Sandy Grosser

Die Macht der Zwerge - Erstes Kapitel

I

 

Das jenseitige Land,

innerhalb der schwarzen Schlucht

6241. Sonnenzyklus, Frühherbst

 

 

Dunkelheit und Stille umgab den verwundeten Krieger. Schnell jedoch gewöhnten sich seine Augen an die, seinem Wesen nach vertraute Finsternis. Auf dem Rücken liegend, versuchte er sein Umfeld zu erkunden. Es gelang ihm jedoch, nur Blicke umherschweifen zu lassen. Die geringste Bewegung war ihm nicht möglich. Sein geschundener Körper gehorchte nicht. In den Geruch nach verbranntem Fleisch mischte sich der Gestank von verkohltem Leder und versengten Haaren. Kein Gefühl verrieten ihm, wie sehr sein sterbliche Hülle in der vergangenen Schlacht gelitten hatte. Aber er war am Leben, so glaubte er zumindest. Würde er doch sonst vor der knisternden Esse Vracca´s stehen und von seinem Schöpfer willkommen geheißen werden.

 

Langsam kehrte die Erinnerung an die vergangenen Umläufe und Zyklen wieder. Sie hatten eine unglaublich Schlacht geschlagen, um zu verhindern, dass sich die Monstren der Unterwelt aus der schwarzen Schlucht erhoben, was für die Länder der Zwerge und ihrer Verbündeten den Untergang bedeuten würde.

`Wie ist die Schlacht ausgegangen` fragte er sich. ´Ist es ihnen gelungen die schwarze Schlucht mit Hilfe des Diamanten zu versiegeln?´ Es war ihm nicht möglich eine Antwort darauf zu finden. `Sirka` tönte es in seinem Kopf. Wie wird es ihr wohl ergangen sein. Angst befiel ihn, um die Untergründige, die in den letzten Umläufen zu einer ihm mehr als vertrauten Gefährtin geworden war. Es wurde ihm heiß. Der Kopf begann zu glühen. In diesem Augenblick spürte er, wie ein brennender Schmerz seinen Leib durchfuhr.

`Wenn du Schmerzen verspürst, heißt das, dass du lebst` hörte er eine Stimme in seinem Kopf. Es war Boïndil Zweiklinge aus den Clan der Axtschwinger vom Stamme der Zweiten, Freund und Kampfgefährte durch viele Abenteuer hindurch, der diese Worte vor ewigen Zyklen einmal zu ihm sagte.

„Gut“ hörte sich laut seufzen „Das wäre also geklärt. Mein Körper ist komplett und ich bin am Leben.“ Plötzlich keuchte es nicht weit von ihm: “Das ist gut zu wissen, Tungdil Goldhand, Held des geborgenen Landes und des Diesseitigen.“ Es war Flagur, Fürst der Ubari  und Befehlshaber der Streitmacht, die mit Tungdil und seinen Gefährten in die gewaltigste Schlacht gezogen war, die ein Zwergenauge je gesehen hatte.

Auf den ersten Blick, war es eine ungewöhnlich Allianz, wenn man bedachte, dass das Volk der Ubari augenscheinlich mit den Orks verwandt ist. Jedoch sind die Ubari von kräftigerer Statur und hellerer Hautfarbe, was höchst wahrscheinlich damit zusammenhängt, daß sie einem Bad nicht so sehr abgeneigt sind wie die stinkenden Orks.

„Flagur, wie geht es dir? Bist du schwer verletzt? Wo sind wir? Was...“ Flagur unterbrach ihn mit einem lauten schmerzerfüllten Stöhnen. Tungdil selbst, wurde es schwindlig. Die Schmerzen  wurden unerträglich und sein Körper rettete sich in eine Ohnmacht. Dann brach die Stille wieder über die beiden Krieger herein.

Als Tungdil wieder zu sich kam, versuchte er sich aufzurichten. Unter starken Schmerzen gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. Neben sich entdeckte er seine von schwarzem Blut verkrustete Streitaxt. Blutdürster hatte ihm in der Schlacht mehr als gute Dienste erwiesen. Nachdem er seine Waffe vom erstarrten Lebenssaft seiner Feinde befreit hatte, gab sie einen fahlen bläulichen Schein wieder. Es ließ sich an ihr nicht der geringste Makel erkennen. Als wäre sie erst in diesem Umlauf aus der Esse seiner Schmiede gezogen worden.

Erschrocken fuhr er herum. Suchend erforschte das eine ihm verbliebene Auge die Umgebung. Das andere ist ihm vor einem halben Zyklus im Kampf gegen die Atár in den Höhlen von Toboribor genommen worden. Er befand sich in einem unterirdischem Tunnel, der sich schlangengleich abschüssig tiefer in die Erde zu graben schien. Es musste sich wohl um den Tunnel handeln der an der Oberfläche im schwarzen Schlund enden würde. Mit seinen fünfzig Schritten in Höhe und Breite bot er genug Raum, um eine Armee von Monstren beherbergen zu können. Etwas oder jemand fehlte..

Er konnte nirgendwo Flagur entdecken. Ist er ohne ihn fortgegangen oder hatten ihn die Geschöpfe Tions geholt. Und wenn, warum wurde er selbst zurückgelassen? Gerade beschloss Tungdil, sich an den Aufstieg zu machen, da stieg ihm ein unerträglicher Gestank in die Nase. Nach etwa einhundert Schritten hörte er ungewöhnliche Laute und das Rasseln von Waffen und Rüstungen. So schnell es seine Verletzungen erlaubten schleppte er sich in eine der Felsspalten welche die gesamten Tunnelwände überzogen und ihm gerade so viel Platz gewährte, sich ungewollten Blicken entziehen zu können. Langsam tastete er sich von einer Felsspalte zur nächsten, bis es ihm möglich war zu sehen was vor ihm im Tunnel vor sich ging. Eine Gruppe von an die hundert Monstren, von denen er unzählige in der Schlacht erschlug, hatten sich keine zwanzig Schritte vor ihm niedergelassen. Es waren unheimliche Wesen. Einige hatten vier Arme und starke Unterkiefer die mit Hauern bewehrt waren, ähnlich denen von wilden Ebern. Ihre dünnen knochige Beine endeten in stierartigen Hufen. Zwanzig von denen bereiteten sich offensichtlich auf den Abmarsch vor. Vier von ihnen trugen einen aus Eisen geschmiedeten Käfig. ´Ein Gefangenentransport´ dachte Tungdil sofort, und als sie näher kamen erkannte er auch den Gefangenen. Flagur lag zusammengekauert auf dem  Boden des Käfigs und bewegte sich nicht.  ´Tod würde er nicht sein´ beruhigte sich Tungdil. ´Es ist nicht notwendig, eine Leiche  einzusperren.´ Dennoch versuchte Tungdil beim Vorbeimarsch des Trosses ein Lebenszeichen des Gefangenen zu erblicken. Aber er konnte keine Regung erkennen.

 

Tungdil folgte dem Gefangenentransport, der sich immer weiter den Tunnel abwärts bewegte. Nach drei Umläufen gelangten sie an eine Verzweigung, von der ein Weg weiter abschüssig in die Erde verlief. Der andere, nur einen Schritt breite Tunnel, schien aufwärts zu verlaufen. Zwei von den Monstren konnten dort nicht nebeneinander laufen. Die Wesen schienen Rast zu machen. Zum Glück für den völlig entkräfteten Zwerg. Seit mehr als vier Umläufen hatte Tungdil nichts zu sich genommen. Hungrig, durstig und halb wahnsinnig vor Schmerzen legte er sich in sicherer Entfernung zu dem Tross in eine der Felsspalten und versuchte sich etwas auszuruhen. Erst jetzt bemerkte er das ganze Ausmaß seiner Verletzungen. Der feurige Atem des Kordrions, eines drachenähnlichen Geschöpfes das sich aus der schwarzen Schlucht befreien konnte, hatte nahezu seinen gesamten Oberkörper verbrannt. Durch die enorme Hitze schmolzen sich die Ringe des Kettenhemdes durch den Lederwams und brannten sich fingerdick ins Fleisch.

So mussten sich die Kreaturen gefühlt haben, die der Magister technicus aus den Bastarden Toboribors geschaffen hatte. Orks hatten sich in den Höhlen Toboribors an einer Albenfürstin vergangen. Die Frucht dieser stinkenden Saat benutzte der dem Wahnsinn verfallene Furgas für seine ekelhaften Experimente, indem er die Bastarde verstümmelt zu halben Maschinenwesen zusammenschweißte.

Tungdils Leib versuchte nun die ins Fleisch eingedrungenen Fremdkörper aus den stark eiternden Wunden abzustoßen und verursachte dabei Schmerzen, denen sich ein jedes Wesen des geborgenen Landes  längst ergeben hätte. Aber Zwerge sind aus einem anderen Stein geschlagen. Vraccas hat ihnen die Sturheit und die körperliche Standhaftigkeit gegeben, die es Tungdil möglich machte durchzuhalten. Es gelang ihm sogar ein paar Augenblicke zu schlafen.

 

 

  

Das jenseitige Land

Stadt Letéfora

6241. Sonnenzyklus, Spätherbst

 

 

Wie zu Stein erstarrt stand Sirka am Fenster und blickte unentwegt hinaus in Richtung Osten. Die sandfarbenen Häuser Letéforas schienen mit dem Licht der untergehenden Sonne in zartes Rosa getaucht. Eine wie von feinster Seide gewebte Kuppel erhob sich, zart bläulich schimmernd über dem östlichen Horizont. „Die Sphäre ist vorerst stabil“ erklang eine warme, tiefe Stimme, die Sirka kurz zusammenzucken ließ. „Boïndil, ich habe dich gar nicht kommen hören.“ Ingrimmsch trat neben sie und legte seinen Arm leicht um ihre Schultern. „Die Gedanken an den Gelehrten haben dich wohl für einige Zeit aus dieser Welt verbannt.“ Beide sahen noch eine Weile mit besorgen Blicken gen Osten.

„Sirka,“ unterbrach er die bedrückende Stille. “mein Herz sagt mir, dass er lebt. Er kehrt zurück, früher oder später. Der Gelehrte kehrt immer zurück.“ „Danke Boïndil, das du versucht mich zu beruhigen, aber nichts und niemand vermag es, meinen Kummer zu lindern. Was mich mit Tungdil Goldhand verbindet, ist stärker als alles was ich bisher kennen gelernt habe.“ Sirka zog die schweren rubinroten Vorhänge zu und wandte sich ab vom Fenster, als wollte sie ihre Gedanken und Gefühle aussperren. „Du kannst nicht davor entfliehen“ sprach Boïndil „aber du kannst deinem Kummer meine Zuversicht hinzufügen.“ Sirka lächelte ihm kurz zu, konnte jedoch nichts erwidern. „Bei Vraccas, schwöre ich dir, er wird wieder bei dir sein. Noch ehe Goda und ich ins geborgene Land zurückkehren.“ Boïndil blickte Sirka tief in die Augen und fügte hinzu: „Wenn nicht, Sirka, werde ich einen Weg finden, ihn den Fängen der schwarzen Schlucht zu entreißen. Sobald Goda´s Aufgabe hier erfüllt ist, wird das geborgene Land auf seine besten Krieger verzichten müssen, bis der größte Held unserer beiden Welten in Sicherheit ist.“ Sirka konnte ihre Gefühle nicht weiter im Zaum halten. Zu Tränen gerührt fiel sie Boïndil um den Hals.

„Das ist ja sehr interessant“ hörten sie Goda sagen, die, wie Ingrimmsch vor ihr, unbemerkt das Zimmer betreten hatte. Grinsend beobachtete sie wie Boïndil´s Gesichtsfarbe ein tiefes Rot annahm. Goda wischte Sirka mit der Außenfläche ihrer rechten Hand die Tränen von der Wange. Mit der anderen drückte sie Sirkas linke Hand fest und sprach mit ernster Mine: „Sei dessen gewiss, dass wir nicht eher ruhen werden, bis der Gelehrte wieder in unserer Mitte weilt.“ Leicht erheitert fügte sie hinzu: „Schließlich muss er mir berichten, ob die Geschichten, die mein Meister mir von ihren Heldentaten erzählt, der Wahrheit entsprechen oder ob ich einem Aufschneider aufgesessen bin.“ Wutentbrannt schnaufte Ingrimmsch: „Aufschneider? Deinen Meister der Lüge bezichtigen, kostet dich vor dem zu Bett gehen fünfzig Liegestütze. Ich und ein Aufschneider. Jede Einzelheit meiner Erzählungen hat sich so zugetragen. Vraccas ist mein Zeuge.“ Goda verfiel in ein leichtes Kichern, in das Boïndil unweigerlich einstimmen musste. Die Drei fielen sich in die Arme. Sirka lächelte und schluchzte: „Bei eurer Freundschaft und meiner Liebe zu Tungdil, kann er gar nicht anders, als zu uns zurückzukehren. Ich danke euch von ganzem Herzen.“

 

 

Fortsetzung folgt...

Hallöchen,
mit dieser Geschichte möchte ich nicht nur meine Faszination allein, für die Buchreihe von Markus Heitz, über das kleine tapfere Volk der Zwerge ausdrücken. Vielmehr bewegen mich sehr egoistische Gründe, am Schluß des letzten Romans anzuknüpfen. Ich wollte einfach wissen wie es weitergeht und hoffe, dass alle anderen, die sich genauso begeistert ins geborgene Land verirrten hatten, auch so viel Freude an der Geschichte haben, wie ich.
Sandy Grosser, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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