Marianne Reepen

Weiters vom Weiblein


 
Märchen

Träume vom Weiblein ...

Und wieder sitzt die Alte dort an ihrem Lieblingsplatz unter der alten Buche, die sie so gern hat. Am liebsten möchte sie seinen silberhellen, glatten Stamm umfassen, aber ihre Arme reichen nicht für eine liebevolle Umarmung.
Sie berührt ihn so oft und spürt irgend etwas Verwandtes... ......Ist es ihr Herzschlag oder der des alten Baumes...?

Wieder lehnt sie den Kopf mit ihrem weichen Silberhaar an ihn und träumt von ihrem langen Leben, und es fällt ihr etwas ein, was sie wohl nie vergessen wird, weil es so wunderschön gewesen war.

Es war im Garten hinter dem alten Stadthaus. Hier hatte der Großvater an einer ungeheuer hohen Trennungsmauer vor vielen, vielen Jahren einen Birnbaum gepflanzt, der die saftigsten „Winterbirnen“ trug, Flaschenbirnen, mit dicken Bäuchen und schlanken Hälsen.
Immer dann, wenn die hohe Leiter aus ihrem Versteck geholt wurde, dem jungen Weiblein war sie vorgekommen, als ob man mit ihr in den Himmel steigen könnte, herrschte eine helle Aufregung im Garten.

Diese raue, regengraue Himmelsleiter war unten sehr breit und oben so schmal, dünn und durchgebogen, dass die Frauen Ängste litten, sie könne einmal zusammenbrechen, wenn ihre Männer sich ans Werk machten.

Da wurden Kübel und Wannen und Eimer und Körbe herbeigeschleppt, und das Abenteuer begann.

Das Kind im Weiblein schaute zu, wie Korb an Korb hinunter getragen wurden und die Zinkwannen sich mit lauter grünen Früchten füllten...
Oh, welche Lust hinein zu beißen...!
Und da war auch wieder der kleine Vogel, der, der immer die Kirschen geknackt hatte, sang sein Hochsommerlied, setze sich auf eine Wanne und warnte ...: "Nicht essen, sie sind ja noch nicht reif, es würde dir nicht gut tun - und die Birnen jammerten: "Nun müssen wir auf die hohen Schränke umd in  Dunkelheit verbringen um reif zu werden...und keiner wird uns mehr anschauen, bis zum Winter"...

Das Vöglein aber zwitscherte: „Seid nicht traurig, ich komme euch besuchen“...und auch der alte Spalierbaum stöhnte laut...wie nackt er nun sei und wie traurig...
Und wieder war es das Vöglein, das sich nun einmischte und sagte: „Lieber Baum, sei nicht traurig, ich werde hin - und herfliegen und Grüße bringen von deinen Früchten zu dir, und bald wirst du den Trennungsschmerz auch überwinden, und du weißt es ja schon lange, dass sich dein Früchtetraum im nächsten Jahre wieder neu erfüllt.

Und so geschah es. Der kleine Vogel flog zu den Birnen, immer wieder, bis sie gelb und saftig geworden waren, brachte Grüße vom Baum und flog zurück und brachte sie zu allen Blättern und Ästen des Baumes...

Und als der Baum zu schlafen und zu träumen begann, freuten sich die Birnen, soviel saftige Freuden zu spenden, als sie im Winter Stück für Stück auf den Tisch gebracht wurden und alle ihre Köstlichkeit priesen...

Den alten Birnbaum gibt es nicht mehr, aber wenn das Weiblein an ihn denkt, läuft ihm das Wasser heute noch im Munde zusammen.

© Marianne Reepen
Fantasiemärchen in Anlehnung an eine wahre Begebenheit.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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