Avelina Riru

Die Suche nach der Wahrheit

Die Suche nach der Wahrheit

Es lebten einst alle Tiere friedlich miteinander in einem großen Wald. Nur eines der Tiere wurde stets ausgeschlossen, missachtet und nicht gern gesehen – die Schlange. Sie trieb immerzu ihre Streiche mit den anderen Tieren und amüsierte sich auf Kosten anderer, indem sie Lügen und böse Gerüchte verbreitete.
Sie gelobte immer und immer wieder Besserung, doch kaum hatte sie sich das Vertrauen erschlichen, nutzte sie es aus, um zu lügen und zu betrügen.
Nachdem sie den Fuchs einmal fast in die Falle eines Jägers hatte laufen lassen, beriefen alle Tiere eine Versammlung ein.
Nachdem sie sich geeinigt hatten, holten sie die Schlange dazu.

„Schlange,“ sagte die weise Eule, „deine Späße hätten den Fuchs fast das Leben gekostet. Was du tust, ist nicht mehr komisch, es verletzt uns und du tust uns und anderen damit sehr weh.“
„Bisher ist niemandem etwas passiert!“, protestierte die Schlange.
„Das ist so nicht richtig,“ antwortete die Eule, „es mag sein, dass es uns nicht körperlich geschadet hat, aber die Seele ist viel kostbarer und viel zerbrechlicher als alles andere und Lügen schaden ihr. Deiner eigenen Seele sogar noch viel mehr. Du wirst kalt und hartherzig, wenn du so weitermachst. Wir wollen nicht, dass jemandem ein Leid geschieht, deshalb musst du fortgehen.
Geh und such nach der Wahrheit, lerne von ihr und dann komme zurück und wir werden sehen, ob du dich geändert hast!“

Die Worte der Eule trafen die Schlange. „Aber wie finde ich die Wahrheit?“ fragte sie.

„Sie wird dich finden“, sprach dann der Fuchs. „Du wirst sie nicht übersehen, sie ist eine wunderschöne große, weiße Gestalt mit Flügeln aus Licht und ihr Haus schwebt auf einer weißen Wolke, weil nichts so rein ist wie die Wahrheit.“

Und so machte sich die Schlange auf den Weg, die Wahrheit zu finden. Sie suchte Tag ein, Tag aus, durchstreifte Wälder und Wüsten, schwamm über Meere und Seen, kletterte auf die höchsten Berge, um eine Wolke zu finden. Sie suchte Tage, Wochen, Monate ohne Erfolg, sie suchte so lange, dass sie sich schon nicht mehr an die Beschreibung des Fuchses erinnern konnte.
Eines Tages, als sie vor Erschöpfung nicht mehr weiter konnte, ließ sie sich im Innern eines riesigen, ausgehöhlten knorrigen Baumes nieder, rollte sich zusammen und schlief ein.
Sie wurde geweckt von einem scharrenden Geräusch und als sie sich umsah, entdeckte sie eine kleine, gebeugte Gestalt im hinteren Ende der Baumhöhle.
Als sie näher kam, sah die Schlange, dass diese Gestalt eine zottelige alte Zwergin war. Sie hatte lange, verfilzte, graue Haare, knotige, kleine Hände und sie trug schmutzige, abgewetzte Kleidung. Sie musste viele hundert Jahre alt sein.
Und mit einem Mal wusste die Schlange, dass sie die Wahrheit gefunden hatte.

Sie blieb lange bei ihr und hörte aufmerksam zu, wenn die Wahrheit ihr eine Lehre erteilte oder ihr eine neue Lektion beibrachte.
Nach langer Zeit verspürte die Schlange Sehnsucht nach den anderen Tieren. Sie wollte ihnen zeigen, wie ehrlich sie nun wahr, konnte es kaum erwarten, sich bei allen zu entschuldigen und fortan aufrichtig zu sein, keine Lügen mehr zu erzählen.
So verabschiedete sich die Schlange dankend von der Wahrheit und wandte sich zum Gehen.
 
„Eines noch,“ rief ihr die Wahrheit hinterher und die Schlange sah sie an, begierig, die letzte Lehre, das letzte Geheimnis der Wahrheit zu erfahren, „wenn du den anderen Tieren von mir berichtest, so sage ihnen, ich sei eine wunderschöne Elfe und wohne in einem Himmelsschloss!“
 

Weil es sich mit der Lüge manchmal besser lebt und man die Wahrheit manchmal gar nicht wissen möchte... Avelina Riru, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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