Norbert Hilgers

Lavendelduft

Eigentlich verschwendete Radeck keinen Gedanken mehr an einen durchgeführten Auftrag. Aber bei diesem Job stimmte etwas nicht.
Eben erst war er zurück in die eigenen vier Wände zu kommen. Der schwache Duft ihres französischen Lavendelparfüms schwebte noch in der Luft. Er hatte Marthas Namen gerufen aber sein Ruf war unbeantwortet in der winzigen Wohnung verhallt. Enttäuscht über ihre Abwesenheit hatte er die Küche betreten. Am Kühlschrank hing einen gelben Zettel, auf dem sie in ihrer eigenwilligen Handschrift ein paar Zeilen geschrieben hatte: „Hallo Liebling, ich habe einen kurzfristigen Termin wegen einer neuen Wohnung, nachher gehe ich noch was Einkaufen und bin erst im Laufe des Abends wieder zurück. Ich liebe Dich, Martha.“
Radeck sah auf die Uhr. "Siebzehn dreißig“. Martha konnte jeden Moment auftauchen, oder auch erst in ein bis zwei Stunden. „Verdammt“, murmelte er ärgerlich, setzte sich an den Esstisch, zog eine Zigarette aus einem versilberten Etui und steckte sie zwischen die Lippen.
Nachdenklich sog er den Rauch tief in seine Lungen und ließ den Nachmittag an seinem inneren Auge vorbeiziehen.
Vor nicht mehr als drei Stunden hatte Radeck eine ihm völlig unbekannte Frau getötet. Es war ihm gleichgültig welches Geschlecht sein Opfer besaß. Skrupel waren ihm fremd. Diese Mimositäten gehörten den Amateuren seiner Zunft. „Fühlt eine Waffe sich schuldig?“
Schuld luden diejenigen auf die ihn beauftragten.
Das, was die tödliche Harmonie aus dem Lot brachte war, dass er glaubte zum zweiten Mal die Frau, desselben Mannes erschossen zu haben. Radeck hatte sich nie für die Hintergründe seiner Aufträge interessiert. Alle Einzelheiten waren ihm seinerzeit, anonym übermittelt worden. Lediglich das, was am Tag nach dem Mord in den Zeitungen zu lesen stand, war ihm im Gedächtnis geblieben. Die Frau sollte als Zeugin in einem Geldwäscheprozess auftreten, bei dem es um lange Haftstrafen gegangen war. Einige Fotos waren veröffentlicht worden, die sie zusammen mit ihrem Mann zeigten. Und je länger er darüber nachdachte umso sicherer wurde er. Diesem Mann war er heute nachmittag begegnet.

Erst am Morgen hatte Radeck Näheres über den neuen Auftrag erfahren. Neben dem genauen Zeitpunkt, dem Ort und seiner Bezahlung, lag dem unbeschrifteten Briefumschlag ein Foto bei. Auf diesem war ein einzelner, in einer engen Nische befindlicher Tisch zu erkennen. Zwei Stühle standen in rechtem Winkel zueinander, von dem der eine mit einem Kreuz markiert war und die Worte „türkisfarbenes Kopftuch“ in Druckbuchstaben darunter standen. Als Adresse war ein muslimisches Teehaus auf dem Gelände einer Moschee angegeben. Radeck traf zum angegebenen Zeitpunkt ein, und nahm das Areal in Augenschein. Auf einer die Moschee umrundenden Mauer, waren dicht an dicht Blumenkübel mit kleinwüchsigen Zitronen und Apfelsinenbäumchen gepflanzt worden, die einen erstklassigen Sichtschutz bildeten. Aber lediglich eine einzige Stelle von nicht mehr als einem Meter Breite ließ den Blick auf den Tisch zu. Das Teehaus war nur von wenigen Gästen besucht. Vielleicht zehn Personen, zumeist Männer, saßen an zierlichen Tischen unterhielten sich, oder vertrieben ihre Zeit mit Kartenspielen. Befriedigt registrierte Radeck, dass wie voraus gesagt, zwei Personen an dem beschriebenen Tisch saßen. Die Entfernung betrug etwa fünfzig Meter. Alles verlief wie geplant. Das Gewehr aus der mitgebrachten Sporttasche ziehen, das Zielfernrohr auf den geschwärzten Lauf schrauben, dass Opfer anvisieren. Von der Frau war fast nichts zu erkennen. Sie saß mit dem Rücken zu ihm und trug, wie in dem Brief angekündigt, ein türkisfarbenes Kopftuch. Ihr gegenüber saß ein etwa fünfzig Jahre alter Mann. Radeck stutzte. Hatte er diesen Mann nicht schon einmal gesehen?. Das Haar wies lichte Stellen auf, und unter seinen Augen befanden sich schwere bläuliche Tränensäcke. Aber an die Mundpartie mit dem markant vorspringenden Kinn, meinte er sich erinnern zu können. Er überlegte einen verschwindenden Moment lang den Auftrag nicht auszuführen. Aber DAS wäre das erste Mal in seiner Laufbahn als Profi gewesen und er hatte einen makellosen Ruf zu verteidigen.
Radeck vertrieb seine Gedanken. Das Geschäft musste schnell, präzise und völlig emotionslos durchgeführt werden. Jede Sekunde, die er länger blieb, erhöhte das Risiko gesehen und wiedererkannt zu werden. Das Fadenkreuz richtete sich auf den Rücken der Frau. Als es die Herzgegend erreichte, gab der mit einem Schalldämpfer ausgerüstete Lauf lediglich ein hustenähnliches Geräusch von sich. Alles verlief drehbuchartig. Einen Moment lang erstarrte die Frau. Dann, ohne einen Laut von sich zu geben, kippte ihr Oberkörper vornüber auf die Tischplatte. Radeck hatte das Gewehr sofort zurück in die Tasche gepackt und sich seelenruhig den Menschen angeschlossen, die an diesem Freitagabend das gute Wetter zu einem Einkaufsbummel nutzten. Seinen Wagen hatte er einige Strassen weiter geparkt. Später war er zum Hudson River gefahren, hatte seine Kleidung gewechselt und zusammen mit der Waffe in weitem Bogen in den träge dahin fließenden Strom geworfen. Auf der Fahrt nach Hause war ihm dann eingefallen, woher ihm der Mann bekannt vor kam.

Das Klingeln an der Haustür ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. „Martha, Martha“, dachte er leicht amüsiert. „Wirst du es nie lernen, deinen Haustürschlüssel mitzunehmen?“.
Mit dem angenehmen Gedanken Martha in die Arme schließen zu können, öffnete er die Haustür. „Phil Radeck?“. Das die zwei Männer vor der Haustür keine Sammlung für karikative Zwecke unterstützten, war ihm klar, bevor sein Name über die Lippen des Größeren kam. Radeck konnte es beinahe körperlich spüren, wie die dünne Eisdecke seiner trügerischen Sicherheit erste Risse zeigte.
„Was wollen sie?“, fragte er und hoffte das die Beiden nicht das seichte Beben in seiner Stimme wahrnahmen. „Das hier ist Sergeant Farmer“, begann der Größere und zeigte auf einen untersetzten Mittevierziger, dessen fettige Haare dringend einer Wäsche bedurft hätten. Mein Name ist Hofer, wir ermitteln wegen eines Mordes, der heute gegen fünfzehn Uhr unweit der Mossala Moschee verübt wurde“. Fast beiläufig zog er eine Dienstmarke aus der Jackentasche und betrat ohne eine Aufforderung abzuwarten den winzigen Korridor der Wohnung. „Gibt es in ihrer Wohnung einen Ort an dem wir in Ruhe über ein paar wichtige Dinge reden können?“, fragte Hofer. Radeck nickte, ging vor in die Küche und zeigte auf zwei Stühle am Esstisch. Sein Hirn arbeitet auf Hochtouren. Wo war die Verbindung zu ihm, und warum in dieser kurzen Zeit.
„Ein Mord in einer Moschee?“, wiederholte er nachdenklich und versuchte ein möglichst betroffenes Gesicht aufzusetzen.
Hofer setzte sich und Radeck beobachtete wie er sich abschätzend in der Küche umsah. Im Gegensatz zu seinem Kollegen wirkte er wie frisch geduscht. Kurze braune Haare, ein exakt getrimmter Oberlippenbart, weißes gestärktes Hemd. „Ich würde es nicht als irgendeinen X- beliebigen Mord aus Eifersucht oder Geldgier bezeichnen, es schien mir eher nach einer Hinrichtung auszusehen. Daß Opfer, übrigens eine Frau, wurde aus einiger Entfernung erschossen. Ein einziger Schuss hat gereicht, genau ins Herz. Für mich sieht das eher nach einer Auftragsarbeit aus“. Einen Augenblick herrschte Schweigen. „Was haben sie den am heutigen Nachmittag, so gegen fünfzehn Uhr getrieben Radeck?“, ergriff Farmer das Wort.
Der anzügliche Unterton in Farmers Stimme wurmte ihn. „Ich wüsste zwar nicht was Sie das angeht, aber ich habe zu dieser Zeit einen kleinen Einkaufsbummel durch die Stadt getätigt. Meine Frau hat nächste Woche Geburtstag und ich hatte nach einer Kleinigkeit gesucht. Und das ist nach meiner Rechtskenntnis nicht verboten“.
„Ich Bitte sie Radeck, wir sind doch keine Unmenschen. Aber sie werden doch sicher Jemanden begegnet sein den sie kennen, so daß er ihre Aussage bestätigen kann. Oder haben eine Quittung für ein hübsches Geburtstagsgeschenk bekommen?“, bohrte Farmer süßlich weiter. Radeck schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich erinnere mich nicht daran einen Bekannten gesehen zu haben, und ich habe auch nichts Passendes gefunden. Aber vielleicht erklären sie mir langsam, was ausgerechnet ich mit dieser ganzen Geschichte zu tun habe?“.
„Ich denke eine ganze Menge“, ergriff Hofer das Wort. Am Esstisch öffnete er eine mitgebrachte Aktentasche, entnahm ihr einen Umschlag und legte ihn vor sich auf den Tisch.
„Und“, fragte Radeck, „wird die Post mittlerweile durch die Polizei persönlich vorbeigebracht“. Keiner der Beamten zeigte sich nur im Geringsten beeindruckt. „Dieser Umschlag Mr. Radeck, wurde vor ca. zwei Stunden im Präsidium abgegeben“. Radeck zuckte mit den Schultern, worauf Hofer ihn öffnete, ein gedrucktes Photo entnahm und es ihm vorlegte. Radeck erstarrt. Eindeutig war der Lauf eines Gewehres zu erkennen, dessen Ende zwischen zwei Zitronenbäumchen hervorlugte. „Und?“. Er sah von einem Beamten zum anderen. Ein zweites Photo wurde aus dem Umschlag gezogen und auf diesem war eindeutig sein Gesicht zu erkennen. „Was soll das?“, fragte er ärgerlich. „Ein mir ähnlich sehender Mann hat eine Frau erschossen, aber warum kommen sie ausgerechnet zu mir?“. „Deswegen“, der Beamte drehte das Photo herum. Auf der Rückseite stand sein Name in großen Lettern. Und über ihm mit blutroten Lettern „Mörder“. Alle Farbe lief aus Radecks Gesicht. Weitere Photos wurden vor ihm ausgebreitet, auf denen seine Flucht eingehend dokumentiert wurde. Wie er den Tatort verließ, wie er einige Straßen weiter in seinen Ford stieg, und wie er das Gewehr in den Hudson warf
Plötzlich war für Radeck alles klar. Er war in eine Falle getappt. Der Mann dessen Frau er vor sechs Jahren erschossen hatte, war in der Lage gewesen ihn aufzuspüren und durch einen fingierten Auftrag zu vernichten. Er war sicher, dass er auf dem Gelände eine Kamera postiert, alles fotografiert hatte und ihm mit einem Wagen gefolgt war. Sein Hass auf ihn war so groß gewesen, dass er sogar die Kaltblütigkeit besessen hatte eine unschuldige Person zu opfern um sich an ihm zu rächen.
„Eine Frage noch“, erkundigte sich Farmer und zog ein türkisfarbenes Stück Stoff aus der Aktentasche. „Dieses Kopftuch steckte zusätzlich in dem Umschlag mit der Anweisung es Ihnen auszuhändigen“. Radeck erkannte es sofort, zuckte aber nur mit den Schultern und sah Farmer fragend an. Der Beamte räusperte sich kurz. „Es gibt nur wenig westliche Frauen, die eine muslimische Teestube besuchen und sie wissen oft nicht, dass auch hier Kopftuchpflicht besteht. Für sie werden diese türkisen Tücher bereitgehalten“. Hofer sah Radeck nachdrücklich in die Augen. „Wir werden sicherlich herausbekommen wer die unbekannte Tote war, aber wollen sie uns nicht weitere Mühe ersparen und uns sagen, wer die Frau war, die sie erschossen haben?“.

Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. Sie würden keinen Ton mehr aus ihm herausbringen. Resigniert faltete Farmer das Tuch zusammen und war gerade im Begriff es zurück in den Umschlag zu stecken, als Radeck der intensive Duft von französischem Lavendel in die Nase stieg.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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