Andree Hoffmeister

Erntezeit

Sie waren plötzlich da. Ohne Vorwarnung, ohne Ankündigung, einfach da. Die Satelliten-Systeme der Erde hatten kaum die Zeit gefunden die extreme Masse, die da plötzlich im Weltraum auftauchte, an die Erdstationen zu melden.
 
 Was da aus den Weiten des Weltraumes auftauchte, war nicht irgendein großes Raumschiff, gigantisch würde es auch nicht treffen. Schier unglaublich trifft es sicherlich eher. Als die Ausmaße bekannt wurden, gab es keinen mehr, der nicht enorm überrascht und erschreckt zugleich war.
 
 Das Raumschiff, das über dem Erdball hing, hatte einen Durchmesser von 3.000 Kilometern und war an der breitesten Stelle 2.100 Kilometer dick. Die Form erinnerte spontan an eine Flunder.
 
 Die Fernseh-Stationen überschlugen sich mit angeblich bestätigten Meldungen und völlig überzogenen Mutmaßungen. Weltweit spaltete sich die Bevölkerungen in zwei Lager auf. Die Einen, die glaubten jetzt in den Kreis der Weltraum fahrenden Rassen aufgenommen zu werden und die Anderen, die an den in den verschiedenen Religionen beschriebenen Weltuntergang glaubten.
 
 Es gab keinen Regierungsvertreter, der nicht öffentlich bekannt gab, dass man umgehend Kontakt aufnehmen würde und die Menschen keine Panik bekommen sollten. Die Vertreter der großen Religionen riefen ihre Gläubigen zu Gebeten auf. Zuversicht und Optimismus auf allen Kanälen.
 
 Man mag jetzt an Filme denken wir Independence Day, oder auch an die Verfilmungen zum Thema Angriff aus dem Weltall. Alles das trifft es nicht im Entferntesten. Es kam anders und vor allen Dingen schlimmer.
 
 Das riesige Teil schwebte einfach über unserer alten Mutter Erde und tat zuerst gar nichts. Es gab keine Laserstrahlen, die plötzlich auf die Erde niedergingen und es gab auch keine Aliens, die die Bevölkerung unterjochen wollten. Monatelang passierte nichts. Kontaktversuche der Regierungen missglückten ebenso wie die Versuche von weltweit zusammengestellten  Wissenschaftlergruppen mit dem Schiff in Kontakt zu treten.
 
 Die anfängliche Hysterie wich langsam wieder dem normalen Alltagsgeschäft. Die Menschen lebten mit dem riesigen Ungetüm, Schulklassen richteten ihre Teleskope in den Himmel, um anschließend Aufsätze schreiben zu dürfen, Wissenschaftler wendeten sich wieder ihrer eigentlichen Arbeit zu und die Medien verloren auch langsam das Interesse und gaben doch wieder bekannten  Stars aus aller Welt den Vortritt. Alles schien normal zu werden. Der Mensch an sich ist eben leicht wieder zur Ruhe zu bringen und gewöhnt sich schnell an neue Umstände. Es bildeten sich überall schon erste Sekten, die ihren Anhängern Unsterblichkeit, Eintritt in göttliche Gefilde und sogar den Übergang zu einem höheren Wesen versprachen.
 
 Die paar Kleingeister, die vor einer Ruhe vor dem Sturm warnten, wurden schnell als Panikmacher, oder als einfach unzurechnungsfähig abgestempelt. Sicherlich, man vermutete bei der Bevölkerung, dass sich die Militärs bei allen Regierungen austobten, um vor einem eventuellen Angriff vorbereitet zu sein. Aber deswegen Angst haben? Mobilmachung war angesagt, die Waffenarsenale konnten wieder aufgefüllt werden, man konnte wieder Geld in die Waffenforschung, in die gesamte Waffenindustrie werfen. Händereiben war jetzt bei vielen Firmen angesagt.
 
 Als dann die erste Kontaktaufnahme erfolgte, war diese anders, als es wohl alle gedacht hatten.
 
 Es ist jetzt ungefähr zwei Monate her, da entließ das riesige Raumschiff sechzig kleinere Schiffe aus seinem Bauch. Wobei kleiner relativ ist. Die Schiffe hatten für unsere Verhältnisse immer noch enorme Abmessungen. Sie sahen aus wie kleinere Ausgaben des Mutterschiffes, waren 3.000 Meter lang, 2.100 Meter dick und hatten eben auch diese Flunderform.
 
 Der Zweck der Schiffe war nicht gleich erkennbar und als es soweit war, war es zu spät. Es ging alles im ersten Schritt sehr schnell, wirklich so, wie man es doch aus verschiedenen Filmen kannte. Es wurden keine Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht. Die Militärs schreiten nach Vorsicht, die Regierungen baten wieder um Ruhe bei der Bevölkerung und die Medien verbreiteten soviel Panik wie sie konnten.
 
 Die Raumer nahmen rund um den Erdball in einer Höhe von einhundert Metern strategische Positionen ein. Schnell wurde klar, dass es hier um geheime Stützpunkte der Militärs, oder um geheime Operationszentralen der Regierungen ging, die natürlich nicht jedem bekannt waren.
 
 Was dann passierte lässt sich kaum in Worte fassen. Aus den Bäuchen der kleinen Raumschiffe schob sich eine riesige metallene Glocke, die an einem gigantischen Schlauch hing. Die Glocke war sicherlich vierhundert Meter im Durchmesser und zweihundert Meter hoch. Das sich windende Etwas stülpte sich über sein in hundert Meter Tiefe liegendes Ziel und verharrte für 30 Sekunden, um sich dann wieder zurückzuziehen. Alles sah wie vorher aus. Es gab keine Explosionen oder Ähnliches. Was man nicht gleich wahrnahm war, dass es keinen Energiefluss mehr gab und dass sämtliche Lebewesen die sich im Einflussbereich der Glocke befunden hatten, nicht mehr da waren. Einfach weg.
 
 Dieser Vorgang wurde zeitgleich durch alle sechzig Raumschiffe vorgenommen. Nach der Aktion starteten die Schiffe blitzartig, um schon zehn Minuten später ihr nächstes Ziel im Visier zu haben. So vergingen am ersten Tag zehn Stunden, in denen Stützpunkte und die Metropolen weltweit betroffen waren.
 
 Man kann sich gar nicht die entstandene Panik vorstellen. Plötzlich brach alles zusammen. Keine Regierungen und keine Militärs mehr, die Energieversorgung riss allerorts ab. Die Menschen saßen in Dunkelheit und ohne Heizungen – aber nur da, wo diese außerirdischen Staubsauger noch nicht waren.
 
 Die Städte glichen großen leeren Bienenstöcken, wo man vereinzelt Lagerfeuer erblicken konnte. Autos fuhren nur noch bis der Tank leer war, da kaum noch Treibstoff aufzutreiben war, der ohne Stromversorgung besorgt werden konnte. Nicht betroffene Stadtteile wimmelten von Menschen, die sich Richtung Umland bewegten. Es war eine Flucht, eine Flucht vor etwas, was man nicht verstand und auch nicht begreifen konnte.
 
 Der erste Tag war für die gesamte Menschheit eine alles umfassende Ohnmacht.
 
 Nach einer Woche gab es weltweit kein nennenswertes existierendes Stadtleben mehr. Hier gab es nur noch Leere. Die Menschen, die es geschafft hatten, versteckten sich in den unzugänglichsten Gegenden oder tief in irgendwelchen Wäldern.
 
 Nach sechs Monaten war die Arbeit der Raumschiffe getan. Es gab keine neuen Sichtungen von ihnen und auch keine neuen Schreckensgeschichten mehr. Es gab aber auch kaum noch größere Menschenansammlungen. Meistens bestanden die Gruppen nur noch aus wenigen Männern, Frauen und Kindern. Gerüchten zur Folge, sollen nur noch einige hunderttausend Menschen überlebt haben. Auch größere Tierherden suchte man an Land und zu Wasser vergeblich, die Raumschiffsauger hatten auch hier tiefste Einschnitte hinterlassen.
 
 Die Population war nahe an den Exodus gebracht worden, aber eben nur fast. Es würde sehr viele Jahrhunderte, oder gar Jahrtausende brauchen, bis die Menschheit und die Tierwelt sich wieder von dieser Massenvernichtung erholt und wieder in ihrer Blüte stehen würde. Es würde ebenfalls sehr lange dauern, dass verlorene Wissen wieder zu erlangen.
 
 Bis dahin wird die Erde wie ein Planet aussehen, der von seinen Bewohnern fluchtartig verlassen wurde.
                                                                        **
 Ich sitze mit wenigen Freunden und Verwandten in einer tiefen Felsenhöhle um ein Lagerfeuer herum. Es werden Geschichten über früher ausgetauscht, wobei früher erst sechs Monate zurück liegt. Einige planen den nächsten Tag, an dem wir in der nahe gelegenen Stadt versuchen wollen, Gerätschaften, Kleidung und hoffentlich auch etwas zu essen zu finden.
 
 Größeren Menschengruppen geht man aus dem Weg, da keiner weiß, wann die Fremden wieder eine Aktion starten könnten.
 
 Es hätte schlimmer kommen können, wir leben zumindest noch und wir werden dafür sorgen, dass die Menschheit irgendwann wieder in ihrer ganzen Pracht existiert.
                                                                             **
 Arme Menschheit, arme Tierwelt, sie ahnen noch nicht, was ihnen passiert ist und jetzt immer wieder alle paar tausend Jahre passieren wird.
 
 Sie werden als riesige, sich selbst erneuerbare Nahrungsquelle betrachtet, die man, nach astronomischen Maßstäben, einmal in einer Periode aberntet.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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