Günter Kienzle

Die größte Reise unseres Lebens (Kapitel 4)

Kapitel 4

Begegnungen

Die Nacht war vorüber und ein neuer Tag brach an. Am Horizont bahnten sich schon die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Häuserschluchten Moskaus. Da heute Sonntag war herrschte auf den Straßen zu dieser Zeit wenig Verkehr. Die meisten Menschen waren noch im Reich der Träume.

Alexander hätte sicherlich weiter geschlafen, wenn er nicht durch ein Geräusch geweckt worden wäre. Erschrocken fuhr er hoch. Jemand kam die Treppe herunter. Er kroch etwas näher an die Abfallsäcke heran. Nun war die Person unten angelangt. Das hantieren von Schlüsseln und einer Kette war zu vernehmen. Sicher ein Mieter, der etwas aus dem Keller holen oder hineinstellen wollte. Dann waren wieder diese Schlüssel und die Kette zu hören. Die Person schloss wieder ab und ging nach oben. Eine Tür wurde zugeknallt. Alexander atmete auf. Er oder sie waren weg! Wie an jedem Morgen rieb er sich den Nachtsand aus den Augen. Das Wort Nachtsand war im übrigen seine eigene Erfindung. Er lehnte sich gegen die Holzlattung und sah sich dabei um. An den Leitungen, die sich an der Kellerdecke entlang schlängelten, konnte man erkennen, damit das Haus nicht erst gestern erbaut worden war. Einige Rohre setzten bereits starken Rost an. Im Nachbarkeller leckte eine Leitung. Hallend und in gleichmäßigen Abständen, wie das ticken einer Uhr, tropfte das Wasser zu Boden. Wie lange dieses Haus wohl schon stand? Alexander vermutete, dass es schon vor dem ersten Weltkrieg gebaut wurde. Verstärkt wurde diese Vermutung durch die dicken Mauern des Gebäudes. Wie viele Leute mögen hier wohl schon ein und ausgegangen sein? Bestimmt viele und einige lebten längst nicht mehr. Alexander wunderte sich. Was für Gedanken er schon wieder hatte.

An seine Arbeit musste er ebenfalls denken. Die meisten wo anschaffen gingen, boten ihre Dienste am Bahnhof oder den U-Bahn Stationen an. Normal war das verboten und man wurde von der Miliez verjagt. Straßenkinder wurden sowieso immer vertrieben, weil sie kein Geld besaßen und nichts bezahlen konnten. Stricher nur dann, wenn sie sich weigerten an die Miliz zu zahlen. Die meisten kauften von dem verdienten Geld Drogen oder edle Klamotten und manche beides. Er würde da sicher mehr Geld verdienen, als an den Straßen wo er sonst immer stand. Eine Überlegung war es wert. Aber es war noch genügend Zeit über einen Wechsel nachzudenken. Vorerst waren für ihn Ferien. Wieder andere verkauften ihren Körper vor bestimmten Hotels. Denn da gab es viele ausländische Touristen und Geschäftsleute. Geduldig warteten sie vor dem Hotel auf Kundschaft. Kam dann einer raus oder wollte rein, liefen sie ihm hinterher und drängten ihre Dienste regelrecht auf. Dabei beließen sie es meist nicht beim einfachen Fragen, sondern machten schon Mal ihre Hosen auf. Dies sollte den potentiellen Kunden anmachen. Für Alexander würde das niemals in Frage kommen, sich einfach aufzudrängen. Seine Art war eine andere. Einfach nur die Straße auf und ablaufen. Wenn ein Polizeiauto kam, hieß es sich zu versteckten. Denn für ihn war es unmöglich den Beamten Geld zu zahlen. >>Tja, so ist das!<< ,seufzte er laut vor sich hin.

Genug nachgedacht ! Langsam erhob sich Alexander. Alle Knochen taten ihm weh. Das war fast jeden Morgen so. Die Böden auf denen er schlief waren eben nicht Pavels weiches Bett. Selten konnte man in einem Keller eine alte Matratze oder weiche Unterlage finden. Doch wenn, wurde diese Gelegenheit sofort genutzt. Am anderen Morgen musste man jedoch alles wieder so herrichten wie es zuvor war, damit niemand merkte, dass jemand da war. Du musst immer versuchen unauffällig zu bleiben, hämmerte ihm Andrej immer ein. Von ihm bekam er nützlich Ratschläge, wie man auf der Straße überleben konnte. In gewissem Sinne war das Leben auf der Straße wie ein Dschungel. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben für ihn und tausend andere. Am schwersten war es für die Straßenkinder und leicht für Niemanden. Die Passanten, wo Tag ein, Tag aus, an einem vorbei liefen wussten davon nichts. Sie konnten jede Nacht in ihr warmes Zuhause und in einem schönen, weichen Bett schlafen.

Heute war Sonntag, also beschloss Alexander seine Oma zu besuchen. Das machte er mindestens an zwei Sonntagen im Monat. Da der Friedhof im Osten lag, war eigentlich ein weiter Fußmarsch angesagt. Heute gab es jedoch zwei gute Gründe nicht zu Fuß zu gehen, sondern die U-Bahn zu nutzen. Es lag Schnee und er besaß etwas Geld. Ewig würde es nicht reichen, aber für die nächsten Wochen war gesorgt.

Alexander bückte sich und wieder konnte er jeden Knochen einzeln spüren. Griff nach seiner Mütze, welche immer noch auf dem Steinfußboden lag und ihm in der Nacht als Kopfkissen gediente hatte. Draußen war es sicher kalt. Noch ein kurzer Blick zurück. Zu verändern brauchte man nichts. Es war alles so wie er es angetroffen hatte.

Draußen war ein Mann damit beschäftigt den Weg vom Schnee frei zu räumen. Es schneite immer noch oder schon wieder! Die ganze Straße, die parkenden Autos, die Dächer der Häuser, alles war von einem weißen Schneemantel eingehüllt. Die Autobesitzer würden nachher einiges zu tun bekommen um ihre Autos vom Schnee zu befreien. Alexander konnte seinen Hauch sehen, während er die Straße überquert. Nur wenige Autos und Fußgänger begegneten ihm auf dem Weg zur nächsten U-Bahn Station.

In der Station war ebenfalls nicht so viel los wie an normalen Werktagen. Er lief zuerst zu den Toiletten um sich zu rasieren und frisch zu machen. Nur wenige Menschen standen am Gleis. Er gesellte sich nun ebenfalls zu den wenigen, um auf die nächste Bahn zu warten Da praktisch alle paar Minuten eine kam, brauchte man nicht auf den Fahrplan zu sehen. Gerade als er den Gedanken gefasst hatte sich ein Brötchen am Kiosk zu kaufen fuhr die Bahn ein. Langsam öffneten sich die Türen. Er und ein paar ältere Leute stiegen ein. Alexander nahm einen Fensterplatz, an der rechten Seite in beschlag. In zwanzig Minuten würde die U-Bahn den Osten der Stadt erreicht haben. Gegenüber von ihm saß ein alter Mann und las Zeitung. Die Türen schlossen sich wieder und die Bahn setzte sich in Bewegung. Er sah aus dem Fenster, doch zu sehen gab es nichts. Seine Gedanken waren wo anders. Er musste wieder an jenen Ort denken, den Ort seiner Träume. Wo alle Menschen nett zueinander waren. Wo es keine Armut gab. Wo Eltern nicht saufen und sich um ihre Kinder kümmerten. Ein Ort an dem jeder Mensch ein Zuhause hatte. Ja, in seinen Träumen gab es jenen Ort. Ob es in Wirklichkeit so einen Ort gab ? Vielleicht, nur die meisten Menschen kannten ihn nicht.

Wieder blieb die Bahn stehen und die Türen öffneten sich. Der alte Mann faltete sorgfältig die Zeitung zusammen und erhob sich. Einige Sekunden später lief er an seinem Fenster vorbei. Sicher ist er nur so weit gefahren um die Tageszeitung zu kaufen. Er kannte das von seiner Oma. Diese ging auch wegen jeder Kleinigkeit zum Einkaufen. Viele alte Menschen waren einsam. Einmal las er, dass eine Frau erst Monate nach ihrem Tod in ihrer Wohnung gefunden wurde.

Vier Männer, etwas älter als er, stürmten in den Wagen. Sie machten auf ihn nicht gerade einen sympathischen Eindruck.

>>Haben wir es doch noch geschafft!<< ,meinte der ein mit der Pudelmütze. Die anderen kicherten. Während sie an ihm vorbei, nach hinten liefen. Alexander tat so als würde er aus dem Fenster schauen. Die Türen schlossen sich und die Wagen setzten sich wieder in Bewegung.

>>Ich habe dich gestern unter den Tisch gesoffen!<<

>>Klar, du hast ja erst angefangen. Ich war schon halb voll.<<

Was manche Leute für einen Mist laberten. Jedenfalls schienen sie sich nicht um ihn zu kümmern, das war schon einmal gut. Bis zur nächsten Station schwatzten sie nur über Wodka und ihr Wetttrinken. Vermutlich veranstalten sie so etwas in regelmäßigen Abständen.

Nach wenigen Minuten erreichte die Bahn die nächste Station. Wieder öffneten sich die Türen. Ein kleiner Junge kam herein und nun wunderte sich Alexander. Normalerweise ließ man solche Kinder nicht in die Stationen. Er musste wohl irgendwie durchgeschlüpft sein. Man sah sofort, dass er auf der Straße lebte. Deshalb wurden so Leute wie der Junge im allgemeinen als Straßenkinder bezeichnet. Wenn man aufmerksam war, konnte man ihnen an vielen Ecken Moskaus begegnen. Der Kleine lief nach hinten. Er bat die vier jungen Männern um ein paar Rubel. >>Hau ab, sonst setzt es was!" ,schrie einer und seine Kumpel lachten. >>Immer dieses verdammte Straßenpack!<< ,schimpfte ein andrer.

Dann stand der Junge plötzlich vor ihm. Alexander schätze ihn auf sieben oder acht Jahre. Sein Gesicht war genauso verschmutzt wie sein Mantel. Dazu trug er noch ein Schal und eine Mütze, welche bestimmt auch schon bessere Zeiten sahen. >>Haben sie bitte ein paar Rubel für mich?" ,fragte er schüchtern.

Alexander kramte in seiner Tasche und gab ihm etwas Geld. In der Hoffnung, dass sich der Kleine davon etwas zu essen kaufen würde. Aber sicher war das nicht, er konnte das Geld auch in Klebstoff umsetzen. Die Straßenkinder inhalierten das Zeug um für kurze Zeit ihr erbärmliches Leben zu vergessen. Der Junge bedankte sich und verstaute das Geld sorgfältig in seiner Hosentasche. Dann setzte er sich auf den Sitzplatz gegenüber und band seinen Schal zu. Wenn er ihm nur helfen könnte, doch er konnte ja nicht mal sich selbst helfen. Die paar Rubel waren keine wirkliche Lösung.

An der nächsten Station musste er aussteigen. Als die Türen aufgingen stand Alexander auf. Der kleine Junge lief vor ihm. Wo würde der Kleine jetzt wohl hingehen? Würde er sich von dem Geld etwas zu essen kaufen? Ach, warum musste er über die Dinge immer so viel nachdenken!

Vor dem Gebäude befand sich ein kleiner Kiosk. Der fremde Junge lief bereits in die andere Richtung als ihm Alexander nachrief. >>Warte, Junge!<< Der Kleine blieb stehen, drehte sich um und sah zu abwartend zu ihm herüber. >>Warte bitte einen Moment! Ich bin gleich wieder da.<< Schnell rannte er zum Kiosk und kaufte drei belegte Brötchen. Danach lief er wieder zurück und reichte ihm zwei davon. >>Lass sie dir schmecken!<< >>Danke!<< ,entgegnete der Junge nochmals. Alexander wollte sich schon abwenden, als der Junge zu ihm aufsah und hinzufügte. >>Sie sind ein guter Mensch!<< Anschließend biss er genüsslich in das Brötchen, um dann gemächlich davon zu ziehen. Alexander schaute ihm nach bis er in der nicht mehr sehen konnte.

Dann schlenderte er in Richtung Friedhof. Nun war bereits mehr Betrieb auf den Straßen. An der Ampel musste Alexander warten. Es schneite nicht mehr. Plötzlich erklangen hinter ihm Stimmen und Gekicher. Die Stimmen kamen ihm bekannt vor. Das waren die vier Kerle aus der U-Bahn. Vorsichtshalber bog er in eine Seitenstraße ab. Dieser Weg war zwar länger, doch er wollte sehen ob sie ihm folgten. Sicher war sicher! Nach ein paar Metern blieb er stehen und drehte sich um. Da kamen sie bereits um die Ecke. Der eine mit der Pudelmütze sah zu ihm herüber. Alexander drehte sich um und lief weiter. Einer der vier begann ein Lied vor sich hin zu pfeifen. Das war sicher der Typ mit der Pudelmütze, es musste wohl ihr Anführer sein! Sie waren also noch hinter ihm und in diesem Augenblick war es ihm klar, damit sie es auf ihn abgesehen hatten. Niemand redete mehr, alle konzentrierten sich voll und ganz auf ihn. Das pfeifen war ebenfalls eingestellt worden. In diesem Moment konnte Alexander seinen Herzschlag hören. Sein Herz pochte wie wild. Angst stieg in ihm auf. Was konnte man in so einer Situation machen? Andrej würde sicherlich einen Rat wissen, aber Andrej gab es nicht mehr. Die Schritte hinter ihm wurden schneller, gleich würden sie ihn eingeholt haben. Noch einmal schnaufte er durch, dann rannte er los!

>>Seht euch das an, diese Sau will türmen!<< ,schrie einer.

>>Wir haben dich gleich, du Arsch!<< ,rief ein anderer ihm nach.

Alexander wurde immer schneller und schneller. Alles zog nur so an ihm vorbei. Einige Passanten blickten dem Trupp verwundert hinterher. Keiner von ihnen ahnte, dass Alexander vielleicht in diesem Moment um sein Leben rannte. Leider sah er die Eisfläche, hinter dem alten Abbruchhaus, zu spät und rutschte aus. Sofort stürzten sich zwei der Kerle auf ihn und richteten ihn auf. Er versuchte gar nicht erst sich zu wehren. Gegen vier hatte er nicht die geringste Chance. Diese zwei hielten ihn jetzt fest. Einer hatte den rechten, der andere den linken Arm in festem Griff. Der Typ mit der Pudelmütze kam langsam auf ihn zu. Wenige Zentimeter vor ihm blieb er stehen. Er setzte ein hinterhältige Lächeln auf. Alexander hatte Angst, entsetzliche Angst! >>Warum haust du vor uns ab? Wir wollen dir nichts tun. Wir wollen nur deine Freunde sein. Nicht wahr Igor?<< Alle lachten auf, nur Alexander nicht. Der vierte im Bunde musste Igor sein, denn dieser nickte seinem Kumpel nun zu. Bis jetzt hatte er das Geschehen aus einigen Metern Abstand beobachtet. Jetzt kam er ebenfalls näher. Als einziger der vieren trug Igor keine Mütze. Alexander schätzte ihn auf ungefähr fünfundzwanzig Jahre. Somit war er der älteste Gruppe. Igors Hand glitt in seine Manteltasche. Eine Zigarettenschachtel kam zum Vorschein. Langsam nahm er eine Zigarette heraus, die Augen dabei immer auf Alexander gerichtet. Dann kam er näher und reichte die Schachtel seinem Kumpel. Seine Augen ließen dabei nicht von ihm ab. Dieser zog sich ebenfalls ein Stäbchen heraus. Anschließend holte Igor ein Feuerzeug hervor und ließ die Schachtel wieder in seiner Jackentasche verschwinden. Beide zündeten sich die Zigaretten an. Igor nahm einen tiefen Zug, dann begann er seine Frage zu stellen, während er ihm den Rauch ins Gesicht blies. >>Wie ist dein Name?<<

Alexander verzog das Gesicht. Mit diesem Typ war mit Sicherheit nicht zu spaßen. >>Alexander!<< ,antwortete er.

Igor blieb weiterhin ernst. >>Schön Alexander, da wir jetzt deine Freunde sind müssen wir alles teilen. Nicht wahr?<< Alexander sagte nichts. Das schien seinem Gegenüber egal zu sein, den nach einigen Sekunden fuhr er fort. >>Gute Freunde teilen einfach alles, das weißt du ja sicher. Freud und Leid. Sie helfen sich in der Not. Wir vier sind jetzt gerade in Not, in schwerer Not<< ,fügte er traurig hinzu. Doch diese Traurigkeit war natürlich nur gespielt, das wusste Alexander und ebenfalls, dass alles gelogen war.

Sein Kumpel machte weiter, ebenfalls mit gespielter Traurigkeit. >>Ja, wir haben schon seit einer Woche nichts mehr in den Magen bekommen und nun haben wir entsetzlichen Hunger.<< Wieder lachten die drei. Nur drei lachten, Igor lachte diesmal nicht mit, sondern starrte ihn weiterhin an. >>Du weißt ja sicher, Essen bekommt man nicht umsonst, dafür braucht man Geld, Money, Monetas. Richtig?<< Alexander schwieg weiter. >>Nun musst du uns Geld geben. Da wir sehr hungrig sind, brauchen wir all dein Geld. Du willst doch gute Freunde nicht im Stich lassen?<<

>>Also, wirst du uns helfen?<< ,fragte Igor während er den Rauch ausatmete. Alexander wusste, damit Igor diesmal eine Antwort erwartete. Eigentlich brauchten sie ihm das Geld nur wegnehmen. Aber eben das taten sie nicht. Er sollte sich unterwerfen und es ihnen freiwillig geben. Sich also zum Trottel machen und eben das würde er nicht tun. Nein, unter keinen Umständen! Merkwürdig, er, der immer so viel Schieß vor allem und jedem hatte, blieb jetzt standhaft und schwieg. Innerlich bewunderte er sich selber.

Nach einigen Sekunden des Wartens ergriff der Typ vor ihm wieder das Wort. >>Dein Schweigen deutet mir, du willst uns nicht helfen. Du willst, damit wir Hunger leiden. Das ist nicht nett von dir! Wir waren immer für dich da, haben alles mit dir geteilt.<< Er wandte sich kurz von ihm ab und sah zu Igor dann wieder zu ihm. Sein Gesicht wurde nun ernst, sehr ernst. >>Nun wirst du den Schmerz mit uns teilen müssen!<< Kaum hatte er dies gesagt, holte er mit der Hand aus und schlug Alexander mit voller Wucht ins Gesicht. Wieder wandte er sich von ihm ab und Igor zu. >>Du bist dran!<< ,meinte er kalt.

Igor kam näher und erstmals zog ein Grinsen über sein Gesicht. Dieses Grinsen wandelte sich dann von einer Sekunde zur anderen zu einem hasserfüllten Gesichtsausdruck. Er ballte seine Hand, holte aus und schlug in Alexanders Magengrube.. Ein Aufschrei durchbrach die Stille. Ein höllischer Schmerz durchfuhr Alexander. Er bekam kaum Luft. Er glaubte jede Sekunde ohnmächtig zu werden. Doch das Schicksal zeigte keine Gnade mit ihm, er wurde nicht ohnmächtig. Igor durchsuchte nun seine Taschen. Er zog das Brötchen hervor. >>Was haben wir denn da, ein Brötchen. Das hast du sicher für mich gekauft. Er gab es seinem Kumpel. Dann wandte er sich den anderen Taschen zu. Das Geld zog er als nächstes heraus. Er zählte es und steckte es ein. Dann kamen die hinteren Taschen an die Reihe. >>Oh, du hast Besteck und ein Messer bei dir!<< Dann besah er sich den Einwegrasierer. >>Oh, rasieren tust du dich auch schon, ich hoffen nicht an den falschen Stellen.<< Ein dreckiges Lachen zog wieder durch die Runde. >>Jetzt wirst du dir wohl alles noch mal kaufen müssen.<< meinte er und warf alles weg. Irgendwo, einige Meter entfernt landeten die Sachen im Schnee. Dann schaute er auf seinen Kumpel mit der Pudelmütze. >>Lass uns gehen!<<

>>Nein, sieh noch im Mantel nach!<<

Igor tat, was ihm befohlen. Doch es war nichts mehr zu finden. >>Da ist nichts mehr, komm lass uns endlich abziehen ich hab Hunger.<<

Der andere Typ lächelte. >>Warum hast du es immer so eilige. Immer machst du Stress. Alles zu seiner Zeit.<< Alexander musste husten. Immer noch hatte er Mühe genügend Luft zu bekommen.

>>Du wirst doch nicht krank werden, Alexander<< ,meinte Igor. >>Aber ich weiß, eine Grippewelle geht rum. Ja, da muss man schon aufpassen.<< Wieder wandte er sich dann an seinen Boss. >>Was ist nun, gehen wir jetzt?<<

Dieser ließ sich jedoch auch durch die dritte Bitte nicht aus der Ruhe bringen. >>Stress nicht!<< Dann zeigte er auf Alexanders Schuhe. Und ein Grinsen zog über sein Gesicht. Igor verstand. Mit flinken Händen zog er Alexander die Schuhe aus. Innerhalb weniger Sekunden spürte er den eiskalten Schnee an seinen Füßen. Igor besah die Schuhe, drehte sie um und die Scheine flogen in den Schnee. Eilig hob er sie auf. >>Warum hast du uns das verschwiegen?<< ,brüllte er ihn wütend an. Dabei wurde sein Kopf knallrot. >>Du Schwein wolltest uns betrügen!<<

Einer der beiden, die ihn festhielten, meinte, >>Oh je, jetzt bekommt er wieder einer seiner Wutanfälle!<<

>>Lasst ihn los!<< ,forderte der Anführer. Kaum hatten sie ihn losgelassen schlug Igor zu. Seine Faust traf Alexanders Kiefer, durch die Wucht fiel er zu Boden. Doch Igor beschimpfte ihn weiter und trat mit voller Wucht zu. Wieder ein Treffer in seinen Magen. Alexander glaubte gleich zu ersticken.

>>Hör jetzt auf sonst stirbt er uns noch weg!<<

Doch Igor machte einfach weiter, wieder ein Tritt! In diesem Augenblick ertönten Polizeisirenen, die näher kamen.

>>Lasst uns abhauen Miliz!<< ,brüllte einer. Nun ließ Igor endlich ab und alle rannten davon. Für einen kurzen Moment verlor Alexander das Bewusstsein.

************

Langsam öffnete er seine Augen. Zuerst war alles verschwommen, dann wurde das Bild klarer. Immer noch lag er im Schnee. Sein Kopf und der Magen schmerzten. Hoffentlich war nichts gebrochen. Für einen Arzt hatte er kein Geld mehr. Da wo sein Kopf gelegen hatte, war der Schnee leicht rötlich. Vorsichtig fuhr seine Hand zu seinem Gesicht. Seine Nase blutete und aus dem Mund kam ebenfalls Blut. Seine Zunge befühlte das Zahnfleisch. Da wo sich vorher sein rechter Eckzahn befand, war nun ein Loch. Diese Schweine hatten ihm einen Zahn ausgeschlagen!

>>Ich habe die Miliz gerufen!<<

Alexander schaut auf. Vor ihm stand der kleine Junge von vorhin. >Danke!<< ,stöhnte Alexander, während er Luft holte.

Der Junge sah sich um. >>Wir müssen schnell weg hier!<< Die Sirenen wurden immer lauter, was ein Zeichen dafür war, dass sie gleich hier sein würden.

>>Ich komme nicht hoch!<< ,stöhnte Alexander.

Der Junge kam näher. >>Kommen sie, stützen sie sich an mir!<< Mit letzter Kraft und mit Hilfe des Jungen kam er endlich hoch. Dieser zeigte auf das Abbruchhaus. >>Da können wie uns verstecken!<<

>>Meine Schuhe!<< ,stöhnte er. Jetzt erst bemerkte der Junge, dass Alexander gar keine Schuhe anhatte. Die lagen im Schnee! Schnell nahm er sie und zog sie ihm an. Alexander bedankte sich. Gestützt von dem Kleinen humpelte sie nun Richtung Haus. Nach wenigen Schritten drehte sich Alexander um. >>Meine Sachen!<<

>>Wir haben keine Zeit, schnell, sonst stecken sie mich ins Heim!<< So verschwanden die beiden im Haus. Keine Sekunde zu früh. Im gleichen Augenblick hielt ein Streifenwagen. Die Sirenengeheul wurde abgeschaltet. Zwei Beamte stiegen aus.

Die beiden beobachteten das Geschehen aus dem Loch, wo früher einmal ein Rahmen und ein Fenster eingesetzt war. Alexander, der sich immer noch an ihm abstützte, spürte das zittern des Junge als einer der Beamten auf das Haus zusteuerte. >>Wir müssen in den Keller. Vielleicht suchen sie da nicht!<< , flüsterte der Kleine.

In diesem Moment ließ er sich sinken. >>Ich kann nicht mehr!<<

Wenn der Beamte nun die Tür öffnete, würde er die beiden sofort entdecken. Doch einige Meter vor dem Haus rief ihm sein Kollege etwas zu. >>Wir haben einen Funkspruch, Unfall! Da ist eh keiner mehr die sind schon lange getürmt!<< Der Mann drehte ab und rannte zum Wagen zurück. Doch das konnte Alexander nicht sehen, denn das Loch befand sich etwas höher. Dazu hätte er sich wieder aufrichten müssen.

Dies wusste auch der Junge, der jetzt erleichtert aufatmete, daher berichtete er es ihm. >>Sie sind jetzt weg!<<

**************

Eine halbe Stunde später befanden sich die beiden im Keller des Hauses. Mit Mühe und Not und wieder mit der Hilfe des Jungen schafften sie es, die Treppenstufen hinabzusteigen. Immer wieder mussten die beiden eine Pause einlegen. Das Luft holen fiel ihm schwer und es schmerzte bei jedem Atemzug.

Für das erste waren sie hier in Sicherheit. Der Junge schloss die Tür um die eisige Kälte nicht herein zu lassen. Hier drinnen war es angenehm warm. Völlig außer Atem ließ sich Alexander auf dem Boden nieder. Der Kleine blieb jedoch weiterhin stehen und beobachtete ihn. >>Es tut mir leid, dass es ihnen so schlecht geht.<< ,bedauerte er. >>Nochmals Danke für die Brötchen und das Geld.<<

Alexander wollte den Kopf schütteln, doch jede Bewegung tat ihm weh und obwohl ihm das reden schwer fiel, raffte er sich auf etwas zu sagen. >>Ich habe dir zu danken. Du hast mir gerade das Leben gerettet.<< Dann besah er seine Schuhe. Sie waren innen feucht und die Socken ebenfalls. Wenn er sie nicht auszog, würde er womöglich eine Grippe bekommen. Aber alleine würde er das nicht schaffen. >>Kannst du mir bitte meine Schuhe und die Socken ausziehen, alles ist feucht.<<

Der Junge nickte und zog ihm das nasse Zeug herunter. >>Jetzt sollten wir ein Feuer haben, dann könnte man die Sachen schön trocknen.<<

>>Dank dir! Du kannst ruhig Du zu mir sagen.<<

>>Das waren böse Männer, die gehören ins Gefängnis.<< Eine Pause entstand, dann redete der Junge weiter. >>Ich muss ihnen, ähm dir, was gestehen. Als ich das Brötchen aß habe ich mich entschieden und bin zurückgerannt und dir gefolgt. Ich sah was diese bösen Männer mit dir gemacht haben und bin gleich zum nächsten Telefonhäuschen gerannt, so schnell ich konnte. Dann habe ich die Miliz gerufen. Danach bin ich zurück gerannt und habe mich hier im Haus versteckt und gewartete bis sie abhauten.<< Dann senkte er den Kopf und sprach in traurigerem Tonfall weiter. >>Ich musste weinen, als ich gesehen habe was sie mit dir machten. Weil du doch so nett zu mir warst. Wie heißt du ? Ich heiße Sergej!<<

>>Alexander.<<

>>Ein schöner Name!<< Wieder entstand eine längere Pause. >>Alexander<< ,wiederholte der Junge schmunzelnd. Doch das hörte Alexander längst nicht mehr, er war vor Erschöpfung eingeschlafen. Sergej setzte sich neben ihn, sah ihn an und sagte noch einmal ganz leise, >>Alexander.<< Dann schmiegte er sich an seine Schulter und schlief ein. Ach ja und draußen fiel wieder Schnee!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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