Donata Frank

Kommt gar nicht in Frage! Vergiss es ganz schnell!

Das kleine Dorf lag auf einer riesigen Wiese, von der man meilenweit sehen kann. Aus der Himmelsperspektive betrachtend, sah es wie ein farbenprächtiges Auge auf einem grünen Gesicht aus. Über dem Auge erstreckte sich ein dichter Laubwald.
An den verlängerten Dorfstraßen, hangen die Anwesen und Felder der einheimischen Bauern, Landwirte, und die der Städtler, die sie als Ferienhaus oder Ernährungsquelle nutzten.
Im Haus mit der Nummer 229 wohnte SIE mit ihren Eltern. Das Haus steht auf einem Sockel aus urigem Gebirgsgestein. Seine ziegelrote Fassade bildete einen gewöhnungsbedürftigen Kontrast zum Sockel. Die Fensterläden hatten die Farbe fauler Kirschen.
ER wohnte mit seiner Mutter auf der anderen Straßenseite, in einem Haus dessen Fassade unschuldig, weiss getüncht ist und dessen Fensterläden wie blaue Augen in einem blassen Gesicht strahlten. ER war fast drei Jahre älter als SIE, aber es störte sie nicht. Ihn auch nicht.

Als Kinder liefen sie stundenlag über die Felder, spielten auf der riesigen Wiese Fangen. Im vom Morgentau getränkten Gras liefen sie barfuss und teilten miteinander ihre Süssigkeiten. Bissen für Bissen. Sie waren für Abenteuer zu haben, was ihnen auch immer viel Ärger einbrachte. Der Schalk sprühte aus ihren Augen und sie waren jederzeit zu neuen Schandtaten aufgelegt.
Sie konnten stundenlang schweigen und stundenlang ununterbrochen reden und lachen.
Sie waren unzertrennlich wie siamesische Zwillinge in einem kleinen Dorf, wo jeder jeden kannte. Stellten sie etwas an, wussten es ihre Eltern lange bevor sie zu Hause eintrudelten. Sie ließen das Donnerwetter brav über uns ergehen.

 
***
"Du sollst sollst nicht mit dem spielen. ER ist kein guter Umgang für dich!" mahnte eines Tages ihre Mutter.
"Und wieso denn nicht?" fragte SIE erstaunt.
"Er ist ein Bankert, deswegen, " war die knappe Antwort ihrer Mutter.
"Und was heisst denn Bankert?" ließ SIE nicht locker.
"Seine Mutter hat ihn irgendwo aufgelesen," sagte ihre Mutter sichtlich genervt. "Ich will dich mit dem nicht mehr zusammen sehen. Die Leute zerreissen sich schon den Mund über euch. Haben wir uns verstanden?" Ihre Stimme überschlug sich. Immer wenn sie wütend war überschlug sich ihre Stimme. Für SIE war es ein Zeichen, dass sie sich lieber verziehen sollte.
Doch trotzig sagte SIE: "ich habe es gehört, du schreist ja schon, " und rannte in den Garten.
Immer wieder gab es ein Donnerwetter, wenn man sie zusammen sah.

 
***
ER wusste wieso er von den anderen Kindern gemieden wurde. Er war ein uneheliches Kind. Seine Mutter verriet ihm nicht, wer sein Vater war. Einer aus der Stadt, hieß es. Er litt darunter und kompensierte es damit, dass er in der Schule einer von den Besten war.
Um dem Gerede aus dem Weg zu gehen trafen sie sich nur noch heimlich.
***
Eines Tages sahen sie sich mit anderen Augen. Sie waren beide erwachsen, waren mitten im Studium und standen mit beiden Beinen mitten im Leben. ER war um zwei Kopflängen größer als SIE, hatte dunkelbraune Locken. Seine Haut war eher hell und seine Augen hatten die Farbe einer See nach dem Unwetter. Grau-blau und ernst.
Seine Stimme war weich und er brachte sie immer zum Lachen.
Ihre dunklen lange Haare die wuschelig in alle Richtungen abstanden und  ebenso ihre dunklen Augen funkelten unruhig wenn sie traurig oder wütend war. Er konnte sie stundenlang damit necken.
Ihre Liebe begann.
Bunt, berauschend, heftig und zärtlich zugleich.
Sie waren glücklich, denn die Welt blieb draußen vor der Haustür.
SIE schlich sich verstohlen in sein Haus. Sie liebten sich oft nächtelang. Sie lebten eine perfekt aufeinander abgestimmte Symbiose.
So vergingen wieder zwei Jahre und sie waren immer noch unzertrennlich, obwohl sie wegen dem Studium länger getrennt waren, als ihnen lieb war. Wenn sie sich trafen, stürzten sie sich leidenschaftlich wie hungrige junge Wölfe aufeineander. Die Welt schien still zu stehen.
 
***
Eines Tages veränderte sich alles.
"Ich glaube ich bin schwanger", sagte sie erschrocken.
"Danach wollte ich dich gerade fragen," sagte er ruhig.
Gemeinsam fuhren sie in die Stadt zu einem Gynäkologen, der die Schwangerschaft bestätigte.
 
ER überglücklich, SIE nachdenklich.
"Na, endlich," sagte seine Mutter leise. "Als ich schwanger war, wünschte ich mir ein Mädchen, doch da kam ER. Ich war glücklich, denn Buben haben es immer leichter," fügte sie nachdenklich hinzu. SIE wurde angenommen. Als Mensch, als Freundin und als Tochter.
 
***
"Ich muss euch was sagen," und ein ängstlicher Unterton lag in ihrer Stimme. Sie atmete ein und sagte dann ertwas lauter. "Ich bekomme ein Kind."
Ihre Eltern sahen einander an, sahen Sie an. "Mit so etwas macht man keine Scherze!" sagte ihre Mutter.
"Von wem denn? Hast du überhaupt einen Freund?" scherzte ihr Vater.
"Ich habe schon lange einen Freund, nur für euch zählt nur, dass ich beruflich Erfolg habe, damit ihr auf mich stolz sein könnt", klagte ich an.
"Sei nicht unverschämt, so habe ich dich nicht erzogen!" schrie ihr Vater. "So nun raus mit der Sprache und Farbe bekennen! Bist du nun trächtig oder nicht? Und wer zum Teufel noch mal ist der Schuft, der dich schwängerte?"
Ihre Mutter wurde blass im Gesicht.
"ER", sagte SIE. "Wir sind schon seit immer ein Paar." sagte SIE und alle Angst schien zu weichen.
"ER! Sag es ist nicht wahr! ER, dieser Bankert!" schrie ihr Vater. "Kein Wunder, bei so einer Schlampe von Mutter!"
SIE stand da, sah fragend von einem zum anderen. Unfähig nur ein einziges Wort zu sagen. ER hat es verdient verteitigt zu werden. Sie aber stand reglos da, als wäre alles Leben aus ihr gewichen.
 
"Du musst an dein Studium denken, an dich denken," weinte ihre Mutter. "Es ist eine Schande! Was tust du uns nur an? Der wird dich nicht heiraten, weil er so etwas wie Verantwortung gar nicht kennt."
 
"Kommt gar nicht in Frage! Vergiss es ganz schnell!" schrie ihr Vater.
Du sollst dieses Bankert abtreiben! Ich sorge dafür!"
 
Noch in jener Nacht packte Sie eine große Reisetasche mit einigen ihrer Habseeligkeiten. Leise zog sie die Tür hinter sich zu.
 
***
Eines Morgens als SIE unter der Dusche stand, sah sie ein rotes feines Rinnsal. Als sie aufwachte lag sie in einem blütenweissen Bett. Er hielt ihre Hand und beide weinten.
Ihr Körper hat sich unbewusst entschieden. Gegen das Geschenk der Liebe.
 
©zeitlos
 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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