Franz Gilg

Die Puppe

Ein kleiner Kobold baumelt vom Innenrückspiegel, ein Plüschmaskottchen. Herr B. drückt das Gaspedal durch und starrt mit schweißnassem Gesicht auf die ihm entgegenstürzende Straße. Zwei Autos sind ihm seitdem begegnet, doch man wird sich bestimmt nicht sein Kennzeichen gemerkt haben - hofft er.

Die Puppe, groß wie ein Kinderfäustling, schaukelt bedächtig hin und her. Herr B. zieht zum wiederholten Mal ein Tuch aus der Hemdtasche und wischt sich damit über die Stirn. Geräuschlos öffnen sich nach einem Knopfdruck die Fenster. Auch die Lüftung bläst frischen Wind ins Wageninnere. So bekommt Herr B. langsam wieder klaren Kopf.

Die Straße glüht fast im mittäglichen Sonnenlicht. Ein unwirkliches Flimmern wirft sie in Falten. Bäume entlang der Böschung spenden nur gelegentlichen Schatten.

B. angelt nach einer Zigarette, findet das Feuerzeug nicht. ``Auch das noch!´´ stöhnt er, läßt die Schachtel zu Boden fallen. ``Dann eben nicht.´´

Die Puppe pendelt hin und her, dreht sich dabei um die eigene Achse und beginnt zu vibrieren. ``Blödes Ding!´´ faucht Herr B, der den grinsenden Gnom nicht länger ertragen kann. ``Weg mit dir!´´ Rüde reißt er an der Gummischnur und verstellt dabei seinen Rückspiegel. Der Kobold landet auf dem Beifahrersitz.

``Au!´´

Herr B. zuckt kurz zusammen. Hatte da nicht eben einer ``Au´´ geschrien? ``Es müssen wohl meine überspannten Nerven gewesen sein´´, redet er sich ein, während sein Blick wieder nach vorne auf die Straße gerichtet ist.

``Behandelt man so seinen Glücksbringer?´´

Herr B. erschrickt abermals, verreißt kurz den Lenker und hat Mühe, die Spur zu halten.

``Wer spricht da?´´

``Na, wer wohl? Meinen Namen kann ich dir nicht nennen. Du hast mir schließlich nie einen gegeben.´´

B. wagt einen kurzen Blick nach rechts. Das Autoradio - ist es eingeschaltet? Kommen die Töne etwa von dort?

``Hat´s dir jetzt die Sprache verschlagen?´´

Die krächzende Stimme ertönt neben ihm am Beifahrersitz. Der Kobold liegt immer noch dort, wo ihn Herr B. hingeworfen hat, scheint aber seine Lippen zu bewegen.

``Auf ein Wort! Findest du das richtig?´´

``Bin ich verrückt? Puppen können nicht sprechen´´, ächzt Herr B. verwirrt.

``Offensichtlich doch. Also gib jetzt endlich Antwort auf meine Frage!´´ tönt es leise, aber bestimmt. B. zittert. Wieder lugt er über seine Schulter. Traum oder Wirklichkeit? ``Das Ding ist lebendig geworden´´, murmelt er.

``Als Glücksbringer hab ich versagt, aber ich wurde auch arg strapaziert von dir. Ich warte immer noch auf eine Antwort.´´

``Welche Antwort?´´

``Ob du das richtig findest.´´

``Was?´´

``Das vorhin.´´

In einer anderen Situation würde Herr B. jetzt über seine Nervenschwäche lachen. Er spricht mit einer leblosen Puppe aus Stoff. Seine Angst ist schuld daran, daß er das Ding nicht einfach aus dem Fenster wirft und dem Spuk damit ein schnelles, finanziell unerhebliches Ende bereitet.

``Ich bilde mir das alles nur ein.´´

Der Kobold beginnt zu kichern: ``Das andere vielleicht auch? Schau dir doch die Delle in der Kühlerhaube an! Kein schöner Anblick für ein neues Auto. Noch viel weniger schön aber ist das, was du zurückgelassen hast.´´

``Hör auf, hör endlich auf!´´ schreit Herr B. haltlos und kommt nach der nächsten Kurve fast ins Schleudern.

``Ruhig Blut! Du wirst mich nicht zum Schweigen bringen.´´

``Halt dich da raus!´´ Wieder wagt Herr B. einen kurzen Blick nach rechts. Die Puppe hat sich aufgerichtet und schaut ihn nun mit verschränkten Armen herausfordernd an.

``Der Junge lebt noch. Er könnte gerettet werden.´´

``Ein Auto wird schon anhalten.´´

``Welches? Ist dir aufgefallen, daß der Kleine mitsamt seinem Fahrrad über die Böschung gestoßen wurde, die zu allem Unglück noch mit hohem Gras bewachsen ist? Bis ihn dort jemand entdeckt, ist es zu spät. Er verblutet!´´

Herr B. greift erneut nach seinem Taschentuch.

``Der Kleine hat nicht aufgepaßt´´, versucht er sich herauszureden.

``Du auch nicht!´´

``Stimmt. Konsequenz wäre ein Führerscheinentzug. Was das bedeutet, dürfte dir klar sein. Aber die Chance ist groß, daß sie mich nicht ermitteln. Ich kenne einen guten Mechaniker, der...´´

``Ich nenne das Mord! Kehr sofort um!´´ faucht die Puppe und klingt nun bedeutend bedrohlicher. Herr B. steigt ins Gas. ``Nie und nimmer! Was bildest du dir ein, mir Vorschriften zu machen!´´ ``Man hat mich auch nicht gefragt, ob ich bei so einem Arschloch als Glücksbringer im Auto baumeln will. Kehr endlich um oder ruf zumindest den Krankenwagen!´´

Herr B. schweigt und ignoriert die gutgemeinten Forderungen des Gnoms.

``Na gut, ich kann dich auch zwingen!´´ droht der Kleine nun.

``Und ich dich an die frische Luft setzen´´, droht Herr B. seinerseits.

``Probier´s doch! Du wirst mich nicht fassen.´´

``Dann bleib, wo der Pfeffer wächst!´´

``Ich beiß dir in die Halsschlagader, kratz dir die Augen aus.´´

``Wie eine Fliege zerschlag ich dich.´´

``Also paß auf!´´ Und mit einem schnellen Satz landet er schon auf den Schultern von Herrn B. und kreischt: ``Mörder!´´ Sämtliche Versuche, den wendigen Kobold abzuschütteln, scheitern kläglich.

Jener klettert behend höher, krallt sich in den Haaren fest und reißt an den Augenlidern, die Herr B. verzweifelt zudrückt.

``Schau mich noch einmal an, bevor ich dir die Glotzer aushacke!´´ schreit der aufgebrachte Winzling wie eine Furie. Herr B. spürt, daß der Wagen die Straße verläßt. Er öffnet die Augen - doch nur für eine kurze, eine sehr kurze Zeit, denn ein mächtiger Baumstamm quetscht sich wie durch Schaum in seine Frontpartie.

Durch die Wucht des Aufpralls reißt der Gurt aus seiner Verankerung. Sein Kopf scheint sich vom Rumpf zu lösen, während er gegen den Rückspiegel knallt. Dort baumelt wieder das Maskottchen. Freundlich lächelnd mit der Aufschrift: ``Denk an die Lieben zu Hause.´´

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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