Cornelia Palzer

hannibal

Geht man davon aus, dass das Leben beschissen ist und nichts zu bieten hat, ist einem alles Scheißegal. Man kümmert sich nicht mehr darum, ab man später einen guten Beruf hat und genug Kohle verdient um sich ein hammer Haus, nen super Schlitten und ne tolle Frau leisten zu können. Einem ist alles egal. Einem ist egal, was am nächsten Morgen nach dem Aufstehen passieren wird. Einem ist auch egal, wie der Abend verlaufen wird.
 
 Hannibal war eine von ihnen. Ich kannte ihn seit dem Kindergarten und seit dem war er mein bester Freund. Er war ein Träumer, Kreativling und tanzte auf seiner eigenen Wolke. Nicht, dass ihm schon immer alles egal gewesen war. Nein. Aber seit dem Tag, an dem seine Großmutter starb, war nichts mehr so, wie es vorher einmal war. Sein Leben ging den Bach hinunter.
 Es passierte im dritten Jahr an der Oberstufe. Hannibal war zwei Jahre älter als ich. Weil er eine Lernschwäche hatte, ging er zuerst in die Vorschule und wiederholte die erste Klasse der Grundschule einmal. Da er älter war als ich hatte er außer mir auch noch andere und vor allem ältere Freunde. Diese natürlich ließen nichts aus. Egal ob es Mädchen, Drogen oder Alkohol war. Nicht dass sie ihn zu etwas gezwungen oder überredet hätten. Sie hatten auch keinen Einfluss auf ihn. Er tat sowieso immer das Gegenteil von dem, was man ihm sagte.
 
 Es war auch seine Entscheidung, dass er zu kiffen und trinken anfing, bis er bewusstlos war. Nicht dass das Gras ihn bewusstlos werden hätte lassen, nee- nur der Alk war schuld. Er betrank sich, bis er umfiel. 
Nach außen hin schien es ihm gut zu gehen. Naja, abgesehen von den glasigen, mit dunklen Ringen umrandeten Augen, die er hatte, wenn er wieder die Nacht durchgefeiert hatte und am nächsten Morgen (natürlich mit mindestens 2 ½ Stunden Verspätung) in der Schule auftauchte.
 
 Hannibal war der Typ Mann, der es eigentlich nicht notwendig hatte, zu saufen und zu kiffen. Er hatte etwas an sich, dass Mädchen wie die Motten anzog. Manchmal beneidete ich ihn schon sehr um diese „Gabe“. Hannibal war nicht der Surfertyp oder Mr. Perfect. Seine Augen waren dunkel, die kantige Gesichtsform und die halblangen, dunklen Locken verliehen ihm verwegenes und zugleich geheimnisvolles Aussehen. Komischerweise waren Mädchen für ihn kein Thema. Waren sie auch noch so hübsch.

Obwohl ich sein bester Freund war, wusste ich nicht wie´s in ihm wirklich aussah. Ich wusste nicht, wie kaputt er eigentlich war. Er sprach nie sehr viel über sich selbst. Und wenn, dann klang es höhnisch und lächerlich. Seit ich ihn kannte, und das war eine verdammt lange Zeit, hatte er nie eine Freundin gehabt. Warum kann ich nicht sagen.

Hannibal Kindheit war sicher alles andere als einfach. Seine Mutter war eine Nutte, die kurz nach seinem ersten Lebensjahres an einer Überdosis Heroin starb. Seine Großmutter, die ihn mehr oder weniger aufzog, starb als er gerade mal acht Jahre alt war. Von da an lebte er bei einer Familie, die ihn verabscheute, verachtete und missachtete. Man hatte ihn immer alleine gelassen. Er war immer auf sich gestellt. Genaugenommen hat er nie gelernt zu Lieben. Er wusste nicht was Liebe bedeutet und er war auch nicht fähig zu lieben. Er mochte nicht einmal sich selbst.

Aber nun wieder auf diesen schon vorher erwähnten Tag zurück zu kommen. Can, wie ich Hannibal manchmal nannte (sei es wegen Cannabis oder der Namensgleichheit mit Hannibal Lecter, der ja bekanntlich den Spitznamen „cannibal“ trug), war seit etwa zwei Wochen nicht mehr in der Schule erschienen. Ich wusste dass er krank war. Lungenentzündung. Kam bei ihm öfter vor. Der Stress „zuhause“ und der Alkohol zerstörten ihn vollkommen. Am Vorabend hatte ich ihn noch besucht, wollte wissen wie´s ihm ging und ob er etwas brauchte. Er meinte nur, dass was er wollte würde er nie bekommen.

Er ging nicht weiter darauf ein. Später aber sollte ich erfahren warum. Mit einem megagroßen Fragezeichen, dass mir ins Gesicht geschrieben stand, ging ich nach Hause. 

Als ich dann eben an diesen einem Tag heim kam, wartete meine Mum schon an der Haustüre auf mich. Sie umarmte mich, noch bevor sie etwas sagte. Ich hatte keine Ahnung warum, so etwas tat sie normalerweise nie. Dann hielt sie mir einen Brief unter die Nase. Sie hatte ihn geöffnet und gelesen. Zuerst fuhr ich sie an, was ihr einfiele, einfach meine Post zu öffnen und zu lesen. Sie entschuldigte sich kleinlaut und meinte, dass die Neugier doch stärker war als die Vernunft. Sie drückte mir den Brief in die Hand und ließ mich einfach so im Vorhaus stehen. Ich beeilte mich in mein Zimmer zu kommen und den Brief genauer in Augenschein nehmen zu können. Keine Adresse, kein Absender, nur mein Name stand auf dem Umschlag. Jedoch in solch einer Sauklaue, dass ich Mühe hatte, es zu entziffern zu können. Ich hatte schon so eine dunkel Vorahnung von wem der Brief war. Und diese Vermutung ließ einen Knoten in meinem Magen entstehen.

Der Brief war nicht lang. Nur etwa fünf Zeilen.

`Ich bin weg!´ stand dort. Can, du verdammter Idiot! Mein Magen zog sich zusammen. Mir war richtig schlecht.
 `Ich verlasse diese Welt noch vor Mitternacht, sie hat mir nur Kummer und Leid gebracht.´ Ich atmete tief durch, bevor ich weiterlas. `Mit einer Ausnahme, von der ich weiß, dass ich sie nie mein Eigen nennen kann.´ Was zum Teufel meinte er damit? Wen oder was wollte er, konnte es aber nicht bekommen? Die letzte Zeile war das, was mich am meisten schockierte- wohl eher betroffen machte. `Ich mag dich. Wirklich, wirklich!´

 

Der Brief fiel mir aus der Hand und ich stürzte zur Toilette, wo ich mich übergab. Und mit einem Schlag, mir fiel es wie Schuppen von den Augen, erkannte ich was der Brief bedeutete.
Erstens: Ich war das, was er wollte aber nicht bekommen konnte. Deshalb keine Mädchen.
Zweitens: Can war tot. TOT.

 Um mich herum drehte sich alles und ich blieb auf dem Fußboden liegen. Can war tot? Ich brauchte einige Minuten um zu verstehen, was die Worte die sich in meinem Kopf befanden, bedeuteten. Tot bedeutete niemals wieder zu kommen. Leblos, wie eine Fliege die man mit einer Fliegenklatsche an der Fensterscheibe zerquetschte und die dann eine Spur von Blut (Blutete eine Fliege überhaupt?), Gedärmen und Flüssigkeit hinterließ.

Nur verstehen kann ich es nicht. Ich meine nicht richtig. Es will nicht in meinen Kopf hinein. Aber ich weiß warum er es getan hat. Weil er sich hasste. Weil er sein Leben hasste. Weil er keine Familie, kein Zuhause hatte. Und weil- weil er mich mochte. Erst viel später erfuhr ich den wahren Grund:

Er war HIV- positiv.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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