Svenja Doll

Wahrnehmnung

Da stand er! Ich beobachtete ihn. Seine schwarzen Haare fielen ihm lässig ins Gesicht. Ich streckte die Hand nach ihm aus. Er bemerkte es nicht. Ich streckte auch meine Finger nach ihm aus. Jeden einzelnen Finger. So weit es ging. Er bemerkte es nicht. Ich tat sogar einen Schritt auf ihn zu. Er bemerkte es nicht. Ich eilte über den Pausenhof. Noch ein kurzer Blick. Wenigstens einen Moment. Nur eine Sekunde lang...Für diesen Augenblick würde ich alles tun. Jedes Mal wenn sein Blick meinen traf, war ich in einer anderen Welt. Alles war vergessen. Nichts blieb. Nur noch ein Glücksgefühl war vorhanden. Kurz vor ihm. Ich schaute ihn voller Bewunderung an, ehe ich an ihm vorüberzog. Ich lächelte. Nichts. Nur ein sturer geradeaus gerichteter Blick. Es traf mich wie ein Schlag. Sein Blickfeld: geschminkte Lippen, weiter Ausschnitt, kurzer Rock, High Heels. Ich rannte. Ich rannte und rannte. Weg von der Schule! Weg von zu Hause! Weg von ihm! Weg von allem! Ich ließ das Schulgebäude weit hinter mir. Meine Familie. Und ihn. Gab es denn keine Hoffnung? Nur ein Wunsch. Ich hatte nur einen Wunsch!

 

 

Nächster Tag. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe kein Auge zugetan. Sie schreien. >>Hört doch auf damit<< Meine Eltern schauen mich an. Kopf schütteln. Ein unverständlicher Blick. Ein Stich. Unsichtbar, aber da. Er ist tief. Ein kühles Lachen. Es bedeutet Missverstehen. Ich weiß das. Schon oft habe ich dieses Lachen gehört. Dieses Lachen das mir sagt, ich sei unerwünscht. Mir ist kalt. Ich gehe raus. Die Sonne scheint. Mich fröstelt. Ich mache meine Jacke zu. Immer noch kalt. Ich umklammere meinen Körper. Mir ist immer noch kalt. Ich sehe einen Mann in einem T-Shirt mit seinem Hund spazieren. Spinne ich? Der muss verrückt sein! Ich schaue mich um. Wo soll ich hin? Ich laufe geradeaus. Immer nur geradeaus. An mir ziehen Leute vorbei. Sie kennen mich nicht und ich sie nicht. Mir wird immer kälter. Gänsehaut. Regnet es? Ich schüttele kaum merklich den Kopf. Ich schaue gen Himmel. Ein wunderschönes Blau ist dort zu sehen. Keine einzige Wolke. Nur ein klarer blauer Himmel. Die Sonne strahlt so schön wie schon lange nicht mehr. Nass. Ich sehe mich um. Keiner achtet auf mich. Ein Mann schielt kurz zu mir herüber. Ich ignoriere seinen Mitleidigen Blick. Ich gehe weiter. Immer geradeaus. Nur geradeaus. Ich laufe immer den Weg entlang. Ich kenne den Weg. Ich laufe schneller. Ich wische über mein Gesicht. Nicht jetzt. Nicht hier. Vor einer kleinen Parkbank bleibe ich stehen. Das ist sie! Ich lächele schwach, als ich die eingeritzte Zeichnung in dem vermoderten Holz sehe. Früher waren wir oft hier. Ich schaue mich um. Keiner beachtet die Bank. Keiner interessiert sich für sie. Ich seufze. Ich lasse mich auf die Bank fallen. Ich wische über mein Gesicht. >>Geht weg und lasst mich in Ruhe!<<, sage ich. Aber sie kommen stets zurück. Schon oft habe ich sie verbannt. Aber sie hören nicht auf mich. Sie bleiben immer bei mir, obwohl ich sie nicht brauche und nicht will. Ich ziehe meine Beine an und umschlinge sie. Ich lege den Kopf auf meine Knie. Ich schließe die Augen. Ich will zurück. Ich atme tief ein und wische mir erneut über das Gesicht. Es geht einfach nicht. Ich kann nicht mehr zurück. Ich habe keine andere Wahl. >>Was ist los?<< Ich schaue auf. Vor mir steht er. "Was soll ich tun?", frage ich mich und beiße mir auf die Unterlippe. Er hält mir seine Hand hin. Ich schaue ihn irritiert an. Warum macht er das? Als ob er ahnt, was ich denke, grinst er und sagt: >>Lächeln steht dir besser.<<

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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