Avelina Riru

Welt der Bücher

Welt der Bücher
 
Wie jeden Tag arbeitete ich im Akkord sämtliche Unterlagen und Papiere durch. Man sollte meinen, der Stapel würde kleiner werden, aber im Gegenteil. Er wächst stündlich. Jeden Tag kommt neue Arbeit hinzu, ehe die alte erledigt ist. Heutzutage investiert jeder Amateur in Aktien, was mir und meinen Kollegen unsere Arbeit als Aktienvertreter nicht gerade erleichtert.
Um es kurz zu machen: Ich hasse meinen Job. Und nicht nur ich. Das ganze führt soweit, dass die Atmosphäre hier das Letzte ist, überall nur schlechte Laune und frustrierte Menschen. Das ist sogar noch schlimmer geworden, seit eine Kollegin ihr eigenes Buch geschrieben hat. Sie zeigte es irgendwann einem Verleger und heute kann man ihre Autobiographie bei jedem Buchhändler kaufen.

Ich wäre auch gern Autor. Mich faszinieren Bücher, das taten sie schon immer. Das Spielen mit den Worten, das Jonglieren mit Sätzen und Bedeutungen, die Feinheiten, die man in die geschriebene Sprache bringen kann, um das auszudrücken, was man sagen möchte, ohne es zu sagen...
Aus diesem Grunde verbringe ich einen Großteil meiner Freizeit in der Bibliothek. Die Ruhe dort ist ideal um ungestört zu arbeiten. In den Unendlichkeiten der Geschichten und der Welt der Bücher kann ich versinken, mich dort verstecken, wenn mir alles zu viel wird. Ich kann vergessen und abschalten.
Bisher haben das erst wenige verstanden. Erst recht heute, im Zeitalter der Technik. Viele Menschen kennen Bücher nur noch in digitalisierter Form auf dem Computer, haben vergessen, was es bedeutet, sich mit einem guten Buch zurückzuziehen, die Ruhe zu genießen und sich einfach treiben lassen.

Wie ein Pilot in seinem Cockpit schauen sie nur stur gerade aus, gefesselt von der leuchtenden Anziehungskraft des Bildschirmes, alles mit nur einem Klick erreichbar, von der Pizza über den Urlaub bis hin zu Doping scheint alles möglich und erreichbar in dieser virtuellen Welt der Zahlen und Daten.
Wie viele denken bei Büchern an langweilige Schullektüren und bei Lessing an den Nachbarshund, wer verbindet nicht alles ein Dossier mit etwas zu Essen oder ein Essay mit einem französischen Wein? Wie viele Menschen haben bei dem Begriff Seite das Bild ihrer Lieblingshomepage im Kopf?
Der Fairness halber muss ich sagen, dass auch ich den Computer für mein tägliches Leben nutze. Doch kenne ich die Differenzierung zwischen Papier und Bildschirm und sehe letzteres nicht als Papier in modernisierter Form an, wie es scheinbar viele andere tun.

Ich gewinne natürlich auch eben dieser Technik eine Menge Vorteile ab, dass wir uns da nicht falsch verstehen, dennoch ist mir der Gang zum Bücherregal lieber als der Klick auf die entsprechende Seite (ganz Recht, die Homepageseite in diesem Fall). Und ich habe in den Weiten des Internets, mit denen keine Bibliothek konkurrieren kann, auch Gleichgesinnte gefunden, mit denen ich mich über die Literatur austauschen kann. Leider ist mein liebster Gesprächspartner in Sachen Büchern seit einiger Zeit wie vom Erdboden verschluckt und ich ärgere mich sehr, dass ich mir seine Adresse oder Nummer nicht eher habe geben lassen.
Ironie des Schicksals, begegnete ich kurze Zeit später einem Mann in der Bibliothek, dessen Augen aufleuchteten , wenn er ein gutes Buch fand und der mit ehrlichem Interesse die Seiten (Papier, werte Leser) durchblätterte. Kein teilnahmsloses Studieren, kein lustloses Vor-sich-hin-lernen , nein, auch er scheint freiwillig hier zu sein. Einer der wenigen, die noch übrig sind. Einer wie ich?

Ich ertappe mich dabei, wie meine Gedanken immer wieder zu ihm hin wandern, während ich meinen langweiligen Job ausübe. Wie die Vorfreude auf meinen nächsten Besuch in meinem Lieblingsgebäude eine kleine Explosion der Freude in mir auslöst, die mich meinen Arbeitstag überstehen lassen.
Wieso ich mir keine anderen Stelle suche? Oh werter Leser, wäre das doch so leicht!

Mein neuester Kunde, den ich beraten muss, erzählt mir etwas von einem großen Export und dass er unbedingt Aktien kaufen will. Einer mehr, der auf der Suche nach dem schnellen Geld in die Ahnungslosigkeit tappt. Immerhin gibt es Leute wie mich, die ihm dann helfen müssen.

Irgendwann rempelte ich den unbekannten Leser versehentlich an, als ich mich gerade in den ersten Seiten eines neuen Buches verlor. Ich murmelte eine Entschuldigung, die er gleichzeitig auch aussprach, da auch er von einer Geschichte gefesselt regungslos mitten im Gang verharrt hatte. Ich sah auf - und erstarrte beinahe unter seinem Blick. Heute weiß ich nicht mehr, was ich gesehen habe. Aber irgendetwas muss es gewesen sein, dass ich es einfach nicht vergessen kann. Eine Wärme und einen Glanz, den ich zuvor noch nie gesehen habe. In der Tristesse und der Kälte dieser Welt einen zu finden, der aufrichtige, unvoreingenommene und ehrliche Freude ausstrahlt, Wärme, die nichts mit gespielter Nettigkeit zu tun hat. Leben. Leben, in der Welt der Technik. Der Langeweile. Der Starre.

Ich wollte dieses Gefühl nicht einfach verstreichen lassen. Ich wollte etwas daraus machen. Und so begann ich zu schreiben, wie ich es immer tue, wenn etwas passiert. Meiner Ungeschicklichkeit zum Dank, ließ ich mein Skript auf meinem Stammplatz liegen. Wo? Natürlich dort! In der Bibliothek. Als ich es bemerkte, lief ich zurück, doch es war verschwunden. Hätte ich es bloß auf meinem Computer getippt, doch es war handschriftlich. Und nun womöglich für immer verloren, vielleicht an jemanden, dem Papier nicht mehr bedeutet als eine überflüssige, veraltetet Datei.
Am nächsten Tag streife ich durch die langen Regale, als ich einen Schatten vorbeihuschen sehe. Und aus mir unerklärlichen Gründen beginnt mein Herz laut zu klopfen. Nicht etwa aus Furcht, nein, hier fürchte ich mich nicht, hier bin ich sicher. Ich drehe mich um, doch da ist niemand. Als ich mich wieder dem Regal zuwende, erblicke ich ein Buch. Es muss alt sein und auf seinem Einband ist in silbernen Lettern etwas geschrieben. "Die Magie der Bücher" Ich nehme das schwere Buch heraus und beginne die erste Seite zu lesen. Ich fasse es nicht, als ich sehe, wie es geschrieben ist - handschriftlich! (Ja, mit einem echten Stift! Das ist das, womit CDs beschrieben werden... ).
"Ist es nicht erstaunlich, wie wenige Menschen um die Magie der Bücher wissen?" lese ich, und ich weiß, dass ich es mitnehmen werde. Von der Bibliothekarin erfahre ich, dass dieses Buch nicht von hier ist. Jemand muss es vergessen haben.

Ich nehme mir vor, es trotzdem zu lesen. Aber hier, so kann der, dem es gehört, es jederzeit finden. Und ich lese lange und viel, und bin völlig im Bann dieses unglaublichen Buches, dieser zauberhaften Worte, der Magie des geschriebenen Wortes. Am Ende angelangt, verspricht der mysteriöse Autor mit der engen Handschrift ein Beispiel, einen Beweis, dass es durchaus noch Menschen gibt, die daran glauben. Dieser Beweis liegt vor in Form einiger langer, kopierter Textzitate, ebenfalls handschriftlich, doch es ist eine andere Schrift, es ist... meine!
"Wunderschön", sagt eine sanfte Stimme, während mein Skript vor mich auf den Tisch fällt, dazu eine Visitenkarte eines Verlegers. "Ich werde es veröffentlichen, wenn es beendet wurde." Ich wage nicht, aufzusehen, wissend, was ich sehen werde. "Ich wusste, dass ich deine Werke veröffentlichen muss, schon seit unserem ersten Gespräch." Und doch hebe ich meinen Blick, nur um abermals zu erstarren - "Ich begab mich auf die Suche nach dir und dachte mir schon bald, dass nur du es sein kannst, die du so fasziniert in die Welt der Bücher eintauchen kannst. Aber ich musste sicher gehen, das Buch war die letzte Probe. Nur du würdest es so lesen, nur du wüsstest es zu schätzen, das wusste ich. Wusste es, seit wir das erste Mal aufeinander trafen." ein Lächeln, ein Zwinkern, "Bewahre meine Karte gut auf, falls das Internet mal streikt." Es war unnötig, sein letzter Satz, und auch dass er sich mir nun vorstellt. Längst habe ich ihn doch schon erkannt. Ihn, den ich in der ach so modernen,
hoch entwickelten Welt der virtuellen Realität verlor, und den ich in der verstaubten, veralteten Welt der Geschichten wieder finde.
Oder ist diese meine Welt am Ende gar nicht mal so überflüssig, wie viele glauben? Ist sie vielleicht sogar einer der größten und wertvollsten Schätze, die die Menschheit besitzt?
 

In Anlehnung zu einigen Brieffreundschaften, die in e-mail Freundschaften umschlugen und sich zum Großteil verloren haben. Und weil es einfach sehr viel weniger Menschen gibt, die einen handschriftlichen Gruß zu schätzen wissen... Dabei ist ein Brief so viel schöner als eine Rechnung ;-)Avelina Riru, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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