenze wird hier nur von einem alten Mann bewacht, der wohl bei einem leichten Windstoß umfallen würde. Solange der Schneesturm andauert, könnten wir die Grenze passieren ohne dass es jemand bemerkt. Er würde uns nicht einmal zur Kenntnis nehmen“, beendete Knick seinen Bericht. Mäx lauschte aufmerksam und biss dann ein Stück vom Fleisch ab. Es war noch nicht ganz durch. Er spuckte den Bissen aus und warf dann alles ins Feuer. „Komm mit.“
Sie traten nach draußen. Vor ihnen lag die leere Ebene, hinter ihnen war auch nichts zu sehen.
„Der Meister hat uns erneut tausend Mann geschickt. Damit stehen knapp 11.000 unter meinem Kommando. Fußsoldaten. Dazu kommen noch 5.000 Berittene.“
„Beeindruckend. Wir brauchen mehr Offiziere.“
„Das habe ich bereits erledigt. Leutnant Degen sucht bereits nach fähigen Männern. Aber was ich damit sagen will ist dass wir damit nicht unbemerkt durch die Linien schlüpfen können.“
„Disziplin ist der Schlüssel. Ich bringe den Soldaten schon bei…“
„Das bezweifle ich nicht, mein Freund“, unterbrach Mäx, „aber dieser Krieg ist zu wichtig um ihn leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Wir werden hier beginnen und dann Stellung für Stellung ausheben bis wir unser Ziel erreicht haben. Dann bringen wir das Artefakt zurück zu unserem Meister und er wird uns endlich schenken was wir schon lange verdienen.“
„Frieden. Erlösung.“
„Freiheit.“ ergänzte Mäx und prostete Knick zu.   Noch in derselben Nacht kehrte Knick in die Wachhütte an der Grenze zurück. Der alte Mann saß in seinem Sessel und schnarchte. Knick machte sich nicht die Mühe sich zu tarnen, sondern ging einfach auf ihn zu. Dabei machte er so viel Lärm wie möglich. Als der alte Mann auf dem Schlaf aufschreckte sah er Knick vor sich stehen. Dieser musterte ihn mit seinem verbliebenen Auge während aus der anderen Augenhöhle ein Insekt krabbelte. Dann stieß er zu und riss dem alten Mann das linke, ihm fehlende Auge raus und setzte es sich selber ein. Er zwinkerte mehrfach und lächelte dann zufrieden.
„Danke, alter Mann.“ sagte er spöttisch und verließ die Hütte wieder. Bis jetzt hatte der Mensch keinen Laut von sich gegeben. Gerade als Knick die Tür schloss begann er leise zu wimmern und bevor die Tür richtig ins Schloss gefallen war steigerte sich das Wimmern in ein markerschütterndes Schreien.
Draußen warteten bereits zwei andere Illusionssoldaten mit Fackeln auf Knick. Einer lächelte seinem Hauptmann zu als er das neue Auge sah. Knick erwiderte das Lächeln und gab ihnen über die Schulter ein Handzeichen. Die beiden Soldaten hatten die Hütte bereits mit Pech angemalt und entzündeten es jetzt.
Knick drehte sich um und betrachtete einige Zeit wie die Flammen immer höher stiegen und schwarzer Rauch in den Himmel aufstieg. Langsam wurde es hell.
„Wir sollten zum Lager. General Mäx will im Morgengrauen aufbrechen“, sagte einer der Soldaten schließlich.
„Zur Hölle damit“, antwortete Knick und ging gemächlich los. Die Soldaten folgten ihm und bei jedem Schritt verloren sie mehr an Gestalt bis der Morgennebel sie schließlich verschlang.

Zwanzig Tage später stand General Mäx auf einem Hügel vor der schwarzen Stadt. Hier wurde die Beute ihres Kreuzzugs versteckt. In einer goldenen Schatzkammer auf dem achten Hügel, von seinem Aussichtspunkt gut sichtbar, lag der Stein, den sie zu holen geschickt worden waren. Ihr Meister verlangte danach.
Die Menschen waren aber nicht gewillt das Artefakt, das sie verehrten und vergöttern, kampflos an die Fremden abzugeben. Ihre besten Krieger, ausgestattet mit besten Rüstungen und Waffen, hatten bereits die Wehrgänge besetzt und erwarteten den Angriff der nun nur mehr 6.000 Mann zählenden Armee von General Mäx. In fast einem Dutzend Schlachten war er bis jetzt siegreich gewesen und hatte die Paladine der Menschen immer vernichtend geschlagen. Aber zu einem gehörigen Blutzoll.
Die schweren Belagerungsmaschinen waren bereits zerstört und nur mehr eintausend Bogenschützen verblieben. Aber die schlimmste Waffe der Armee würde niemals von den Menschen gebrochen werden. Die Macht der Illusion, die Waffe der Angst.
Die Soldaten, die verblieben waren, wussten nun schon auf was sie bei den Menschen zielen mussten um sie schnell zu besiegen. Und der Geruch von Angst, den Mäx in seiner Nase hatte, verriet ihm, dass auch die Menschen wussten was ihnen bevorstand.
Mäx hob die Hand und winkte seine Offiziere herbei.
„Hier sind wir nun. Nur mehr wenige Schritte von der Erlösung entfernt.“
„Greifen wir an. Werfen wir sie nieder“, eiferte Degen. Aber Mäx winkte seinen Vorschlag entschieden ab.
„Wir warten auf die Rückkehr von Knick.“
„Der ist doch schon tot. Die Geier haben ihm die Leber rausgerissen. Ich habe es gesehen“, lachte Degen hinterhältig und schlug freudig die Hände zusammen, „ich habe es gesehen.“
„Du hast schon lange nichts mehr gesehen! Verschwinde!“ fuhr Mäx ihn an. Aber Degen lachte weiter, keuchend, verrückt. Seit er das Augenlicht in der ersten Schlacht verloren hatte war er nicht mehr auszuhalten und je näher sie dem Artefakt gekommen waren desto verrückter war er geworden.
„Reißen wir ihnen die Leber raus! Reißen wir ihnen ihre saftige Leber raus. Fressen wir sie! Ja!“ Degen tanzte jetzt um die Offiziere herum bis zwei Soldaten ihn packten und wegschleiften.
„Wir warten die Rückkehr von Knick ab. Was wir in Rosenburg gesehen haben, hat mir nicht gefallen.“
„Die haben ihre Hälfte des Artefakts zerstört und ein Drittel unserer Krieger verschlungen. Das darf nicht noch einmal passieren. Wir sollten ihre Mauern mit der Gabe durchbrechen und uns erst vor der Schatzkammer zeigen.“
„Die Tore sind magisch gesichert. Wir kommen nicht durch ohne gesehen zu werden“, erklärte Mäx, „aber so oder so. Wir tun nichts bevor Knick zurück ist.“
„Wohin haben Sie ihn eigentlich geschickt, Herr General?“
„Zu einem Wesen, das ich für tot gehalten habe. Bis ich die Inschrift auf dem dritten Tor in Rosenburg las. Wenn stimmt was dort geschrieben steht ist unser ganzer Kreuzzug umsonst gewesen.“
„Was stand dann dort? Was beunruhigt euch so?“ fragte der Offizier. Aber Mäx schwieg. Er sank in die Knie und überschlug die Beine. Weiter starrte er auf die Schatzkammer und genoss den Geruch der Angst der Menschen, den der Wind näher trug. „Wir bleiben im Zwielicht. Sorgt dafür.“

Stahl fraß sich in Fleisch. Mit einer fließenden Bewegung löste Knick es wieder aus dem Fangarm und konnte gerade noch dem nächsten ausweichen. Statt ihm wurde einer seiner Soldaten in die Luft geschleudert und verschwand im Schlund der Kreatur zu seiner Rechten. Vom Felskamm an seiner Linken hagelte es noch immer Wurfgeschosse und vergiftete Pfeile. Das Gift war langsam und schmerzhaft. Die beiden Treffer, die Knick abbekommen hatte, entzogen ihm langsam die Kraft und den Lebenswillen.
Aber dann klammerte er sich wieder an die Schriftrolle, die er unter der Rüstung trug und machte den nächsten Schritt.
„Laufen Sie! Wir halten sie auf!“ rief einer der letzten Soldaten und warf sich mit einem wilden Kampfschrei auf das Krakenwesen aus dem See. Ein anderer Soldat rannte an Knick vorbei und grub seine Axt in einen der Fangarme. „Die Nachricht muss den General erreichen!“ In diesem Moment wurde der Krieger auch schon wieder von den Beinen gerissen und schlug gegen die Felsen. Mehrere Knochen brachen, aber der Soldat stemmte sich wieder hoch bevor er von unzähligen Pfeilen getroffen zusammensackte und starb.
Knick erreichte die Pferde, die sie am Eingang zu der Grotte angebunden hatten, und zerrte sich in den Sattel. Pfeile zischten an ihm vorbei und warfen das Pferd neben seinem zu Boden. Es wieherte vor Angst und Schmerzen bevor es an dem Schaum aus seinem Mund erstickte. Knick gab dem Pferd mit letzter Kraft die Sporen während er den Haltestrick durchschnitt. Dabei entglitt ihm das Schwert, aber Knick hatte genug damit zu tun sich im Sattel zu halten. Das Pferd kannte den Weg und gab sein bestes während Knick im Sattel zusammensackte und in eine tiefe Schwärze fiel.

Als er wieder aufwachte, lag er in weichem Sand. Das Pferd stand neben ihm und soff aus einem Bach. Instinktiv wusste Knick, dass er nicht allein war.
„Ihr braucht keine Angst zu haben, Herr. Obwohl ich weiß was ihr seid bin ich euch Wohl gesonnen“, sagte eine sanfte Stimme nicht weit entfernt. Knick sah sich um und erblickte einen Elben. Er stand auf einem Felsen über ihm und hatte einen Langbogen in der Hand. Ein Pfeil war aufgelegt.
„Wollt ihr mich erschießen?“ fragte Knick. Er war überrascht dass seine Stimme so fest war.
„Ruhig“, zischte der Elbe und legte an. Erst jetzt bemerkte Knick, dass da noch etwas war. Dann hörte er den markerschütternden Schrei einer Harpyie. Der Pfeil glitt im selben Moment beinahe lautlos von der Sehne. Der Angriffsschrei riss sofort ab und etwas fiel in den Bach.
„So ist es besser“, meinte der Elbe und legte den Bogen über die Schulter.
„Ihr habt mich als Köder benutzt?“
„Nein“, lächelte der Elb.
„Lügner!“
„Wir Elben können nicht lügen“, verbesserte der Elb, „aber ohne mich wärt Ihr bestimmt schon tot. Das Gift der Trolle wirkt langsam, aber garantiert. Es hat mich einige Kraft gekostet euch zu helfen.“
„Warum habt Ihr mir geholfen? Sind die Elben nicht die eingeschworenen Feinde von uns?“
„Wir sind die Feinde von vielen. Selbst die Menschen wissen uns nicht mehr zu schätzen. Aber ich weiß was Ihr bei euch tragt. Alleine das rechtfertigt schon meine Hilfe.“
Knick fasste unter seinen Harnisch. Das Schriftstück war noch immer da. Das Siegel war noch ganz, das Papier trocken.
„Die Nachricht muss General Mäx erreichen. Auf jeden Fall“, sagte der Elb und hob die Hand zum Gruß.
„Wartet.“
„Keine Sorge. Ich bleibe in der Nähe. Zumindest solange ich es mir leisten kann ohne selbst in Gefahr zu geraten. Eure Späher gehen ja nicht gerade zimperlich mit uns um.“ Mit diesen Worten warf der Elb seinen weißen Mantel hoch und sprang vom Stein. Im selben Moment war er im Wald verschwunden.
Knick stand auf und ging zum Pferd. Es sah ihn störrisch an und versuchte wegzulaufen. Knick packte aber die Zügel und sprang in den Sattel. Er musste dem Pferd nicht einmal die Sporen geben.

„Dreißig Tage sind nun vergangen seit Knick uns verlassen hat. Ich glaube nicht, dass er zurückkehrt“, sagte ein Leutnant. Alle Offiziere saßen in einer Höhle unweit ihres Lagerplatzes beim Essen. Einzig in diesen Höhlen war es gestattet Feuer zu entzünden um die Menschen nicht zu warnen.
„Er wird kommen“, antwortete Mäx mit vollem Mund.
„Der Meister wird bald kommen. Er gab uns zwei Monate Zeit. Diese Zeit ist beinahe ganz verstrichen.“
„Vertrauen, meine Freunde. Ihr müsst mir vertrauen.“
Niemand antwortete mehr und so beendeten sie ihr Mahl schweigend. Danach verließ Mäx die Höhle und zog sich in sein Zelt zurück. Kaum war er gegangen, begannen einige der Offizier zu tuscheln. „Ich denke es ist Zeit für einen neuen Anführer.“

Total erschöpft und mit Schaum vor dem Mund brach das Pferd plötzlich zusammen. Knick wurde vornüber geworfen und so unsanft geweckt. Als er sich hochrappeln wollte sah er zwei in Fell gehüllte Stiefel vor sich. Vorsichtig warf er einen Blick nach oben.
Über ihm stand ein Satyr mit seiner Axt in der Hand. Das raubtierhafte Grinsen verriet ihm was gleich geschehen würde. Der Satyr hob die Axt zum tödlichen Hieb als Knick das Singen einer Sehne wahrnahm. Ein Pfeil bohrte sich in die Brust des Halbwesens, das ein paar Schritte nach hinten taumelte und dann zusammenbrach. Ein letztes Mal schlug der Satyr mit den Hufen, dann rührte er sich nicht mehr.
Knick stand nun auf und nahm die Axt des Halbwesens an sich. Sie war schlecht geschmiedet, schartig und verdammt schwer. Aber besser als unbewaffnet durch die Lande zu ziehen.
„Ein zweites Mal habe ich dir das Leben gerettet.“
„Danke“, antwortete Knick ehrlich und warf dem Elb die Beute, einen kleinen Beutel mit Goldmünzen zu, „für Ihre Mühen, Herr Elb.“
„Ich bedanke mich auch.“ Er studierte die Münzen und warf sie dann in die Büsche.
„Hey.“
„Sie sind schon lange nichts mehr wert“, antwortete der Elb, „aber ich schlage vor, dass wir weitergehen. Ein Satyr ist selten allein.“
„Mein Pferd ist tot.“
„Ich folge Ihnen seit ich Sie gerettet habe. Zu Fuß. Also werden Sie das auch schaffen, Herr.“
Knick murrte, lief dann aber langsam los und wurde dann immer schneller, bis er in den Laufschritt kam.

Ein Fußsoldat betrat das Zelt des Offiziers und klopfte auf seinen Brustharnisch. „Die Nachricht vom Meister ist eingetroffen. Sie lautet…“ Er entrollte ein Pergament. „Ja.“
„Mh. Das dachte ich mir schon. Ich verlange sechs Männer“, antwortete der Offizier und stand auf. Er legte seinen Umhang um und prüfte dann das Schwert in seinem Gürtel. Als er das Zelt verließ, warteten die sechs Männer bereits auf ihn.
„Zu General Mäx.“

Aus dem Nichts trat der Elb aus dem Wald und versperrte Knick den Weg. „Hier werden wir uns trennen müssen. Wir sind in der Nähe des Lagers und ich habe keine Lust von euren Spähern gesehen zu werden.“
„Danke für die Hilfe.“
„Nicht der Rede wert. Überbringe die Nachricht und ich bin zufrieden.“
„Das werde ich. Danke noch Mal“, sagte Knick und reichte dem Elben die Hand. Zaghaft nahm er sie.
„Falls du mal in die Nähe des Elbenwaldes kommen solltest, frag nach Opalauge. Dann wird dir nichts geschehen“, sagte der Elb zum Abschied und ließ Knick alleine stehen.
Knick ging nun langsam weiter und lauschte mehr auf die Umgebung. Das Laub raschelte und irgendwo zwitscherte ein Vogel. Plötzlich verstummte das Tier aber und Knick hörte gar nichts mehr. Es war bedrückend still. Lautlos zog er seine Axt und ging in Verteidigungsstellung.
„Halt! Wer da?“ fragte eine Stimme aus dem Schatten. Knick atmete auf und senkte seine Waffe. „Ich bin es. Leutnant Knick. Ich muss sofort zum General.“
Aus dem Zwielicht trat eine Späherin der Illusionsarmee. „Endlich. Wir warten bereits auf Sie, Leutnant.“ Sie lächelte schief und zeigte tiefer in den Wald. „So sind wir schneller.“
Knick sah sie aber skeptisch an. „Ich würde lieber auf der Straße bleiben.“
„Die Menschen halten sie besetzt“, antwortete die Späherin schnell. Zu schnell für Knicks Geschmack. Er sah sich die Kriegerin genauer sie. Sie wischte sich nervös eine Haarsträhne unter die Lederhaube und zwinkerte mehrmals.
„Was ist los?“ fragte er bohrend. Die Kriegerin antwortete nicht sondern versuchte fahrig ihr Schwert zu ziehen. Knick war schneller und schlug es ihr, kaum dass sie es gezogen hatte, aus der Hand.
„Sprich! Oder ich hacke dich in zwei Hälften! Warum wolltest du mich töten?“
„Eher sterbe ich als dass ich einem Kollaborateur helfe!“ zischte die Späherin.
„Kollaborateur? Wovon sprichst du? Seid ihr übergeschnappt?“ Knick trat drohend näher und holte zum Streich aus. Langsam hob er den Arm hoch.
„Warte!“ keuchte sie plötzlich und brach in die Knie, „ich werde alles erzählen.“
„Ich gebe dir eine Minute.“
„Die Offiziere wollten schon lange angreifen aber der General hat es immer verhindert. Deshalb hat einer der Offiziere, Brandok, einen Boten zum Meister gesandt. Er hat Brandoks Plan General Mäx zu ersetzten bewilligt. Daraufhin haben die Offiziere General Mäx abgesetzt. Aber einige seiner Gardisten haben sich gewehrt und ihm zur Flucht verholfen.“
„Die Bastarde! Weiter.“
„Wir sind jetzt auf der Suche nach dem General und seinen Verbündeten. Wir müssen ihn finden bevor er die Menschen warnt oder uns sonst irgendwie verrät.“ Die Späherin war den Tränen nah. „Bitte. Tötet mich nicht, Herr.“
„Diese Narren. Wir standen so kurz vor der Erlösung und jetzt das. Wo finde ich General Mäx?“
„Ich weiß es nicht. Niemand weiß das“, antwortete die Späherin. Sie zitterte dabei so stark, dass Knick wusste, dass sie die Wahrheit sagte.
„Bitte tötet mich nicht.“
Knick steckte die Axt weg und hob das Schwert der Späherin auf. Sie stand inzwischen auf zittrigen Beinen vor ihm, den Blick gesenkt.
„Du hast deine Pflicht erfüllt. Allerdings hättest du mich gleich töten müssen. Das ist der Kodex, auf den wir alle mit unserem Blut geschworen haben. Kein Erbarmen für unsere Feinde. Ich bin dein Feind.“ Knick reichte ihr das Schwert.
„Herr? Was soll ich jetzt tun?“
„Du bist nun verbannt. Kehrst du ins Lager zurück, wird man dich töten. Entweder du versuchst dich alleine durchzuschlagen bis ans Ende deiner Tage oder…“
„Oder was, Herr? Sprecht.“
„Oder du hilfst mir General Mäx zu finden. Dann wirst du vielleicht leben“, gab Knick sein Angebot preis. Freudig nickte die Späherin. „Eine Wegstunde von hier habe ich Spuren gefunden, hatte aber noch Zeit im Lager Bericht zu erstatten.“
„Sehr gut. Führ mich hin.“
Die Späherin nickte glücklich und ging los. „Aber führe mich nicht in die Irre. Du weißt, wenn du zur Armee zurückkehrst, in meiner Gefangenschaft, wirst du sterben.“

Am Abend stand der neue General Brandok vor seinem Zelt und starrte die Stadt an. Gegen Mitternacht würden sie den ersten Angriff starten. Es war Neumond, somit würde der Schatten seinen Soldaten zusätzlich Schutz bieten.
Einer seiner Offiziere trat neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Brandok nickte und winkte einen Soldaten herbei.
„Einer der Späher ist nicht zurückgekehrt. Findet ihn“, befahl er scharf. Der Soldat nickte flink und verschwand wieder im Zwielicht. Brandok setzte seine Beobachtung der Stadt fort. Die Schutzzauber der Tore glänzten saphirgrün in der Nacht. Ein schöner Anblick. Rund um ihn herrschte rege Tätigkeit. Trotzdem ging alles mucksmäuschenstill von Statten. Brandok war zufrieden. Es waren gute Soldaten.
Trotzdem hatten sie es nicht geschafft Mäx und seine Gardisten zu stellen. Brandok knurrte böse und malte sich aus wie schön es sein würde Mäx in seine Finger zu bekommen. Kein Erbarmen für die Feinde. Auch wenn sie vom selben Blut waren.

Die menschlichen Wachsoldaten patrouillierten immer zu zweit durch die Straßen und unter der Außenmauer. Die meisten waren schon seit Stunden unterwegs. Bei jeder Runde sank die Aufmerksamkeit, die Müdigkeit verlange langsam ihren Tribut.
Plötzlich zuckte aber etwas an den zwei Soldaten am Haupttor vorbei. „Hast du das gesehen?“ flüsterte der Jüngere von beiden. Der ältere antwortete nicht sondern hob langsam das Signalhorn an den Mund. Ein weiteres Schemen kam durch die Wand. Und noch eines.
Der Soldat wollte das Alarmsignal blasen. Aber im selben Moment schnitt ihm jemand von hinten die Kehle durch. Gurgelnd taumelte der Mann gegen eine Mauer bevor er zu Boden sank. Der andere Mensch wollte fliehen, sah sich jedoch plötzlich zwei anderen Soldaten gegenüber, die bereits ihre Schwerter schwangen.
„Weiter, weiter“, knurrte der Anführer des Überfalltrupps. Seine sechs Illusionssoldaten verteilten sich in den Gassen. Einige Patrouillen fielen noch durch ihre Hand. Dann erreichten sie das Haupttor. Der Schutzzauber schimmerte grün und eindringlich. Vor den Hebeln, die Fallgitter und Zugbrücke bedienten, kauerte ein schlafender Soldat in eine Decke gehüllt. Seine beiden Kameraden standen an einer Feuerschale und wärmten ihre Hände.
Im Zwielicht deutete der Anführer seinen Männern an was zu tun war. Einer schlich sich zu dem Schlafenden und machte sich bereit ihn, falls er aufwachen sollte, zu töten. Die anderen kreisten die beiden am Feuer ein.
Es ging sehr schnell und alle drei bemerkten gar nicht was ihnen geschah. Die Klingen fraßen sich ins Fleisch, einige Gliedmaßen fielen zu Boden und das Blut begann zu fließen. Lautlos sanken die beiden am Feuer zu Boden. Der Schlafende schreckte erst hoch als die Klinge des Dolches durch seine Brust fuhr und ins Herz eindrang. Er keuchte auf und sank dann sofort wieder zurück.
„Öffnet das Tor. Schaltet den Zauber aus. Lasst die Plünderung beginnen.“

Die letzten beiden lebenden Leibgardisten saßen mit Mäx an einem kleinen Lagerfeuer. Einer der beiden hatte schwere Wunden davongetragen und war leichenblass. Nicht einmal eine Flucht ins Zwielicht hatte geholfen seine Wunden zu heilen.
„Es ist hoffnungslos. Wir können nirgendwo hin. Sie kriegen uns.“
„Nur nicht die Hoffnung verlieren“, befahl Mäx matt. Aber selbst er glaubte nicht mehr an eine Rettung. Dass sie das Lager lebendig hatten verlassen können war schon ein Wunder.
Plötzlich teilten sich die Büsche unweit ihres Lagerplatzes. Ein Soldat in der Rüstung einer Späherin trat heraus. Mäx und der Gardist griffen zu den Waffen.
„Halt!“ rief die Späherin und machte eine abwehrende Geste. Der Gardist stürmte aber trotzdem los und holte zu einem Streich aus. Seine Klinge traf auf Stahl und glitt haarscharf an der Späherin vorbei.
„Sie wird euch nichts tun“, sagte Knick und zeigte sich. Dabei steckte er sein Schwert ein.
„Knick? Wie hast du mich gefunden?“
„Ich hatte das Glück auf sie hier zu treffen. Sie versuchte mich zwar zu töten, aber ich war schon immer der beste Krieger in unseren Reihen“, erzählte Knick und grinste breit.
„Aber warum bringst du sie mit?“
„Sie ist entehrt. Außerdem hätte ich viel länger gebrauucht euch zu finden ohne ihre Hilfe. Bis dahin wärt ihr über alle Berge gewesen, oder tot.“
„Hast du die Nachricht?“
„Viel Blut ist geflossen damit sie dich erreicht“, antwortete Knick und reichte dem General die Schriftrolle. Mäx brach das Siegel und entrollte sie vorsichtig.
„Was steht darin? Was ist das alles wert?“ fragte der Gardist.
„Es ist wahr“, keuchte Mäx.
„Was ist wahr?“
„Brandok läuft in eine Falle. Das Artefakt ist nicht mehr da. Genauso wenig wie es in Rosenburg war. Wir müssen ihn aufhalten.“

Die ersten zwei Hügel waren eingenommen. Aber die Paladine wehrten sich tapfer. Unzählige Soldaten der Illusionsarmee waren bereits gefallen, obwohl sie die Angst der Feinde nutzten und sich weder von Tür noch Tor aufhalten ließen. Aber es war auch Magie im Spiel. Immer wieder mischten sich Magier unter die Reihen der Krieger und sprachen ihre Flüche auf die Angreifer aus. Meistens mit verheerender Folge. Eine Gruppe Illusionssoldaten war in Flammen aufgegangen. Eine andere zu Stein erstarrt. Gerade eben war die gesamte Vorhut einem sehr unschönen Zauberspruch zum Opfer gefallen. Der Spruch hatte ihr Inneres nach Außen gekehrt.
Aber die Reihen der Paladine wankten wieder und die ersten zogen sich bereits hinter die vierte Mauer zurück. Somit wäre der dritte Hügel in den Händen der Illusionsarmee, der direkt an den siebten Hügel mit der Schatzkammer angrenzte.
Brandok sah seine Chance und spornte seine Soldaten zu einem weiteren Vorstoß an. Vier Berittene stellten sich der kleinen Gruppe unter Brandoks Führung in den Weg. Mit ihren Reiterbogen streckten sie sofort vier der Krieger nieder. Die Speere der Soldaten glitten von ihren Harnischen ab. Deshalb zog Brandok zum ersten Mal in dieser Schlacht sein Schwert und sprang einen der Reiter an. Zusammen fielen sie aus dem Sattel und Brandok landete auf dem Reiter. Das Schwert fuhr endlich durch die Brust. Der Reiter stöhnte und verblasste plötzlich.
„Schimären. Deshalb sind sie so stark.“ stellte Brandok fest. Er sah sich nach dem Meister der Schimären um und sah gerade noch einen roten Mantel über eine Mauer springen. Im selben Moment verblassten Reiter und Ross.
Brandok knurrte böse und folgte dem Magier.

„Wir sind nicht mehr allein“, flüsterte die Späherin. Knick hielt inne und lauschte. Aber alles schien normal. „Bist du sicher?“ fragte er.
In diesem Moment hörte er die Bogensehnen knacken. „Runter!“ schrie er. Mäx warf sich sofort zu Boden, der Gardist riss aber Schild und Schwert hoch und drehte sich um die eigene Achse. „Zeigt euch!“ schrie er. Drei Pfeile trafen ihn und fegten ihn zu Boden.
„Zurück. Ich halte sie auf!“ schrie Knick als die Schützen aus ihrem Versteck in den Büschen traten und ihre Schwerter zückten. Es waren Echsenmenschen.
„Gebt uns was wir wollen und wir lassen euch vielleicht am Leben!“ knurrte der Anführer der Echsenmenschen mit zischelnder Stimme.
„Lieber sterbe ich.“
„Das wirst du!“ Der erste Schlag verfehlte Knick, den zweiten konnte er abblocken. Aber der dritte Krieger riss ihn zu Boden, das Schwert schlitterte weg und verschwand im Straßengraben. Zischelnd strichen die beiden anderen Echsenmenschen um ihren Kameraden herum, der Knick in eiserner Umklammerung hielt. Die geteilte Zunge strich über die Lippen des Echsenmenschen, kleine Schuppen rieselten in sein Gesicht. „Wie willst du es haben? Was soll ich dir zuerst abfressen.“
„Ich habe keine Angst und fürchte den Schmerz nicht.“
„Du wirst ihn fürchten. Glaube mir“, zischelte das Monster und zeigte zwei Reihen stumpfer Zähne.

Mäx und die Späherin flüchteten so schnell sie ihre Beine trugen in den Wald. Sie kamen jedoch nicht weit. Nach nur wenigen Schritten versperrte ein schneeweißes Ross ihnen den Weg. Der Reiter blickte erschrocken auf sie herab und zog dann unbehände sein Schwert.
„Lass die Klinge ruhen, wenn dir etwas an deinem Leben liegt, Mensch!“ knurrte Mäx und packte die Zügel des Pferdes. Dieses bockte und versuchte auszutreten.
„Lieber Ihr solltet eure Klinge schweigen lassen, Herr. Einen Elben in seinem Reich zu töten bringt Unglück. Vor allem ihr solltet darauf achten, dass euch das Glück nicht abhanden kommt“, sagte der Reiter und steckte das Schwert wieder weg.
„Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt so mit mir zu sprechen! Wisst Ihr denn, wer ich bin?“
„Ein Flüchtling, von seinen eigenen Leuten verstoßen und entmachtet. Während Ihr euch mit den Vorboten der Hölle herumschlagt, rücken Euresgleichen dem Ende immer näher obwohl Ihr die Macht hättet sie aufzuhalten. Aber da ihr lieber eure Verbündeten angreift schätze ich, dass Ihr es nicht mehr schaffen werdet das Leben Eurer Soldaten zu retten.“
„Ich glaube das ist der Elb von dem Knick gesprochen hat“, flüsterte die Späherin.
„Fürwahr. Allerdings sehe ich, dass mein Schützling nicht mehr an Eurer Seite steht, Herr General. Darum gehe ich davon aus, dass sein und Euer Leben in Gefahr sind.“
„Echsenmenschen haben uns angegriffen. Er hat uns zur Flucht verholfen, aber sie haben ihn überwältigt“, bestätigte Mäx.
„Dann kommt. Tot oder lebendig, die Echsenmenschen müssen aufgehalten werden. Und Ihr, Herr, braucht unseren Schutz.“ Opalauge lächelte und stieß dann sein Signalhorn. Aus dem Wald trabten mehrere Pferde, die von Bogenschützen geritten wurden. Diese musterten Mäx und die Späherin misstrauisch.
„Rocha-na thaur-vagors. Ava-rhi orcuia!“
„Ma în gwa ûns? Tol-în gwa?“
„Wegen ihnen sind wir hier. Geht nun!“
„Mae. Rhui heria!“ Die Elben lösten ihre Bögen vom Sattel und preschten dann los.
„Ihr werdet hier warten müssen, Herr. Aber ich lasse euch Pferde schicken sobald alle Gegner in der Nähe besiegt worden sind. Danach bringen wir euch an einen sicheren Ort“, erklärte Opalauge. Er stieg aus dem Sattel und zeigte sich Mäx zum ersten Mal aus der Nähe.
„Ich kenne dich“, stotterte der General.
„Ja, wir haben uns schon einmal gesehen, rhaug.“
„Aber das ist unmöglich. Ihr wart tot.“
„Selbst die Ewigkeit versteht es nicht mich zu verschlingen. Aber seid Euch gewiss, sobald ich habe was wir verlangen, werde ich diese Welt verlassen, denn meine Aufgabe wird erfüllt sein.“

„Was ist zwischen dir und diesem Elben vorgefallen?“ fragte die Späherin, als die Elben verschwunden waren. Mäx antwortete nicht gleich. Es war lange her und seine Erinnerung bloß nebelhaft.
„Vor vielen Jahren zogen wir unter der Führung einer Albae gegen den Elbenwald. Die Elben kämpften tapfer, wir aber waren zu zahlreich und keine Magie konnte die Macht der Albae brechen. Brandschatzend und mordend drangen wir immer weiter vor während die Albae uns zu immer schlimmeren Taten anstachelten. Sie sind wahre Künstler, ihre Materialien sind aber gewöhnungsbedürftig. Wir gingen auf diesen Raubzug um uns zu bereichern, die Albae aber besorgten sich neue Materialien für ihre Bilder. Blut, Därme, Haut, Haare.“ Mäx verstummte bedrückt. Der Nebel lichtete sich langsam und was er so lange verdrängt hatte kam an die Oberfläche.
„Dann kam der Tag an dem wir die letzte Bastion der Elben in Sichtweite hatten. Im Wald um den Palast herum waren überall Elben versteckt und warteten auf unseren Angriff. Drei Krieger und ich hatten den Auftrag einige dieser Verteidiger festzusetzen und zu verhören. Mittlerweile war mir dieser Krieg schon zuwider geworden und das war eine gute Möglichkeit Fahnenflucht zu betreiben. Deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet. Nach kurzer Suche fanden wir auch einen einzelnen Verteidiger, einen jungen Schwertkämpfer, noch nicht einmal grün hinter den Ohren. Diesen Jungen hatte man einfach in den Harnisch gesteckt, er wagte es nicht einmal Widerstand zu leisten, als wir das Zwielicht verließen und auf ihn eindrangen. Das Verhör war auch kurz, denn er hatte nichts zu sagen. Ich wollte ihn dann laufen lassen, die anderen wollten aber Trophäen. Elbenohren brachten viel Gold ein. Im Streit welche zwei der drei ein Ohr bekommen würden, klirrten schließlich die Klingen und einer der Soldaten wurde getötet. Die Gelegenheit hatte der junge Elb zur Flucht nutzen wollen. Er kam aber nicht weit und endete mit einem Dolch im Rücken. Lachend zogen die anderen von dannen, die Ohren interessierten sie nicht mehr. Ich hatte aber Mitleid und verband ihm seine Wunden so gut es ging. Als ich ihn verlassen musste lebte er noch, die Elben, die mich dazu zwangen ihn allein zu lassen, sagten dann aber er sei tot und brachten ihn weg. Eine Stunde später eröffneten wir den finalen Angriff und wurden blutig geschlagen. Drei Viertel der Armee wurde ausradiert, die Albae getötet oder gefangen genommen. Ohne dass wir es bemerkt hatten, waren Menschen den Elben zu Hilfe geeilt. Ihre Krieger schlugen unsere Armee zurück, die Magier hielten die Albae an der kurzen Leine. Das war das unglorreiche Ende der Illusionsarmee. Die Überlebenden, unter ihnen ich, wurden in alle Himmelsrichtungen getrieben. Bis wir den Meister fanden waren wir nur noch auf der Flucht.“

Der Echsenmensch leckte sich die Lippen, bevor er seine Zunge um den Augapfel schlang und ihn genüsslich in seinem Mund verschwinden ließ. Knick biss tapfer die Zähne zusammen. Das Herausreißen des Auges war eine bis jetzt schmerzhaftesten Behandlungen gewesen, jedoch bestimmt nicht die letzte.
„Wir sollten ihm die Zunge als nächstes rausreißen“, schlug ein anderer Echsenmensch vor und spielte mit seinem Messer.
„Nein“, befahl der Anführer, „dann kann er nicht mehr schreien. Das nimmt mir die Freude an der Sache.“ Er schluckte den Augapfel hinunter und packte dann Knicks Hand. „Reißen wir ihm die Nägel raus!“
„Sollten wir nicht die anderen verfolgen?“
„Sie kommen nicht weit“, sagte der Anführer und biss in den ersten Fingernagel. Dann riss er seinen Kopf zurück. Blut spritzte aus Knicks Hand, der Soldat zuckte einen Moment biss aber tapfer die Zähne zusammen, um ihnen nicht die Freude eines Schreis zu geben. Der Echsenmensch spuckte den Nagel aus und schloss seine Zähne in den nächsten.
Eine Pfeilsehne sang, er löste den Griff und sah sich um. „Was war das?“
Niemand antwortete bis plötzlich einer der Angreifer umfiel. In seinem Rücken steckte der Pfeil. Die anderen wurden unruhig. „Wo kam der her?“
Ein weiteres Mal zischte eine Sehne und der nächste Echsenmensch fiel nach hinten. Jetzt gerieten die anderen in Panik. „Wir werden angegriffen!“ kreischte einer hysterisch und schlug mit seinem Schwert in die Büsche ohne irgendetwas aufzuscheuchen. Ein weiterer Pfeil fällte auch ihn.
„Weg hier!“ befahl der Anführer und zog ein Messer vom Gürtel. Mit aller Kraft rammte er es Knick in die Brust und folgte dann dem anderen, letzten Überlebenden seiner Rotte. Sie kamen aber nicht weit. Plötzlich verstellten ihnen einige Elben den Weg und fegten sie mit einer Pfeilsalve von den Füßen.
Zwei der Elben kamen schnellen Schrittes zu Knick. „Er ist tot“, stellte der eine fest. Knick wollte die Hand heben, war aber zu schwach. Ein Schleier legte sich über seinen Blick. „Opal…“ stöhnte er bevor der Schleier ihm die Sicht raubte.
„Holt Medizin, schnell!“ hörte er noch Opalauge rufen bevor er total entschwand.

Die Elben kamen zurück zu Mäx und der Späherin. Sie wirkten angespannt.
„Habt ihr ihn gefunden?“ fragte Mäx. Opalauge erwiderte seinen fragenden Blick nicht sondern trat zur Seite. Die letzten beiden Elben trugen Knick in ein Tuch gewickelt zwischen sich. An mehreren Stellen war es blutrot gefärbt.
„Nein! Ist er tot?“
„Wir wissen es nicht. Vielleicht kehrt er zurück, vielleicht ist er entschlafen. Die Zeit wird es zeigen“, antwortete Opalauge. Dann wandte er sich an die anderen. „Kehrt zurück. Ich führe sie in sicheres Gelände und folge euch dann.“
„Jawohl, Hauptmann“, antworteten die Elben und legten ihre Bogen wieder über die Schultern. Die beiden Träger legten Knick neben Mäx und der Späherin ab und folgten dann den anderen. Opalauge stand wie ein Wächter über ihnen und blickte in die Ferne.
„Etwas bedrückt euch, Elbenherr. Sagt Ihr mir, was?“ fragte Mäx.
„Die Echsenmenschen würden es niemals wagen Soldaten wie euch anzugreifen, egal wie viele sie sind und wie wenige ihr. Trotzdem hat es diese Rotte gewagt. Die Frage ist was sie getrieben hat.“
„Angst vor Vergeltung. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie für unseren Meister kämpfen“, schlug die Späherin vor. Weder Opalauge noch Mäx antworteten. Eine bedrückende Stille legte sich über ihr Lager. Bis Knick leise stöhnte.
„Er kehrt zurück. Kommt, helft mir. Noch ist er schwach, seine Kraft wird aber bald zurückkehren. Bis dahin müssen wir seine Augen und Ohren sein, ihn beschützen vor dem was kommt.“
„Was wird denn kommen?“
„Eine Jagd. Nicht einmal eine Tagesreise hinter uns ist eine komplette Einheit der Illusionsarmee auf der Suche nach euch. Wir haben jetzt viel Zeit verloren, der Weg ist weit und wir werden nicht schnell reisen können mit ihm.“
„Dann lassen wir ihn hier“, schlug die Späherin vor.
„Niemals würde ich ihn zurücklassen!“ knurrte Mäx, „eher würde ich sterben.“
„Ich werde Euch später daran erinnern“, murmelte Opalauge.
„Was sagt Ihr, Herr Elb?“
„Wir sollten uns beeilen.“

Die Kämpfe hatten sich inzwischen über die ganze Stadt ausgeweitet. Die Menschen kämpften tapfer aber Erschöpfung und hohe Verluste forderten langsam ihren Preis. Die Bewegungen der Krieger waren teilweise schon fahrig und langsam, nur mehr die hoch dekorierten Paladine konnten den Illusionsarmisten die Stirn ausreichend bieten.
Brandok und eine Gruppe seiner Vertrauten sowie eine Rotte der Elitekrieger hatten sich von der Front zurückgezogen und standen am Fuß des Tempels in dem das Artefakt sein sollte. Bronzene Statuen zeigten die Helden und Götter der Menschen, einige reichten dreißig Meter in die Höhe, einige waren lebensgroß. Zwischen den beinahe fünfzig Meter hohen Marmorsäulen war ein sanftes Netz aus Magie gesponnen. Es glänzte in allen Regenbogenfarben. Ein Dutzend Magier in grauen Roben standen hinter dem Netz.
„Wagt es nicht diesen geweihten Grund zu betreten oder die Rache der Götter wird euch treffen“, drohte der höchste Magier und breitete dabei seine Arme aus.
„Ach was“, spottete Brandok und zog sein Schwert.
„Der Golem wird euch schlagen wenn ihr nicht sofort kehrt macht!“
„Dann sollen sie mich jetzt niederstrecken bevor ich es tue!“ Brandok sprang vor und schlang dabei das Schwert über dem Kopf. Der Magier machte erst gar nicht Anstalten auszuweichen. Die Klinge fraß sich in seinen Schädel und spaltete ihn bis zum Hals. Den kalten Gesichtsausdruck haltend rutschte die abgetrennte Gesichthälfte zu Boden, bevor der Körper nach vorne fiel. Eine Woge ging durch das magische Netz. Die Elitekrieger schlachteten inzwischen die anderen Magier, die auch keine Anstalten machten sich zu wehren. Nur einen ließen sie am Leben. Der junge Mann, der wohl erst vor kurzem vom Novizen zum Erleuchteten aufgestiegen war, wurde von zwei Kriegern in die Knie gezwungen, ein Schwert am Hals.
„Welche Fallen lauern auf uns? Sprich!“ befahl Brandok.
„Vergießt nicht das Blut der Reinen.“ Danach schwieg der Magier störrisch und schloss die Augen. Dann begann er leise zu beten. Brandok wurde böse und gab den Soldaten ein Handzeichen. Danach betrat er als erster den Tempel. Die Soldaten schnitten dem letzten Magier die Kehle durch und warfen seinen sterbenden Körper zu den anderen. Schließlich folgten sie ihrem Anführer in den Tempel. Kaum hatten alle ihn betreten, als die lebensgroßen Statuen der Helden sich zu regen begannen.
Das Innere des Tempels war durch unzählige glänzende Steine erhellt. Im Mittelschiff standen lange Holzbänke, die Seitenschiffe lagen in totaler Dunkelheit. Davor standen die Statuen von Kriegern der Dunkelheit, die Erzfeinde der Götter der Menschen. Sie schienen die Dunkelheit zu bewachen.
„Eine groteske Ansicht des Lebens“, spottete Brandok und stieß die Bänke mit Fußtritten zu Seite. Sie waren schlecht gezimmert und die meisten zersplitterten.
„Der Unterschied zwischen Arm und Reich ist kaum zu glauben. Die normalen Menschen sitzen auf kargem Holz und die gestopften Bürger hier? Sie haben gepolsterte Throne!“ Brandok lachte hämisch und winkte einen Soldaten her. „Zündet sie an!“
„Nein!“ rief eine Frau. Eine kleine Gruppe Frauen kam aus dem Altarbereich angerannt. Sie waren alle gleich gekleidet, auf der Brust trugen sie das Wappen der Priesterinnen. Brandok lächelte zufrieden. „Was haben wir denn da?“
„Wagt es nicht. Nehmt was ihr wollt und geht wieder. Dieser Ort ist heilig und es reicht, dass ihr ihn mit dem Blut des einen Clans befleckt habt“, bat die Hohepriesterin.
„Wir werden uns nehmen was wir wollen. Wo ist das Artefakt?“
„Wir wissen es nicht. Nur der Hohepriester wusste es. Nur der liegt enthauptet vor dem Tempel, durch Eure Klinge des Lebens beraubt.“
„Dann habt ihr keinen Nutzen mehr für mich. Soldaten, nehmt euch was immer ihr wollt. Ob Gegenstand oder Fleisch, mir ist es egal.“
Freudig packten einige Soldaten die Priesterinnen und schafften sie zur Seite. Nur zwei Soldaten blieben bei Brandok. Sie gingen zum Altarbereich vor und stiegen dann nach unten in ein weiteres Gewölbe. Von oben hallten die Schreie der Priesterinnen.
„Man sagt sie bleiben bis zu ihrem Tod Jungfrauen“, erzählte Brandok beiläufig.
„Nun, diese werden bei ihrem Tod keine mehr sein“, lachten die Soldaten dreckig. Brandok löste eine Fackel aus einer Halterung und ging ohne ein weiteres Wort vor.

Zum Glück erreichten sie ohne weitere Angriffe sichere Gestade. Eine Gruppe Berittener kam ihnen entgegen und nahm Knick mit sich. Ohne die Last des halbtoten Soldaten kamen Mäx, Opalauge und die Späherin schneller voran. Zwei Satyre wagten es noch ihnen den Weg zu verstellen und wurden von einer überraschenden Pfeilsalve niedergestreckt.
An der Grenze des Waldes wartete schließlich eine Elbin von beachtlicher Schönheit. Sie lächelte Opalauge freundlich zu bevor sie die beiden Illusionssoldaten musterte. „Das letzte Mal als ihr diesen Wald betratet, brachtet ihr Tod und Verderben. Ich hoffe das ist heute nicht der Fall. Schutz sei euch sicher bis euer Freund genesen ist, danach werdet ihr den Schutz der Elder aber wieder verlassen und nie wieder einen Fuß in diesen Wald setzen. Wenn ihr das nicht schwört lasse ich euch erst gar nicht eintreten.“
„Ich schwöre“, antwortete Mäx ohne zu überlegen. Die Wächterin trat zur Seite. „Dann seid Willkommen und meines Schutzes sicher.“
Einige Stunden schritten sie dann durch einen sauber gepflegten Wald. Gelegentlich trafen sie auf Elben, die die beiden Besucher mit harten Blicken verfolgten, Opalauge jedoch freundlich grüßten oder zunickten.
„Wir sind wohl doch nicht so Willkommen wie man uns sagte“, sagte Mäx. Opalauge winkte ab. „Das wird sich legen.“
Knick war in ein teuer eingerichtetes Haus gebracht worden. Es lag in einem riesigen, schneeweißen Baum mit rosafarbenen Blüten. Anscheinend war es im Besitz von Opalauge. Einige andere Elben saßen an einem Tisch und verließen das Anwesen schweigend als der Elbenherr sein Domizil betrat und nach oben ging. Mäx folgte ihm während die Späherin sich setzte.
„Meine Frau wird sich um unseren Freund kümmern. Er wird sicher genesen.“
„Vielleicht nicht“, sagte eine schöne Elbin mit schulterlangen schwarzen Haaren und dunkelgrünen Augen. Sanft schloss sie eine Tür. „Sein Körper ist stark, das Herz leidet jedoch. Nicht mehr lange und das Herz wird den Kampf aufgeben und stehen bleiben. Keine Medizin wird helfen.“
Opalauge seufzte. „Ich werde mit dem Schmied sprechen.“
„Was kann ein Schmied da helfen?“ fragte Mäx. Opalauge antwortete im ersten Moment nicht sondern starrte aus dem Fenster.
„Nun?“
„Ein Herz aus Stahl könnte ihn retten. Allerdings ist es eine schwere Arbeit und die Zeit drängt. Vielleicht muss jemand sein Herz geben um ihn zu retten, zumindest für den Moment. Eine schwere Entscheidung.“
„Ich sagte ich würde ihn nicht zurücklassen. Ich habe Knick nicht aufgegeben, noch nicht. Und wenn ich mein Herz geben muss damit er lebt, dann werde ich es tun!“
„Du weißt was du da sagst? Du könntest an seiner Statt sterben. Vielleicht würden beide es nicht schaffen. Das Risiko ist groß, die Operation würde viel Zeit und Kraft kosten.“
„Sprich mit dem Schmied. Ich bin bereit zu tun, was getan werden muss. So oder so, Knick muss leben. Meine Aufgabe ist erfüllt, ich habe die Lüge erkannt. Er wird es jedoch sein der mein Volk läutert.“

Der Schmied arbeitete in einer beachtlichen Geschwindigkeit. Noch nie hatte Mäx jemanden gesehen, der das Metall so schnell und so genau bearbeitete. Innerhalb weniger Stunden schuf er aus einem Brocken Erz ein Meisterwerk der Schmiedekunst. Ein perfektes Herz aus Eisen, voll funktionsfähig und einsatzbereit. Nachdem seine vollendete Arbeit glänzte wie der Abendstern, sank der Schmied schließlich erschöpft auf seinem Schemel zusammen und schlief den Schlaf der Gerechten.
Opalauge hatte die ganze Zeit an der Seite von Knick gesessen und alles vorbeireitet. Jetzt legte sich Mäx neben seinen Kameraden und entblößte seine Brust.
„Ich frage dich ein letztes Mal, ob du dir dem Risiko bewusst bist. Es könnten auch beide sterben. Du und dein Freund. Die Idee.“
„Es bleibt noch immer die Späherin. Obwohl sie mir nie ihren Namen genannt hat, vertraue ich ihr.“
„So sei es“, antwortete Opalauge und klatschte. Fünf weitere Elben betraten das Zimmer. Die Operation begann.
Als Mäx Stunden später erwachte, hatte er ein seltsames Gefühl in der Brust und den Geschmack von Eisen im Mund. Die Frau von Opalauge stand lächelnd über ihm und legte ein nasses Tuch auf seine Stirn. „Ihr habt überlebt, wie Euer Freund. Bald wird auch er erwachen und vor neuer Kraft strotzen.“
Langsam drehte Mäx den Kopf und sah Knick neben sich liegen. Das davor totenbleiche Gesicht hatte wieder eine gesunde rote Farbe. Seine leere Augenhöhle war auch gefüllt.
„Wir haben uns die Freiheit genommen ihm wieder das gesamte Augenlicht zu schenken und einige andere Narben zu schließen“, erklärte Opalauge und setzte sich neben Mäx.
„Das wird ihn sicher freuen. Seinen Makel hat er nie bedauert aber mit dem zweiten sieht er sicher besser“, scherze Mäx. Opalauge lachte verhalten.
„Leider hat inzwischen der Rat getagt und meine Entscheidung angezweifelt. Vielleicht müsst ihr schon morgen wieder gehen. Vorräte und Pferde werden bereit stehen, sollte es so sein. Gewährt ihr mir die Frage was ihr in diesem Fall tun würdet?“
„Ein Volk läutern. Mein Volk. Mit seiner und ihrer Hilfe!“
Die Späherin war in die Tür getreten und lächelte freundlich. Sie warf Mäx eine Kusshand zu und verschwand dann wieder.

Ein langer Weg durch ein wahres Labyrinth aus Gängen und Hallen brachte Brandok und die Krieger schließlich an ihr Ziel. Sie hatten jedes Zeitgefühl verloren.
Die Kammer der Artefakte war durch eine schwere Eisentür geschützt, diese ließ sich jedoch leicht öffnen. Erwartungsvoll rannte Brandok in die Kammer. Die beiden Soldaten warteten am Eingang bis ihr Anführer bleich zurückkehrte. „Die Kammer ist leer. Alles ist weg.“
„Der Meister wird erzürnt sein!“ jammerte einer der Soldaten.
„Noch ist nichts verloren. Niemand außer uns weiß, dass das Artefakt verschwunden ist. Wir werden hier alles zerstören und dem Meister dann berichten die Menschen hätten es zerstört, wie in Rosenburg. Lasst uns zurückgehen, kommt.“
Der Weg zurück dauerte etwas länger, weil sie zwei Mal in Hallen landeten, die nur einen Eingang hatten. Schließlich erreichten sie erschöpft die Stiege, die nach oben in den Tempel führte.
„Es ist verdammt ruhig. Die anderen werden wohl nicht schon mit der Beute fertig sein. Ich will auch noch meinen Anteil einstreichen.“ Etwas tropfte auf seine Wange, Brandok wischte es ihm ab. „Blut.“
„Sie werden wohl nicht die ganze Beute getötet haben!“ schrie der andere Soldat böse und sprang mit großen Schritten nach oben.
„Aber kein Menschenblut“, setzte Mäx seinen Satz fort und schüttelte seine Hand. Danach zog er sein Schwert und stieg langsam nach oben.
Der Soldat lag zerschmettert auf der obersten Stufe. Kein Laut hatte seinen Tod begleitet. Jetzt hörte Brandok jedoch stampfende Schritte, die schnell auf ihn zukamen. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als ein riesiger Golem in Form eines Kriegers auf ihn zustapfte. Eine Lanze aus Stein strich nur knapp an ihm vorbei und verbröselte in der Wand. Erst jetzt sah Brandok die ganzen Soldaten seines Trupps ermordet im Tempel liegen. Viele waren bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht worden. Ein riesiges Steinschwert prellte ihm seine Waffe aus der Hand und ließ ihn die Treppe hinunterrollen.
„Alles in Ordnung, Sir?“ fragte der Soldat und half ihm auf die Beine.
„Golems. Im Tempel sind Golems, sie haben unsere Leute getötet.“
„Ihr hättet unseren Tempel nicht mit unserem Blut tränken dürfen!“ rief eine schrille Stimme. Eine schwer verwundete Priesterin taumelte die Treppe herunter und lachte diabolisch. „Nun seid ihr verdammt!“
„Ich werde sie töten“, schrie der Soldat und zog sein Schwert.
„Nicht“, rief Brandok und hielt den Arm zurück, „sonst erwachen die Golems hier unten. Ihr Blut darf nicht vergossen werden!“ Mit Schwertknauf und Faust trieb Brandok die Priesterin wieder nach oben. Dann warteten sie.

„Ihr verlasst nun unser Reich. Von hier an seid ihr auf euch allein gestellt. Die Straßen sind gefährlich, aber in den Wäldern treiben sich in letzter Zeit vermehrt dunkle Kreaturen herum. Ihr solltet also lieber auf den Wegen bleiben und versuchen die Patrouillen der Menschen zu umgehen“, erklärte Opalauge am Rande des Elbenreichs. Die Bäume lichteten sich hier und gingen in ein Flachland über. Am Ufer eines Flusses verlief ein Graben mit Palisaden, der von den Menschen zum Schutz vor den Elben erbaut worden war. Die Tore standen aber offen und waren unbewacht.
„Reitet schnell wie der Wind. Die Baumgeister mögen mit euch sein“, verabschiedete sich der Elb und hob die Hand zum Gruß. Mäx und Knick gaben den Pferden die Sporen und schlossen zu der Späherin auf, die eine Stunde vor ihnen aufgebrochen war die Anlage auszuforschen. Aber wie das Tor war sie verweist und in schlechtem Zustand.
„Die Menschen scheinen wohl keine Angst mehr vor den Elben zu haben“, sagte Knick als sie durch das vermoderte Tor ritten.
„Ich denke sie glauben die Elben würden ihnen nichts tun, weil sie ihnen im Krieg gegen die Albae beigestanden haben. Doch statt hier eine solche Anlage zu bauen und verweisen zu lassen, hätten sie lieber ihre Anlagen im Norden verstärken sollen.“
„Es hätte uns auch nicht weiter aufgehalten. Für magische Tore ist die Energie im Norden zu schwach, und normale Mauern halten uns nicht auf“, beendete Knick das Gespräch. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Weg und verschwand in den Wäldern, wie er es öfter getan hatte als Mäx noch General gewesen war.
Deshalb schloss Mäx zu der Späherin auf, die ihr Pferd nun schonte und langsam traben ließ.
„Von wegen die Straßen seien unsicher. Seit Tagen ist hier kein Mensch vorbeigekommen. Die einzige Gefahr hier geht von deinem Freund aus“, sagte sie.
„Knick? Warum sollte er eine Gefahr werden?“
„Es heißt, dass unsereins, die dem Tod zu nahe kamen, sich verändern. Ihr Herz ist danach nicht mehr dasselbe“, antwortete die Späherin knapp.
„Das stimmt bei ihm sogar. Mein Herz schlägt jetzt in ihm. Und ich habe ein Herz aus Stahl.“
„Ein Herz, das nicht mehr lieben wird können. Kalt und starr wird es in der Brust liegen.“
„Glaubst du?“
Die Späherin antwortete nicht sondern starrte in die Ferne. Einige Minuten ritten sie so schweigend nebeneinander.
Dann kam Knick aus dem Unterholz und reihte sich neben ihnen ein. „Im Wald lag ein Toter. Echsenmenschen. Wir sollten uns in Acht nehmen und die Straßen verlassen.“
„Opalauge hat davon abgeraten. Außerdem war seit Tagen niemand mehr auf dieser Straße. Sie ist sicher“, antwortete die Späherin bestimmend. Knick war aber anderer Meinung. „Die Straßen sind natürlich unberührt wenn der Feind neben ihnen geht. Der Tote wurde bei seinem Mahl von hinten erschlagen. Weitere Fußspuren führten hier her und verloren sich erst später auf dem Weg.“
„Und weiter?“
„Es waren frische Spuren eines Pferdes“, antwortete Knick eiskalt. „Keine drei Stunden alt.“
„Verdächtigst du etwa mich?“
„Ich verdächtige niemanden. Es war nur eine Feststellung. Aber interessant, dass du dich gleich angesprochen fühlst.“
„Jetzt beruhigt euch ihr zwei!“ befahl Mäx. „Das bringt doch nichts.“

Den weiteren Weg beschritten Mäx und Knick eisern schweigend. Als sie sich ihrem Ziel näherten, löste sich Knick aus ihrem Verband um die Situation aufzuklären. Somit blieb der ehemalige General einer mächtigen Armee mit dem Krieger zurück, der davon geblieben war und ihm loyal ergeben war.
„Glaubst du ihm?“ fragte die Späherin überraschend. Mäx schreckte aus seinen Gedanken hoch und musste die Frage zuerst verarbeiten. „Wenn er sagt, dass es Spuren gab, wird es stimmen.“
„Und dass ich verdächtigt wurde?“
„Du bist gebrandmarkt für die Armee des Meisters. Du kannst nicht zurück und ich glaube du bist nicht so töricht deine einzige Chance am Leben zu bleiben so einfach zu verspielen. Sogar von meinem alten Freund und Waffenbruder Knick geht wohl mehr Gefahr aus als von dir. Aber ich wüsste keinen Grund warum er sich gegen mich wenden sollte. Er ist für mich beinahe gestorben und durch mein Herz lebt er noch.“
„Glaubst du an die alte Legende, dass die einst Toten anders sind?“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe es nur gehört. Angeblich sollen die, die aus der anderen Welt zurückkehren, manchmal anders sein. Getrieben von dem Schatten, den sie erblickten, würden sie unerwartete Taten vollbringen. Feiglinge sollen zu Helden werden, aber auch Freunde zu Feinden.“
„Davon habe ich jetzt noch nie gehört“, gab Mäx zu.
„Du solltest Knick im Auge behalten. Ob er sich verändert.“
Knick kam im Galopp zurück und bremste haarscharf vor den beiden Reisenden. Das Pferd bockte, der Soldat brachte es aber schnell wieder unter Kontrolle. „Es steigt Rauch auf und in der Stadt wird gekämpft.“
„Kommen wir zu spät?“
„Noch nicht. Es wird noch gekämpft und die Menschen halten nur wenige Viertel der Stadt. Sie sind in der Defensive. Kein Wunder bei der Masse an Gegnern.“
„Wie viele meiner Krieger sind noch im Feld?“ fragte Mäx von neuem Kampfgeist ergriffen. Vielleicht war die Rebellion gar nicht so schlecht gewesen. War Brandok vielleicht doch ein guter Führer?
„Schwer zu sagen. Vielleicht noch drei, vier Dutzend. Die meisten Menschen kämpfen gegen Oger, Gobelins und andere Bestien. Außerdem geht ein Feuerregen auf die Festungen nieder.“
„Der Meister ist also gekommen“, keuchte Mäx, „wir sind zu spät. Seine Armee aus Untoten ist unaufhaltsam.“
„Sie beteiligen sich aber nicht sondern belagern einen Tempel. Darin geht seltsames vor. Die Wände wölben sich und seltsame Stimmen hallten bis zu mir herauf. Da ist ein mir unbekannter Zauber am Werk. Kommt, ich kenne einen sicheren Weg bis zu einem verlassenen Tor.“
Knick wendete das Pferd und ritt voraus, Mäx folgte in gemächlichem Trab. Die Späherin schloss schnell zu ihm auf und ergriff seine Schulter. „Etwas stimmt nicht.“
„Ich sehe nichts. Ich höre nichts“, antwortete Mäx und zuckte mit den Schultern. Dann beschleunigte er die Schritte seines Pferdes. Die Späherin fiel schnell zurück.

Im Nachhinein betrachtet ergab das Zurückfallen der dritten im Bunde keinen Sinn. Denn als Mäx seinen Waffenbruder wieder ins Sichtfeld bekam, Knick hatte gerade eine Steigung passiert, bockte sein Pferd wie verrückt und bäumte sich auf. Knicks Pferd ging es nicht anders, nur dass sich der Krieger nicht im Sattel halten konnte und auf die Straße stürzte. Bis er wieder auf die Beine kam, war das Pferd natürlich schon verschwunden. Mäx wollte sein Pferd vorpreschen lassen um seinen Kameraden aufzunehmen als dieser plötzlich das Schwert zog und über den Kopf hob. Da Mäx sein Pferd nicht abgebremst hatte, trennten sie so nur mehr zwanzig Meter von einander und der General reiste noch immer schnell. Seine Hand schnellte deshalb auch zum Schwert. In einer fließenden Bewegung glitt es lautlos aus der Scheide. Mäx erhob es zum Streich, falls nötig aber zum Block. Doch statt des Stahls bohrten sich Pfeile in seine Seite und schleuderten ihn beinahe aus dem Sattel. Knick sprang an ihm vorbei ins Unterholz und traf etwas aus Stahl.
Beruhigt, dass der Angriff von Knick nicht ihm gegolten hatte, glitt Mäx aus dem Sattel und zog die Pfeile aus den Wunden. Sie waren rund und glatt, Standard für die Bogenschützen der Menschen. Also nur ein zufälliger Hinterhalt.
Im Wald wurde inzwischen gefochten und geplänkelt, Stahl traf auf Stahl und so manches Stöhnen oder Schrei hallte vom Gefecht herüber. Mäx zog den letzten Pfeil aus seinem Körper und folgte dann dem Lärm zum Kampf. Doch als er ankam streifte Knick bereits sein Schwert an einem der drei Toten sauber. Alle drei waren blutjunge Rekruten, mit Langbogen über den Schultern und Kurzschwertern am Gürtel. Sie hatten bestimmt tapfer gekämpft, aber einem Elitekrieger wie Knick dienten sie wohl nur als Vorspeise.
„Wo ist deine bessere Hälfte?“ fragte Knick angespannt und steckte seine Waffe blitzschnell und zielsicher in die Scheide zurück. Der Kampfeifer stand ihm noch in den Augen, wie selten sonst.
„Zurückgefallen. Sie hat den Hinterhalt wohl erahnt.“
„Wohl kaum. Sie waren nicht annähernd auf der Straße. Etwas Größeres hat mein Pferd und diese Thore aufgeschreckt. Sie sind wohl feige aus der Stadt geflohen.“
Sie gingen zurück zur Straße. „Wer kann es ihnen bei dieser Übermacht verübeln. Illusionssoldaten, Oger, Gobelins und dann noch die Horden des Meisters.“
„Trotzdem kein Grund zu fliehen. Ehre oder Tod. Unter meinem Kommando wären sie nicht alt geworden mit dieser Einstellung. Wohl hätte ich sie selber erschlagen.“
Immer mehr begann Mäx der Aussage der Späherin zu glauben. Knick war schon immer ein harter Krieger gewesen, aber ein gerechter. Junge Soldaten hatte er ebenso hart ran genommen wie die Veteranen, nur sie hatte er nur soweit gefordert wie sie bereit waren. Fahnenflucht hatte er stets mit nachsichtigen Strafen vergolten.
Sein Pferd stand am Wegrand und graste. Als Mäx und Knick die Straße betraten, hob es kurz den Kopf und graste dann weiter.
„Ich werde wohl laufen“, stellte Knick fest. Mäx ergriff die Zügel. „Es würde uns beide tragen. Nur ich weiß nicht, ob ich es mit dir teilen will.“
Knick schien die Aussage zu ignorieren und blickte zurück. Die Späherin war nirgends zu sehen. Die Straße war verwaist, keine Spuren führten an ihnen vorbei.
„Seltsam“, murmelte Mäx. Knick war aber plötzlich wieder angespannt wie eine Bogensehne. Lautlos glitt sein Schwert aus der Scheide.
„Nichts ist hier seltsam. Alles passt zusammen. In Deckung!“ schrie er und sprang zurück. Das Unterholz brach in wildem Getöse und eine gigantische Keule zerschmetterte das Pferd. Knochen brachen, Blut und Eingeweide spritzten. Mäx wurde nach hinten geschleudert. Ein Oger quälte sich aus dem Unterholz. Das riesige Wesen umfasste den Schaft der Keule mit beiden Händen und erhob sie erneut zum Schlag. Dabei öffnete er seine gesamte Vorderseite. Knick sprang unter der Keule hindurch und hieb nach den Schienbeinen des Giganten. Doch die Klinge rutschte an den Messingschienen ab und verkantete sich in den unzähligen Widerhaken an der Seite. Wie ein Insekt wurde er abgeschüttelt.
Mäx kroch so schnell es ging zurück und federte sich noch. Der Schlag mit der Keule verfehlte ihn, brachte aber den Boden zum Beben und warf ihn erneut auf die Erde. Gemächlich stapfte er Oger weiter und wechselte die Keule in die rechte Hand. Mit der anderen packte er ein Bein des Generals und hob ihn wie eine Marionette hoch. „Meister sagen lebend oder tot.“
Knick war wieder auf den Beinen und schlug von hinten auf den schlecht geschützten Rücken des Ogers ein. Sein Schwert riss eine tiefe Wunde, aber der Oger schnaubte nur und benutzte Mäx um den Krieger von den Beinen in den Wald zu fegen. Dann stapfte er die Straße hinunter, Mäx im Schlepptau. „Meister bringen lebend. Danach essen, und Verräter dann tot.“
Keine Spur von Knick oder der Späherin. Mäx zerrte an seinem Schwert herum, aber seine Lage war schlecht. Solange der Oger sein Bein umklammert hielt und ihn nachschleifte, würde er das Schwert nicht aus der Scheide bekommen.

Vorsichtig warf Brandok einen Blick in die Halle. Doch ebenso schnell warf er sich wieder in den Schatten, denn die schweren Schritte des Golems ließen erneut die Halle erbeben.
„Die Wände atmen“, sagte der Gardist.
„Ein weißer Zauber. Er ruft noch mehr Wächter herbei. Solange bis die Bedrohung erledigt ist. Wir“, antwortete der neue General grimmig.
„Was sollen wir tun?“
Brandok musterte die Priesterin. „Sie wird sterben. So kommen wir nicht auf dumme Gedanken. Dann kämpfen wir uns den Weg frei. Ehre oder Tod.“
„Eigentlich hätten weitere Gardisten hinzukommen müssen als die oben getötet wurden“, mutmaßte der Krieger. „Wo ist die Verstärkung?“
„Das werden wir erfahren, wenn wir diesen verfluchten Tempel verlassen. Er brachte uns doch nur Tod und Enttäuschung.“
„Der Meister wird zornig sein“, sagte der Gardist nachdenklich. „Wenn wir einen Golem erschlagen, vergibt er uns vielleicht.“ Er zog sein Schwert und setzte es der Gefangenen an den Hals. „Ehre oder Tod!“
Brandok lächelte als der Soldat die Klinge über den Hals zog und die Sterbende die letzten Stufen nach unten stieß. Knackend begannen sich die Wächter zu bewegen, Sand rieselte. Brandok täuschte einen Sturmlauf auf die obere Halle vor und wurde vom Krieger überholt. Seine Waffe traf klirrend Stein. Brandok steckte sofort sein Schwert wieder weg und rannte so schnell er konnte. Haken schlagend eilte er durch die Halle und wich den Angriffen der Golems aus. Stampfende Schritte folgten ihm mehrfach. Doch Brandok war schneller und glitt lässig unter einem Wächter hindurch, der die Tür versperrte und sein riesiges Steinschwert schwang. Die Steinklinge bohrte sich hinter ihm in die Fließen und ließ die Grundfeste des Tempels erbeben. Ein Stein fiel aus der Decke.
Neben dem Tor schlug ein Körper gegen die Außenmauer. Es waren die verdrehten Glieder des Gardisten, die starren Augen noch auf den Feind gerichtet. Er hatte sein Soll erfüllt und seinem Offizier zur Flucht verholfen. Brandok warf die Tür ins Schloss und eilte Hals über Kopf die Stufen nach unten.
Klirrend wurden Waffen gezogen und er war schnell eingekreist. Ohne den Blick zu heben, warf Brandok seine Waffen fort und sank dann auf die Knie. Dabei verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. „Ich ergebe mich.“
Keine Reaktion. Die Angreifer blieben reglos um ihn herum stehen, die Waffen noch immer erhoben. Doch plötzlich steckten sie alle ihre Schwerter gleichzeitig weg. Vorsichtig warf Brandok einen Blick nach oben und sah wie sich die Reihen der einheitlich gerüsteten pechschwarzen Krieger teilten. Eine eher mickrige Gestalt in einem schwarz und grün gestreiften Mantel kam durch die Passage näher.
„Deine Armee ist geschlagen, der Tempel in Feindeshand. Selbst die einfachsten Aufträge schlagen unter deiner Führung fehl. Auf die Beine, du General!“
„Meister“, stöhnte Brandok.

Der Angriff kam aus dem Nichts. Ein Schatten sprang den Oger an. Mäx sah einen langen, wehenden grünen Umhang und dann bereits das Blitzen eines Langschwerts. Ein heller Lichtstrahl blendete den General. Als seine Sicht wieder klar wurde, lag der Oger erschlagen vor ihm. Der harte Griff des Monsters war gelöst sodass er zuerst einige Meter weg kriechen konnte. Von seinem mysteriösen Retter war nichts zu sehen. Mäx atmete einige Male tief durch und stand dann auf um sich den Staub von der Kleidung zu klopfen. Danach untersuchte er den toten Oger. Ein einfacher, aber tiefer und perfekt platzierter Stich hatte das Monster niedergestreckt und das Herz durchbohrt. Der Angreifer hatte punktgenau die Schwachstelle der Rüstung getroffen. Denn durch ihre harte, dicke Haut verließen sich die Oger auf ihre Masse und schützten ihren Rücken gar nicht oder nur mit Leder.
„Erneut musste ich dir dein Leben retten. Ein General ohne Armee ist wohl verwundbarer als ein Schaf unter Wölfen…“
„Opalauge“, flüsterte Mäx und suchte nach seinem Retter. Der Elb saß auf einem Ast einige Meter über dem Boden, das Schwert lässig über die Knie gelegt. Das Blut des Ogers tropfte langsam zu Boden.
„Wo sind deine Begleiter?“ fragte der Elb.
„Der Oger hat uns überrascht. Knick versuchte mir zu helfen, wurde aber fortgeschleudert. Ich verlor ihn aus den Augen, ebenso die Späherin, die an unserer Seite war. Die Pferde sind wohl von dannen oder tot.“
Opalauge nickte. „Ich kam als ich den Tod eines der herrlichen Rosse spürte. Es war dein Glück, dass Oger nur langsam reisen, während wir schneller als der Wind sind. Ich werde nach deinen Gefährten suchen. Setze deinen Weg fort. Der Weg ist frei und meine Bogenschützen bewachen ihn. Es wird kein Monster mehr deinen Weg kreuzen. Nur die Stadt können wir nicht betreten. Von da an wirst du auf dich gestellt sein.“
„Ich weiß nicht, wie ich dir deine Hilfe danken soll. Du hast bereits so viel für mich und meine Gefährten getan.“
„Dein Dank könnte sein die Verdammnis aufzuhalten. Die Horden deines Meisters sind in der Stadt, und wenn die Menschen geschlagen sind, werden sie sich wohl den Wäldern meines Volkes zuwenden. Lass es nicht so weit kommen und wir sind alle glücklich und meine Hilfe ist tausendfach gedankt.“

Der Meister hielt Brandok in seinem eisernen Griff und schleifte ihn durch die Stadt, gefolgt von seinen schwarzen Gefolgsleuten, die jeden Gegner mit Äxten und Schwertern niederwarfen. Unaufhaltsam bahnten sie sich ihren Weg.
„Dein Versagen ist unverzeihbar“, wiederholte der Meister erneut. Diesen Satz hatte er bereits unzählige Male gesagt.
„Der Tempel war eine Falle“, antwortete Brandok.
„Natürlich war er eine Falle. Genauso wie in Rosenburg. Mäx hätte es erkannt und gewusst, dass es irgendwo anders ist. Aber du bist blind in die Anlage gerannt und hast alle abgeschlachtet! Damit hast du den Zorn der wandelnden Steine auf uns gelenkt. Weißt du wie viele meiner Krieger von ihnen niedergeworfen werden?“
„Nein“, stammelte Brandok.
„Zu viele. Zu viele um sich danach noch die Spitzohren vorzunehmen. Von den Kleinwüchsigen in den Bergen ganz zu schweigen!“ Der Meister war in Rage, außer Rand und Band. Ein Magier, der ihnen den Weg verstellen wollte, verpuffte einfach nach einer Handbewegung des Meisters zu Staub.
„Da sind wir!“ rief der Meister schließlich. Sie befanden sich an der höchsten Stelle dieser Abwehranlage, die Straße führte steil nach unten. Zu beiden Seiten wurde eifrig gefochten. Illusionskrieger kreuzten die Klingen mit Paladinen, während berittene Bogenschützen ihre Salven in die feindlichen Reihen sandten.
„Dein Blut, du Wurm!“ befahl der Meister und reichte Brandok einen Dolch. Die Klinge war gezackt und voller Widerhaken, der Griff seltsam geformt und mit Runen versehen. Auch auf der Klinge waren Runen eingeschmiedet.
Zögernd nahm Brandok die Waffe an sich und setzte sie sich an die Vene des Unterarms.
„Nein. Nicht das Blut“, schnaubte der Meister und entriss Brandok die Waffe.
„Welches dann?“ fragte Brandok zögerlich. Doch er ahnte bereits was der Meister verlangte.
„Brecht den Wahn mit dem Blut, das aus dem Herzen kam“, murmelten die Krieger. Zwei packten Brandok und hielten ihn fest. Ein dritter Soldat riss ihm den Brustpanzer runter.
„Du hast versagt. Hier kommt deine Strafe!“ Der Meister stieß zu.

Wie Opalauge versprochen hatte war der Weg frei. Durch die Tore zu kommen war auch nicht schwer. Die magischen Barrieren war zerstört und die Mauern unbesetzt. Die meisten Straßen waren verlassen, in den äußeren Bezirken lagen nur vereinzelt Tote. Doch je tiefer Mäx in die Stadt trat, desto zahlreicher wurden sie. Frauen, Kindern, Soldaten und immer mehr seiner eigenen Krieger fand Mäx vor. Einige waren tödlich verwundet von ihren Kameraden zurückgelassen worden, sodass Mäx mehr als ein Mal einem seiner ehemaligen Untergebenen den Gnadenstoß geben musste.
Dann wurde der Kampflärm auch immer lauter. Eine Straße war durch zwei Oger versperrt, die mit ihrer Masse alles blockierten. Mäx war es zu gefährlich über die Toten zu steigen. Gobelins und andere Schergen des Meisters könnten sich unter den Toten verbergen und auf Beute lauern.
Er folgte einer anderen Straße und stand plötzlich vor einem intakten, aber verlassenen Tor. Dahinter schien die Schlacht zu toben, Waffen klirrten und der kupferne Geschmack nach Blut lag in der Luft. Nur der Geruch der Angst fehlte.
Mäx sah sich um und betrat schließlich ein Haus, von dessen oberen Geschoss er vielleicht in den Wachturm springen könnte. Die Tür im Erdgeschoss war eingeschlagen und der Hausherr lag in seinem Blut dahinter. Aber im ersten Stock fand Mäx eine Frau mit einem verängstigten Kind vor, die ihn mit einem Dolch bedrohte.
Ohne ein Wort zu verlieren trat Mäx die Tür ins nächste Zimmer ein und verließ das Haus durch das Fenster. Mit einem kraftvollen Sprung schaffte er es zum Turm und hievte sich dann über die Zinnen nach innen. Sofort war eine zitternde Armbrust auf ihn gerichtet. Ein blutjunger Waffenknecht hielt sie in der Hand. „Keine Bewegung.“

Der Meister fing das Herzblut von Brandok in einem schwarzen Kelch, der aus den tiefen seiner Kutte kam, auf. Danach reichte ihm einer seiner Novizen, die inzwischen angekommen waren, ein weiteres, sauberes Ritualmesser. Damit schnitt der Meister stückte von einem Knochen ab und übergoss das ganze mit einer Essenz. Das ganze Gebräu zündet er dann an und trank es in einem Schluck hinunter. Ein magisches Leuchten erhellte seine Kutte, danach wurden die Augen des Meisters schwarz. Alle, Krieger und Novizen, traten respektvoll zurück.
Dann ging ein Ruck durch die Illusionssoldaten. Einige Sekunden verharrten sie starr in der Schlacht und viele wurden von dem Menschen einfach niedergemäht. Doch die, die es überlebten, warfen sich plötzlich mit verdoppelter Kampfkraft in die Schlacht und trieben die überraschten Menschen zusammen und metzelten sie dann nieder. Doch ebenso schnell wie der Zauber über sie gekommen war, verflog er auch und forderte dann seinen Tribut.
Die Glieder waren schwach und müde. Die Illusionssoldaten wankten, ließen ihre Waffen fallen oder sanken gegen Hauswände. Viele erbrachen sich, anderen fielen wie vom Blitz getroffen um. Innerhalb weniger Sekunden starben schließlich alle.
„Nun liegt es an euch, meine Krieger. Zwingt die Menschen in die Knie und besorgt mir mein Artefakt! Sonst blüht euch dasselbe Schicksal.“

„Ich bin nicht wie die anderen“, sagte Mäx ruhig und hob seine Arme. „Sonst wärst du schon lange tot. Ich wäre durch die Wand gekommen wie die anderen.“
„Eure Macht ist hier gebrochen. Ich habe gesehen wie die Magier euch verhext haben“, antwortete der Waffenknecht keck und beruhigte sich langsam.
„Dann schieß doch, wenn ich sowieso ein Feind bin.“
„Nein. Ich bringe dich zum Hauptmann. Er wird dich verhören lassen, und mich befördern.“ Der Waffenknecht kam näher und nahm den Griff des Schwertes an Mäx Gürtel. Ein schwerer Fehler. Der General entwand dem Waffenknecht die Armbrust und stieß ihn dann nach hinten. Wehrlos lag der Junge vor ihm und nahm die Hände vors Gesicht. „Töte mich nicht.“
In diesem Moment ging ein Schmerz wie tausend Flammen durch Mäx Körper. Er krümmte sich zusammen und sank auf die Knie. Die Armbrust wechselte erneut den Besitzer.
„Er hat es getan“, stöhnte Mäx und hielt sich den Bauch, der sich anfühlte als würde er in Flammen stehen.
„Ruhig, du Wurm!“ rief der Waffenknecht. Plötzlich endeten die Schmerzen wieder und neue Kraft erfüllte Mäx. Er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Mit aller Kraft warf er sich gegen den Jungen, der die Armbrust abfeuerte. Der Bolzen flog aber aus dem Fenster an Mäx vorbei. Der Stoß des Generals ließ den Waffenknecht an die Wand taumeln. Der Helm schlug dumpf gegen die Wand und er sackte bewusstlos zusammen. Mäx ignorierte ihn und rannte die Stufen des Turmes hinunter. Von der Tür ließ er sich nicht weiter aufhalten und durchquerte sie im Zwielicht. Dann war er wieder auf der Straße und rannte so schnell er konnte zu den toten Ogern zurück. Die Zeit war beinahe verstrichen als er sich unter ihnen eingrub. Zum Glück waren keine Gobelins dort verborgen. Mäx schnitt einem der Toten den Bauch ab und grub sich noch tiefer in die Eingeweide. Dann kam der erneute Schmerz und die Galle stieg in ihm hoch. Doch der Schmerz verebbte und er war noch am Leben. Im Gegensatz zu seiner Armee.

Nun waren alle Gaben der Illusionsarmee von dannen. Mäx war nur mehr ein einfacher Sterblicher, konnte nicht mehr durch Wände und Tore gehen oder dem Feind Trugbilder vorgaukeln. Auch die überdurchschnittlichen körperlichen Kräfte waren von dannen sodass Mäx sich entschied die Rüstung zu wechseln, um durch die Wachposten der Menschen zu kommen. Er wählte die unbeschädigte Rüstung eines Ritters und ersetzte den verbeulten Helm durch die Kappe eines Bogenschützen. Sein Schwert behielt er, nur ergänzte er alles mit einem Köcher und einem Langbogen.
Danach schritt er ungeniert zu dem Tor, dass er vorhin überhastet passiert hatte. Er klopfte mit der Faust an bis ein kleines Türchen sich öffnete und ihn ein Hauptmann mürrisch musterte. „Wo kommst du denn her?“
„Ich wurde bewusstlos geschlagen als die Kämpfe dort tobten. Nun ist es an der Zeit Rache zu nehmen!“
„Gut gesprochen, aber hier sind keine Kämpfe. Folge der Straße dort hinten, du wirst nicht lange suchen müssen. Hier kommt keiner durch.“
„Ich muss aber hier durch, Waffenknecht. Du magst vielleicht ein Hauptmann sein, aber den Rittern bist du unterstellt. Und ich bin ein Ritter. Also lass mich durch!“
„Nein, ich habe Befehle.“
„Ich werde meinem Hauptmann davon berichten. Du hast mich behindert! Wie lautet dein Name?“ knurrte Mäx.
„Moment, wir können doch reden. Meine Befehle kommen von ganz oben. Der Lord…“
Mäx sah an seiner Rüstung ein kleines Abzeichen. Zufällig hatte er einen der Ehrengardisten der Rüstung beraubt. Dieses Abzeichen würde ihm die Passage verschaffen. „Ich stehe unter direktem Befehl des Lords! Siehst du?“ Er zeigte das Abzeichen. Die Augen des Hauptmanns weiteten sich. Sofort wurden die Riegel geöffnet und das Tor öffnete sich gerade weit genug, dass ein Mann sich hindurchzwängen konnte.
„Verschließt das Tor und lasst niemanden durch. Egal was sie sagen!“
„Jawohl, Herr Ritter“, antwortete der Hauptmann. Zwei Waffenknechte schlossen das Tor wieder und gingen zurück auf ihre Posten. Mäx nahm sich eines der Pferde, das dahinter angebunden war und ritt in Richtung der Kämpfe.

Heulend brach der letzte Oger zusammen und begrub zwei Waffenknechte unter sich. Der Meister schüttelte enttäuscht den Kopf und entsandte eine weitere Einheit seiner Soldaten in die Schlacht. Die breiten schwarzen Krieger zogen ihre Zweihandschwerter und warfen sich heulend in die Schlacht.
Nur mehr der Hauptplatz und einige zusammengerottete Ritter trennten den Meister vom Zugang zur Burg. Der letzte Ort, an dem das Artefakt versteckt sein konnte. Denn in dem kleinen Viertel in der Nähe des Hafens lag es bestimmt nicht. Dort gab es nur einen Haufen Lagerhäuser und ein paar Waffenknechte, die ihre Tore bewachten aber sich nicht heraus wagten.
Auf den Mauern der Burg nahmen die letzten Bogenschützen Stellung ein und sandten eine weitere tödliche Salve in die Reihen der Krieger. Einige Pfeile kamen dem Meister gefährlich nahe, aber eine einfache Handbewegung ließ die Geschosse zerbrechen und als scharfkantige Geschosse auf die Schützen nieder regnen.
Die Reihen der Ritter wankten und selbst die Magier, die sich auf der Brücke verzweifelt wehrten, konnten nicht genug Schimären erschaffen wie die Krieger des Meisters verpuffen ließen. Armbrustschützen schlichen sich durch die Kämpfenden und gingen dann in Stellung. Mit einer einzigen Salve fegten die Krieger die meisten der Zauberer zu Boden, nur wenige konnten sich schützen und zogen sich danach verwundet zurück in die schützenden Mauern der Burg.
„Bald. Bald gehört es mir“, jauchzte der Meister und winkte eine weitere Einheit in die Schlacht. Er würde sie einfach mit Masse entscheiden.

Auf der Brücke zur Burg kämpfte das letzte Aufgebot der Ritter und Waffenknechte zwar tapfer und verbissen, die Soldaten des Meisters machten jedoch ohne größere Anstrengung Meter um Meter gut. Ihrer Masse und ihren Schwertern entkam niemand.
Verzweifelt suchten immer mehr Menschen Schutz hinter den Mauern. Doch selbst die schweren mit Eisen beschlagenen Tore der Burg erbebten schnell unter den anstürmenden Massen. Das Holz splitterte und wurde löchrig. Für jeden geschlagenen Krieger der schwarzen Horde schienen zwei neue in die Schlacht zu stürzen.
Als Mäx die Brücke erreichte, war sie schwarz vor Soldaten. Das Tor stand kurz davor zu brechen und die Flut von Kriegern einzulassen. Der Meister hielt sich noch dezent zurück, doch sobald das Tor offen sein würde, wäre er der erste, der seinen Fuß in die Burg setzen würde. Das allerletzte Aufgebot von Schützen feuerte eine letzte Salve auf die Brücke ab und Soldaten versuchten mit schweren Felsen die Brücke zum Einsturz zu bringen. Doch beide Angriffe wurden durch die dunkle Magie abgeschmettert.
In diesem Moment erbebte das Tor das letzte Mal unter unzähligen Äxten und brach dann aus den Scharnieren. Danach fiel sie nach hinten in den Innenhof. Einen Moment schien alles still zu stehen, dann setzten sich die schwarzen Horden in Bewegung, die Zweihänder hoch erhoben. Tapfer und verzweifelt stellten sich die Menschen dem Angriff entgegen und brachten ihn sogar kurzzeitig zum Halten.
Dann flogen plötzlich unzählige Pfeile vom Himmel. Die ungeordneten Reihen stoben auseinander. Die Schlacht schien entschieden und die schwarzen Horden wollten bereits ihren Jubelgesang anstimmen als sie erkannten, dass die Pfeile nicht für Menschen bestimmt waren. Überall in den Ruinen standen Bogenschützen in grünen Mänteln mit Langbogen. Spitze Ohren lugten unter den Ledermützen hervor. Auf den Straßen kam eine lange Kolonne von schneeweißen Pferden angeritten. Auf ihnen saßen ähnliche Krieger in braunen Roben mit Kurzbogen und Lanzen.
Flöten und leichte Trommeln stimmten ein Krieglied an, in den ein zweiter Pfeilhagel einsetzte. Dann beschleunigten die Reiter ihre Pferde und fuhren in die Nachhut der dunklen Truppen. Die Bogensehnen sangen und brachten Tod und Verderben über die Krieger. Viele wichen den Pferden aus und fielen so von der Brücke.
Nur der Meister behielt die Nerven und wendete sein Pferd. Seine Truppen marschierten weiter in die Burg ein. Die hinteren Truppen bildeten jetzt auch langsam eine Verteidigungslinie. Die Elben wendeten daraufhin ihre Pferde und zogen sich wieder von der Brücke zurück. Die anderen Schützen nahmen wieder Formation an um einen tödlichen Pfeilhagel zu schicken. Der Meister wartete den Angriff jedoch gar nicht mehr ab sondern errichtete gleich eine Barriere.
Mäx erwachte aus seiner Erstarrung und ritt zu seinen Waffenbrüdern. Nicht lange und Opalauge war an seiner Seite.
„Ich dachte ihr dürft die Stadt nicht betreten.“
„Die Magier haben die Situation erkannt und unsere Truppen vor den Toren wahrgenommen. Wir ritten so schnell wie der Wind zu ihrer Hilfe als wir erfuhren wie schlecht die Schlacht steht“, antwortete der Fürst.
„Sie sind bereits in der Burg. Bald werden sie das Artefakt finden und der Meister ist zu mächtig um es mit ihm aufzunehmen.“
„Wir brauchen nur einen Anführer mit reinem Herzen. Jemanden, der den Meister lange genug kennt um zu wissen wie er reagieren wird“, antwortete Opalauge und sah Mäx erwartungsvoll an. „Wirst du, der die Rüstung der Menschen trägt, uns in die Schlacht führen?“
Mäx lachte und zog sein Schwert. „Heute ist der Tag der Rache!“
Die Berittenen warfen ihre Bogen weg und zogen ihre eigenen Schwerter. Danach lösten sie die Schilder in Form riesiger Blätter, die mit Holz verstärkt waren, von den Schultern. Die Krieger schlugen mit ihren Schwertern auf die Schilde um die Gegner zu warnen. Noch konnten sie sich ergeben.
Der Meister starrte die Feinde aber eiskalt an. „Kommt nur. Ich werde euch verschlingen!“

In vollem Galopp ritten die Elben in die Phalanx der schwarzen Horden. Aus großer Entfernung flogen bereits die Lanzen und rissen Löcher in die Reihen der Verteidiger, die sich aber schnell schlossen. Der Meister erschuf kurzerhand neue Krieger und rief die Gefallenen auf seine Seite.
Der Angriff verebbte so beinahe wirkungslos. Die Elben führten dann dasselbe Manöver wie bei ihrem ersten Angriff durch und zogen sich dann wieder geordnet zurück. Doch viele blieben auf der Strecke, wurden von den Pferden gerissen oder erschlagen.
„So kommen wir nicht weiter“, stöhnte Opalauge. Er hatte einen Schnitt am Oberschenkel abbekommen. Die Angriffe auf Mäx hatte die jetzt sehr lädierte Rüstung abgefangen.
„Bringt mich zum Meister durch, dann erledige ich die Sache ein für alle Mal! Die Macht seiner Diener wird mit ihm verfallen.“
Opalauge nickte matt und hob dann seinen Arm. Die Elben bereiten sich zum nächsten Angriff vor, die Bogenschützen gaben ihnen wieder Deckung.
Dieses Mal machte sich Mäx gar nicht die Mühe in der Formation zu bleiben. Er verlangte von seinem Pferd das absolute Maximum und lenkte es dann direkt in die Feinde. Kurz bevor er die Phalanx traf, ließ er die Zügel fallen und ergriff das Schwert mit beiden Händen. Gleichzeitig zog er die Beine an und machte sich sprungbereit.
Das Pferd bockte und versuchte zur Seite auszuweichen, war jedoch zu schnell um noch zu bremsen. Mehrere Klingen fuhren in seine Flanken und brachten es zu Boden. Doch Mäx segelte über seine Feinde hinweg, die vergebens nach ihm hieben und landete direkt vor dem Meister. Ihre Klingen kreuzten sich nur ein Mal knirschend. Der Meister war durch diese Aktion selbst so überrascht, dass bei seiner Verteidigung seine gesamte rechte Seite total offen lag. Das nutzte Mäx aus und stieß ihm in einer S-förmigen Bewegung von oben dann das Schwert in diese Seite. Der Meister taumelte und blutete. Selbst ein schnell gesprochener Heilzauber schlug nicht an. Er sank auf die Knie und seine Waffe entglitt ihm. Seine schwarzen Horden waren wie versteinert.
„Das ist die Rache für meine Krieger! Meine Brüder!“ Mit diesen Worten stieß Mäx erneut zu und durchbohrte das Herz des Schattenmagiers. Dann stemmte er seinen Fuß gegen die Brust und zog sein Schwert heraus, während der Körper durch den Schwung von der Brücke fiel und auf der darunterliegenden Straße zerschmettert wurde.
Im selben Moment verpufften seine Zauber und seine Armee wurde zu dem, was sie war. Die Skelette zerfielen zu Staub und die gerufenen Gefallenen bekamen ihre verdiente Ruhe. Scheppernd fielen überall die Waffen und Rüstungen zu Boden. Erschöpft sackten die Ritter und Waffenknechte zusammen. Mäx erging es nicht besser.
Dann begann der Jubel.

Bevor er sich aus dem Staub machen konnte wurde Mäx mit allen Ehren in die Burg geführt. Die kärglichen Reste der Ritter und Waffenknechte gaben ihm einen beachtlichen Empfang und führten ihn ihrem Heermeister vor.
Selbst die Elben, ansonsten nicht gern gesehene Gäste, wurden trotz ihres Widerstands vorgeführt. So standen bald Opalauge und Mäx vor dem König und dem Lord, der die Verteidigung organisiert hatte.
„Wir wissen nicht wie wir es euch danken sollen. Ihr habt uns alle vor diesem Monster gerettet. Zwar wurden viele Städte zerstört und unzählige Bürger und Ritter erschlagen, die Ernten wurden verbrannt. Aber Getreide kann nun neu gepflanzt werden und die Städte wieder aufgebaut. Nur würden wir gerne die Namen und Titel unserer Retter erfahren.“
Mäx sah Opalauge fragend an. Dank des Helms hatten die Menschen sein Gesicht noch nicht gesehen. Der Elbenfürst schüttelte den Kopf und ergriff dann das Wort: „Es war selbstverständlich euch zu Hilfe zu eilen, da es uns ebenso betroffen hätte. Wäre diese Bastion gefallen, hätte der Meister sich uns zugewandt. Ich bin Opalauge, der Anführer dieser Expedition.“
„Wir sind Euch zu ewigen Dank verpflichtet, Herr Opalauge. Und Ihr, Ritter? Ihr tragt unzählige Auszeichnungen und habt wieder einmal bewiesen, dass ihr alle verdient habt.“
Mäx schluckte schwer. „Leider habe ich keinen dieser Orden verdient. Denn ich bin nicht der, den ihr zu sehen glaubt. Ich trage vielleicht die Rüstung eines hochrangigen Paladins, aber das werde ich nie sein. Denn ich bin ein Betrüger.“ Dann nahm er den Helm ab. Sofort zog der Lord sein Schwert. „Einer der Angreifer! Packt ihn!“
„Halt!“, schritt Opalauge ein. „Er ist Mäx, General der Illusionsarmee. Er führte zwar die ersten Angriffe auf eure Städte so erfolgreich an, aber er wurde von seinen Brüdern verraten und verfolgt. Die, die ihm loyal geblieben sind, fielen auf der Flucht oder sind vermisst. Er kam nicht aus dem Grund hier her euch zu meucheln sondern um die Vernichtung seines Volkes zu verhindern. Als er sah dass er versagt hatte, unternahm er alles um wenigstens euch zu retten. Ihr habt selber gesehen wie er sich tapfer dem Feind entgegenstellte.“
„Das ändert nichts an der Tatsache dass er ein Feind ist!“, antwortete der Lord. „Er wird am Galgen oder durch die Axt zu Tode kommen, daran könnt ihr nichts ändern.“
„Ihr setzt den Frieden bereits wieder leichtfertig aufs Spiel, mein Herr“, sagte Opalauge kühl. „Vergesst nicht dass meine Truppen noch draußen lagern. Und ich sage, dass dieser Feind mit uns kommen wird. Ob es Euch nun passt oder nicht.“
Trotzdem schritten einige Ritter mit gezogenen Schwertern herbei. Daraufhin spannten die Begleiter von Opalauge ihre Bogen.
„Es wird ein Blutbad geben wenn auch nur einer der Euren meinen Freund anrührt“, drohte Opalauge und griff selber zum Schwert.
„Nun ist dieser Illusionskrieger auch noch euer Freund?“
„Ich stehe in seiner Schuld wie er in meiner“, fügte Mäx hinzu.
„Ruhe! Die Elben haben das Gastrecht hier, und wenn dieser Mann ihr Freund ist genießt er dasselbe Recht. So steckt eure Waffen weg“, mischte sich schließlich der König ein. Die Ritter zogen sich sofort zurück und auch der Lord steckte dann zögernd seine Waffe wieder weg.
„Wir werden, um weitere Zusammenstöße zu verhindern, die Stadt sofort verlassen“, sagte Opalauge und gab seinen Leuten dann einen Wink. Sofort verließen sie die Hallen. Nur Mäx und Opalauge blieben zurück.
„Wir kehren in die Sicherheit des Waldes zurück und feiern dort unseren Sieg. Und gedenken den Toten des heutigen Tages“, sagte Opalauge zu Mäx.
„Ich bin vielleicht schuldig, meine Herren, aber nun auch nur mehr sterblich. So manchen Oger habe ich erschlagen, so manchen Gobelin enthauptet. Das alles um euch zu retten. Da ihr mir meine Hilfe aber so dankt werde ich nie zurückkehren und vergessen, dass ich heute euren Erzfeind erschlug als er bereits beinahe euren Kopf in Händen hielt.“

Die nächsten Tage verbrachte Mäx bei den Elben. Es waren erholsame Tage, mit vielen zurückhaltenden Festen und vielen Begräbnissen. Es waren mehr Elben nicht mehr zurückgekehrt, als er wahrgenommen hatte.
Das Artefakt, dessen Suche die Vernichtung des ganzen Volkes nach sich gezogen hatte, war niemals im Besitz der Menschen gewesen. Zumindest nicht in den letzten Jahren. Unzählige Tempel waren errichtet, und wie in Rosenburg als der Artefakt sie verließ, versiegelt worden. Die wahren Besitzer waren die Elben, die den mächtigen Stein in ihrer größten Tempelanlage eingemauert hatten. Niemand wusste hinter welcher Mauer der Stein verborgen war. Die Baumeister hatten nach getaner Arbeit ihre Aufzeichnungen vernichtet und dann den Tod gewählt.
Unzählige Späher hatten die Wälder durchsucht und schließlich den zerschmetterten Körper von Knick gefunden. Der Oger hatte ihn gegen einen Baum geschleudert und getötet. Doch statt ihn zu begraben hatten die Elben ihn in einen Lichtschrein gebracht und ihm diesen Schrein gestiftet. Als Krieger mit reinem Herzen wurde er dort verehrt, einbalsamiert um die Ewigkeit zu überdauern.
Die Spuren der namenlosen Späherin verloren sich irgendwo im Wald. Vom einen Moment auf den anderen endeten sie. Vielleicht war sie dem Zauberspruch des Meisters zum Opfer gefallen, vielleicht auch nur verschwunden. Ein Geheimnis, dass nie gelüftet werden würde.
Somit war Mäx der letzte einer einst mächtigen und stolzen Rasse von Kriegern.

Mäx verlor nie die Hoffnung und zog danach jahrelang durch alle Lande auf der Suche nach einem Fünkchen Hoffnung. Vielleicht war die Späherin doch der dunklen Magie entgangen und versteckte sich irgendwo.
Der General, mittlerweile etwas ergraut, folgte jeder auch nur so kleinen Spur. Die meisten Hinweise waren jedoch falsch, der Versuch schnell Gold zu machen. Mäx bezahlte seine Informanten gut, tötete aber auch die, die ihn belogen.
Als er schließlich fast die Hoffnung verloren hatte, gab ihm überraschend ein Betrunkener in einer billigen Kneipe einen sehr preisgünstigen Hinweis. In den Bergen würde es einen Schatten geben, der alle Wanderer von einer bestimmten Höhle fernhalten würde. Beschrieben wurde der Schatten als Frau, die sehr geschickt im Umgang mit der Waffe sei und aus dem Nichts auftauchen könne.
Mäx rüstete erneut aus und begann dann die beschwerliche Reise zu dem beschriebenen Gebiet. Die Straßen waren schlecht und wimmelten von Wegelagerern, die sich jedoch aus gutem Grund von ihm fernhielten. Sein Ruf eilte Mäx schon lange voraus.
Nach vier Tagen und Nächten erreichte er dann erschöpft die Höhle ohne auf Widerstand gestoßen zu sein.
Mit blankem Schwert und einer Fackel betrat er dann die dunkle Höhle. Sie war eindeutig bewohnt, denn die Fackeln, die nach einem Knick alle paar Meter an den Wänden hingen, waren ganz frisch. In einem Alkoven fand er dann ein Kissen und eine Decke, in einem anderen Alkoven lagen Kleider und Waffen. Ein Feuer knisterte und darüber brodelte eine Suppe.
„Hast du mich endlich gefunden?“ hörte Mäx schließlich die bekannte Stimme aus dem Schatten. Langsam drehte er sich um, konnte die Quelle jedoch zuerst nicht ausmachen bis er einen Schatten an der Wand sah.
„Du hast es mir ja schwer genug gemacht.“
„Lange dachte ich alles wäre verloren, nur ich wäre entkommen. Als ich dann die Gerüchte hörte von dem Letzten, der suchend durch alle Lande zieht, wusste ich sofort, dass du es sein musst. Denn Knick hätte niemals so viel auf sich genommen.“
„Knick hat den damaligen Tag nicht überlebt. Jetzt ist er Wallfahrtsstätte für die Elben geworden. Der Krieger mit dem reinen Herzen. Meinem Herzen“, antwortete Mäx leise. „Er trägt noch immer mein Herz in der Brust.“
„Und in deiner schlägt eines aus Stahl. Doch perfekt geschaffen für einen harten Krieger wie dich. Mäx, General der Verdammten. Gestürzt von einem untalentierten Tropf, der sein Blut gab um sein Volk auszulöschen. Welch Ironie.“
„Es wundert mich, dass du noch das Zwielicht nutzen kannst. Ich habe die Gabe verloren, bin nur noch normal sterblich.“
„Ach“, spottete die Späherin. „Da wird der Meister aber enttäuscht sein wenn ich ihm das stählerne Herz eines Normalsterblichen bringe.“
„Wovon sprichst du? Der Meister ist besiegt, ich selbst habe sein Herz durchstoßen und seinen Körper zerschmettert.“
„Ein anderer ist an seinen Platz getreten und hat die Fäden lang genug aus dem Dunkel heraus gezogen. Nun ist es an der Zeit zurückzukehren. Nur dafür braucht er noch etwas.“
Mäx fühlte sich nicht mehr wohl hier drin. Die Schatten wirkten plötzlich länger, die Dunkelheit schien zu wachsen.
„Um meine Ehre zurückzubekommen und an seiner Seite zu sein bin ich gekommen. Es war schwierig genug die Spuren ausreichend zu legen. Dich hier her zu locken“, kicherte die Späherin.
„Wir sind vom selben Blut, die letzten von unserem Blut. Willst du die letzte Chance unser Volk zu erhalten gegen deine Ehre eintauschen?“ fragte Mäx verzweifelt und drehte sich langsam um die eigenen Achse, das Schwert halb erhoben.
„Ein bereits totes Volk erhalten? Das kläglich geschlagen wurde“, vernahm Mäx plötzlich die Stimme in seinem Ohr. „Wofür?“
Eine Klinge legte sich kalt an seinen Hals. „Wofür?“ flüsterte die Späherin und zog die Klinge dann durch. Mäx bekam keine Luft mehr und sank in die Knie.
„Dein Herz ist meine Ehre. Wenigstens einer von uns allen soll mit Ehre sterben wenn seine Zeit gekommen ist. Dich wird man aber vergessen, wie alle anderen auch.“ Die Stimme sprach zwar weiter, aber sie wurde immer leiser und leiser. Die Dunkelheit nahm ihren Platz ein und das stählerne Herz blieb schließlich stehen.
 

Illusion zieht seine Kreise durch alle Gebiete der modernen Fantasy und entstand in Kooperation mit einem guten Freund (der in die Rolle des Generals Mäx schlüpfte).
Insgesamt beschäftigte mich diese Geschichte etwa 2 Monate, allerdings nicht am Stück
Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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