Patrick Finkbeiner

Schweinesommer - Kapitel I

Das Quietschen der Reifen ist noch zu hören, da versuche ich schon, den Rückwärtsgang einzulegen. Im Rückspiegel vergewissere ich mich, dass ich mich nicht getäuscht habe. Ja, tatsächlich, sie steht noch am Straßenrand. Ein wunderschönes Mädchen, dass nur darauf wartet, von mir mitgenommen zu werden, denke ich. Eigentlich nehme ich ja keine Anhalter mit, ist so ein Prinzip von mir. Da weiß man nicht, an wen man gerät. Ich kannte mal einen, der hat von einem Bekannten gehört, wie seinem Bruder mal ein Anhalter ins neue Auto gekotzt hat. Nein, das will ich nicht, also ein neues Auto schon, aber keine Kotze drin. Wie auch immer, auf jeden Fall scheinen meine Gebete erhört worden zu sein, denn als ich meinen Wagen neben ihr zum stehen bringe, sieht sie noch viel schöner aus. Ihre langen schwarzen Haare flattern im Wind und ich blicke in ein mit Sommersprossen verziertes Gesicht, als sie sich zu meinem Fenster hinbeugt.
 „Milano?“ fragt sie mich.
 „Si, si, Milano!“ nicke ich sie an und freue mich, dass ich voraussichtlich die nächsten drei oder wenn ich sie zum essen überreden kann womöglich vier Stunden mit dieser schöner Fee verbringen werde.
 „Marco, Marco, avanti“ höre ich sie plötzlich brüllen. Während ich mich noch darüber wundere, wie ein solch zierliches Mädchen eine Stimme wie eine Marktschreierin haben kann, sitzt auch schon ein großer, kräftiger Italiener auf meinem Beifahrersitz. „Na, super“ denke ich, „die Mafia hat mein Auto in Beschlag genommen“. Noch völlig verdutzt warte ich bis meine Traumfrau das Gepäck verstaut hat und es sich im hinteren Teil meines Wagens gemütlich gemacht hat. Es dauert ein paar Kilometer, bis ich die Situation richtig einschätzen kann. Ich fahre also quer durch Italien und muss einen Italiener, der für sein Verhalten entschieden zu gut aussieht, ein paar hundert Kilometer bis Mailand chauffieren. Vielen Dank, als ob in den letzten Wochen nicht schon genug schief gegangen wäre. Zudem scheint dieser reizende Marco auch noch der Freund von meiner Traumfrau zu sein. Da ich mich noch ziemlich angepisst fühle, versuche ich erst gar nicht, mit Bonnie und Clyde ins Gespräch zu kommen. Ich überlege, wie schnell ich wohl in Mailand sein könnte, wenn ich Vollgas fahre. Ich beschließe schließlich, in zwei Stunden da sein zu wollen, um dieser Geschichte ein Ende zu machen. Halt, was mache ich denn, wenn die beiden an einer bestimmten Stelle abgesetzt werden wollen, schließlich führt die Autobahn doch nur um Mailand herum, nicht aber in die Stadt hinein. Hat man als Anhaltermitnehmer die Pflicht, die Mitreisenden ihren Wünschen gemäß an eine bestimmte Adresse zu fahren? Was mache ich, wenn mein neuer Freund Marco plötzlich sauer wird, denn er sieht nicht nur schön, sondern auch sehr stark aus? Jetzt wünsche ich, ich hätte nicht solche Bedenken wegen eventuell kotzender Anhalter gehabt sondern welche mitgenommen. Dann wüsste ich nun, wie ich aus der Geschichte möglichst schnell und heil wieder herauskomme.
 „Smoking?“, höre ich von rechts und schaue in ein fragendes Gesicht, in dessen Mund schon eine Kippe steckt. Kurzzeitig bin ich irritiert, denn wenn man Marco frontal anschaut, sieht er ziemlich dümmlich aus.
 „Si“, sage ich knapp und stecke mir auch eine an. Das versteht nun auch die „Hintere“, wie ich meine Traumfrau mangels Kenntnis ihres richtigen Namens nenne, als Einladung zum Rauchen. Kurze Zeit später bereue ich es schon, das Rauchen in meinem Auto legitimiert zu haben, denn meine unliebsamen Gäste entpuppen sich als Kettenraucher von Camel-Zigaretten. Ich bin eigentlich gerne Raucher und die Gesellschaft anderer Raucher finde ich bei weitem angenehmer, als die von Nichtrauchern. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Nicht nur, dass sie sich eine nach der anderen anstecken, nein, es müssen auch noch Camels sein. Das schlimmste Kraut von allen, bei weitem noch ungenießbarer als Mentholzigaretten. Als ich mein Fenster öffne und mit meinen Händen vor meinem Gesicht herumfächere, fängt die Hintere plötzlich an zu gackern, das jedoch alle paar Sekunden von einem kurzen erstickungsähnlichen Husten unterbrochen wird. Dann sagt sie etwas zu ihrem Freund, dass ich leider nicht verstehen konnte. Als dieser jedoch zu mir herüberschielt (sein Gesicht sah jetzt sogar richtig blöde aus) und sogleich in das hustengeschwängerte Lachen einsteigt, zieht sich mein Magen noch mehr zusammen. Ich muss nun also auch noch als Clown herhalten. Ich fühle mich wie Homer Simpson, wenn er von seinen fetten Schwägerinnen Patty und Selma ausgelacht wird. Um meine Wut zu unterdrücken, versuchte ich im Radio-Programm Ablenkung zu finden. Als der automatische Senderdurchlauf stoppt, fällt mir beinahe das Lenkrad aus der Hand. Da dröhnt doch tatsächlich DJ Bobo mit „Chihuahua“ durch die Boxen. Spontan möchte ich das Radio wieder ausschalten, jedoch kommt mir Marco zuvor und dreht die Lautstärke höher und beginnt mitzusingen. „Jetzt reicht’s aber endgültig“ denke ich und schalte mit großer Geste das Radio ab. Der dumme Marco blinzelt mich fragend hinter seiner Kippe an. 
  „No“, sage ich und stecke meinen Finger in den Mund, um ihm anzudeuten, was ich von dieser Art von Musik halte.
 Mit erhobener Augenbraue steckt er sich eine neue Fluppe an und schüttelt, den Blick auf mich gerichtet, mitleidig den Kopf. Jetzt wird es mir endgültig zu viel. Nein, das halte ich nicht bis Mailand aus, mir muss etwas anderes einfallen.
 „Bologna“, nickt mir mein Nebensitzer zu und deutet mit einer Hand auf das große Autobahnschild, unter dem wir gerade hindurchfahren und mit der anderen aus dem Fenster.
 „Danke, du Vollidiot“, beginne ich ihm auf deutsch zu antworten, „da wäre ich nicht drauf gekommen, dass eine Stadt den gleichen Namen trägt wie das Ausfahrtsschild“. Zum ersten Mal seit Mister IQ und sein hinter einer immer dicker werdenden Rauchwolke sitzendes Modell sich mir an den Hals geworfen hatten, huscht ein Lächeln über mein Gesicht. Marco schaut mich mit großen fragenden Augen an, als wäre ihm soeben der Allmächtige erschienen.
 „Ey, Marco“, raunze ich ihn von der Seite an, „du siehst so richtig scheiße aus“. Und weil ich dabei lächle und ihm zunicke tut er es mir gleich. In dem Moment könnte ich innerlich vor Lachen zusammenbrechen. So macht diese Fahrt echt Laune.
 „Marco, du bist strunz-doof und ich will deine Freundin flachlegen“. Jetzt schaut er etwas irritiert. Hat er doch etwas verstanden? Jetzt will ich ihn und die Hintere doch wieder vorzeitig loswerden. Die Hintere quakt plötzlich wieder los. Als ich die Worte „Area servizione und „Toiletta“ vernehme, beginnen meine Augen zu leuchten. Na klar, warum bin ich nicht darauf gekommen. So könnte es klappen, mich meiner unerfreulichen Ladung zu entledigen. Zum Glück kann ich schon das Schild am Straßenrand erahnen: Gekreuzte Gabel und Löffel und darunter der Hinweis: 2000m. Ich bin gerettet. Erleichtert steuere ich den Rasthof an.
 Die Hintere wackelt schon ganz aufgeregt auf dem Rücksitz hin und her und deutet mit ihren Händen auf das Gebäude hinter den Zapfsäulen. Nun hatte auch ich das Toilettenschild an diesem Haus erspäht, entschloss mich jedoch mit einem genüsslichen Lächeln daran vorbeizufahren und meinen T2 Campingbus erst am Ende des Parkplatzes zum stehen zu bringen. Ihrem lauten Fluchen und Rennen nach zu urteilen wäre es ihr wohl lieber gewesen, wenn ich direkt neben die Schüssel gefahren wäre. Kurze Zeit später erkenne ich im Rückspiegel, dass nun auch Marco in diesem Gebäude verschwunden ist, um sich zu erleichtern. Das ist mein Zeichen, denke ich, und starte den Wagen. Mit einem James Bond reifen Beschleunigungsmanöver bringe ich meinen alten Bus auf Trab und fahre laut lachend auf die Autostrada auf. Zu schade, dass ich die Gesichter der beiden nicht sehen kann, wenn sie aus der Toilette kommen. Wirklich, jammerschade.
Die nächsten 30 Minuten fahre ich in stiller Vergnügung vor mich hin. Eigentlich wollte ich heute bis in die Schweiz fahren, stelle dies jedoch in Frage, da ich nun bei Beginn der Dämmerung noch nicht einmal in Mailand bin. Um mir die Zeit zu vertreiben, höre ich abwechselnd Jack Johnson und Foo Fighters. Nach einer Weile bin ich irritiert und stelle fest, dass diese zwei Musikrichtungen mich gleichzeitig wütend und bekifft machen. Gibt es diese Kombination überhaupt? Hat schon mal jemand einen gesehen, der beim Kiffen wütend war, oder der vor lauter Raserei Gras rauchen wollte? Habe ich soeben ein neues Gefühl erfunden. Vielleicht sollte ich dies beim Patentamt anmelden. Nach reiflicher Überlegung beschließe ich, diesen Plan zu begraben, da mir einfällt, dass es zumindest die Redewendung „vor Wut ins Gras beißen“ gibt. Ist sowieso besser, wenn ich es bleiben lasse, nachher unterstellen sie mir noch, dass ich ein Drogensüchtiger bin und entziehen mir den Führerschein. Oder sie halten mich einfach nur für einen simplen Gemeingefährlichen und sperren mich ein. Nein, dass möchte ich dann doch nicht.
Vor lauter denken bin ich nun hungrig geworden. Ich sollte besser auf den nächsten Parkplatz fahren und dort übernachten.
 
 Während ich meinen Bus an der Raststätte zum stehen bringe, schweift mein Blick schon über das Gelände. Kurz erschrecke ich, als meine Augen die Toilette entdecken und ich mir vorstelle, dass die Hintere gleich wieder herauskommt. Zum Glück fällt mir wieder ein, dass ich die beiden über hundert Kilometer entfernt abgesetzt habe. Jetzt brauche ich erst mal ein Bier. Während ich um mein Auto laufe, um zur Schiebetür in den Rückraum zu gelangen, überlege ich noch, ob ich mir ein übriggebliebenes griechisches Bier genehmigen soll, oder ob ich mir im Shop nebenan ein kühles Peroni leisten soll. Als ich vor der offenen Schiebetür stehe und mein Blick ins Innere fällt, ist mir plötzlich erst nach Reihern und dann nach einer Flasche Whisky zumute. Ich starre auf zwei mir fremde Rucksäcke und ein Bündel aus Schlafsäcken und Isomatten.
 „Zum Teufel, Scheiße, verdammte“ entfährt es mir über den halben Parkplatz. Die Leute, die mich noch nicht anstarren gucken spätestens, als ich mit einem erneuten „verdammte Scheiße noch mal“ meinen rechten Fuß gegen den vorderen Kotflügel donnere. „Ich bin ein Dieb“, schießt es mir durch den Kopf, „ich habe die Sachen der beiden Anhalter mitgenommen“. Was soll ich denn jetzt machen? Das wollte ich doch nicht. Ich wollte doch nur meine Ruhe haben. Jetzt trinke ich doch erst mal ein Bier und überlege, was ich mache. Nach dem dritten Kolben habe ich die zündende Idee: Ich werde das ganze Zeug morgen auf die Polizeiwache bringen und die Sache aufklären. Ja, genau, so werde ich das machen. Und ich werde mir einbläuen, dass ich niemals mehr irgendwelche Leute zum Mitfahren einlade. Völlig egal, wie gut sie auch aussehen mögen.
 Auf diesen tollen Plan stoße ich mit einem vierten Bier an. Eigentlich hatte ich nach dem dritten schon genug, zumal ich bis auf ein kleines Frühstück, ein paar Schokoriegeln und einem Müsliriegel, den ich im Handschuhfach gefunden habe nichts richtigen gegessen habe. Aber Vier ist schöner als drei, habe ich mir mein Bier als geradezu notwendig eingeredet.
 Danach fühle ich mich ziemlich schlapp und lege mich hin. Im Lichtschein der Parkplatzlaternen halte ich meine Finger in die Höhe, um zu schauen, ob ich schon doppelt sehe. Alles in Ordnung, denke ich und mümmele mich gemütlich in meine Decke. Morgen bin ich zuhause und kann alles vergessen. Den ganzen beschissenen Urlaub.
 „Den ganzen beschissenen Urlaub“, murmle ich nochmals, um meinem Gehirn beizupflichten.
Ich drehe mich gerade auf die andere Seite, als ich mich vor Schreck an meiner eigenen Spucke verschlucke. Es hat an meine Tür geklopft. Erstarrt liege ich da, als es nochmals klopft. Wahrscheinlich ein Fernfahrer, dem ich den Platz weggenommen habe denke ich, währen ich die Tür öffne. Gleichzeitig fallen meine Decke und sämtliche Gesichtszüge nach unten. Im Halbdunkeln erkenne ich einen Polizisten und Marco. Und als ich dann auch noch das Gekreische der Hinteren höre, bin ich mir sicher, dass ich jetzt ein Problem habe.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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