Es war ein stürmischer Abend, an
dem Mira loszog, ihren Großeltern einen Besuch abzustatten um
ihren Anhänger abzuholen, den sie dort vergessen hatte. Während
sie gegen den Wind ankämpfte, hallten die Worte ihrer Mutter in
ihrem Kopf wider. „Sei doch vernünftig, du kannst deine Kette
auch morgen noch holen. Da raus zu gehen, und das im Dunkeln... das
kann nicht gut sein. Und dann ausgerechnet heute!“ Doch Mira hatte
heftigst darauf bestanden und letztlich ihren Willen durchgesetzt.
Ihr Anhänger war seit je her ein Teil von ihr und ohne ihn
fühlte sie sich einfach unwohl. Sinnlos, es jemandem erklären
zu wollen. Ganz abgesehen davon glaubte sie nicht an den Humbug, der
diese Nacht zeichnete. Die Nacht des Halloween. Was sollte schon
passieren? Sie würde aller höchstens nass werden, und daran
würden wohl kaum irgendwelche nicht vorhandenen Geister Schuld
sein, sondern die Natur.
Bei ihren Großeltern angelangt,
barg sie ihren Anhänger sogleich in ihrer Hand. „Und dafür
machst du dich zu dieser Zeit auf den Weg hierher?“ ihr Großvater
trat lächelnd neben sie. „Du weißt doch, was heute ist,
Mira?“ Mira rollte mit den Augen. „Eine Nacht, die einem längst
in Vergessenheit geratenen Fest entspringt und mittlerweile
Kultstatus erreicht hat.“ antwortete sie sarkastisch. „Ja,
leider.“ mischte sich Miras Großmutter mit einem traurigen
Lächeln ein. „Sehr wenige Menschen wissen noch um die
eigentliche Tradition Halloweens. Dabei ist es so wichtig. Schade,
sehr schade alles...“ sie schüttelte traurig den Kopf. „Was
meinst du?“ fragte Mira. „Die Seelen der Toten.“ flüsterte
die Großmutter viel sagend, „nur ihretwegen existiert dieses
Fest, nur zu ihrer Ehren zogen die Menschen aus. Heute erinnert sich
keiner mehr an sie, Süßigkeiten, bunte Kostüme,
erschrecken und gruseln, das alles verbinden die Leute mit der Nacht
des 31. Oktobers, dabei vergessen sie, was es heißt, sich
wirklich zu gruseln, zu fürchten... “ ein weiterer fragender
Blick ihrer Enkelin veranlasste sie dazu, weiter zu erzählen:
„Auch die Toten werden das nicht einfach so hinnehmen. Früher
oder später rufen sie sich den Menschen auf ihre Weise in
Erinnerung.“ „Ach Omi, du weißt doch, dass ich an solche
Dinge nicht glaube.“ Mira machte eine wegwerfende Handbewegung,
„Geister, tote Seelen, ... damit konntest du deine Geschichten
füllen, als ich noch ein Kind war, aber heute weiß ich,
dass es solche Dinge nicht gibt.“ „Es ist eigenartig“, begann
ihr Großvater, „glaubt nur an das, was sich beweisen und
begründen lässt, an das Sichtbare, das natürliche,
aber besitzt einen Anhänger, den sie auf unerklärliche
Weise wie einen kosbaren Schatz hütet und ohne den sie sich
unnatürlicher Weise völlig elendig und unvollständig
fühlt. Ohne sehen zu können, was es ist, das von ihm
ausgeht.“ Mira errötete. Dieser Tatsache konnte sie nichts
entgegenbringen und so verstaute sie das silberne Etwas schmollend in
ihrer Jackentasche. „Ich muss wieder los, nicht dass Mama sich
noch Sorgen macht.“
An der Tür angelangt, hielt ihre
Großmutter sie noch kurz zurück. „Im Jahre 639 vergaß
man, einen Helden zu ehren, der sehr viele Leben gerettet hatte. Er
sah voraus, dass man schon bald aufhören würde, überhaupt
jemandes Tod zu ehren und er versprach es den Menschen heimzuzahlen,
im Sinne aller Seelen und für sich selbst.“ „Aber ja,
Omilein, gewiss doch...“ „das war vor 1313 Jahren, Mira
Thirteen!“ Gleichzeitig zu diesen Worte,
öffnete Mira die Tür und ein eisiger Wind schlug ihr
entgegen. „Unsinn.“ murmelte Mira im Hinausgehen.
Kurz darauf setzte feiner Sprühregen
ein und es bildete sich Bodennebel. Die Dreizehn. Natürlich, was
auch sonst. Bereits so lange sie denken konnte, verfolgte sie diese
Zahl. Wenn sie eine Geheimzahl erhielt so war in der Regel die 13
darin enthalten, ob als Quersumme oder als zweistellige Zahl.
Spintnummern, die ihr zustanden, beliefen sich auf Zahlen wie 13,
113, 213, ... Wenn es irgendwelche Namenslisten gab, auf denen sie
aufgeführt war, so konnte sie sicher sein, dass ihr Name an
dreizehnter Stelle stand. Überhaupt ihr Name – Mira Thirteen,
was auf Deutsch nichts anderes hieß als Mira Dreizehn.
Von einer plötzlichen Helligkeit
geblendet, blieb Mira abrupt stehen und legte schützend die Hand
vor Augen. Der Nebel und dieses grelle Licht ließen sie nicht
erkennen, wer oder was dort war. Sie fühlte, wie ihr Puls
unwillkürlich ein paar Takte höher schlug, wofür sie
sich selbst schallte. Ein paar Kinder, die sich in der Kostümwahl
vergriffen hatten und um Süßigkeiten bettelnd durch die
Gegend streiften waren das Ungewöhnlichste, was ihr begegnen
konnte, also weshalb machte sie sich verrückt? So sah das
zumindest ihr Kopf, ihren Magen hingegen interessiere es nicht die
Bohne, was der Verstand sagte. Dennoch ging sie einfach gerade aus
weiter der Helligkeit entgegen.
Wie aus dem Nichts sprang plötzlich
ein Schatten durch das Licht und erschreckte Mira so sehr, dass sie
mit einem lauten Seufz zu Stein erstarrte. Sie redete sich heftig
ein, dass das nur Kinder waren. Nur Kinder, Kinder, die über
zwei Meter groß und schwarz angezogen sind, Kinder, deren
Süßigkeitentaschen wie riesige Klingen aussehen, bloß
Kinder... dieser Gedanke beruhigte sie so sehr, dass sie sich rasch
umdrehte und die Seitenstraße einbog, dabei beschleunigte sie
ihre Schritte, bis sie nichts mehr von dem Licht sehen konnte. Dafür
hörte sie etwas. „Das Heulen des Windes, du Dummerchen!“
reif sie laut, eher um das Geräusch zu übertönen als
um daran zu glauben. Je weiter sie ging, desto düsterer wurde es
um sie herum.
Bald fiel ihr auf, dass es hier
keinerlei Straßenbeleuchtung gab, es war stockfinster.
Inzwischen musste es tiefste Nacht sein. Mira fror und schlang die
Jacke enger um ihren Körper. War diese Straße schon immer
so lang gewesen? Es schien, als würde die Luft mit jedem Schritt
kälter und die Straße immer länger und dunkler. Sie
beschleunigte ihren Gang, lief immer schneller, bis sie schließlich
rannte. Rannte die Straße entlang, wollte endlich wieder auf
den Hauptweg zurück. Doch es half nichts, es war kein Ende in
Sicht. Ein Rascheln neben ihr ließ sie anhalten. Keuchend und
mit vor Angst aufgerissen Augen starrte sie in die Finsternis. Jedes
Geräusch ließen sie zusammen zucken. Plötzlich sprang
etwas von rechts quer über die Gasse zur anderen Seite und
streifte dabei Miras Schulter. Sie stieß einen spitzen Schrei
aus und sprang erschrocken zur Seite. Heftig atmend warf sie einen
zögernden Blick zu ihrer Linken – und hätte am Liebsten
laut aufgelacht. Eine Katze, schwarz wie die Nacht, durchwühlte
eine weggeworfenen Tragetasche. Mit einem Grinsen ließ sich
Mira in die Hocke nieder. „Du hast mich ganz schön erschreckt,
Mieze, weißt du das?“ Die Katze kommentierte Miras Worte mit
einem Miauen und einem Blick aus ihren Smaragdgrünen Augen. Mira
streckte die Hand nach dem Tier aus, als es sich plötzlich mit
einem wütenden Fauchen aufbäumte und böse mit den
Augen funkelte. „Aber was hast du denn, ich wollte doch nur...“
sie stoppte und hielt den Atem an, als sie hinter sich ein Geräusch
vernahm und ein riesiger Schatten, schwärzer als die Dunkelheit,
vor ihr auf die Wand fiel.
Sie wagte es nicht, sich zu bewegen,
doch irgendetwas zwang sie, sich umzudrehen. Es war, als wäre
die Temperatur mit dem Anblick dieses Dings schlagartig um fünf
Grad gefallen, Miras Herz setzte einen Schlag lang aus, nur um dann
mit doppelter Wucht weiter zu hämmern. Eine riesige, schwarze
Gestalt stand da vor ihr, umhüllt von einem gewaltigen schwarzen
Umhang mit weiter Kapuze, die das Gesicht dieser Kreatur, deren
Konturen einem Mann ähnelten, vollständig bedeckte. Die
Katze fauchte noch immer und zeigte dem Wesen seine Krallen. Mira
wollte schreien, sie wollte weglaufen, doch sie konnte nichts tun als
dieses Wesen mit einem Ausdruck des Schreckens anzustarren.
Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es sowieso keinen Sinn hatte,
wegzulaufen oder zu schreien. Wohin sollte sie denn laufen? Und wer
sollte sie hier hören? Er hätte sie sofort eingeholt. Sie
zuckte zusammen, als er seinen Arm hob. Instinktiv duckte Mira sich
und warf blitzschnell die Arme über den Kopf, als das Wesen
ausholte. Der markerschütternde Schrei der Katze hallte noch
weit in der Straße wider. Ängstlich hob Mira den Kopf und
machte einen zuckenden Schatten einige Meter entfernt von ihr aus.
Ihr würde übel. Er hatte dieses arme Tier brutal aus dem
Weg geschleudert!
Das war zu viel. Wie vom Blitz
getroffen stand Mira auf und rannte los in die Richtung, aus der sie
gekommen war. Sie geriet kurz ins Straucheln, fing sich aber sogleich
wieder und lief weiter. Sie rannte, wie sie noch nie gerannt war,
ihre Beine schmerzten und ihr Atem geriet völlig außer
Kontrolle, ihr Puls stieg rapide und sie wusste, dass sie nicht mehr
lange durchhalten würde. Doch wusste sie auch, dass sie jetzt
nicht stehen bleiben durfte. Sobald sie anhalten würde, würde
sie anschließend keinen Schritt mehr tun. Und so rannte sie
weiter, blendete die bleierne Schwere, die sich um ihre Beine legte,
vollkommen aus. Sie wusste nachher nicht mehr zu sagen, wie lange sie
so gelaufen war, von Angst und Furcht getrieben, sie spürte nur
noch, dass ihre Beine ihrem Kopf den Gehorsam verweigerten und sie
sie nicht mehr tragen konnten. Sie fiel auf die Knie und blieb schwer
um Atem ringend auf allen Vieren auf der Straße hocken.
Keuchend ließ sie sich zur Seite fallen, bis ihre Schulter an
die Mauer stieß. Dann drehte sie sich etwas und blieb mit dem
Rücken an das kühle Mauerwerk gelehnt sitzen. Den Kopf nach
hinten gegen die Wand und die Arme schlaff an beiden Seiten herab
hängend, saß sie da, keuchend, ihr Brustkorb hob und
senkte sich heftig. Ihr Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht
und sie fühlte das Pochen ihres Herzens bis in ihren Kopf. Sie
warf einen Blick nach rechts und sah dann mit ebenso verzweifeltem
Ausdruck nach links, nicht im Entferntesten gab es Anzeichen auf das
Ende der Straße, es war einfach keine Hauptstraße in
Sicht, kein Licht, weder von der Straßenbeleuchtung, noch von
Häusern. Zu beiden Seiten einfach nur gähnende Dunkelheit
und ein schier endloser Weg stur gerade aus.
Dann kam ihr plötzlich etwas in
den Sinn. Etwas, das nicht im mindesten dazu beitrug, dass sie sich
besser fühlte. Es war kein Licht zu sehen, nicht einmal ein
winziger Lichtpunkt innerhalb einer Wohnung, der durch ein Fenster
schimmerte. Dabei befand sie sich in einer Seitenstraße.
Irgendeines der Häuser zu ihren Seiten hätten zumindest
irgendwo ein Licht haben müssen, dass alles in der Nacht von
Halloween dunkel war, konnte nur bedeuten... Mira schluckte und warf
einen zögernden Blick nach oben. Mauern, Mauern, überall
waren Mauern, wo sie auch hinsah gab es nicht das kleinste Fenster.
„Verdammt!“ stieß sie entnervt aus und zog ihre Beine unter
sich. Dann stützte sie sich am Mauerwerk ab und hievte sich
langsam in die Höhe. Noch immer atemlos blieb sie an die Wand
gelehnt stehen und sah in den Himmel. Dunkelblaue, schwere Wolken
schoben sich vor den vollen Mond und ließen den Himmel in einem
unheimlichen blauen Licht schimmern.
Mira schloss kurz die Augen und griff
instinktiv in ihre Tasche. Ihre Finger berührten etwas kleines,
kühles und als das Mädchen ihre Hand um den Anhänger
schloss, war es, als würde sie einen Teil ihrer Stärke
zurückerlangen. Sie zog ihre Hand heraus und öffnete die
Faust. Mit den Fingerspitzen der anderen Hand strich sie sacht über
das silberne Amulett, weiter entlang der Silberkette und hob es
schließlich daran hoch. Ohne zu überlegen, öffnete
sie den Verschluss und legte sich den Anhänger um den Hals. Mit
eine geübten Bewegung verschloss sie die Kette wieder und barg
den nun an ihrem Hals baumelnden Anhänger erneut in der Hand.
Sie wusste nicht, wieso sie das getan hatte, aber irgendwie fühlte
sie, dass es besser war. Und ganz abgesehen davon hatte sie
unsägliche Angst. Sie atmete einmal tief durch und ging dann
schnellen Schrittes in die Richtung, in der sie die Hauptstraße
vermutete. Eigentlich war es ihr egal, was sich da nun am Ende des
Weges befand, sie wäre auch mitten in einen See gelaufen,
Hauptsache, sie entfernte sich so weit wie nur möglich von
diesem dunklen Wesen, das mächtig genug war, eine Katze mit nur
einer Armbewegung meterweit durch die Luft zu schleudern und das dort
irgendwo in den Schatten lauerte.
Das Heulen des Windes setzte wieder ein
und Mira fröstelte. Irgendwann ging sie langsamer, bis sie
stehen blieb und es schließlich aufgab, das Ende dieser Straße
jemals zu erreichen. Es war aussichtslos. Sie hätte schon längst
wieder auf dem ursprünglichen Weg sein müssen, irgendetwas
stimmte hier nicht, und das behagte ihr ganz und gar nicht.
Sie vernahm wieder dieses Rascheln von
schwerem Stoff hinter ihr und ein kühler Windhauch ließ
sie aufhorchen. Sie fuhr erschrocken herum, als sich etwas auf sie zu
bewegte und ehe sie überhaupt realisierte, was geschah, sprang
der Schatten auf sie zu und riss sie mit sich zur Seite. Mira schrie
kurz auf und spürte, wie sie den Boden unter den Füßen
verlor und irgendwo hinein geschleudert wurde.
Sie prallte hart auf den Fußboden
und im nächsten Augenblick wurde alles dunkel um sie herum.
Ein dumpfes Pochen in der Schulter
holte sie langsam in die Wirklichkeit zurück. Ganz langsam
öffnete sie ihre Augen und stemmte sich auf ihre Ellbogen, um
sich in eine halbwegs aufrechte Position zu bringen. Sie kniete nun
auf kalten Boden und sah sich um. Sie konnte es im diffusen Licht,
dessen Ausgangsort sie nicht ausmachen konnte, nicht genau erkennen,
doch es schien ihr, als wären die Wände aus Holz. Sie
befand sich definitiv in einem Raum mit bloß einer Tür,
einem alten, modrig riechenden Raum, geräumig, und mit nichts
als einem zerbrochenen Tisch mit zwei umgekippten Stühlen und
ein paar zerbrochener Tonscherben. Als sie aufstand, durchzuckte ein
stechender Schmerz ihren rechten Arm und sie hielt sich mit der
anderen Hand die wohl geprellte Schulter. Sie ging auf die Tür
zu, streckte den Arm aus – und blieb fassungslos stehen. „Da...
das gibt es doch nicht...“ Mira schluckte hart und fuhr mit der
Hand über die Stelle, an der eben noch eine Tür gewesen war
und wo sich jetzt nur mehr eine alte Holzwand befand. „Nein... das
ist völlig unmöglich!“ Mira wurde lauter, „Ich habe mir
diese Tür doch nicht eingebildet! Werde ich jetzt schon
verrückt?“ sie geriet in Rage und schlug wütend mit den
Fäusten auf die Wand ein, den Schmerz ignorierend. „Verdammt!“
schrie sie, „Wo zur Hölle bin ich hier!“ „Genau da!“ Eine Stimme, eisig und schneidend, sie ging Mira durch Mark und
Bein. Wieder wurde es kalt und Mira begann zu zittern. Sie setzte zu
einem Spurt an, auch wenn es völlig sinnlos gewesen wäre.
Es gab keinen Ausgang, oder zumindest nicht mehr. Doch ehe sie
loslaufen konnte, sprang die Kreatur innerhalb eines
Sekundenbruchteils vor und ergriff Miras Arm. Sie schrie auf, als ein
stechender Schmerz wie ein Stromschlag durch ihren Arm schoss. Es war
nicht so sehr der Druck und die Kraft dieses Wesens, das so
unbeschreiblich wehtat, sondern vielmehr war seine Hand kalt, kälter
als Eis, kälter als alles, was Mira in ihrem Leben zuvor berührt
hatte. Die Kälte brannte sich in ihre Haut und breitete sich
langsam aus. Sie versucht aus Leibeskräften, sich von diesem
Ungeheuer zu befreien, doch je mehr sie sich bemühte, desto
fester umklammerte er ihren Oberarm.
Allmählich wurde ihr Arm taub und
der Schmerz stumpfte ab auf ein unangenehmes Kribbeln, das sich
ausbreitete. Eine innere Kälte nahm ihren Körper ein und
schon bald gab sie den Kampf auf. Ihr Blick trübte sich, Nebel
breitete sich in ihrem Kopf aus und sie ging in die Knie. Nur mehr
der Griff dieses Monstrums verhinderte, dass sie zu Boden stürzte.
Wie durch einen Schleier und halb
ohnmächtig sah sie einen Schatten, der sich mit unglaublicher
Schnelligkeit auf sie zu bewegte und das dunkle Wesen einfach
gnadenlos über den Haufen rannte. Es ließ von ihr ab und
sie stürzte unsanft zu Boden.
Sie blieb einige Minuten liegen und
lauschte einer Art stillem Kampf, ab und an prallten sie aufeinander,
ansonsten zogen sie surrende Laute mit sich, wenn sie sich in dieser
wahnsinnigen Geschwindigkeit bewegten. Dann war es vorbei. Stille
folgte. Doch die Kälte lähmte sie so sehr, dass sie sich
nicht aufrichten konnte. Auch als sie das bereits vertraute Rascheln
von schwerem Stoff vernahm, blieb sie einfach regungslos liegen, nur
ihr Puls beschleunigte.
Sie spürte, wie er, dieses dunkle
Wesen, sich ihr näherte, wie es knirschend über die
Tonscherben lief, spürte, wie er den Arm ausbreitete. Vor ihrem
inneren Auge sah sie, wer er sie mit der gleichen Grausamkeit wie
zuvor die Katze gnadenlos tötete.
Er beugte sich zu ihr herab und warf
einen Schatten auf ihr Gesicht. Sie zuckte zusammen, als er ihre
Schulter berührte, bewegte sich jedoch nicht. Sie zitterte am
ganzen Körper und schloss ihre Augen, als er ihre Haare zur
Seite strich und mit den Fingern – zumindest hoffte sie inständig,
dass es Finger waren – genau die Stelle berührte, an der sie
zuvor von ihm festgehalten worden war. Der Arm war taub und so fühlte
sie seine Berührung kaum. Mit einem Mal wurde seine Hand warm,
so warm, dass sie es durch den Stoff ihrer Kleidung hindurch spürte.
Aus Wärme wurde Hitze, seine Hand schien zu glühen und ein
heißes Kribbeln breitete sich in ihrem Arm aus, das das Gefühl
der Taubheit verscheuchte, die Blutzirkulation ihres Körpers
wieder ankurbelte. Das Wesen umfasste kraftvoll, aber ohne ihr
wehzutun, ihre Oberarme und zog sie auf die Beine. Er ließ
seine Hände mit sanftem Druck auf ihren Schultern ruhen, bis sie
nicht mehr wankte. Als Mira nicht aufhörte zu beben, ließ
er los und trat lautlos zurück in den Schatten.
Wie paralysiert stand sie in diesem
Raum und konnte nicht fassen, was eben passiert war. Zunächst
der Angriff gegenüber der Katze, dann wird Mira von diesem Wesen
brutal aus dem Weg geschubst, anschließend bringt er sie fast
um und rettet ihr dann auf eine fast schon fürsorgliche Art das
Leben, indem er sie vor dem Kältetod bewahrt. Und wer war dieser
mysteriöse Angreifer, der sie aus den Klauen des Monsters
gerettet hatte? „Mysteriös... wer hätte gedacht, welche
Bedeutung dieses Wort einmal für mich haben würde.“
dachte sie bitter.
Sie atmete einmal tief durch und wollte
sich gegen die Wand sinken lassen – und bohrte sich den Türgriff
in die Rippen. „Das... Tür... aber wie... ?“ Mira lachte
zynisch, drückte die Klinke herunter und schluckte. Was mochte
jetzt kommen? Steinzeit? Saurier? Ufos? Nun, sie war nah dran – als
sie die Tür öffnete, erstreckte sich vor ihr die
Hauptstraße. Ungläubig riss sie Mund und Augen auf und
starrte in die beleuchtete Straße, trat aus dem Raum und wollte
gerade die Tür schließen, als sie auch schon mit Wucht
hinter ihr zu schlug. Heute Morgen hätte sie sich vor dem, was
sie nun sah, noch gefürchtet. Mittlerweile war das einzige,
worüber sie verwundert war, die Tatsache, dass die Tür (die
nun mit der Mauer verschmolz) so schmal war. Als wäre es das
normalste der Welt, dass Türen sich in massive Steinwände
verwandelten.
Sie atmete die kühle Nachtluft
ein, als sie sich auf den Weg nach Hause machte und bewunderte die
einfallsreichen Kostüme der Kinder, während sie versuchte,
die Erlebnisse zu verdauen. Irgendwann sah sie zwei kleine Mädchen
in Katzenkostümen auf sie zukommen. Nicht unbedingt Halloween
gerecht, aber es sah irgendwie niedlich aus. Sie sprangen plötzlich
vor und kamen auf allen Vieren zu ihr gerannt, laut miauend und die
Hände wie Pfoten nach Mira ausstreckend, als sie vor ihr
standen, viel mehr vor ihr hockten. Mira lachte und beschloss,
einfach mitzuspielen. Sie berührte eines der Mädchen an der
Hand. „Braves Kätzchen, na, möchtet ihr etwas Süßes?
Ich habe leider nichts für euch...“ sie lächelte traurig
und dachte an die arme Katze, die zuvor ihr Leben lassen musste. Mira
kramte in ihren Taschen und fand schließlich noch ein
Minzbonbon, welches sie den Mädchen hin hielt. „Das ist leider
alles, ehrlich.“ Die kostümierten Mädchen schnüffelten
an dem Bonbon und rümpften ihre Stupsnasen, ehe eines der beiden
mit der Hand – oder der Pfote – nach Miras Hand schlug und das
Bonbon zu Boden warf. Erstaunt sah Mira auf die Kinder. „Hey, was
soll denn das? Wenn ihr es nicht haben wollt, dann...“ doch weiter
kam sie nicht, da ein Junge in einem Wehrwolfskostüm angesprengt
kam und sich auf die Mädchen stürzte. Mit einem leidvollen
Maunzen stürzten sie zu Boden und versuchten den Jungen zu
kratzen, welcher sie im Gegenzug in den Nacken biss. Mira runzelte
die Stirn und sah dem Bündel eine Weile zu, ehe sie begriff,
dass es durchaus ernst war. Diese Kinder bissen und kratzen sich wie
Tiere! „Auseinander, hört sofort auf damit, ihr tut euch weh!“
rief Mira erschrocken und versuchte eines der Katzenmädchen aus
der Rangelei zu ziehen. Dieses quittierte Miras nett gemeinte
Rettungsaktion mit einem fauchenden Hieb mit der Hand, wobei sie
Miras Handrücken zerkratzte.
„Au!“ Mira wich zurück und
hielt sich die blutende Hand. Ein lautes Heulen durchdrang plötzlich
die Nacht und als Mira sich umsah, erkannte sie die Umrisse zweier
weiterer Wehrwolfjungen, die sich auf eine Bank gestellt hatten und
nun lauthals heulten. Ohne Vorwarnung sprangen sie mit den Armen
zuerst von der Bank und rannten auf die rangelnden Kinder zu Miras
Füßen zu, um sich knurrend in den Haufen zu werfen. „Ja
sind denn jetzt alle völlig verrückt geworden?!“ Mira
glaubte nicht recht zu sehen und wich instinktiv weiter zurück.
Sie beschloss, dass sie Hilfe holen
musste und wandte sich an zwei älter aussehende Teenager, wohl
um die 13 und jeweils als Vampir und Hexe verkleidet, und bat auf das
Knäul Kinder weisend um Hilfe. Die Hexe antwortete mit einem
irren Kichern, während sich der Vampir mit einem Satz auf Mira
stürzte und versuchte, sie zu beißen. Sie sprang zur Seite
und sah entsetzt, wie sich die Hexe auf ihren Besen schwang und in
die Lüfte flog. Der Vampir nahm Schwung und wehte auf einen
kleinen Jungen im Mumienkostüm zu, in dessen Hals er sich
verbiss. Das Kind mit dem Zombiekostüm daneben hob plump seine
Axt, deren silberne Fläche stärker glänzend war und
reflektierte, als es eine Spielzeugaxt je sein sollte. Ohne mit der
Wimper zu zucken holte das Zombiekind aus und schlug erbarmungslos
auf den Vampir ein. Die schwere Axt bohrte sich in die Schulter des
Vampirs, der nun von der erschlafften Mumie abließ und sich dem
Zombie zuwandte. Der weiße Verband des Kindes mit dem
Mumienkostüm war von etwas rotem getränkt, das sich immer
weiter ausbreitete und bald schon den gesamten Hals umfasste. Er
wurde tatsächlich in den Hals gebissen! Der Vampir zog die Axt
unbeeindruckt aus seiner Schulter und rammte sie dem Zombie in den
Nacken, welcher sogleich zusammenbrach.
Von blankem Entsetzen gepackt, drückte
sich Mira in den Schatten eines Garageneinganges, bis sie das
Metalltor in ihrem Rücken spürte. In ihren weit
aufgerissenen Augen spiegelte sich pure Angst und grenzenlose Panik.
Überall auf der Straße waren erbitterte Schlachten der
unterschiedlichsten Schauergestalten ausgebrochen, Kämpfe
zwischen Kindern, die sich wie Monster benahmen. Dies war kein Spaß,
es war bitterer Ernst, diese Kinder töteten einander, ohne auch
nur ansatzweise darüber nachzudenken! Mit grausamer Brutalität
ging jeder auf jeden los und griff mit der für sein
Erscheinungsbild typischen Art an. Die Hexen und Zauberer am Himmel
schrieen Verwünschungen aus und verwandelten alles was ihnen in
die Quere kam in Kröten, die sie mit dem Zauberstab aufspießten
oder mit bloßen Händen zerquetschten, andere wurden in
Steine verwandelten und in die Häuser geworfen.
„Nein, das kann nicht sein... das
muss ein böser Traum sein, nur ein Albtraum, ich werde jeden
Moment erwachen...“ Mira drückte sich wimmernd an das
Garagentor und sank weinend daran hinunter, die Gewissheit habend,
dass dies sehr wohl real war. „Nein... bitte nicht... hört
doch auf... ich will hier weg... Angst... ich habe so viel Angst...
wieso... ?“ sie zog die Knie an ihren Körper, schlang die Arme
darum und wiegte sich selbst immer wieder vor und zurück. Die
Straßen und Bürgersteige waren mittlerweile blutgetränkt,
überall lagen Kinderleichen und schwer verletzte junge Menschen,
es wüteten die schrecklichsten Gestalten, die grauenhaftesten
Laute und Schreie zerrissen die Luft.
Dann sah Mira aus den Augenwinkeln, wie
irgendetwas auf sie zugerannt kam. Ein als Rabe kostümiertes
Kind, und so sehr Mira auch hoffte, es möge anders sein, so
wusste sie doch, dass auch dieses Kind kein Mensch mehr war.
Krächzend und laut kreischend sprang der Rabe auf die geschockte
Mira, griff nach dem glänzenden Anhänger um ihren Hals und
riss ihn ihr brutal ab. „NEIN!“ schrie Mira und ihre Gelähmtheit
schien wie weggeblasen. Sie sprang auf und packte die Krähe
wütend am Flügel, der nicht mehr aus Stoff bestand.
Kaltblütig zog sie das verkleidete Kind an den Haaren und
Flügeln, sodass der Kopf der Krähe nach hinten geschleudert
wurde und das schwarze Monster schmerzerfüllt aufschrie. Unnötig
brutal entwand Mira ihr ihren Anhänger, den der schwarze Vogel
in seinem schnabelartigen Mund trug, woraufhin das wehrlose
Krähenkind seine Augen öffnete und Mira ansah. Mira
erschrak so heftig, dass sie sofort von dem Kind abließ und ein
paar Schritte zurückging. Ein unendlich leidender, qualvoller
Blick aus Kinderaugen hatte sich in die Augen Miras gebohrt. Sie
hatte eben mit voller Absicht ein hilfloses Kind angegriffen! „Oh
mein Gott, es tut mir so Leid!“ flüsterte Mira und wollte sich
der Krähe nähern, welche sofort wieder nach dem Anhänger
grabschte. Doch Mira war schneller, zog ruckartig die Hand zurück
und stieß das schwarze Etwas schnell und hart von sich. Es
kreischte und funkelte Mira zornig an, ehe es sich zurückzog.
Nein, das waren keine Kinder mehr. Das waren Monster, Mutanten,
irgendwelche Horrorfiguren und bösartige Kreaturen.
Den Anhänger erneut umgelegt und
festumklammert, sank Mira zurück in den Schatten der Einfahrt,
als sie plötzlich einen Schatten wahrnahm, der sich über
die Straße legte. Sie sah auf und was sie sah zog sie so sehr
in ihren Bann, dass sie ihren Blick nicht mehr abwenden konnte. Eine
schwarze Gestalt schwebte am Himmel und war genau in der Mitte des
leuchtenden Vollmondes zu sehen. Sie hatte die Umrisse eines
schlanken, großen Mannes mit weit wehende Umgang. Und obwohl
der Anblick unheimlich war, ging eine unbeschreibliche Schönheit
von diesem Bild aus, das sich Mira bot. Als hätte jemand mit
schwarzer Farbe eine Figur auf den Mond gemalt, nur dass sich diese
Figur bewegte. Es hatte etwas majestätisches an sich, das Mira
nicht beschreiben konnte. Mit einer anmutigen und doch kraftvollen
Eleganz und Anmutigkeit schwebte er langsam auf die Straße
hinunter und landete mit einem rauschenden, angenehm warmen Wind
direkt vor Mira in der Hocke. Er sah in ihr Gesicht, das von einer
salzigen Tränenspur gezeichnet war, und streckte behutsam die
Hand aus, um sanft über ihre Wange zu streichen. Mira suchte
seinen Blick unter der weiten Kapuze und nahm dann ein warmes Funkeln
wahr. Das Wesen strich zärtlich über Miras Haar, fuhr dann
an einer Strähne entlang, die an ihrem Dekolleté endete,
genau dort, wo der Anhänger sich befand. „Wieso?“ flüsterte
Mira tonlos. Er zeigte mit dem Finger auf das kunstvoll verzierte
silberne Medaillon. „Ich... verstehe nicht was du meinst.“
wisperte sie. „Du bist anders.“ sagte
er, als sei damit alles erklärt. „Anders?“ Der Mann in
Schwarz nickte. „Erzähl mir davon!“ forderte
er sie auf und berührte den Anhänger. Mira überlegte
kurz und beschloss dann, zu antworten. „Ich habe es so lang ich
denken kann... es ist uralt, aber irgendetwas strahlt es aus... es
ist schon sehr lange im Besitz meiner Familie und erinnert mich an
all die, die ich verloren habe.“ „Und das ist der
Grund. Du ehrst noch die verstorbenen Seelen, du gedenkst ihrer und
zum Dank verleihen sie dir ihre Stärke.“ „Deine
Worte sind weise, du sprichst so klug und klingst so nett. Wieso tust
du dann das alles? Wieso lässt du unschuldige Menschen sterben,
wieso hast du diese arme Katze gequält und wieso hast du mich
gejagt und verfolgt, mir wehgetan und Angst eingejagt?“ rief sie
verzweifelt. „Ich habe nichts dergleichen getan.“
antwortete er bestimmt und
räusperte sich mit einem raschelnden Geräusch seines
Gewandes. „Das war er.“ „Er?“
Mira war es Leid, ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen. „Es
tut mir so Leid... du hast so viele Wunden, bitte verzeih.“ Mira
sah ihm kurz dabei zu, wie er ihre blutende Hand sanft in die seine
nahm. „Bitte, beende diesen Wahnsinn,“ Mira holte tief Luft und
machte eine kurze Pause, während der Schmerz in ihren Gliedern
auf wundersame Weise abnahm. „Was ist hier los? Ich verstehe
langsam gar nichts mehr...“
„Heute vor 1313 Jahren geschah
etwas, das über all die Jahre immer tiefer in das Bewusstsein
der Menschen verankert wurde und das Ende der uns bekannten Zeit
einläutete...“ „Du
meinst den Tod des Helden, der von den Menschen nicht in Ehre
gehalten wurde...“ Das dunkle Wesen schien zu Lächeln,
jedenfalls deutete es Mira so, mehr als ein Gefühl als dass sie
es sehen konnte. „Erstaunlich. Aber ja, du hast Recht.
Was du nicht wissen kannst ist, dass die Seele dieses Helden
verflucht war. Etwas Böses lauerte in ihm, das Böse, das
durch die Bitterkeit durch seinen unehrenhaften Tod noch gewachsen
ist. Es war ihm verwehrt, ewigen Frieden zu finden, doch war es ihm
auch verwehrt, zurück zu kommen. Was du außerdem wissen
musst, Mira Thirteen, dieser Held war einer deiner Vorfahren, ein
Thirteen wie du. Und so musste er 1313
Jahre warten, ehe er zurückkehren konnte. In all dieser Zeit hat
das Böse an Macht gewonnen, was die Schuld der Menschen ist. Sie
haben den Sinn von Halloween vergessen, und nun will er Rache.
Vielmehr seine böse Seite. Mira, es tut mir Leid, dass du das
alles durchmache musstest, aber er weiß, dass nur du all das
aufhalten kannst, aber er will seine Rache, und die bekommt er nicht,
solange du da bist. Du wirst beschützt durch dein Amulett und
die Seelen dir lieb gewonnener Menschen. Deshalb muss er es dir
abnehmen, nur dann kann er dich vernichten und Rache nehmen. Auch die
Katze war er. Und er hätte Erfolg gehabt, hätte ich es
nicht verhindert.“
Mit einem Mal war
es, als würde ein Schleier sich von Miras Augen lösen und
sie sah klar. Sie verstand. Es war unnötig, dass er es ihr
sagte, sie hatte genug gehört. Er war dieser Held. Sie sah die
dunkle Seele vor sich traurig an. Das Böse in ihm hatte sich
abgespalten, es tötete Kinder und Menschen, die den Kindern zu
Hilfe eilen wollten, ließ die zu Monstern gewordenen Kinder in
die Häuser eindringen und die Erwachsenen töten. Löschte
alles aus, damit alle das verspürten, was ihm wiederfahren war.
Doch er dachte nicht nach. Denn es würde nichts ändern, die
Menschen würden nicht verstehen, was passiert, würden
nichts an ihrem Verhalten ändern, würden um ihre Kinder und
Eltern trauen, sich selbst Vorwürfe machen, jedoch nicht wissen,
was sie ändern müssen. Es war die falsche Methode, die
Menschen zurück auf den richtigen Weg zu führen. Sie zu
manipulieren und zu verzaubern konnte kein gutes Ende nehmen. Ganz im
Gegenteil, es würden alle das gleiche Ende nehmen wir er, ihm
wurde alles genommen, er konnte doch nicht ernsthaft wollen, dass
andere Kinder und Väter das gleiche durchmachen müssen wie
er es einst musste.
Mira sah sich um.
Der Schatten des Todes war dabei, alles kaputt zu machen, was noch
nicht so kaputt war wie er selbst.
“Und du kannst das verhindern.“
Sie sah die dunkle Seele lange
an, so lange, dass sie endlich seinen Blick in der Dunkelheit finden
konnte. Er hatte ihre Gedanken gelesen. „Wie kann ich das?“
Doch eigentlich war die Frage unnötig. Er würde es ihr
nicht sagen, er würde es ihr zeigen. Und sie wusste, dass er
Recht hatte, wenn sie auch nicht wusste, wieso und was sie tun
sollte. Noch nicht jedenfalls.
„Komm mit!“ Er
erhob sich lautlos und reichte ihr die Hand. „Komm mit
mir, Mira, und ich verspreche dir, zusammen werden wir alle retten
können. Ich werde dich beschützen, es wird dir bei mir gut
gehen, meine Dreizehn.“ Mira
ergriff seine Hand und stand auf. Er legte seinen Arm um sie und nahm
sie unter seinen Umhang, sie fühlte seine Wärme und wusste,
dass es die richtige Entscheidung war. „Danke, Großmutter...“
dachte Mira lächelnd und gemeinsam schritten sie in den Nebel,
bis die Dunkelheit sie umhüllte.