Svenja Doll

Eine lange Reise


Ich hatte einmal einen Freund. Er war mein bester Freund. Ich hatte ihn sehr, sehr lieb. Wir hatten sehr viel Spaß. Doch eines Tages ist er auf eine sehr, sehr lange und weite Reise gegangen. Ich wartete und hoffte. Aber er kam nicht zurück. Ich wartete und hoffte weiter. Ich war sehr einsam. Ich wollte ihn zurückhaben. Aber er kam einfach nicht zurück. Wie sollte ich es denn nur ohne ihn aushalten? Ich wusste es nicht. Also beschloss ich eines Tages ihn zu suchen. Ich wusste nicht, wo ich anfange sollte, also zeichnete ich zuerst eine Karte. In dieser Karte markierte ich alle Plätze, von denen ich wusste, die er gerne hatte. Nach getaner Arbeit machte ich mich auf den Weg. Ich hatte eine große, schwere Tasche bei mir, denn ich war ja nicht dumm: vielleicht hatte er ja Hunger, wenn ich ihn finden würde. Frohen Mutes und voller Hoffnung marschierte ich los und suchte ihn. Doch vergebens. Ich konnte ihn nirgends finden. Ich suchte jede Stelle mindestens fünf mal ab und drehte jeden Stein zig mal um, ehe ich wieder nach Hause ging. An diesem Abend schlief ich unter Tränen ein. Er fehlte mir so! Ich wollte ihn wiederhaben!
Am morgen wachte ich sehr früh auf. Erneut nahm ich den Rucksack, vollgepackt mit Essen und suchte nochmals jedmöglichen Platz ab, an dem er hätte sein können. Doch auch an diesem Abend fand ich ihn nicht. Wütend auf mich selbst kehrte ich, lange nach Einbruch der Dunkelheit zurück nach Hause. Ich hasste mich dafür, dass ich ihn hatte ziehen lassen! Meine Brust schmerzte vor Sehnsucht nach ihm.
Tag für Tag ging ich bis spät in die Nacht nach draußen und suchte ihn. Aber jedes Mal kam ich erfolglos zurück nach Hause. Abend für Abend wurde ich trauriger. Abend für Abend wurden der Schmerz und die Sehnsucht größer. Ich wollte ihn wiedersehen! Am Tag seiner Abreise wollte ich mich noch von ihm verabschieden, aber irgendwie konnte ich es nicht. Ich hatte Schuldgefühle. Tiefe Schuldgefühle. Es war nicht nur die Sehnsucht nach meinem besten Freund. Es war der Selbsthass, der mich schließlich daran zu Grunde gingen ließ.
Und irgendwann, kam der Tag, an dem ich es einfach nicht mehr ertrug. Ich konnte diese Last nicht mehr tragen. Zu viel Schuld lastete auf meinen Schultern. Zu viel Trauer war in mir. Zu viel Selbsthass hatte sich in meinem Herzen eingenistet. Also setzte ich all diesen Qualen ein Ende.
Seit jenem Tag geht es mir gut. Richtig gut. Es war eine Erleichterung. Eine Erleichterung von Körper und Seele. Ich hatte mir diesen Wunsch erfüllt. Ich allein. Dazu brauchte ich nicht die Hilfe von anderen. Ich hatte es geschafft. Ich war endlich wieder mit ihm vereint!
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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