Thomas Müller-Teufel

Am Laufen halten

Du liegst halbtot auf
auf dem maisgelben Grund

abgewinkelt sehe ich deine
Augen im Kalender

rubinrot fasst ein Band

dein kupfernes Haar

fast ganz bis auf die Strähne aus deinem Mund

fließend

Ihre Augen sind zu schmal, das Gesicht etwas zu großflächig, der Mund klein, Oberlippe kurz. Wenn sie nicht mit ihrem Nachbarn redet, schaut sie nach vorn, mit hauchdünn geöffnetem Mund, hinabgesunkenen Lidern. Sie macht dabei einen fast debilen Eindruck.

Ich sah sie zunächst weder vor, während oder nach der Begrüßung. Mein Konzept war umgestoßen worden. Die Sekretärin hatte mich bereits gesucht. Rauchend im Foyer sitzend war ich im Terminplan verrutscht. So betrete ich um einiges verspätet den Raum. Die sondierenden Blicke zerplatzen als Blasen an meinem Sakko und überziehen es mit perlendem Tau auf den Wollfasern. Ich ziehe es langsam aus, hänge es akkurat über die Stuhllehne und beginne mit meinem warm up. Wie gewohnt fällt es mir schwer. Auf den Gesichtern der anderen - und wahrscheinlich auch ihrem - spiegelt sich davon nichts wider. Während der ersten Redetakte lasse ich nur Stimulantien ohne tieferen Sinn von mir. Das ist für die Zuhörer wichtig. Sie sind noch mit meiner Nase, meinem Rückgrat, meiner Kugelschreiberhand befasst. In solchen Augenblicken schäme ich mich ein wenig über meine stets geröteten Hände.

Am Abend lädt Willfried, der Gastgeber, zum Flammenkuchen essen ein. Das sei hier so üblich.

Es wird entsetzlich. Ich gerate in die Männerecke am Tisch. Sie reden über Ballsport und der kleine, hässliche Dicke zerkrümelt zwischen seinen Pfoten eine Zigarette, um die er mich zuvor gebeten hat. Er begleitet die Zerstörung mit irgendeinem unerträglich scherzhaften Wortspiel. Bei seiner Frau habe er das auch schon gemacht. Die anderen bestaunen seine Unverfrorenheit. Ein Depp, denke ich. Einige Monate später stirbt seine Frau nach langer Krankheit. Jetzt sehe ich sie wieder. Ich muss sie demnach schon im Seminarraum bemerkt haben. Vielleicht. Denn einer der Männer hat irgendwann laut auf sie aufmerksam gemacht und gemeint, wie gut ihr die neue Frisur stehe. Frisur. Welch dämliches Wort für ihr Haar. Ich denke, dass nichts im Verborgenen blüht, wenn es denn blüht oder sonst einen Quatsch. Sie sitzt am anderen Tischende, das mich ausgesprochen neugierig mustert. Der Vortrag war gut, interaktiv, jeder durfte mitspielen. Die Frauen überlegen, wie sie mich aus meiner Ecke loseisen könnten. Ihnen ist offensichtlich langweilig. Es fällt ihnen aber nichts ein. Einfach zu rufen ist beim ersten Viertel und über Vierzig nicht drin. Also bewege ich mich. Schließlich möchte der Referent die ganze Gruppe kennenlernen. Erleichtert werde ich begrüßt. Ich bekomme den Sitzplatz ihr gegenüber. Belohnung. Irgendeine Klara möchte sofort von meinem Weinchen nippen. Er sei so rot. Klaras Gesicht hat die Farbe und Beschaffenheit eines Pappkartons. Ich muss das Rauchen aufgeben.

Sie redet den Abend über kein Wort, nestelt an der Tischecke oder kaut Fingernägel. Außer denen esse sie ja fast nichts, klagt die sanfte Mahagonitönung neben mir. Kein Stück Flammenkuchen, nichts. Jeden Abend gehe das so. Sie ist jetzt so nah, dass ich Sie rieche. Als sie ihre Hand zur Cola streckt, glänzen ihre Fingerkuppen feucht. Ich beantworte brav die banale Neugier Ihrer Mütter und Tanten. Ich möchte eine Zigarette rauchen. Ich zünde keine an, weil ich die vielen Nichtraucher respektiere oder weil ich Angst habe, gerade wegen dieser Respektlosigkeit cool wirken zu wollen. Ich zünde dann doch eine an, scheinbar instinktiv.

Ihre Brüste sind größer als ich angenommem hatte. Ich versuche zu entziffern, was auf dem T-shirt steht. Doch ich bin zu langsam: Sie beginnen meinen Blicken zu folgen, registrieren aber mein Gaffen noch nicht. Es wird spät, ihre Lider schließen sich sacht und zwei Sekunden lang mache ich es ihr gleich. Klara kreischt nach einer Zigarette von mir.

* * *

Sowenig Sie und die anderen heute gewillt sind, meinem Gerede zu folgen, so luchsäugig verfolgen sie jede verräterische Neigung meines Körpers; jedes Auge, das ich auf Sie werfe wird gezählt und mit geschürzten Lippen abgewogen. Mein Blick muss streifen, darf nicht ruhen, nicht auf ihrer Stirn, nicht auf ihrem Hals, darf sich nicht legen in ihr Gesicht oder den Nasenrücken entlanggleiten noch eine Braue streifen. Wie nach einer neuen Idee suchend wende ich meinen Kopf zur Fensterfront. Im Weitersprechen weit unten auf dem Wasser ein Binnenschiff. Der Fluss wird zur Ader an ihrem bleichen, zarten Hals. Am Ufer spitze ich immer neue Pfähle. Zwei Krähen bauen sich aus ihren Wimpern ein Nestlein. Nur von Ferne das Krächzen meiner Stimme. Als eine besonders aufmerksame Teilnehmerin ihr bisschen Stirn kräuselt, fliegt mir etwas ins Auge. Mit einem Taschentuch schütze ich meinen Gesichtsausdruck. Der Vormittag zieht zäh an uns vorüber.

Auf den besser getarnten Streifzügen des Nachmittags mache ich meine nicht unbescheidene Beute. Zerre sie unbemerkt weit, weit hinter meine Pupillen. Dort, in der guten blickdichten Stube arrangiere ich die Trophäen, während meine Hand den Stift auf der Folie des Tageslichtprojektors ein wenig nach unten verschiebt. Kostbar: dein durch mein Geschwätz hervorgerufenes Lächeln. Opfer eines professionell positionierten Scherzes. Angepflockt nun mein. Belebend auch der winzige Luftstoß aus deiner Nase, ausgestoßen als du dich nach einem herabgefallenen Haargummi bücktest. Seltener als Gold und Prachtstück der Kammer: ein tiefer, mit meinem vereinter Blick. Ich lege ihn behutsam in die immer geöffnete Schatulle gleich neben der Tür. So können wir uns, wenn ich wiederkomme, schon bei meinem Hereinkommen sehen.

Ein Haar von dir wäre schön. Ich suche nach der aufgeregten Diskussion ein wenig an deinem Platz danach. Der Referent räumt noch ein bisschen auf, während die anderen schon schnatternd beim Abendessen Schlange stehen.Ich finde das Haar und will es ganz haben. Ich lösche das Licht nicht im Seminarraum. Während die anderen ihren bunten Salat im Tellerchen gruppieren, nehme ich Hals über Kopf den Lift.

Halbtot liegst du

im Aufzug

als ich dich statt der Acht

auf die Neun drücke

flackert dein Lid.

Beim rüttelnden sich Einziehen

der Eisentür habe
ich das vergessen

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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