Luki K

...doch es kam alles anders

 
 
 
Kevin
 
Verdammt, fickt euch doch alle!
Immer noch hoffend, obwohl die positive Aussicht auf ein anhaltendes Auto schwindend klein ist, strecke ich meinen Arm aus und halte den Daumen in die Höhe. Ich lächle, und mein Daumen könnte in einem anderen Moment signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Aber momentan ist diese verdammte Scheisse alles andere als in Ordnung.
Und ich lächle!
Ich könnte heulen, verdammt! Was kann ich denn dafür, dass alles so gekommen ist?! Was kann ich denn dafür, dass ich jetzt dieser Strasse entlang laufe und nicht da bin, wo ich eigentlich sein sollte?! Ich laufe dahin, in meiner Trauer, und alle fahren vorbei.
Subaru, Volvo, Ford, Opel, wieder ein Volvo, Volkswagen.
Schwarz, blau, pink, gräulich silbern, schwarz, grüngrau, schwarz, schwarz, schwarz.
Aber alle fahren vorbei, die gucken mich nicht mal an. Ich würde in jedes verdammte Auto einsteigen.
Es folgt ein BMW, da halte ich die Hand gar nicht mehr raus.
Scheiss BMW!
 
 
 
Patricia
 
Das war so fantastisch, so berauschend. Das ganze Prickeln, überall, mein Schweiss, sein Keuchen. So extrem bin ich noch nie gekommen.
Und dies vor seinem grossen Tag. Wir waren schon verrückt, irgendwie. Bis gegen zwei Uhr früh sind wir wach geblieben – und aktiv.
Und rund zwei Stunden später der Anruf.
Das war schon komisch, als er da so gesessen hatte, mit dem Hörer in der Hand und aschfahl im Gesicht. Die bestürzende Meldung.
Und das Ganze nach meinem herrlichsten Sex. Und vor seinem grossen Tag.
 
 
 
Heinz
 
Was für eine Aufregung! Was für ein Tag! Was für ein Ereignis!
Tamara geküsst, geduscht, meinen besten Anzug angezogen, mit der besten Krawatte, gefrühstückt, Tamara geküsst, und jetzt auf dem Weg zur Arbeit.
Und alles perfekt vorbereitet. Das wird eine Hammer-Präsentation werden.
Was für ein Tag!
Da läuft ein Typ an der Strasse entlang, ohne Schirm im Regen. Seine Kleider sind zersaust, nass, und er mustert mich komisch, abschätzend, aggressiv.
Und das nur, weil ich einen BMW fahre.
 
 
 
Kevin
 
Nach der Wut folgt Resignation.
Das ist so eine verdammte Kacksituation!
Gestern war so ein super Tag gewesen, bei der Arbeit hatte ich alles vorbereitet, es war alles perfekt gewesen für heute.
Als ich nach Hause kam, gestern Abend, wartete Patricia bereits mit dem Nachtessen, und wir haben sogar Sekt getrunken.
Es war alles perfekt gewesen. Der Tag, die Vorbereitung auf heute, das Essen, der Sex.
Vor allem der Sex.
Und dann dieser Anruf, heute Morgen um 04.19 Uhr. Eine Zeit, die ich nie mehr vergessen werde.
04.19 Uhr.
Die Zeit, die mein Leben verändert hat.
 
 
 
Patricia
 
Ich habe ihm gesagt, dass er nicht gehen soll.
Ich habe ihm gesagt, dass die anderen es verstehen würden. Er müsse heute ganz sicher nicht zur Arbeit gehen, sagte ich, nicht jetzt, nicht heute.
Er sah panisch aus, sein Gesicht war karg.
Er hatte unter seiner Jacke noch das Shirt an, das er sich nach dem Sex übergestreift hatte.
Es war feucht.
Dann drehte er sich um und ging wortlos aus dem Krankenhaus. Ich sagte nichts, da ich wusste, dass er gehen würde, egal was ich ihm noch gesagt hätte.
Ich liess ihn gehen.
Leichtsinn.
 
 
 
Sasha
 
Oh nein, bitte nicht schon wieder!
Ich hasse diese Typen. Sollen die sich doch selbst ’nen Wagen kaufen.
Der da vorne schaut so aus, als ob er gestern seine Freundin mal wieder richtig schön gefickt hat. So richtig hart halt, und heftig lange.
Und dann verpennt. War ja auch anstrengend in der Nacht, da darf er auch mal etwas länger ausruhen, am Morgen.
Aber dann trotzdem am Strassenrand stehen, mit seinem Daumen, den er in die Höhe reckt, den Daumen, der gestern Abend noch irgendwo anders gesteckt hat.
Und immer noch hoffend, dass ihn irgendein Idiot mit nimmt.
Fick dich doch!
 
 
 
Nathalie
 
Als ich ihn von weitem sah, dachte ich zuerst, dass es irgendein armer Bettler ist, der zu viel getrunken hatte. Er torkelte am Strassenrand entlang und winkte wild in der Luft umher, als ich immer näher kam.
Doch dann änderte sich meine Einstellung gegenüber ihm. Er machte keinen wirren, sondern eher einen kranken, verzweifelten Eindruck. Hilflos stand er da, ausgepowert.
Und zum ersten Mal in meinem Leben hielt ich in so einer Situation an.
Ich öffnete die Beifahrertür.
Leichtsinn.
 
 
 
Kevin
 
Aber es ist schon komisch, was ich erlebt habe, in den letzten Stunden.
Wieder mal richtig geilen Sex, den schockierenden Anruf, das Warten im Krankenhaus. Und das Wissen im Hinterkopf, dass ich eigentlich nicht in diesem Krankenhaus sein sollte. Dass ich eigentlich im Besprechungszimmer sein sollte, um das neue Projekt vorzustellen. Und genau dieses Wissen gelang immer mehr in mein Bewusstsein.
Ich musste mein Projekt vorstellen…!
Patricia, wie sie halt ist, versuchte noch, mir einzureden, dass ich nicht gehen solle.
Es geht um meine verdammte Zukunft!
Also gehe ich.
Raus aus dem sterilen Krankenhaus, vorbei an Kaffeetrinkenden Krankenschwestern. Ich rannte zu meinem Auto, meinem BMW, den ich vor einem halben Jahr gekauft habe. Und dann dieses verdammte Geräusch, dieses Wissen, dass er nicht mehr anspringen würde.
Scheisse!
Und meine Zukunft rief mich. Ich konnte nicht einfach hier bleiben, ich musste zur Arbeit.
Also lief ich los, der Strasse entlang.
Ich muss zur Arbeit, das ist mein grosser Tag heute!
Es war kalt gewesen, an dieser Strasse, und nass. Ich hatte mein Mobiltelefon zu Hause liegen lassen, morgens um 04.19 Uhr. Ich konnte mir kein Taxi rufen. Keine Telefonzentrale, weit und breit, die verfickteste Strasse auf der ganzen Welt!
Und dann kam mir diese Sache in den Sinn. Ich erinnerte mich an meine Jugend, als wir noch leichtsinnig waren.
Und ich streckte meinen Arm raus, und meinen Daumen hoch.
Leichtsinn.
 
 
 
Patricia
 
04.19 Uhr und 10.15 Uhr.
Zwei Zeiten. Und beide werde ich nie vergessen.
Es hatte gerade ein Arzt seine Karte in das automatische Zeiterfassungssystem gesteckt. Er lächelte mich an, da er seine Pause auf die Minute genau eingehalten hatte. Ich habe damals auf die Uhr an der Wand gegenüber geschaut.
10.15 Uhr.
Und als dieser Arzt mich so angelächelt hatte, erschien am Ende des Korridors ein Mann in Uniform, mit der Mütze unter seinem Arm und besorgtem Gesichtsausdruck.
Das mit meinem Schwiegervater täte ihm Leid, hat er zu mir gesagt.
Und dann folgte eine weitere Nachricht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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