Maria Timm

Bekenntnisse eines Sommerzeit-Ignoranten



Ich hatte Hunger und stand planlos vor den Töpfen.



Die Suche nach
einem Kaiserschmarrn-Rezept im Internet führte mich direkt zu  einer Seite über historische Daten. An
diesem Tag blieb also die Küche kalt, galt es doch bedeutsameren Ereignissen,
als irgendeinem Schmarren nachzugehen,  zum Beispiel meinem
Geburtstag und seinem tieferen Sinn.

Ich wurde schnell
fündig und beeindruckt. Edward IV. erblickte das Licht der Welt, Mussolini
wurde stattdessen erschossen und sicherheitshalber anschließend erhängt,  auf der Bounty wurde gemeutert, das
Bundesverfassungsgericht gewährte Straffreiheit bei gelegentlichem
Haschischkonsum, und die Fluggesellschaft Air Berlin eröffnete an einem  28. April  seinen Flugverkehr  von Berlin
nach Palma de Mallorca. Ebenfalls an einem 28. April flog auch ich - nach
vorehelichem Verkehr direkt aus Mutters Bauch. 
 
Edward hat es
längst dahingerafft, Benito ist definitiv tot, die Bounty  bekanntlich gesunken und das mit den
Rauchwaren habe ich auch längst sein lassen.

Da ich in Palma auf Mallorca wohne und im übrigen
Berlin ganz hinreizend finde, dachte ich mir, schau doch da einmal vorbei. In
Sachen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, so heißt es, setzt besagtes
Personal  Maßstäbe in der Luftfahrt.
Nun, mit dem Maß und dem Stab ist das so eine relative Sache. 
 
An einem Sonntagmorgen  wollte ich aufs Festland fliegen. Ich fuhr
zum Flughafen um sogleich festzustellen, dass sich mein Flugzeug bereits feste
im Landeanflug  befand.   Auch die Zeitumstellung von Winter auf
Sommer ist relativ, und, was mich betrifft, habe ich allgemein ein spezielles
Verhältnis dazu.

Wie denn nun der Insel entkommen? Ganz einfach,
erklärte man mir knapp – schwimmen oder noch mal zahlen. Mangels Zahlungswillen
und Freischwimmer-Abzeichen  gab ich zu
bedenken, dass es ein prima Service wäre, würde Air Berlin ihre Kunden  auf die Umstellung der Uhren bei der Buchung
hinweisen.
 
Die Dame mutierte nun zur Furie. Während  ihr Kopf Purpur anlief, und sie mich anschrie, dass  Kunden eine
Zumutung seien, musste ich irgendwie an Saddam Hussein denken, und dass auch er
an jenem Schicksalstag im April das Licht der Welt erblickte. 

Solidarisch
sprang nun ihr Kollege zur Seite.  Jedes
Kind wisse schliesslich Bescheid mit der Zeitumstellung, ob ich denn keine Zeitung lese oder
Nachrichten gucke?

Autsch, dass
hatte ich verstanden.  Geistesschwache
und Trunksüchtige, konterte ich, kann man entmündigen. Fälle bei
Zeitumstellungs-Ignoranten sind mir eher nicht bekannt.

Nun wurde auch
Kollege richtig wild.  Die Sachlage sei
klar. Ich habe den Flieger verpasst. Was ich denn noch wolle?
 
Zum Beispiel den
Weltfrieden, aber das tut  an dieser
stelle nichts zur Sache.  Die Frage ist
eher was ich nicht will, nämlich die Sommerzeit. ICH -WILL -SIE –EINFACH-
NICHT! Mein Hormonspiegel braucht Monate um sich daran zu gewöhnen, die Kinder
wollen abends nicht zu Bett und morgens nicht zur Schule, ich muss Armbanduhr,
Wanduhr, Mikrowelle, Digitalkamera Mikrowelle und Aquarium ständig umstellen. Und dann DIE ewige Frage – vor
oder zurück? 

Zeitliche
Organisation ist für alle Organismen von großer Bedeutung. Viele Pflanzen
öffnen und schließen ihre Blüten zu bestimmten Zeiten. Gibt es diesen Sommer etwa keinen Honig
mehr, weil die Bienen jetzt zu spät kommen ? 
 
Auch der Mensch
unterliegt seiner Tagesrhythmik. So ist beispielsweise der Höhepunkt des  Urinvolumens morgens um sechs und der des
Testosteronspiegels um acht.  Muss ich
nun jeden morgen noch eine Stunde länger im Bett mit  voller Blase ausharren? Und um neun ist mein Mann längst aus dem
Haus und bei der Arbeit. Da nutzt er mir dann auch nichts mehr.


Vielmehr als das
Blasen- und Transportproblem drücke mich dazu jetzt auch noch ein
Glaubwürdigkeitsproblem. Mein kleiner sechsjähriger Sohn stand während der
ganzen Zeit neben mir, und meine chronometrische Blamage schien ihn nachhaltig
zu amüsieren. Wie sollte ich ihm zukünftig glaubhaft machen, warum die Wolken
am Himmel kleben, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält und warum  Schwämme Unterhosen tragen und Krabbenburger
essen? Aber, das wird eine andere Geschichte.
Ein tröstlicher Gedanke durchfuhr mich. Es heißt, dass der Erfinder der
Sommerzeit seine Idee derart humorvoll zu Papier brachte, dass sich bis heute
noch die Gelehrten streiten, ob es sich wahrlich um einen ernsthaften Vorschlag
Benjamin Franklins handelte. Ich lächelte, zahlte und flog von dannen – selbstverständlich mit der gewohnten
Verspätung für Airlines.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.03.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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