Martina Brandt

Greta (mags sauber)

 

Mit müden Händen richtet sie sein Grab. Viele Jahre schon zeigt hier kein Unkraut mehr Leben. Alles war fein säuberlich und man könnte meinen, dass sie mit einem Zentimetermaß gearbeitet hat. Der Grabstein sah aus wie geleckt, das hätte Karl im Leben viel lieber woanders genossen, aber darüber wurde natürlich nie gesprochen. Nun stand er in ihrer Nähe und schaute ihr zu. Greta konnte ihn nicht sehen, sie vermutete ihn zwei Meter tiefer. Da war er auch, seine leblose Hülle. Doch das wichtigste, sein Geist, schwebte hier frei umher und sah dann und wann nach dem rechten. Es schmerzte Karl zu sehen, wie sie sich mit seinem Grab abplagte. Ihr Rücken war tief gebeugt, während er sich gut wie nie fühlte. Ach Greta, wenn du wüsstest, wie nebensächlich das alles ist, was du hier tust - für mich tust. Du pflegst die Erde, die meinen toten Leib schon lange verschlungen hat. Sie ist eins mit ihm. Mir kommt es vor, als stocherst du mit deiner Harke immer noch in alten Wunden statt in der Erde. Lass doch alles was war, mit mir begraben sein, lass die Vergangenheit ruhen. Du kannst nichts rückgängig machen. Wir haben Fehler gemacht in unserer Ehe. Ich nannte dich oft prüde, denn du wolltest nur im Dunkeln lieben. Kein einziges Mal durfte ich Licht machen. Und nun liege ich, oder das was von mir übrig blieb, wieder im Dunkeln. Auf ewig.
Liebste Greta, wie gern hätte ich eine saubere Wohnung UND schmutzigen Sex gehabt. Manchmal kam es mir vor, als läge ich mit einer Heiligen im Bett. Ich fühlte mich immer schlecht und schuldig, wenn ich von deinem Körper glitt. Doch verdammt, ich habe dich geliebt, auch wenn ich dich niemals nackt sah. Manchmal hatte ich die Überzeugung, du hättest einen Sauberkeitswahn. Die Staubkörner kamen gar nicht dazu sich überhaupt irgendwo nieder zu lassen. Du hattest immer ein weißes Tuch in der Hand, und selbst als du fertig warst mit der Hausarbeit, war es sauber. Greta, hörst du, unser Leben war steril. Unsere Liebe war es, und unsere fünfzig-jährige Ehe. Fast als hätte sie seine Worte hören können, rollte eine Träne über ihr faltiges Gesicht. Mit zittrigen Händen kramte sie ein weißes, frisch gestärktes Taschentuch hervor, trocknete sich verstohlen die Augen und schnäuzte diskret ihre Nase. Dann steckte sie es wieder in ihre graue Manteltasche. Noch einmal beugte sie sich über das Grab, um ein welkes Blatt aufzuheben. Als sie sich umdrehte und ging, fiel ihr immer noch sauberes Taschentuch aus dem Mantel und wehte aufs Grab. Karl hätte jubeln können vor Glück. Ja, das war doch schon mal ein Anfang! Nun gab es für ihn Hoffnung. Greta wußte noch nicht, dass es ihr letztes Mal war, dass sie das Grab pflegen musste. Beim nächsten Mal würde das ihre Tochter übernehmen, und dann wird ihr Name fein säuberlich neben seinem stehn.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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