Germaine Adelt

Halt meine Hand

 
Irgendein klappendes Geräusch hatte sie hochschrecken lassen und irritiert sah sie auf die Uhr: Halb zehn. Sie hatte sich nur kurz hinlegen wollen und musste dann eingeschlafen sein. Stöhnend taumelte sie aus dem Bett und versuchte sich zu orientieren. Die Kopfschmerzen waren noch immer da, auch nach der dritten Schmerztablette für heute.
Plötzlich stand er vor ihr und grinste sie herausfordernd an.
„Hallo Schatz.“ Er küsste sie und ging, unbekleidet wie er war, in die Küche.
Sie kannte diesen Mann nicht, sie hatte ihn noch nie gesehen.
„So setz dich doch.“ er lächelte noch immer. „Einen Kaffee? Schön schwarz mit viel Zucker ...“
Sie hasste Kaffee, besonders mit Zucker. Jedoch war sie einfach noch nicht in der Lage zu reagieren. Sie kannte zwar diese Wohnung aber nicht diesen Mann.
„Wer sind Sie?“ fragte sie leise.
Erstaunt sah er sie an: „Bitte?“
Schweigend verließ sie die Küche und ging wieder zurück in das Schlafzimmer. Dies musste ein Traum sein und wenn sie sich jetzt hinlegen würde, einfach weiterschlafen und später aufwachen würde, wäre alles vorbei.
„Alles in Ordnung?“ Er stand im Türrahmen und insgeheim ahnte sie, dass dies kein Traum war. Dennoch beschloss sie ihn zu ignorieren und deckte sich demonstrativ zu, um zu schlafen.
„Was hast du Kleines?“ Er klang besorgt und war jetzt direkt neben ihr.
Sie schloss die Augen und musste sich eingestehen, dass ihr seine Stimme ausnehmend gut gefiel und sie seine Nähe als angenehm empfand. Trotzdem wartete sie darauf, dass er irgendwann einfach nicht mehr da war.
 
Plötzlich klingelte es an der Tür und während sie noch überlegte, ob sie überhaupt darauf reagieren sollte, wurde das Klingeln immer intensiver. Wer auch immer an der Wohnungstür war, würde so schnell nicht aufgeben.
„Willst du nicht aufmachen?“ Er lehnte lässig am Türrahmen ihres Schlafzimmers und sah sie fragend an. Sie nickte nur und ging los, um dem Türklingeln ein Ende zu bereiten.
Es war Kisten, die mit ernsten Gesicht vor ihr stand.
„Na endlich! Das dauert aber heute. Was ist los mit dir?“
Noch ehe Lilly antworten konnte ging Kirsten ungefragt in die Küche. Vorbei an dem Mann, dessen Namen Lilly nicht kannte und von dem sie noch immer nicht wusste, wie er in ihre Wohnung gekommen war.
Er hatte sich inzwischen eine Jeans angezogen, die nun seine Hüften zur Geltung brachte und Lilly stellte erst jetzt fasziniert fest, welche umwerfend erotische Ausstrahlung er hatte.
„Mensch Lilly, ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Du hast dich überhaupt nicht mehr gemeldet.“ plapperte Kirsten weiter, ohne auch nur ansatzweise auf den Mann einzugehen, der noch immer angelehnt im Türrahmen stand.
„Hatte keine Zeit.“ sagte Lilly knapp.
„Keine Zeit! Keine Zeit!“ lamentierte Kirsten. „Was soll ich denn sagen. Trotzdem hättest du dich wenigstens mal melden können.“
„Hmmh,“ murmelte Lilly. Ihren Blick an dem Mann geheftet, der sie unentwegt anlächelte. Er stand jetzt direkt hinter Kirsten, so dass diese ihn gar nicht sehen konnte.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Klar. Unentwegt. Ich hätte mich melden sollen.“
„Kann man so sagen. Wie war es eigentlich bei Dr. Drescher?“
„Wer?“
Er lächelte sie noch immer an und in seinem Blick lag immer mehr Verführung. Erst jetzt sah sie seine wunderschönen grünen Augen, die fast ein wenig im Widerspruch zu seinem schulterlangen, lockigen, braunen Haar standen. Aber dies machte auch einen besonderen Reiz aus.
„Lilly, verstehst du überhaupt wovon ich rede?“ fragte Kisten besorgt.
„Klar.“
„Würdest du mich dann auch mal ansehen.“
„Was willst du von mir!?“
„Lilly, wann hast du zum letzten Mal deine Tabletten genommen?“
„Gestern, wieso?“
„Und was war gestern für ein Tag?“ fragte Kirsten gedehnt.
„Mittwoch. Warum fragst du mich das alles?“
Entsetzt starrte Kirsten sie an. „Lilly, heute ist Sonntag. Willst du sagen, dass du seit ...“ Entschlossen stand sie auf und ging eilig in das Badezimmer. Mit einem Tablettenröhrchen in der Hand kam sie zurück und gab es Lilly. „Du nimmst sofort zwei davon und heute Abend noch einmal eine!“
Er grinste breit: „Damit wirst du mich aber auch nicht los.“
„Das will ich auch gar nicht.“ flüsterte Lilly.
„Natürlich willst du.“ beharrte Kirsten. „Dann packst du ein paar Sachen zusammen und bleibst bei mir, bis ich dich morgen persönlich in der Praxis von Drechsler abgegeben habe.“
„Ich kann nicht.“ murmelte Lilly, die ihren Blick nicht von seinen grünen Augen lassen konnte.
„Warum nicht?“
Hilfesuchend sah sie ihn an „Weil du verabredet bist.“ soufflierte er.
„Ja, genau. Ich bin verabredet.“
„Tatsächlich? Mit wem?“
„Ist doch egal.“
„Nicht egal. Mit wem?!“
Wieder wandte sie sich hilfesuchend an ihn.
„Jetzt enttäuschst du mich aber.“ schmollte er. „Du hast doch nicht etwas meinen Namen vergessen?“
„Es tut mir leid.“ hauchte sie.
„Was tut dir leid?“ fragte Kirsten. Doch Lilly hörte gar nicht hin. Ihre Blick hing an seinen Lippen als er fast lautlos seinen Namen nannte: Edgar.
„Ich bin mit Edgar verabredet.“ sagte Lilly entschlossen.
„Was denn, du hast jemanden kennen gelernt? Ist ja süß. Wann denn?“
„Gestern. Beim shoppen.“ log sie.
„Was denn du warst einkaufen, ganz allein? Ich dachte dir geht es nicht so gut?“
Er hatte inzwischen im Wohnzimmer „Black dog“ von Led Zeppelin aufgelegt und spielte es so laut ab, dass die Wände anfingen zu beben. Kirsten schien das wenig zu stören. Aber Kirsten sah sowieso viele Dinge anders. Lässig lehnte er mit verschränkten Oberarmen an der Küchentür und es war, als wartete er darauf, dass sie endlich allein waren.
„Black dog“ auszuwählen hatte beinahe etwas symbolisches. Was konnte sie dafür, wenn sie diese Wesen jede Nacht sehen konnte. Dicht neben sich, obwohl sie nicht da sein konnten. Und wenn Edgar der Einzige war, der sie vertreiben konnte, dann solle er eben bleiben, solange wie es ging. Egal was Kisten oder die anderen dazu sagten.
„Mir geht es gut.“ log sie weiter. „Natürlich weiß ich was heute für ein Tag ist. Das sollte ein Scherz sein, wenn auch ein schlechter.“
„Na dann kann ich ja wieder nach Hause. Meine Mutter kommt zum essen und ich habe noch soviel zu tun.“
„Schon klar.“ erwiderte Lilly und drängte Kisten galant zur Tür.
Aus dem Wohnzimmer waren jetzt die ersten Takte von Led Zeppelins „Stairway to haven“ zu hören. Er lächelte süffisant, als wisse er, wie sehr ihr diese Ballade jetzt gut tat und ohne ihn aus den Augen zu lassen, schüttete sie die Tabletten in den Ausguss.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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