Jo Lukas Seibt

Von der Macht eines Autors

Da war eine Plattform, geformt aus stabilem, in der Sonne silbern glänzendem Stahl. Hier und da sah man einige oberflächliche Rostflecken, doch sie ließen das ganze nur noch realer wirken. Stützbalken oder ähnliches hatte die Plattform nicht. Warum sie trotzdem dort hält, ruhig und sicher, wie auf festem Grund? Die einzige Antwort: weil es so bestimmt ist, aber warum ist es so bestimmt? Nun, es wird schon seinen Zweck haben.
 
 Aber da war nicht nur die Plattform, da war noch ein Junge. Er hatte mittellange,  dunkelblonde Haare, nicht ganz ausgewachsen, aber auch nicht klein, doch seine nicht mindere Größe fiel (wenn man keinen Vergleich hatte) nicht auf, weil er ein wenig rundlich war, doch das was einem sofort auffiel, waren seine blauen Augen, nicht hell, nicht dunkel, aber strahlend blau.
 
Er schaute sich um, und es schien so als hätte er keine Ahnung, warum oder wie er hierher gekommen war. Warum war er dann da, wenn er nicht selber dorthin gelangt war? Weil es so bestimmt ist.
 
Er ging zum Rand der Plattform, um zu sehen ob er sich auf der Platte über Festland oder Meer befand. Ein sinnloses Unterfangen. Er blickte nach unten, und musste mit einem plötzlichen Gefühl von Übelkeit feststellen, des er sich tausende von Meter über der Wolkendecke befand. Ein Schwindelanfall überkam ihn, und er kippte vorne über.. in seinem Schockzustand nicht fähig zu schreien, oder überhaupt zu realisieren dass er fällt, merkte er auch nicht, dass ihn jemand am Fußknöchel packte, und auf die Plattform zurückzog.
 
Gelähmt vom Schock realisierte er endlich dass er sich nicht auf einem Flug ins unersichtliche befand, sondern auf der Platte saß, dafür spielte ihm sein Magen umso mehr eine harte Landung vor.
 
Er schaute hinter sich, irgendwie musste er ja von seinem Freiflug abgehalten worden sein, und dort stand ein weiterer Junge, mit braunen Haaren, von gleicher Größe wie der andere, nur hatte er Braune Augen, unauffällige braune Augen. Wer war er? Wo kam er her? Warum war er hier? Was hatten die beiden gemeinsam, dass sie beide auf dieser Platte waren?
 
„Danke,“ meinte der mit den blauen Augen,  „dass war echt knapp. Wieso bist du hier? WER bist du?“. Der andere öffnete den Mund, immer noch lächelnd, vor Freude über seine geglückte Rettungsaktion, doch als er zum Reden ansetzen wollte, schwand sein Lächeln, und ein nachdenklicher Ausdruck festigte sich auf seinem Gesicht.
 
„Das ist eine gute Frage, ich habe weder eine Ahnung warum ich hier bin, noch wie ich hier herkomme, ich war gerade daheim dabei…“, er stockte, sprach nicht weiter. Der Blauäugige, freudig in der Erwartung einige Informationen zu bekommen, wurde ungeduldig. „Was hast du daheim gemacht? Wo kommst du her, was hast du gemacht, sag es mir!“. Der Andere, immer noch den Schock in seinem Gesicht, wendete sich vom Blauäugigen ab, und meinte „Ich weiß es nicht mehr, was ich gemacht habe, genauer gesagt erinnere ich mich an überhaupt nichts, weder wo ich herkomme, noch meinen Namen. Ohne dieses Wissen bin ich nur ein, ein Niemand…“. „Na willkommen im Club.“, sagte der mit den blauen Augen.
 
Der mit den braunen Augen stellte sich wieder aufrecht hin, und entschloss „Also wenn wir hier schon mal sind, und keine Ahnung von Nichts haben, dann wenigstens gemeinsam“ und er schritt auf den Blauäugigen mit ausgestreckten Arm zu Hände schütteln zu, und der andere tat es ihm gleich, froh über Gesellschaft. Doch kurz bevor sich ihre Finger berühren konnte, entstand eine immens starke, sich kugelförmig ausbreitende Schockwelle zwischen den beiden, und sie wurden beide rücklings nach hinten geschleudert. Der Blauäugige landete hart auf dem Bauch, schlidderte aber noch weiter rasant auf den Rand zu, und schon fühlte er wie er die Platte unter dem Körper nicht mehr spürte, konnte sich aber gerade noch mit einer Hand festhalten. Doch was war mit dem Anderen, seinem Retter? Von einer neuen Kraft erfüllt, zog er sich hoch, stemmte sich auf die Beine und schaute auf die andere Seite, wo er sah, wie vier Finger über den Rand der Platte glitten, und verschwanden. Der mit den blauen Augen rannte zum gegenüberliegenden Rand, legte sich flach hin und schrie, schrie vor Trauer über diesen sinnlosen Tod, und sah aus irgendeinem Grund hinunter, um zu sehen ob dort wirklich der Braunäugige fiel, aber er war anscheinend schon so weit gefallen, dass man ihn nicht mehr sah. Eine Weile noch kniete er noch da, und Tränen rannen in Strömen sein Gesicht herunter, aufgrund des Verlustes seines neu gewonnenen Freundes. Nichts hatte er, nichts wusste er, doch da bekam er einen Retter, einen Helfer, einen Freund, und noch bevor sie ihre Freundschaft besiegeln konnten, ward er ihm schon wieder geraubt. Nicht genommen. Geraubt. Hinter ihm hörte er ein leises Geräusch, so wie wenn Schuhe auf Metall aufkommen. Er blickte über seine Schulter, und sah eine Person vor sich auf der Platte stehen. Er wischte sich die Tränen vom Gesicht, und konnte es einfach nicht fassen: Vor ihm stand der Junge mit den braunen Augen, nur ein bedeutender Unterschied war, dass seine Augen nicht mehr braun waren, sie waren absolut ausdruckslos. Der mit den! blauen Augen, immer noch völlig verwirrt über den Anblick der sich ihm bot, musste plötzlich die Augen schließen, weil die Sonne um einiges heller strahlte. Nach einer Weile konnte er die Augen wieder öffnen, und sah wie ein einzelner Sonnenstrahl von hinten gemächlich auf den Braunäugigen zukam, der einfach nur dastand, nicht atmete, nichts sagte, eine lehre Hülle, doch als der Lichtstrahl auf seinen Hinterkopf fiel, färbten sich seine Augen zuerst komplett braun, doch dann konzentrierte sich die Farbe um die Pupille, und er begann schlagartig zu Atmen. Er schien sich plötzlich seiner Umgebung wahr zu werden, er sah sich um, und sein Blick fiel auf den Blauäugigen, und seine frisch gefärbten Augen schwammen in Tränen, und er rannte auf ihn zu und umarmte ihn. Da stellten sie sich, sich an den Unterarmen fassend, aufrecht hin und blickten sich  erleichtert, fröhlich hin. Da gab es einen plötzlichen Windstoß, und die beiden warfen sich zu Boden und klammerten sich aneinander, und durch das gemeinsame Gewicht wurden sie nur bis zum Rand geweht, kamen dort aber zum Stillstand.
 
Sie hielten die Köpfe noch einige Momente unten, um ganz sicher zu gehen. Doch dann standen sie auf, stellten sich hin, und beide hatten das Gesicht voller Tränen. Da schluchzte der Braunäugige „Warum? W-w-warum dürfen wir nicht?? Ich glaube es ist einfach bestimmt, wir können es nichts daran ändern.“ Da drückte er Blauäugigen noch einmal, und sprang dann über den Rand der Plattform. Und kam nicht wieder. Der Blauäugige verstand die ganze Situation nicht. Was für ein Blauäugiger? War da nicht gerade ein Junge auf der Platte? Was für eine Platte? Da war keine Platte! Und wieso passierte all das, obwohl es gar nicht existierte? Weil ich es so wollte, weil ich es so schrieb, weil du es so liest. Denn ich bin der Autor. Und der Autor bestimmt den Anfang, den Verlauf und das Ende einer Geschichte.
Ende
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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